Kohleausstieg steht in Frage: Robert Habeck wird zum halben Energierealisten

Der Krieg in der Ukraine verändert auch die Haltung des grünen Wirtschafts- und Klimaministers zur Kohlekraft. Nicht einmal ein eindeutiges Nein zur Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken kommt ihm über die Lippen.

IMAGO / Future Image
Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister, in der Sondersitzung des Bundestages am 27.02.2022

Robert Habeck hat in einem kurzen Interview ganz nebenbei eine grundlegende Revision der Energiewende in Aussicht gestellt. Womöglich werden Deutschlands Kohlekraftwerke nun doch nicht im Jahr 2030 endgültig erlöschen. Nach Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke hat nun auch Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck eine Verlängerung aufgrund des Krieges in der Ukraine in Aussicht gestellt. „Da muss der Pragmatismus jede politische Festlegung schlagen, die Versorgungssicherheit muss gewährleistet sein“, sagt der Grünen-Politiker am Mittwoch im Deutschlandfunk.

Schon am Vortag hatte er während seines Antrittsbesuches in Washington angedeutet, was er nun deutlich sagt. Auf die Frage „Ist Sicherheit wichtiger als Klimaschutz?“ antwortet er: „Im Zweifel ist das so.“ In einem 7-minütigen Interview macht der Klimaschutzminister also deutlich, dass die Rettung der Welt durch Klimaschutz, also das große Ziel der Grünen, nicht wirklich absolute Priorität haben kann, wenn es ernst wird.

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„Musste erst ein Krieg kommen, damit Deutschland diese Kurskorrektur einleitet?“, hatte der Deutschlandfunk-Moderator vorher gefragt, ohne dass ganz klar ist, welcher Kurs gemeint ist. Und Habeck antwortet: „Scheint so.“ So lapidar die Antwort, so umwerfend im Wortsinne ist die Bedeutung dieser Worte. Es ist der seltene Fall des Eingeständnisses eines Ministers, bislang wirklichkeitsfremd gehandelt zu haben: „Wir haben uns da ganz schön in eine Ecke manövriert, die wir jetzt aber verlassen wollen, und seitdem ich Minister bin, arbeiten wir daran, das zu tun.“ Damit meint er die energiepolitische Abhängigkeit von Russland, aber der Satz verleitet dazu, auch umfassender verstanden zu werden.

Habeck versucht, den bisherigen energiepolitischen Kurs, den zwar die Merkel-Regierung gesetzt hat, aber die Grünen bis zum 24. Februar 2022 mitgetragen und letztlich auch angetrieben haben, einerseits der Vorgängerregierung anzulasten, andererseits aber mit dem korrigierten, künftigen Kurs irgendwie in Einklang zu bringen. Er behauptet – das wird wohl das neue Narrativ der Bundesregierung –, „im Grunde genommen“ sei „die Unabhängigkeit und Souveränität in der Energiepolitik und eine klimaneutrale Energieproduktion das gleiche“.

Und dann kommt die eigentliche Nachricht:

„Das heißt, kurzfristig kann es sein, dass wir vorsichtshalber, um vorbereitet zu sein für das Schlimmste, Kohlekraftwerke in der Reserve halten müssen, vielleicht sogar laufen lassen müssen. Da muss der Pragmatismus jede politische Festlegung schlagen. Die Versorgungssicherheit muss gewährleistet sein und das werde ich auch tun. Schon mittelfristig allerdings sind die beiden Dinge nicht gegeneinanderzustellen, sondern das einzige, was niemandem gehört, ist der Wind und ist die Sonne.“

Der Widerspruch in diesen Sätzen scheint Habeck nicht zu stören („mittelfristig“ ist ja auch noch lange hin): Wind und Sonne gehören zwar niemandem, sie sind aber eben gerade nicht zuverlässige, sichere Energielieferanten, sondern „gehören“ den Launen der Natur. So weit geht der neue Realismus dann eben doch nicht.

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Mit Blick auf die kurzfristig nicht aus der Welt zu schaffende Abhängigkeit von russischem Gas sagt Habeck, für den Fall eines Lieferstopps sei man gut vorbereitet: „Ich bringe ein Gesetz auf den Weg, das die Betreiber der Speicher dazu anhält, also zwingt, dass die Speicherstände zum Winterbeginn voll sein müssen.“ Wo das Gas herkommen soll, sagt Habeck nicht. Stattdessen spricht er von „geplanten LNG-Terminals“, deren Betreiber nicht „auf amerikanisches Fracking-Gas“ zielten, und sagt: „Letztlich sind sie frei, auf dem Weltmarkt einzukaufen, wo sie wollen.“ Mit anderen Worten: Habeck weiß auch nicht, wo das Gas herkommen soll, und kurzfristig, also bis zum Bau der LNG-Terminals schon mal gar nicht.

