Nato verkehrt: Erdogan narrt mit der Schweden-Blockade das Bündnis

Der türkische Machthaber Recep Tayyip Erdogan hält erneut die Nato zum Narren. Er dient damit nicht nur seinen eigenen, sondern auch Putins Interessen. Der Ausschluss der Türkei gehört endlich auf die Agenda des Bündnisses.

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Recep Tayyip Erdogan, Staatspräsident der Türkei bei der Eröffnung eines Tunnels in Istanbul, 19.01.2023

Die Nato-Mitgliedschaft der Türkei erweist sich immer deutlicher als ein grundlegender Schaden des westlichen Militärbündnis. Es ist absurd: Ein islamistischer Autokrat, dessen Land aus historischen Gründen Mitglied des westlichen Verteidigungsbündnisses ist, während es zugleich unter seiner Ägide das Wertefundament des Westens fortschreitend ablegt, verhindert den Beitritt von zwei ganz unzweifelhaften westlichen Demokratien, nämlich Schwedens und Finnlands, zu diesem Bündnis.

Der Verrat an den Kurden
Erdogan: Segeln im Windschatten Putins
Der türkische Machthaber Recep Tayyip Erdogan, der mit gewohnt undemokratischen Methoden gerade seine nächste Wahl sichert, erhebt schon seit dem Sommer 2022 Einspruch gegen Schwedens und Finnlands Beitritt (weil diese angeblich die kurdische PKK unterstützen) und verstärkt diesen nun wegen einer kleinen (genehmigten) Demonstration einer rechtsradikalen Splitterpartei in Stockholm (einer dänischen Partei übrigens), bei der auch ein Koran verbrannt wurde. Erdogans Regime begibt sich damit auf das Niveau der Mobs in vielen islamisch dominierten Ländern, die sich nach ähnlichen Vorfällen aufheizen. Man erinnert sich zum Beispiel an die Empörung aufgrund der „Mohammed-Karrikaturen“ in einer dänischen Zeitung 2005, als in zahlreichen islamisch geprägten Ländern daraufhin dänische Flaggen verbrannt wurden. Erdogan macht wie diese Demonstranten die Regierung eines freien Landes für die öffentlich geäußerte Meinung von freien Bürgern verantwortlich. Man darf sich auch daran erinnern, dass es nicht immer bei Protesten und Flaggen-Verbrennungen blieb. Der Zorn gegen „Blasphemie“ gipfelte im Januar 2015 im Anschlag auf die Pariser Redaktion der Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“, bei dem Islamisten 12 Menschen ermordeten, weil sie sich über die islamische Religion (ebenso wie über die christliche selbstverständlich) lustig gemacht hatten.

Dass Erdogan als Muslim empört ist, wenn Islam-Gegner mit der Verbrennung des für Muslime heiligen Buches eine Blasphemie begehen, ist verständlich und völlig legitim. Indem er aber diese Tat von einzelnen Bürgern zu einem internationalen Politikum erklärt, missbraucht er seinerseits die Religion zu politischen Zwecken. Das ist nicht nur abgeschmackt, sondern verwerflich.

Längst müsste den Regierungen der anderen Nato-Staaten klar sein, was für ein Regime sie mit Erdogans Türkei in ihren eigenen Reihen haben. Die Antwort der anderen Nato-Staaten auf Erdogans bündnisschädigendes Verhalten müsste längst über zahme Zurechtweisungen wie die des Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg hinausgehen, der schulmeisterlich erklärt, dass „unangemessene Taten nicht automatisch illegal“ sind. Erdogan will ja gerade, dass solche Taten kriminalisiert werden. Er zeigt damit, dass er einem Land wie Pakistan, das sein Blasphemie-Gesetz gerade streng verschärft hat, näher steht als dem freien Westen.

Von Erdogan lernen...
Wie der türkische Präsident seine Macht sichert
Wäre die Nato ein Verein oder eine Partei, wäre längst ein Ausschlussverfahren wegen parteischädigenden Benehmens fällig. Erdogan verfolgt nicht nur das offenkundige Ziel, die westlichen Regierungen zu einer Kriminalisierung der anti-muslimischen Blasphemie zu drängen, und damit auch die Position ihm nahestehender muslimischer Organisationen in diesen Ländern (wie etwa der DITIB in Deutschland) zu stärken. Gleichzeitig spielt er – ob absichtlich oder nicht – auch Putins Spiel, indem er die Ausweitung der Nato verhindert und sie dadurch schwach und uneinig erscheinen lässt. Er inszeniert einen Graben zwischen der Nato und ihren Beitrittskandidaten Schweden und Finnland, wo eigentlich ein Graben zwischen seiner Türkei und dem Rest der Nato inklusive Schwedens und Finnlands besteht.

