Kanzler der Europäer. KdE. Anmerkungen zu einem Staatsakt.

Als KdE ist Helmut Kohl gar kein deutscher Trauerfall mehr. Kein Staatsakt in Berlin. Der große Tote wird nie mehr rechtsrheinisches Gebiet berühren. Außer Landes wird er geschafft zum ersten Europäischen Staatsakt. Macht KdEs Tod Europa zu einem Staat?

Die Kanonisierung nimmt ihren Lauf. Wieder bestätigt sich, dass die beeindruckendsten Fake-News in Nachrufen und Todesanzeigen zu finden sind. Am Ende glauben die Leute alles, was im Angesicht des Todes gelogen wird.

I.

Beispiel: „Helmut Kohl hat als Bundeskanzler Deutschland durch seine kluge Politik in vielen Bereichen reformiert und zu neuer wirtschaftlicher Stärke geführt“ (Traueranzeige der Bundesregierung). Bei all seinen Verdiensten: Das war mir neu. Ich erinnere mich an nachhaltige Erschütterungen des Sozialstaats und an den ökonomischen Kahlschlag in der ehemaligen DDR als Folge der Kohlschen Tempokratie.

II.

Aber Schwamm drüber. KdE ist gar kein deutscher Trauerfall mehr. Kein Staatsakt in Berlin. Der große Tote wird nie mehr rechtsrheinisches Gebiet berühren. Außer Landes wird er geschafft zum ersten Europäischen Staatsakt. Macht KdEs Tod Europa zu einem Staat? Das ist die Idee. Ist ihm am Ende Europas Einheit wichtiger gewesen ist als die „Einheit“ des „Vaterlandes“, an die er so wenig geglaubt hatte wie alle Nachfolger Konrad Adenauers? Gorbatschow hatte seine insolvente und reformrenitente Filiale preiswert verscherbelt, und KdE hatte sich für das Schnäppchen bedankt. Wer schlägt schon das Angebot aus, als zweiter Bismarck besungen zu werden? Der Vergleich greift zu kurz. KdE wird posthum zum Kanzler der Europäer befördert.

III.

Wenn KdE nicht als KdE betrauert wird, sondern als Präzeptor Europae, als erster europäischer Überkanzler neben Kaisern des heiligen Römischen Reichs deutscher Nation beerdigt wird, dann ist das mehr als eine Ehre, mehr als ein Symbol. Die Deutschen sollen sich durch ihren KdE wieder als erste und beste Europäer fühlen, also verdammt noch mal KdEs Andenken nicht mir ihrer Skepsis beschmutzen. Junckers Staatsakt ist  vor allem eine propagandistische Großtat. Damit hat er auch Merkel überrollt. Sie kann jetzt nur so tun, als spiele sie vollen Herzens mit.

Ursprünglich, ist zu hören, sollte sie nicht einmal sprechen dürfen. Vielleicht kriegt sie ja auch einmal eine Straßburger Leichenfeier. In allen autoritären Regimen ist der Leiter der Beisetzungsfeierlichkeiten der starke Mann. Hat sich vielleicht auch Juncker gedacht. Brüssel übertrumpft Berlin. Aber ohne die Witwe hätte er das nicht durchgesetzt.

IV.

So wie KdE nicht mehr wirklich Deutschland gehört, gehört er auch nicht mehr seiner Familie. Und seine Familie schon lange nicht mehr zu ihm. Zu eng für ihn das Familiengrab. Störenfriede die Söhne. Familie: Das ist jetzt nur noch Mythen-Maike. Sie hütet den Mythos wie Zerberus der Eingang zur Unterwelt. Und wie groß muss ihr Wut sein gegen die, die einst Kohls schmählichen Sturz vom Podest anführte. Berlin ist Merkel. KdE ist Europa.

IV.

Was hat KdE mit KdE gemeinsam? Es ist der Primat der Politik über die ökonomische Vernunft. Der Euro darf allein deshalb nicht in Frage gestellt werden, weil niemand das Axiom antasten will, das mit KdE verbunden ist. Es gehört zum Mythos. Der lautet: Alles folgt dem Bimbes. Auf die ökonomischen Vorraussetzungen der Währungsunion komme es nicht an. Bimbes solle alles richten – als Waffe der Politik. Bimbes war das Säurebad, indem sich die DDR auflöste. Bimbes zwang die Eurozone zusammen. Auf Gedeih und Verderb. Die nächste Finanzkrise steht bevor. Das Haus Europas wankt. Eine statische Fehlkonstruktion. Nun soll es ein Glaube retten. Einer seiner Baumeister dient als Reliquie.