Was er allerdings weiß: „Für den nächsten Winter werden wir weitere Maßnahmen ergreifen. Ich bringe ein Gesetz auf den Weg, das die Betreiber der Speicher dazu anhält, also zwingt, dass die Speicherstände zum Winterbeginn voll sein müssen. Sie müssen dann einkaufen.“

Die erstaunliche Wendung des Robert Habeck durch den Krieg in Osteuropa, aber auch seine Gewissensnöte als Grüner mit dem Energierealismus, offenbart dann das Ende des Interviews, als der Interviewer die Möglichkeit eines Weiterbetriebs der Atomkraftwerke ansprach – und damit den wohl heiligsten Glaubensgrundsatz der Grünen, der lautet: Atomkraft ist böse.

Vielleicht die wichtigste Nachricht aus diesem erstaunlichen Interview: Ein „das kommt nicht in Frage“ kam Habeck nicht über die Lippen.


Nachtrag Mittwoch, 15:30 Uhr: Das Bundeswirtschaftsministerium kauft für 1,5 Milliarden Euro verflüssigtes Erdgas (LNG) ein, um damit die Erdgasspeicher zu befüllen und so die Versorgungssituation zu entspannen, meldet das Handelsblatt unter Berufung auf das Ministerium. Die ersten Verträge wurden bereits am Dienstag geschlossen. Nach Angaben eines Ministeriumssprechers wird die Trading Hub Europe GmbH (THE) mit der Beschaffung beauftragt. THE ist eine im Oktober 2021 gegründete gemeinsame Gesellschaft mehrerer Gas-Netzgesellschaften, die als „Marktgebietverantwortliche“ den operativen Betrieb der Gasversorgung in Deutschland koordiniert. „Über die genauen Vertragsdetails und das Volumen können wir derzeit keine Auskünfte geben. THE beschafft das LNG diskriminierungsfrei auf Basis verfügbarer Angebote und beginnt umgehend mit der Beschaffung“, zitiert das Handelsblatt THE.

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Kommentare ( 88 )

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Waehler 21
2 Jahre her

Kurz: Der Preis von Strom und Gas ist asozial. Er gibt denen die im großen Maßstab investieren können und nimmt denen die kaum etwas haben, die anderen werden über kurz oder lang in die Gruppe, die kaum etwas haben geschrumpft.
Nicht fürs Klima, sondern weil es jemand für eine gute Idee hält. Denn bis heute wurde die Wirksamkeit der bereits erbrachten Klimaopfer nicht bilanziert.


fatherted
2 Jahre her

Verlängerung Atomausstieg?…hier bei TE wurde doch schon in Diskussionsrunden darauf hingewiesen, dass ein weiter betreiben der noch bestehenden oder gar abgeschalteten AKWs…rechtlich, bürokratisch, Fachkräfte technisch, von Seiten der Betreiber nicht gewollt und letztlich durch fehlende Brennelemente…gar nicht möglich ist. Insofern sind solche Auslassungen durch Habeck doch eigentlich nicht zu beachten…was nicht geht, geht eh nicht…da kann man viel reden schwingen oder auch nicht. Die AKWs sind Geschichte…egal wie man zu der Technologie steht. Bedanken können sich alle dafür bei Frau Merkel. Wie man es dreht und wendet…die Zukunft sieht düster aus….und wenn der Westen so weiter macht…kann ich mir gut… Mehr

Mausi
2 Jahre her

Ist es denn leichter als bei der Atomkraft, das Aus für die Kohle zu stoppen? Woher kommt eigentlich unsere Kohle? Steht der von Aktivisten gestoppte Kohle-Tagebau eigentlich schon unter Wasser und fällt somit aus? Das Bundeswirtschaftsministerium kauft LNG: Als vor einiger Zeit über zu geringe Liefermengen aufgrund fehlender Verträge berichtet wurde, hiess es, daran sei nicht der Staat schuld. Was stimmt denn nun eigentlich? Haben wir staatlichen Einkauf oder bestimmen die Unternehmen die Gasversorgung? Wenn man genau hinsieht, zeigt sich m. E. in welche Zitrone Herr Habeck beissen muss. Ich denke nicht, dass das mehr ist, als der Versuch, die… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Mausi
moorwald
2 Jahre her

