Das Wirtschaftsministerium verabschiedet die Soziale Marktwirtschaft

Der Entwurf von Robert Habecks Wirtschaftsministerium für das „Klimaschutz-Sofortprogramm 2022“ ist ein Dokument der Auflösung der Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft.

IMAGO / Chris Emil Janßen
Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister

Es ist keine Zeitenwende, die Robert Habecks Ministerium in seinem „Klimaschutz-Sofortprogramm 2022“ ausarbeiten lässt. Eher das Gegenteil – soweit man das aus den groben Inhalten des Entwurfs, die die Welt bekannt machte, erschließen kann. Der Ukraine-Krieg, die Inflation und alle damit verbundenen krisenhaften Verarmungsaussichten für Deutschland werden nicht etwa zum Anlass genommen, bisherige klimapolitische Veränderungswünsche – unter dem Begriff „Transformation“ versammelt – in Frage zu stellen. „Jetzt erst recht“, scheint die Devise zu lauten. Der Kurs bleibt der alte, die schon lange ersichtlichen Untiefen, glaubt man nun völlig ignorieren zu können – und erhöht die Geschwindigkeit auf äußerste Kraft.

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In dem Entwurf heißt es: „Die Bundesregierung wird die im Kohleausstiegsgesetz ursprünglich für 2026 vorgesehene Überprüfung des Kohleausstiegsdatums auf 2022 vorziehen und die notwendigen Schritte für einen schnelleren Kohleausstieg vorbereiten.“ Ein schnellerer Ausstieg wäre einer noch vor 2038. Dass diese Überlegungen ausgerechnet jetzt kommen, ist geradezu halsbrecherisch zu nennen. Liegt nicht Habecks Priorität derzeit darauf, möglichst von russischem Gas loszukommen? Wie soll das funktionieren angesichts knapper und jedenfalls extrem teurer Alternativlieferanten, wenn nicht tendenziell mehr Kohle verstromt wird? 

Auch ein anderes Detail in dem Programm ist widersprüchlich. Warum ist da der Ruf nach der Rückverwandlung Deutschlands in ein Land der Moore (das es bis in die frühe Neuzeit in weiten Teilen Norddeutschlands war) durch „Wiedervernässungsvorhaben“ genannt, aber keine – zumindest laut Welt – Rede von Aufforstungsmaßnahmen? Wälder sollen offenbar Windrädern und Solarpanelen weichen dürfen, während zugleich eines der am dichtesten besiedelten Länder Europas versumpfen soll – denn Moore speichern angeblich deutlich mehr CO2 als Wälder. Die angestrebte Transformation Deutschlands betrifft also auch die grundlegende (Rück-)Verwandlung von Landschaften.

Von den Vorhaben, die im Programm genannt sind, ist wohl eine Ankündigung als direkte Reaktion auf die grassierende Inflation und die lauter werdenden Rufe nach einer Mehrwertsteuersenkung für Lebensmittel zu begreifen. Eine klimafreundliche und gesunde Ernährungsweise müsse auch „für die unteren Einkommen und die Mitte der Gesellschaft bezahlbar sein. Entsprechend prüft die Bundesregierung, die Mehrwertsteuersätze für Lebensmittel entsprechend ihrer Klimawirkung anzupassen“, heißt es in dem Entwurf. Wohlweislich steht da nicht „zu senken“. Es kann also auch sein, dass die Steuersätze für unwillkommene Nahrungsmittel angehoben werden.

