Zwischen den Zeiten. Zeilen zum Jahreswechsel.

Morgen schon drohen das Zerreißen der sozialen Netze, die chinesische Dominanz der Weltpolitik, die Entmündigung des Menschen durch Künstliche Intelligenz. Antwort der Demokraten: Es wird schon irgendwie gutgehen.

Gestern. Mein Leben: Es war deutlich mehr Glück als Verstand, in eine der friedlichsten Gegenden der Welt, eine der längsten Friedenszeiten unserer Geschichte hinein geboren worden zu sein. Aufgewachsen in einem prosperierenden Land, in Wohlstand, Wohlfahrt, Komfort.

I.

Mein Vater hatte zwei Weltkriege erlebt, Verwundung, Gefangenschaft, Flucht, Vertreibung, das volle Programm. Immer nur Verluste. Aber er sah sich nie als Verlierer. Als ich zur Welt kam, ging es dann nur noch bergauf. Aufstieg war normal. Nie zuvor waren die Deutschen so satt geworden. Dafür bin ich dankbar. Ja, mehr Glück als Verstand. Aber die Bonner Republik war kein unverdientes Glück, sondern auch Resultat von Leistung und Konsequenz grundlegender, richtiger politischer Entscheidungen. Soziale Marktwirtschaft, Westbindung, und endlich einmal eine funktionierende Demokratie auch in Deutschland.

II.

Heute ist dieses Land immer noch ein Geschenk. Die messbare Zufriedenheit ist hoch. Und für die Glücksforschung, einem Gebiet der Ökonomie, das es in der Bonner Republik noch nicht gab, ist Glück nur ein anderes Wort für Zufriedenheit. Zufriedenheit aber ist keine Kategorie für das Handeln einer Gesellschaft, die weiter vorankommen will. Wenn aus Wohlstand Sattheit wird, aus einem Wohlfahrtsstaat ein Nanny Staat, aus Komfort Bequemlichkeit, dann steckt der Wurm im Fundament. Sein Name: Dekadenz. Sie macht müde, aber nicht noch zufriedener. Im Gegenteil: Die meisten Bürger ahnen, wie dünn das Eis ist, auf dem sie tanzen, wie dünn die Firnis der menschlichen Zivilisation, anfälliger noch als die Atmosphäre unseres Planeten. Selbstgefälligkeit ist keine Haltung. Das selige Gefühl, doch wenigstens auf der Seite der Guten zu stehen, taugt nicht zur Lösung. Selbstvergessen schüttet die Politik die Risse im Gemeinwesen mit dem Geld der Bürger zu und zerstört Quellen des Wohlstands. Deutschland fällt bereits messbar zurück.

III.

Morgen schon drohen das Zerreißen der sozialen Netze, die chinesische Dominanz der Weltpolitik, die Entmündigung des Menschen durch Künstliche Intelligenz. Antwort der Demokraten: Es wird schon irgendwie gutgehen. Das Fundament unseres Glücks wird in Zukunft noch ganz anderen Kräften standhalten müssen. Wir haben es mit Risiken zu tun, die wir noch nicht einmal kennen und umso mehr fürchten. Auch vor denen schließen wir und die meisten Politiker die Augen. Wir stehen nicht zu Beginn einer technischen Revolution, der sogenannten Digitalisierung, sondern mehrerer grundlegender Umwälzungen. Nehmen wir nur die Biotechnologie. Gegen die Optimierungskünste der Gentechniker war Frankensteins Labor ein Bastelkeller. Der Mensch wird programmierbar. Die Wucht dieses Wandels wird nicht bloß Deutschland verändern, sondern den Menschen. Er wird länger und gesünder leben, aber dabei immer manipulierbarer. Freiheit? Was für ein altmodischer Begriff. Sollen wir uns darauf freuen? Wir sind weder grün hinter den Ohren noch naiv. Sollen wir uns der Technik der Zukunft verweigern? Weil es sich einfach gut anfühlt, zu widerstehen? Es den Chinesen überlassen, mit ihren Patenten die Menschheit der Zukunft zu ernähren und zu manipulieren? Nicht freuen sollten wir uns, aber mitgestalten. Die Deutschen sind oft zukunftsblind und halten dies für Weitsicht.

Auf ein glückliches neues Jahr.


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Kommentare ( 52 )

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linda levante
5 Jahre her

Wir stehen nicht im Wettbewerb mit den „Hilfsbedürftigen“, das wäre ja noch schöner. Sicher wird es im Niedriglohnsektor und auf dem Wohnungsmarkt zu Verwerfungen kommen, das hat aber nichts mit Wettbewerb zu tun, sondern mit kapitalistischen und antideutschen Interessen. Kapitalistisches Interesse deshalb, da Millionen „Neukunden“ ordentlich für Umsatz sorgen und antideutsches Interesse, da Politiker, Medien und Helfer, der gesamte tiefe rote Staat also, daran arbeitet, das schuldig gewordene deutsche Volk aufzulösen und als Wiedergutmachung unseren Wohlstand und unser Land verschenkt an Fremde, die uns zum größten Teil als Ungläubige und Schweine bezeichnen. Unser falsch verstandenes Mitleid, die falsch verstandene Toleranz… Mehr