Während Finnland und Schweden Schutz vor russischer Bedrohung suchen und die Geschlossenheit des Westens gegen Putins expansives Regime demonstrieren, praktiziert Erdogans Türkei eine Außenpolitik, die der russischen nicht ganz unähnlich ist. Im Nahen Osten, aber auch im Schwarzen Meer und im Kaukasus betreibt Erdogan eine expansive, neo-imperiale Politik, bei der Russland mal Konkurrent, mal Kumpan ist. Die Nato-Mitgliedschaft ist für sein Regime jedenfalls längst nur noch ein Mittel für eigene Zwecke, die mit denen des Bündnisses so gut wie nichts mehr gemein haben.

Während des Kalten Krieges war die Türkei für die Nato von existentieller Bedeutung  zur Absicherung der Südflanke gegen die sowjetische Bedrohung. Die heutige Türkei unter Erdogan ist längst selbst zu einer Bedrohung der Nato von innen geworden, wie Erdogan jetzt erneut bewiesen hat. Solange er und sein Regime das Land regieren, wird sich daran nichts ändern.

Der Nato-Vertrag von 1949 kennt kein Verfahren zur Prüfung des Wohlverhaltens und keinen Zwangsausschluss. An dieser juristischen Hürde sind bislang alle Forderungen nach dem Rauswurf der Türkei (unter anderem SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hatte das 2019 einmal ins Spiel gebracht) von vornherein gescheitert. Mitglieder können lediglich von sich aus den Austritt erklären. Will sich die Nato deswegen auf unabsehbare Zeit den Machtgelüsten eines autoritären Regimes ausliefern?

Wenn alle anderen Mitglieder sich einig wären, dass die Erdogan-Türkei unter ihnen nichts verloren hat, dürfte ein Vertragstext aus einer anderen Epoche (1949) allerdings nicht das letzte Wort in einer Frage von existentieller Bedeutung für Gegenwart und Zukunft des Westens sein. Je früher dies geschieht, desto besser.

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Kommentare ( 43 )

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Ecke
1 Jahr her

Das frag ich mich schon seit mehreren Jahren. Nachdem sogar deutsche Soldaten aus der Türkei nach Jordanien flüchten mussten, hat Herr Schröder hoffentlich sein türkisches Domizil veräußert. Von uns Claudia erst gar nicht zu reden.

fatherted
1 Jahr her

Der Türkei-Nato Beitritt war der Auslöser der Gastarbeiter-Welle aus der Türkei nach Deutschland. Die Türken nannten das damals als Bedingung und die USA wollten die Türkei unbedingt in der Nato haben…schon wegen des Bosporus und der Kontrolle der Russischen Schwarzmeer-Flotte. Die Zeche zahlen wir bis heute. Deshalb wird man die Türkei auch weiterhin in der Nato halten….ansonsten hat die Türkei keinen strategischen Wert….sie taugt nicht mal als Stützpunkt in den Nahen Osten…wie die BW schmerzlich erfahren musste…da war es dann in Jordanien doch besser. Solange die USA an der Türkei festhalten….solange bleibt sie auch. Das mit Schweden ist doch nur… Mehr

LadyGrilka55
1 Jahr her

Ein NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands wäre eine weitere Provokation Russlands, die ein noch härteres Vorgehen der Russen zur Folge haben könnte. Insofern kann man die Sache auch andersherum betrachten und ernsthaft die Frage stellen, ob Erdogan mit seiner ablehnenden Haltung wenn nicht der NATO, so zumindest Europa nicht einen Gefallen tut. Irgendwann ist der Ukraine-Krieg vorbei, hoffentlich früher als später. Wenn selbst der oberste Militär der USA, Generalstabschef Mark A. Milley, es nach eigenen Aussagen für höchst unwahrscheinlich hält, dass die Ukraine den Krieg gewinnen kann (eine Ansicht, die auch andere erfahrene Militärs teilen), egal wie viele Panzer etc. der… Mehr

Last edited 1 Jahr her by LadyGrilka55
Prometheus
1 Jahr her

Erdogan will mehr F-16-Kampfjets für sein Einverständnis zum Beitritt von Schweden und Finnland. Ganz einfach. Sein Land hat kein Geld, mit dem es solche Jets kaufen kann, also blockiert man den Beitritt und erpresst die NATO. Warten wir mal den 24. Juli ab. Ich habe ja so meine Vermutung, was diesen Sommer passieren wird (Daniel 11,18).

