Union und SPD: Über den Niedergang der Volksparteien

Wahre Volksparteien, ob SPD oder CDU, würden selbstverständlich dafür sorgen, dass die ökonomischen Grundlagen des Volkes intakt bleiben. Die ehemaligen Volksparteien dagegen schwächen sie.

CDU und SPD haben alle Kanzler der Bundesrepublik gestellt. Ihre historische Leistung ist unbestreitbar: die Bonner Republik, das beste Gemeinwesen der deutschen Geschichte. Ihr Ende fällt mit Wiedervereinigung und Globalisierung zusammen. Auch dafür tragen die beiden einst großen Parteien Mitverantwortung. Die Degenerationserscheinungen von CDU und SPD weisen Gemeinsamkeiten auf.

I.

Beide sind reine Funktionärsparteien geworden, Karrierenetzwerke. Die ehemaligen Volksparteien haben den Kontakt zum Volk auch deshalb eingebüßt, weil ihre Funktionärskader an den Lebensumständen der normalen Bürger kaum noch teilhaben. Verräterisch: Die Politiker sprechen nicht mehr von „Bürgern“, sondern von den „Menschen“. Die Demokratie lebendig zu halten ist eine der Hauptaufgabe der Parteien. Dazu zählt, den bestmöglichen Nachwuchs zu rekrutieren. Doch viele der Besten meiden die Politik. Und die Besten in den Parteien setzen sich nicht unbedingt durch.

II.

CDU, SPD und Bürger sprechen nicht mehr die selbe Sprache. Sie bedarf der Übersetzung. Auch ist die Sprache der Politik degeneriert und verkümmert. Aus großen Worte werden kleine Münzen geschlagen. Beispiel: Gerechtigkeit. In der Bonner Republik war Gerechtigkeit die Chance der Bürger, erfolgreich zu sein. Heute ist Gerechtigkeit nur noch „gefühlte Gerechtigkeit“. In den frühen Jahrzehnten der Bonner Republik gelang Millionen von Bürgern der soziale und gesellschaftliche Aufstieg. Der, nicht einfach nur Wohlstand, war Motor der jungen Demokratie. Heute herrscht ein Gefühl von Ohnmacht in der Mitte. Deutschland ist keine Aufstiegsgesellschaft mehr.

III.

Von ihm wird der Bürger, der nur noch Mensch sein darf, verwaltet und gegängelt. Die Parteien der großen Koalition sind nicht in der Lage, den Bevormundungsstaat zu entschlacken, denn sie beziehen ihre Existenzberechtigung aus dessen Regelwut. Der geistig still gestellte Sozialuntertan verhält sich ganz und gar wie ein Untertan: Er schimpft auf die Obrigkeit, aber fügt sich ihr.

IV.

Wahre Volksparteien, ob SPD oder CDU, würden selbstverständlich dafür sorgen, dass die ökonomischen Grundlagen des Volkes intakt bleiben. Die ehemaligen Volksparteien dagegen schwächen sie. Sie beteiligen sich an der Zerstörung der Automobilindustrie, verteuern und gefährden die Energieversorgung, lassen die schleichende Verrottung der Infrastruktur zu.

V.

Verloren haben CDU und SPD nicht nur den Begriff des Bürgers. Aus den Augen verloren haben sie vor allem die Arbeitnehmer, die Handwerker, die Kleinunternehmer. Die Fleißigen, Findigen, Freiheitsliebenden. Obwohl sie die Mitte für sich reklamieren, gibt es keine Partei mehr für die Mitte der Gesellschaft. Statt dessen beuten sie die Mitte aus.

VI.

CDU und SPD fordern einen starken Staat. Stark aber ist nicht der Staat, der seine Bürger zu Tode reglementiert und finanziell stranguliert, sondern der leistet, was nur er leisten kann. Die erste Frage lautet in Deutschland immer noch: Wie viel Geld braucht der Staat? Die erste Frage müsste lauten: Gibt der Staat das Geld für das Richtige aus?