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An der Erleichterung der Lasten für inflationsgeplagte Verbraucher lässt das Ministerium allerdings wenig Interesse erkennen. Im Gegenteil wird die inflationäre Wirkung des Klimaschutzes sogar offen in Kauf genommen: „Grundsätzlich kann die Transformation zu vorübergehend steigenden Preisen, insbesondere für CO2-intensive Konsumgüter, führen.“ Das Ziel einer an die Klimawirkung angepassten Mehrwertsteuer ist vielmehr die Lenkung des Konsumenten im Sinne der eigenen politischen Agenda. Aus dem freien Bürger-Konsumenten, der im Zentrum aller Zielvorstellungen Ludwig Erhards und anderer Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft stand, wird unter seinem grünen Amtsnachfolger also der durch staatliche Eingriffe in die gute Richtung geschubste Transformationsmensch. Das würde dann mit einem weiteren Vorhaben des Programms harmonieren: „Eine Reduktion der Tierbestände sollte auch aus diesem Grund mit einer Verringerung des Konsums von Produkten tierischen Ursprungs einhergehen … Die Einführung einer Abgabe auf tierische Produkte könnte zu diesem Ziel beitragen.“ 

Ähnliches hat Habecks Ministerium mit Flugreisen vor. Flüge zu Schnäppchenpreisen soll es nicht mehr geben: „Wir werden uns bei der Europäischen Union dafür einsetzen, dass Flugtickets nicht zu einem Preis unterhalb der Steuern, Zuschläge, Entgelte und Gebühren verkauft werden dürfen.“ 

Eine Nebenwirkung solcher staatlichen Moral-Preis-Politik mithilfe von Steuern und Abgaben könnte dann die Herausbildung bisheriger Allerweltsprodukte zu neuen Luxusprodukten werden. Das Steak auf dem Grill zum Beispiel oder der Flug nach Mallorca. 

Dass Luxus-Waren oder auch Luxus-Dienstleistungen eine besondere soziale Signal-Funktion haben, deren Zweck für diejenigen, die sie sich leisten, weit über den eigentlichen Nutzwert hinausgeht, könnte auch eine der Erklärungen dafür sein, dass ausgerechnet die überproportional grün wählenden Gut- oder Spitzenverdiener sich mit solchen Maßnahmen möglicherweise arrangieren können. Sie können sich „klimawirksame“ Nahrung, CO2-verschleudernde Flugreisen und Range Rovers auch bei inflationierten und steuerbeschwerten Höchstpreisen immer noch leisten – und sich umso mehr von jenen Mittelklässlern abheben, für die die Schmerzgrenze bald überschritten sein wird. In Zeiten der allgemeinen Verarmung zeigt sich, wer wirklich reich ist. 

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Und so kann sich manch einer im obersten Einkommenszehntel mit der unspezifischen Forderung, dass jene „zehn Prozent der Haushalte mit den höchsten Einkommen“, da sie „ungefähr dreimal so hohe Treibhausgasemissionen wie die zehn Prozent der Haushalte mit den niedrigsten Einkommen“ verursachen, „auch einen größeren Beitrag zur Vermeidung von Emissionen leisten“ sollen, vielleicht eher anfreunden, als man bei oberflächlicher Betrachtung meinen mag. Das Bezahlen ganz besonders hoher Preise für künftige CO2-Luxusgüter wie Steaks und Flugreisen kann dadurch schließlich zu einem moralisch absetzbaren Beitrag zum Klimaschutz umgedeutet werden. Nach dem Motto: Ich sündige zwar, aber ich bezahle dafür ja auch besonders teuer, während das Fußvolk gar nicht erst in Versuchung geführt wird.

Die Aussicht auf moralische Distinktionsgewinne treiben auch schon jetzt viele Unternehmen an, die in ihrer Werbung und sonstigen Außendarstellung in jüngerer Zeit immer weniger auf die materielle Qualität ihrer Waren und Dienstleistungen, sondern auf ihre klimapolitischen und andere moralischen Leistungen fokussieren. Soziologen wissen längst, dass Konsum auch als „gutes Werk“ dargestellt und praktiziert werden kann.