Sonny
5 Jahre her

Unsere Urgroßeltern, Großeltern und Eltern wollten, dass es ihren Nachkommen einmal besser geht. Dafür schufteten sie sich den Rücken krumm. Die heutige Elterngeneration hofft mittlerweile, dass es ihren Kindern nicht allzu viel schlechter gehen wird als ihnen selbst und sehen nicht, dass sie selbst Schuld an diesen Zuständen hier sind. Deren Ziel für ihre Kinder ist mittlerweile: Möglichst Abi, Studium und dann raus aus Deutschland.
Denn Deutschland ist zum Untergang verurteilt. Wieder einmal.

karel
5 Jahre her

Ja, werter Herr Herles,

Ihr Vater erlebte 2 Weltkriege….
und doch wurde Ihnen Zukunft „geschenkt“.

Nun gibt es ja keine Kriege mehr…….
auch (fast) keine Kinder…..

Kinder stehen für Zukunft.
So auch Ihre beiden Söhne.

Renten stehen dagegen für Vergangenheit.

Schauen Sie sich doch mal um…….
Macht sich überhaupt jemand Gedanken über „Kinder“?
Ich sehe, ich lese da NIX.
Und dieses NIX ist unsere „grandiose“ Zukunft.

Die aktuellen Sorgen gelten eigentlich nur uns selbst.

Sorry……

Gerro Medicus
5 Jahre her

Diese Generation mag zukunftsblind sein, aber es ist ihr auch die Notwendigkeit abhanden gekommen, in die Zukunft zu sehen und sich darob zu sorgen. Wer keine Kinder und Enkel hat, der kann ganz unbekümmert im Hier und Jetzt leben, nach dem Motto, dass es für angenehme Zustände zu Lebzeiten schon noch reichen wird, und was danach kommt – so what! Man rechnet damit, durch seinen eigenen Tod den Problemen zu entkommen, die sich bereits mehr als abzeichnen. Und dann: nach mir die Sintflut! Merkel ist dafür die beste Gallionsfigur. Aber es gibt auch genügend andere. Nur eines verstehe ich nicht:… Mehr

Monart
5 Jahre her

In diesem Land Deutschland möchte ich nicht mehr leben. Ich habe es satt bis oben hin. Deshalb wandere ich als Rentner aus nach Kolumbien. Dort herrscht noch rechte Gesinnung, im ursprünglichsten Sinne des Wortes. Frauen sind Frauen und Männer sind Männer. Mit 845 Euro Rente lebe ich dort je nach Kurs weit über 3 Millionen Pesos wie im Schlaraffenland. Eine super Wohnung in einem super Vorort von Medellin kostet mich 1,3 Millionen Pesos. An jedem Finger kann ich dort 10 Partnerinnen haben und zwar z.T. sehr junge gebildete Frauen, denen es mir einen Spaß macht sie zu unterstützen im weiterem… Mehr

Lucius de Geer
5 Jahre her
Antworten an  Monart

Deutschland wird diesen Verlust verschmerzen.

linda levante
5 Jahre her
Antworten an  Monart

@cfp + Lucius de Geer Monart sagt, dass er in Deutschland nicht mehr leben will und das seine Rente nicht reichen wird, um ein würdevolles Leben in Deutschland im Alter führen zu können und er deshalb nach Kolumbien auswandern möchte. Nebenbei Herr Monart, wandern Sie nach Uruquay aus, dort ist es viel viel besser. Also, was soll daran schlecht sein? Ich würde auf der Stelle das Land verlassen ,wenn ich könnte. Mich hält hier nichts mehr. Mein Traumziel ist Montevideo. Was nicht so ganz schlüssig ist, ist der Bezug zur Rente und zu seinem Studium. Entweder Sie studieren in Kolumbien… Mehr

Monart
5 Jahre her
Antworten an  linda levante

Uruguay ist viel viel teurer als Kolumbien. Und in Bezug wegen des Studiums, das betrifft junge Kolumbianerinnen, die von ihren vorherigen Partnern mit Kind/er sitzen gelassen und jetzt weiter kommen und weil sie ein selbstbestimmtes Leben führen wollen.