VII.

Diese Gemeinsamkeiten der beiden Kanzlerparteien erschweren ihre Unterscheidbarkeit mehr als ihre Nähe in den meisten Sachfragen. Es ist unerheblich, ob von einer Sozialdemokratisierung der CDU oder einer Vermerkelung der Sozialdemokratie gesprochen wird. Der verhängnisvolle Konsens der ehemaligen Volksparteien erklärt den Mangel an demokratischem Diskurs, auch innerhalb der Parteien und Parlamente.

VIII.

Konsens und Konformismus. CDU und SPD propagieren Alternativlosigkeit. Sie haben überall Denkverbote errichtet. Nur innerhalb enger Grenzen darf gedacht werden. Es gibt trotzdem Streit, aber der langweilt und ermüdet, wenn er sich nur innerhalb ausgetretener Bahnen bewegt.

IX.

Alles spricht dafür, dass die deutsche Gesellschaft in Zukunft noch heterogener und fragmentierter sein wird als heute. Deshalb werden auch die noch immer Volksparteien genannten Organisationen weiter an Integrationskraft einbüßen. Die Begriffe rechts und links haben eine weitgehende Entwertung erfahren, deshalb taugen sie auch nicht mehr als Feindbilder. Andere Gegensätze rücken in den Vordergrund.

X.

Zwischen Bewahren und Gestalten werden CDU und SPD zerrieben. Es gibt weder die Volkspartei der Bewahrer noch die der Modernisierer. Diese „Lager“ existieren quer zu diesen Parteien. Nur noch als Wahlvereine haben die ehemaligen Volksparteien Zukunft, als Spiegel und Forum gesellschaftlicher Erneuerung wohl kaum mehr. Die Wähler werden sich stärker an Personen als an Programmen orientieren.


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Kommentare ( 67 )

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67 Comments
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MartinS
5 Jahre her

In einem Linksstaat gibt es keinen Rechtsstaat.

Fundamentiert
5 Jahre her

Na wer hätte es gedacht? „Ziemiak erkundigte sich als Teenager bei Grünen und SPD Sonntag, 16. Dezember, 00.40 Uhr: Der neue CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak hat sich als Teenager bei den Grünen und der SPD über eine Mitgliedschaft informiert. Elke Olbrich-Tripp, Grünen-Fraktionsvorsitzende in Ziemiaks Heimatstadt Iserlohn sagte „Bild am Sonntag“: „Paul kam an einem Nachmittag 1999 in mein Büro im Iserlohner Rathaus und wollte bei uns mitmachen.“ Auch Peter Leye, SPD-Fraktionschef in Iserlohn, berichtete: „Paul kam auch zu uns, wollte Mitglied werden, sich engagieren.“ Die Grünen-Politikerin und ihr SPD-Kollege erklärten dem jungen Ziemiak nach eigenen Angaben, dass er noch zwei Jahre… Mehr

MartinS
5 Jahre her
Antworten an  Fundamentiert

Mit 14 fehlt die politische Reife, weshalb erst ab 18 gewählt werden darf. In manchen Ländern mit 16 was ich als zu früh erachte.

Fundamentiert
5 Jahre her
Antworten an  MartinS

Das sehe ich nicht anders, aber es sind keine uninteressanten, vernachlässigbare Fakten. Man muss ja nicht immer der Gewohnheit dienlich, warten, bis der Fisch vom Kopf her stinkt.

