Lindner will „digitales Bargeld“: ein absichtsvoller Widerspruch in sich selbst

Wer wie der Bundesfinanzminister der Einführung von "digitalem Bargeld" das Wort redet, verspricht etwas, das es nicht geben kann: Digitales Geld ist eben nicht mehr bar. Die Absichten und Interessen dahinter sind offenkundig.

IMAGO / Political-Moments
Bundesfinanzminister Christian Lindner, 08.11.2022

Mit einer „veganen Bratwurst“ verglich ein Twitterer den jüngsten Vorstoß des FDP-Vorsitzenden und Bundesfinanzministers Christian Lindner. Der hatte sich begeistert über die Aussicht auf „digitales Bargeld“ geäußert. Die Verwirrung, die mit dem Begriff des „digitalen Bargeld“ gestiftet wird, geht aber viel weiter als die der fleischlosen Wurst. Beide Würste, ob vom toten Tier oder aus pflanzlichen Zutaten hergestellt, existieren materiell, man kann beide anschneiden, runterschlucken, verdauen. Der Begriff des Bargeldes, bezeichnet aber gerade dessen materielle, greifbare Gestalt, während „digital“ auf nicht greifbare, als Zahlencode gespeicherte Information hinweist. Bargeld ist laut Wikipedia definiert als „Geld in physischer (körperlicher) Form als Banknoten und Münzen“. Den Begriff brauchte man überhaupt erst nach der Einführung nicht greifbaren Buchgeldes (auch Giralgeldes). Buchgeld entstand gerade zu dem Zweck, (bares) Geld nicht physisch lagern und transportieren zu müssen. Und natürlich ist im digitalen Zeitalter Buchgeld stets digitales Geld.

Digitales Bargeld ist also das was Sprachwissenschaftler eine „contradictio in adiecto“ nennen, ein Begriff, der einander widersprechende Merkmale enthält. Wer den Begriff „digitales Bargeld“ formuliert, begeht also einen logischen Fehler. Als sprachliches Stilmittel – „alter Knabe“ oder „donnerndes Schweigen“ – kann das legitim sein, um Doppelbödigkeiten auszudrücken. Aber darum geht es hier wohl kaum. Hier geht es um bewusste Verwirrung. 

Wer digitales Bargeld verspricht, verspricht Buchgeld, das den Charakter von Bargeld habe – also etwas unmögliches. 

Natürlich empfanden viele Menschen auch schon die Einführung von papierenen Banknoten im 18. und 19. Jahrhundert als ein staatliches Betrugsmanöver. Und das war es in vielen Fällen auch – mit dem Zweck, das Geld zu entwerten und damit auch die Zahlungsverpflichtungen des Staates auf Kosten der Bürger. Das Vertrauen der Menschen, also dass sie Papiergeld als Bargeld akzeptierten, mussten sich die emittierenden (in der Regel staatlichen) Institutionen durch eine stabile Geld- und Fiskalpolitik erwerben – das bedeutete bis zur endgültigen Aufgabe des Goldstandards durch US-Präsident Richard Nixon 1971, dass die Banknoten eigentlich nur ein staatliches Versprechen zur Zahlung von „wirklichem“ also Edelmetall-Geld waren. Und entscheidend dafür war, dass die Notenbank dieses Versprechen glaubhaft machen konnten.

Die Aufgabe des Goldstandards 1971 war aber überhaupt nur möglich, weil die Geld-Nutzer diesen Ersatz-Charakter des Papier-Geldes mittlerweile vergessen hatten. Erst dadurch wurde ein Geld-Schein wirklich zu Bar-Geld. Aber immerhin ist dieser Schein noch greifbar. Er kann zwar im Gegensatz zu Edelmetall aufgrund politischer und ökonomischer Ereignisse seinen Wert komplett verlieren, aber ohne physische Gewalt, ist ein Geldschein nicht unmittelbar aus der Welt zu schaffen – und vor allem ist sein Weg durch verschiedene Besitzerhände nicht nachzuverfolgen. Ein Geldschein ist (auch) Materie, digitales Geld ist Information.

Wenn nun „digitales Bargeld“ eingeführt würde, bedeutet das einen weiteren Schritt weg vom materiellen Charakter des Geldes. Und der sich selbst widersprechende Begriff soll wohl diesen Schritt verschleiern und so die Entwöhnung vom greifbaren Geld erleichtern. Lindner weiß das selbst, wenn er twittert, dieses würde „nur dann in der Breite als Ergänzung oder gleichwertiger Ersatz für Scheine und Münzen akzeptiert werden, wenn die Privatsphäre geschützt ist. Personen- und Transaktionsdaten bei alltäglichen Transaktionen dürfen also nicht gespeichert werden.“ Ein solches Verbot könnte aber natürlich von Finanzdienstleistern gebrochen werden – oder vom Staat aufgehoben. Nur beim wirklichen, physischen Bargeld können diese Informationen so gut wie gar nicht gespeichert werden. 

Einen Eindruck von den Interessen, die Lindner womöglich bewusst oder unbewusst verfolgt, geben seine Forderungen, das „digitale Bargeld“ solle „programmierbar“ und es müsse „mit innovativen Anwendungen privater Anbieter verbunden“ sein. „Wenn der digitale Euro also eine Art Plattform darstellt, wird es zum Beispiel viel (sic) Startups geben, die zusätzlichen Nutzwert entwickeln, den wir heute noch gar nicht bedenken können.“ Natürlich, die Finanzdienstleister, die Zahlungen mit „digitalem Bargeld“ abwickeln wollen, haben ein großes Interesse an dessen Einführung. 

In diesen Sätzen blitzt dann eben wieder die alte Lobbyisten-Hörigkeit der FDP durch, die Partialinteressen kleinster ökonomischer Interessengruppen – ob Hoteliers, Apotheker oder eben Finanzdienstleister – willig bedient. 

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