Alf
5 Jahre her

Höret zu, ihr tolles Volk, das keinen Verstand hat, die da Augen haben, und sehen nicht, Ohren haben, und hören nicht! Jeremia 5:21 Demnächst werden die Worte verschwinden, die Ihr lieb habt. Die deutsche Post gibt einen Vorgeschmack. Die Sonderpostwertzeichen-Serie „Weihnachten“ 2018 wird als Neuerscheinung des 4. Quartals 2018 in Lieferschein und Rechnung mit „Kirchenfenster“, die 70 Cent Marke Weihnachtsschlitten als „Winter“ bezeichnet. Nicht nur Widmann-Mauz läßt grüßen. Es scheint auch andere zu geben, die deutsches Kulturgut schleichend ausblenden. Welch ein Gegensatz zur Weihnachtsmarke der österreichischen Post – Weihnachten 2018 – 200 Jahre „Stille Nacht“. Tu felix Austria. Bei Dir… Mehr

Alfonso
5 Jahre her

Ich glaube nicht, dass die, die Deutschlands Zukunft gestalten sollten, die deutsche Elite (Politiker, Wirtschaftsführer, Uniprofessoren, …) zukunftsblind sind. Sie sind einfach total unfähig, das Nötige hierfür zu tun. Sie versuchen ihre Unfähigkeit deshalb zu überwpielen indem sie mit ihren Aktivitäten auf einen Nebenschauplatz ausweichen und sich als die Führer der Umweltschützer, Klimaretter und Moralapostel dieser Welt betätigen. Und die Überzahl der obrigkeitshörigen deutschen Bürger (Untertanen) machen dieses Spiel mit gerne mit, weil sie mit ihren Gedanken nur in ihrer aktuellen Spaßgesellschaft leben. Zukunft – wen interessiert denn schon so etwas. Hey, wir leben heute und jetzt.

HPM
5 Jahre her

Ein nüchterner und weitsichtiger Kommentar zu den großen Herausforderungen unserer Gesellschaft.
Statt Angst zu haben kommen wir um das „Gestalten“ nicht herum und müssen eingestehen, daß die Geschwindigkeit unserer Anpassung immer dann am größten ist, wenn äußerer Veränderungsdruck spürbar wird. Daß wir als „Ebenbild Gottes“ auf Erden irgendwann auch in die Evolution des Menschen eingreifen werden, ist mehr als wahrscheinlich. Trotzdem wird die Spezies Mensch im unendlichen(?) Universum wohl nur eine vorübergehende kosmologische Mikro-Erscheinung bleiben. Deprimierend, etwas nihilistisch, aber irgendwie auch tröstlich.
Beschränken wir uns zunächst lieber erst mal auf die besten Glückwünsche für das kommende Jahr.

Unterfranken-Pommer aus Bayern
5 Jahre her

Nur wie funktionierend / gefestigt ist diese Demokratie gewesen, wenn sie letzten Endes doch von relativ Wenigen und unter kraeftiger medialer Beihilfe sowie schallendem Desinteresse der Bevoelkerung unter- und ausgehoehlt werden konnte? Ich bin versucht zu sagen: wieder einmal. Nein, die Deutschen koennen Demokratie nicht. Die Wende ’89 war, es wird mit Abstand immer deutlicher, die regelbestaetigende Ausnahme. Ich bin froh, die ersten 20 Jahre oder so meines Lebens im selben Land gelebt haben zu duerfen, dass sie eingangs beschrieben haben, Herr Herles. Leider bin ich gerade zu spaet geboren, um beruflich / familiaer noch in feste Strukturen kommen zu… Mehr

linda levante
5 Jahre her

„Heute ist dieses Land immer noch ein Geschenk“, na das empfinde ich nicht so, lieber Autor. So ab der oberen Mittelschicht, zu der auch der Autor gehört, scheint Deutschland ein echtes Paradies zu sein. Für mich hingegen ist Deutschland zum widerlichsten Land auf diesem Erdball geworden. Ein Land das seine Würde, seine Kultur und seine Identität verloren hat. Ein Land, das sich selbst lächerlich macht, von Volltrotteln regiert wird und Muslime den Alltag beherrschen und die Zukunft steuern. Deutschland, so wie es jetzt ist, hat nichts mehr mit dem Deutschland zu tun, in dem wir einst zu Hause waren. Aus… Mehr

linda levante
5 Jahre her
Antworten an  linda levante

Ich kann Herrn Herles nostalgisches Bedauern über den Verlust der Bonner Republik schon verstehen, ja sogar nachvollziehen. Im Vergleich zu Heute, wusste man damals, wo man dran ist und ich zumindest war stolz darauf Deutscher zu sein, was ich heute nicht mehr bin. Es gab eine gewisse Ordnung und Fixpunkte, auf die man sich verlassen konnte. Die Zeit jetzt ist zittrig und unberechenbar geworden. Ich glaube die Politiker von damals, inkl. Kohl, hätten es nicht zugelassen, das unser Land so verkommt. Dass mit der Sichtweise „ab der oberen Mittelschicht“, ist mir etwas misslungen, gebe ich zu und bedarf einer Erklärung.… Mehr

RauerMan
5 Jahre her
Antworten an  linda levante

linda levante,
b i s auf „Deutschland ist für mich zum widerlichsten Land der Erde geworden“, kann man Ihnen folgen.
Allerdings kann das Land nichts dazu, daß die Verhältnisse so schlimm geworden sind, es sind die realitätsfernen „Staatsmänner/frauen“ (Gewählten) des Landes, die fertigbrachten, daß der gesunde Menschenverstand in den wichtigen Fragen (die Sie z.T.ansprachen) auf der Strecke blieb.