Das Klimaschutzprogramm aus demjenigen Ministerium, das einst von Ludwig Erhard und den Vätern der Sozialen Marktwirtschaft geprägt wurde, ist nun – soweit aus der Welt bekannt – ein Dokument des endgültigen Abschieds von deren ordoliberalen Überzeugungen. Deren wichtigste bestand darin, dass der Staat den Wirtschaftsakteuren nicht oder jedenfalls so wenig wie möglich vorzuschreiben hat, was sie produzieren sollen, und auch den Konsumenten nicht, was sie kaufen sollen. Und nun veröffentlicht dieses Ministerium einen solchen Satz: „Im Jahr 2045 werden Unternehmen in Deutschland nur noch klimafreundliche Produkte herstellen: Produkte mit minimalem, neutralem oder negativem CO2-Fußabdruck.“ 


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Kommentare ( 76 )

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Albert Pflueger
1 Jahr her

Freiheit? Kann weg!

horrex
1 Jahr her

Wenn dieses oben skizzierte Vorhaben K E I N „Klima-Faschismus“ im engsten aller denkbaren Sinne ist, was ist des d a n n ??? Vielleicht „Ablasshandel“ nach dem Muster der Kath. Kirche??? „Die Seele in den Himmel springt wenn Geld im Kasten klingt???“ Selbstverständlich zeitgemäß s c h ö n verbrämt. Für Lieschen Müller die penible Mülltrennerin H Ö C H S T plausibel. Es gibt nichts Neues! Nur bessere oder schlechtere zeitgemäße Neuauflagen der alten Muster. „Grün“ zeigt immer unübersehbarer seinen höchst faschistischen Kern. Wie sagte doch der ital. zunächst Kommunist, dann Sozialist, dann Konservative dessen Namen mir grad… Mehr

Waldorf
1 Jahr her

Nichts davon ist überraschend, es entspricht Grünen Idee und Zielen, wie sie sie seit Jahren durchs Mediendorf getrieben werden. Jetzt versuchen sie halt, all das – typisch Grün – von oben herab, staatlich durchzudrücken. Dass das von vorne bis hinten nicht durchdacht, abgestimmt und mit der Realität in Deutschland, der EU und dem Rest der Welt harmonisiert wurde und wird, ist unseren Bilderbuch Ideologen, den Grünen, vollkommen egal. Habeck besitzt keinerlei ökonomische Qualifikation, er wäre vermutlich nicht einmal geeignet, eine Pommesbude selbstständig bzw. als Inhaber zu führen. Seine Nebenserwerb/Hobby-Landwirtschaft ist für einen Kinderbuchautoren sicher ganz nett, aber von Volkswirtschaftlicher Kenntnis… Mehr

Bad Sponzer
1 Jahr her
Antworten an  Waldorf

Danke ! Perfekt analysiert. Dieser Text sollte im Mainstream-Bild-TV zur besten Sendezeit verlesen werden oder in der Bild-Zeitung veröffentlicht werden! Vielleicht würde einigen dann ein Lichtlein leuchten.

Bernhardino
1 Jahr her

Das werden keine Steuern, sondern Abgaben sein.

imapact
1 Jahr her

Den Grünfaschismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.
Im Gegenteil, vor 2 Tagen haben 16% der letztgenannten Spezies für die grünen Gesinnungsautokraten und Klassenkämpfer von oben gestimmt. Kaum vorstellbar, daß ein so hoher Bevölkerungsanteil zu denjenigen gehört, die dank bester finanzieller Ausstattung von den Folgen des Klimafetischismus unberührt bleiben. Zu viele Kälber, die ihre Metzger selber wählen.

Bad Sponzer
1 Jahr her
Antworten an  imapact

Oho! Ich kenne viele gutsituierte (ein)gebildete (Zettel mit Stempel drauf!) Wohlstandbürger(von Papi geerbt!), woke intellektuelle (glauben sie selber von sich!)Städter, weltgewant(mit Credit-Card und All Inclusive Experience) und weltbereist (mittels billigen Rynair-Tickets!), die ihren grünen „Heiligenschein“ mit inbrunst herumtragen und auf alle anderen mit grüner moralischer Überlegenheit herabschauen. Was wir brauchen, ist eine Kultur der Ächtung für diese Leute!