Das Leben vereinfacht sich, wenn man bei Politikern auf endloses Sinnieren und Diskutieren über ihre Motive, Absichten, Hinterdanken verzichtet.
Wirklich wichtig sind für uns Betroffene nur die Handlungen. In privaten Beziehungen mag das anders sein.
So auch im „Fall Habeck“.
Ich folge da Richard Sennett: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens – Die Tyrannei der Intimität

Michael41
2 Jahre her

Die deutsche Dummheit wird immer größer, jetzt wollen sie einen Fehler mit einem neuen Fehler ausgleichen, man stelle sich mal vor die Ukraine hätte zu 80% hauptsächlich Wind u. Sonnenenergie als Stromerzeuger u. dann kommt Putin, es genügen 20 Flugzeuge u. wenige Bomben um alle Windparks in der Ukraine bzw. in Deutschland außer Kraft zu setzen, das heißt sie hätten nach mehreren Bombenabwürfen des „Feindes“ innerhalb kurzer Zeit kein Kilowatt Strom mehr, wie soll man denn einen Krieg gegen Putin führen wenn man keinen Strom hat, auch wenn es unanständig ist aber die Linken sind u. bleiben scheinbar besoffen von… Mehr

Werner Holt
2 Jahre her

„Robert Habeck hat in einem kurzen Interview ganz nebenbei eine grundlegende Revision der Energiewende in Aussicht gestellt. Womöglich werden Deutschlands Kohlekraftwerke nun doch nicht im Jahr 2030 endgültig erlöschen.“ Schritt für Schritt robbt sich die nunmehr an der Regierung und dito Macht befindlichen grünen Kamarilla im Schatten der Ukrainekrise an die Realität heran. Vermutlich gibt es bei den Ministerialen des von Habeck okkupierten Wirtschaftsministeriums noch genügend Selbsterhaltungstrieb, um nicht zu wissen, daß die noch unter Merkel beschlossenen Ausstiegspläne aus der Kohleverstromung bis 2038, die von der Ampel in einem Gegenplan auf 2030 vorverlegt wurden, die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft ganz… Mehr

alter weisser Mann
2 Jahre her

Die Grünlinge ergrauen zusehens.
Für die der Realitätskontakt das, was Luftkontakt für rohes Fleisch ist.
Wenn man jetzt noch träumen dürfte, dann würde über die Ampel-Leistungen realistisch berichtet. Wo der Baerbock-Jubel im mainstrean seine Rechtfertigung zu finden glaubt, kann ich nicht erkennen. Warum Lindners gestelztes Gewäsch von der Freiheitsenergie relevant sein soll, dito. Und Merz peinliche Anwanzerei an die Ampel, ebenso.
Die werden alle noch das große Schlucken kriegen, wenn sich die bislang kaum zu spürenden Probleme erstmal realisieren und kumulieren … und wir leider auch.

gom jabbar
2 Jahre her

Die Energie und Verbraucherpreise werden Deutschland und Teile seiner Parteienlandschaft in die Knie zwingen.Windräder sind keine Lösung, für NICHTS.
Wenn die Menschen anfangen müssen zu frieren, wird man Verantwortliche suchen Herr Habeck !

Michaelis
2 Jahre her

Na also, geht doch, und zwar auch ohne NS2-Pipeline. Wie schön, Putins Russland geschädigt und doch die „Versorgung sichergestellt“. Ist doch klar, dass man ideologischen Wahnsinn kurzfristig zurückstellen kann, wenn’s um „Weltpolitik“ geht. Soviel Vernunft muss sein.

pol. Hans Emik-Wurst
2 Jahre her

Die Propagandisten der Energiewende verschleiern gerne, dass Windstrom und Solarstrom keine stabilisierende Qualität für das Wechselstromnetz aufweisen, auch nicht in dem Augenblick, wo wechselgerichteter Gleichstrom eingespeist wird. Die einzige Lösung besteht darin, sich auf Frequenz und Phase der großen Kraftwerke „einzustimmen“. Ohne letztere kollabiert das Netz augenblicklich. Jetzt sind wir bei den elektrischen Qualitäten angekommen und verlassen die kaufmännischen Qualitäten. Jetzt geht es nur noch darum, das Netz stabilzuhalten, koste es, was es wolle. Die 45-Prozent-Faustregel besagt, dass maximal 55 Prozent Fakepower eingespeist werden können. Dieser Wert wurde durch Beobachtung entdeckt, weil an diesem Punkt entweder Lastabwürfe geschehen oder Fakepoweranlagen… Mehr

Last edited 2 Jahre her by pol. Hans Emik-Wurst