Prometheus
1 Jahr her
Antworten an  Prometheus

Dann hast du die Bibel nicht verstanden und keine Erkenntnis in dir. So hart das auch klingt. 2. Thessalonicher 2,1-12

Manfred_Hbg
1 Jahr her

Zitat: „Wenn alle anderen Mitglieder sich einig wären, dass die Erdogan-Türkei unter ihnen nichts verloren hat, dürfte ein Vertragstext aus einer anderen Epoche (1949) allerdings nicht das letzte Wort in einer Frage von existentieller Bedeutung für Gegenwart und Zukunft des Westens sein.“ > Genau das habe auch ich beim lesen gedacht. Denn was will der türkische Obermuftie Erdolf denn machen wenn sich der Rest der NATO-Mitglieder einig ist und solch Querolanten aus der NATO zu recht und aus gutem Grund raus haben wollen? Wobei man hier auch nicht Erdolfs Gestänker gegen die Griechen sowie auch nicht die Zypern-Frage vergessen sollte.… Mehr

Rosalinde
1 Jahr her

Aus seiner Sicht macht Erdogan nicht viel falsch. Die Nato ist für die Türkei nicht mehr nützlich, denn weder der Iran noch China oder Russland planen einen Krieg gegen die Türkei. Aber im Falle dass die Ukraine Krise eskaliert und Nuklearwaffen gegen USA und auch Deutschland eingesetzt werden, wäre die Türkei zum sofortigen Kriegseintritt gegen Russland verpflichtet.
Da dieses sehr ungesunde Folgen für die Türkei hätte, verfehlt die heute von der Nato ausgesprochene Warnung die Türkei aus der Nato zu entfernen ihre Wirkung.

Last edited 1 Jahr her by Rosalinde
Karl Schmidt
1 Jahr her

Wie empört sind Sie denn, wenn eine Bibel verbrannt wird? Wie legitim ist die Empörung, wenn Harry-Potter-Bücher verbrannt werden? Das ist auch eine große Geschichte von Leuten mit übermenschlichen Fähigkeiten. Allerdings wird im Namen von Harry Potter noch nicht gemordet, soweit ich weiß. Warum muss ein Moslem sich nicht an Grenzen halten? Der Koran wurde ja nicht in der Türkei verbrannt. Ist Erdogan und sein Maßstab für Nordeuropäer tatsächlich verbindlich? Warum entscheidet das Herr Erdogan. Seien Sie nicht böse: Das ist alles andere als „legitim“ und ganz bestimmt nicht „verständlich“. Das wäre ein Rückfall in ganz finstere Zeiten. Richtig ist,… Mehr

imapact
1 Jahr her

Die NATO, das sind letztlich die USA, denn was die NATO macht oder auch nicht, wird letztlich in Washington entschieden. Eigentlich müssten die USA im Rahmen ihrer Rußland/Putin-„containment-Politik“ alles tun, um mit Schweden und Finnland eine starke Nord(ost-)flanke gegen Rußland aufzubauen. Und Erdogan ist Putin auf islamisch. Aber anscheinend beugt man sich nur allzugerne den Erpressungen vom Bosporus, dem Deutschland das „Gastarbeiterabkommen“ mit der Türkei zu „verdanken“ hat. Wenn ein Einzelmitglied sich derart schädigend gegenüber dem Bündnis verhält und da anscheinend keine Ausschlußmechanismen vorgesehen sind, wäre der einfachste Weg, im Gegenzug dieses Einzelmitglied zu umgehen und Schweden und Finnland trotzdem… Mehr

Babylon
1 Jahr her

Eine der wenigen Entscheidungen von Belang, die Merkel getroffen hat und die sich nicht als Fehler erwiesen haben. Schröder wollte diesen Beitritt, war aber kein endgültiger Entscheider in dieser Frage, da zu kurz im Amt.

BHaven
1 Jahr her

Die Türkei wird offenbar nach Meinung der sog. geopolitischen Sicherheitsexperten der EU und der NATO gebraucht, als Türsteher für Merkels Migrantenströme oder Schutzwall im Osten gegen die Mullahs. Das nutzt Erdogan mehr oder weniger geschickt aus. Er weiß, dass die EU die Türkei nicht aufnehmen wird solange er Präsident ist, was ihn nicht schert, und die NATO ihn nicht rausschmeißen wird. Konsequenzen hat er derzeit keine zu befürchten, das weiß er. Und so spielt er lustig seine Spielchen. Wie wäre es, wenn Deutschland/ Europa alle hier seit über fünf Jahren lebenden Türken, die ausschließlich auf Kosten unseres Sozialstaates leben, kein… Mehr