Teiresias
1 Jahr her

Zurück in die Feudalzeit mit der CO2-Religion als Höllendrohung.

Den Reichen wird nach wie vor alles zur Verfügung stehen, die arbeitende Schicht hat mit dem auszukommen, was die Reichen ihnen zuteilen:

„Ihr werdet nichts mehr besitzen, und ihr werdet glücklich sein, denn wir geben euch alles, was ihr braucht.“ K. Schwab

Wer die verordnete Mangelwirtschaft auch nur kritisiert, wird als „Umweltschädling“, „Klimagefährder“ oder Schlimmeres für Vogelfrei erklärt und mit allem bekämpft werden, was das social-credit-system hergibt.

Bernhardino
1 Jahr her

Damit der ganze Schwachsinn umgesetzt werden kann, muss der Wähler mitspielen, also diesen Schwachsinn wollen. Und wie die letzten Wahlen gezeigt haben, ja, er will es. Die neue Einheitspartei aus CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen erfährt den Zuspruch von nahezu 90%. Und nun?

Waldorf
1 Jahr her
Antworten an  Bernhardino

Stimmt Bislang sind auch alle grüne Träume wenig praktisch oder greifbar, es fehlt einfach der breite Reality-Check für die Massen. Der kommt jetzt allerdings. Die Explosion der Energiepreise mag vorübergehend „Putin“ in die Schuhe geschoben werden, nur wird das nicht über Jahre gehen. Kommt es demnächst mal zu einem größeren Brown/Blackout ebenso. Man muß wahrlich kein Prophet sein, wenn wir davon ausgehen, daß erhebliche Teile der deutschen Industrie und des verarbeitenden Gewerbes sehr bald entweder (wegen der explodierenden Energiekosten) pleite gehen oder ihre Produktion ins Ausland verlagern (wie zb bereits Daimler seine Motorenproduktion nach China) Die Konsequenzen für den Arbeitsmarkt… Mehr

josefine
1 Jahr her

Da reden wir jetzt schon von einerSpaltung der Gesellschaft, die Grünen treiben diese aber auf die Spitze!
Eine Verteuerung der Prdukte macht den Grünen wenig aus, verdienen sie (vor allem unsere ungelernten Kräfte im BT) doch proportional am meisten Geld.
So, geehrter Herr Habeck, machen Sie sich keine Freunde! So werden sich viele Menschen überlegen, de Grünen (noch mal) zu wählen.

Harald R.
1 Jahr her

Bislang gab es seitens der Ministerien, die die Grünen verantworten, lediglich Sprüche, Papiere, Sondierungsakten, Ankündigungen.

Bis auf die personell völlig aufgeblasenen Ministerien hat es bisher nicht gereicht. Zu beobachten ist, daß nicht passiert.

Warum passiert nichts ? Koalitionspartner FDP gibt für Luftschlösser und aufblasbare Einhörner kein Geld her.

Ich sehe diese Utopien als das, was sie sind. Keine Panik.

N. Niklas
1 Jahr her

Wann werden konservative Kommentatoren endlich, endlich verstehen, dass es den Grünen nie und niemals um die Umwelt, CO2 oder das Klima gegangen ist? Es geht einzig und allein um die Zerstörung unserer Gesellschaft und Wirtschaft, die der „Großen Transformation“ im Wege steht. Erst wenn diese zugrunde gerichtet ist, werden die Windräder und Sonnendingens für die verarmte Bevölkerung ausreichen und erst dann werden übriggebliebenen jämmerlichen Reste des Bürgertums sich auch brav nach dem chinesischen Modell regieren lassen. „Ihr werdet nichts mehr besitzen, aber ihr werdet glücklich sein.“ Unseren Besitz besitzen dann andere und die haben die Grünen längst gekapert und benutzen… Mehr