Fundamentiert
5 Jahre her

Volksparteien ist ein viel zu umfassender, starker, bedeutungsvoller Begriff. Die waren es mal, aber wer wurde/wird von den heutigen Delegierten als Leitfigur und Taktgeber hoch-gewählt? Brandt, Schmidt bei der SPD und Adenauer bei der CDU, wer ersetzt bei denen heute diese Größen? Luftspringend- und Rückenfallendes „Ich mach mir die Welt wie sie mir gefällt“, der Kronprinz „Schöne Grüße an Maaßen von den linksradikalen Kräften der SPD“? Der weltfremde Dauerleerblick „Wir schaffen das“, welcher wohl die Abschaffung des Souveräns meinte und sein „Ich wollte eigentlich Lehrerin werden“ Schuhpolier ohne eigene Akzente oder abweichendes Denkmuster? Wäre schön wenn sich langsam ein zutreffender… Mehr

Winni
5 Jahre her

Frauen, die anders denken, bitte ich hiemit im voraus um Entschuldigung. Wir haben eine verweiberte Politik, die nicht mehr rational handelt. Jetzt noch eine Quote für den Bundestag zu fordern, ist konsequent in deren Denken. Alte weiße Männer gucken vielleicht in euer Dekoltee, aber dafür tragt ihr es schließlich auch. Wir werden es nicht alleine schaffen. Ihr habt eine wesentlich höhere Lebenserwartung. Warum sind eure Rentenbeiträge nicht höher? Euch wurden sogar noch Rentenpunkte geschenkt. Wenn ihr aber an eure Kinder und Enkel denkt, dann solltet ihr anfangen damit aufzuhören Merkel und deren Schwestern in den anderen linken Parteien zu wählen.… Mehr

Ursula Schneider
5 Jahre her
Antworten an  Winni

Volle Zustimmung, die ganze Weiberwirtschaft taugt nichts. Parallel zur Kuschelpädagogik haben wir zurzeit Kuschelpolitik – aber die Welt ist nun mal kein Kindergarten …
Im Übrigen schafft die Quote die Qualifikation ab, das wird sich noch bitter rächen …

schwarzseher
5 Jahre her

Den Unterschied der heute dahinsiechenden “ Volksparteien ohne Volk “ zu den hier beschriebenen ehemaligen, wirklichen Volksparteien sehe ich in dem völlig anderen Politikertypen seinerzeit und heute. Auch damals hatten Politiker persönliche Interessen, die sie aber denen des Staates, den sie vertraten, unterordnen mußten, da sie sonst nicht gewählt worden wären. Selbst so gegensätzliche und sich fetzende Politiker wie Wehner und Strauß hatten das Wohl des Staates im Blick, auch wenn ihre Vorstellungen dazu sehr unterschiedlich waren. Heute sehe ich im Bundestag, von einigen Ausnahmen neuerdings abgesehen, hauptsächlich Opportunisten, denen die Zukunft dieses Landes völlig egal ist. Wie sonst ist… Mehr

Ursula Schneider
5 Jahre her

„Die Begriffe rechts und links haben eine weitgehende Entwertung erfahren, deshalb taugen sie auch nicht mehr als Feindbilder.“ Nun, das Feindbild „Rechts“ gibt es ja noch (AfD), alles andere ist nach links gerutscht. Beide Richtungen haben durchaus noch ihre Berechtigung, wie ich finde. Der wichtigste Unterschied liegt im Menschenbild. Bei den Linken sind alle Menschen gleich, es bedarf nur der richtigen Umerziehung und Umverteilung von oben, um irgendwann paradiesische Zustände zu erreichen. Rechts setzt dagegen auf Realismus, Individualismus und persönliche Freiheiten. Statt „sozialer Gerechtigkeit“ Chancengleichheit, statt Bevormundung Bürgerrechte, statt Globalisierung mit offenen Grenzen die Wahrung nationaler Interessen, statt Opfergruppen aller… Mehr

spindoctor
5 Jahre her

„Ich kenne keine Parteien mehr“ – nur noch Plätze am Futtertrog.

schwarzseher
5 Jahre her
Antworten an  spindoctor

Eigentlich alles mit 10 Worten gesagt, wofür ich selber einen langen Kommentar benötigt habe.

Nibelung
5 Jahre her

Bürger haben klar definierte Rechte und Menschen eben nicht in diesem Umfang und deshalb auch die immer wiederkehrende Bezeichnung Menschen, ganz besonders von der Noch-Kanzlerin, die ja damit zum Ausdruck bringen will, daß sie sich dem Bürger gegenüber nicht voll verpflichtet sieht, den Menschen aber schon und damit meint sie hauptsächlich die illegal Eingereisten die sich ihrer Fürsorge sicher sein können, während der Bürger durch Rechtsbruch der Regierenden um seine grundgesetzlich verbrieften Rechte gebracht wird und diese Methodik ist einmalig und zu tiefst verachtenswert, denn hier wird ein Teil des Grundgesetzes systematisch ausgehebelt mit dem Ziel aus den Restbürgern eben… Mehr

Stefan L.
5 Jahre her

Doch, es gibt eine Partei für die Mitte… Aber die zu nennen scheuen Herles und andere Autoren von TE wie der Teufel das Weihwasser. Insofern würde es zwar eine Lösung der bestehenden Politikmisere geben, aber lieber ergeht man sich in unendlicher und bereits müde machender Kritik. Die Mahner und Kritisierer auf TE zB. unterscheiden sich demnach auch nicht von den Wählern und Politikern der Altparteien… Kritik und gleichzeitig keine Alternative zuzulassen bzw diese zu ächten und gleichzeitig keine Alternativen für den Wähler zu nennen, führt eben zu keiner Veränderung – es hebt sich auf wie Plus und Minus, es bleibt… Mehr

Fritz Goergen
5 Jahre her
Antworten an  Stefan L.

Eine andere Sicht ist keine „Scheu“.

Dreiklang
5 Jahre her
Antworten an  Fritz Goergen

Es ist nicht Scheu, sondern Abneigung. Der Kommentar pflegt einen zurückhaltenden Stil und entsprechende Worte. Es wird trotzdem klar, was gemeint ist.

schwarzseher
5 Jahre her
Antworten an  Stefan L.

Ich teile prinzipiell Ihren Eindruck, den Sie im zweiten Satz formuliert haben. Aber immerhin ist Ihr Vorbehalt abgedruckt worden. Wo finden Sie das heute noch?

Stefan L.
5 Jahre her
Antworten an  schwarzseher

…da haben Sie völlig Recht!

Das macht eben TE zu etwas Besonderem.

Ich stelle mir nur die Frage, wie man Veränderung schaffen will.

Und es ist (vll leider) momentan so, dass der erste Schritt dafür die Wahl der Bäh-Partei wäre, bei allem Unwohlsein, die eine solche Wahl für den einzelnen auch bedeuten möge.

Eine Veränderung lässt sich nur herbeiführen, wenn man bereit ist mehrere Schritte zu gehen – Kritik alleine lässt einen auf nur einem Bein stehen…

Sembo
5 Jahre her
Antworten an  Stefan L.

Hätte ich nicht besser formilieren können.
Aber noch einen Gedanken weiter:
Durch das Nichterwähnen der Alternativen, sind sie auch nicht besser als die Altparteien. Sie beklagen den Untergang, machen aber nichts gegen ihn.

Dreiklang
5 Jahre her

Ja, der Schmerz über die untergegangene „konservative“ CDU ist groß. Und dann ist da noch die böse blaue Partei. Dass die zweistellig in den Bundestag gelangen konnte, ist nur möglich gewesen, weil die konservativen und liberalen Flügel in der CDU nicht nur ignoriert, sondern regelrecht ausgegrenzt wurden. Aber diese haben sich auch ausgrenzen lassen. Und beteiligen sich sogar mehr oder weniger an der Ausgrenzung – das ist schon Masochismus. Damit stützen sie das Merkel-System. Da gibt es den Spruch: „Die allergrößten Kritiker der Elche sind selber welche…“