V.

Doch genau damit verfallen die Junckers in den alten Fehler. Die EU präsentiert sich abermals als Elitenprojekt. Sie halten ihresgleichen und ihr Werk für unsterblich. Das ist es – leider – nicht. Sie haben einen toten KdE, aber kein schlüssiges Konzept, wie das Europa der Nationalstaaten sich allmählich transformieren könnte in eine Verteidigungs-, Kultur- und Wirtschaftsnation weitgehend autonomer Regionen. Die EU bleibt Projekt unverbesserlicher Nationalstaaten. KdE und KdE passen nicht zusammen. KdE steht also für die Lebenslüge Europas. Der europäische Staatsakt soll davon ablenken. Aber wir stehen auch am Grab der Illusionen, die KdE teilte.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 40 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

40 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Rolf Lindner
6 Jahre her

Herr Herles, vielen Dank für Ihren Artikel. Einiges davon habe ich schon gedacht, bevor die Folgen der Kohl’schen Politik zu Tage traten. Die Schuldzuweisungen an Schröder und Merkel sind richtig, aber ohne Kohl und seiner brachialen Einheitspolitik Deutschland und Europe betreffend hätten diese Fehler gar nicht entstehen können. Eine Folge der Kohlpolitik wurde nicht erwähnt. Sie hat die Nachfolgepartei der SED stark gemacht, indem dem Osten Restdeutschlands eine Bürokratie übergestülpt wurde, die schon im Westen untauglich geworden war, mit all den bekannten Folgen. Dass man im Osten trotz allem von „blühenden Landschaften“ sprechen kann, sprich: die ohne Waffen von der… Mehr

Ivan De Grisogono
6 Jahre her

Fuer eine Nation wie Deutschland verdienen die Kanzler einen Staatsakt!
Darueber zu philosphieren und sich zu streiten scheint typisch Deutsch zu sein. Es ist ein Zeichen der Unsicherheit und fehlenden Patriotismus, was in allen Lebensbereichen folgen hat und haben wird!

Albert Pelka
6 Jahre her

Sie greifen zu jedem Strohhalm und zu jeder Megabombe von Lüge, und zu jeder Mischung dazwischen, um an uns vorbei sich ihren EU-Überstaat ganz ohne Volk herbeizuoligarchen.

Sabine Abbel
6 Jahre her

Nö, es ist einfach eine Präferenz. Ich wäre auch lieber in Speyer begraben als in Ludwigshafen und was gibt es für einen Deutschen Ehrenvolleres als eine Aufbahrung in Speyer und eine Fahrt über den Rhein?. Das wäre nur noch vom Kyffhäuser und einer Aufbahrung in Aachen zu toppen …

Jesko Matthes
6 Jahre her

Wenn man Kohl und Juncker in einen Topf wirft, unter Auslassung des Zehnpunkteprogramms, die Einheits-Bedenkenträger Lafontaine und von Weizsäcker weglassend auf Kohl als Sozialabbauer eindrischt, aber Gerhard Schröder als den Hartz-4-Kanzler unerwähnt lässt und lieber zu Bismarck greift, den auch Alexander Gauland ständig falsch rezitiert – dann kommt so ein kruder Herles-Punsch dabei heraus. Lammert drischt auf die Witwe ein, Herles auf den Verstorbenen. Bei solchem Unsinn, der sich in hübsch spalterischen Kommentaren fortsetzt, wäre ich auch lieber tot, dann müsste ich mir den Blödsinn nicht anhören. Ich als Wessi bin gern in Dresden, Schwerin, Dessau. Hinterher ist man immer… Mehr

karel
6 Jahre her
Antworten an  Jesko Matthes

„Soll ich Kohl den Euro nachtragen?“ Nicht Helmut Kohl, es war sein Nachfolger, der den EURO, auch das EUROPA auf das falsche Gleis gestellt hat. Mit Hilfe der Links-Regierungen in Frankreich, Italien, Griechenland. Da war nicht nur der griechische EURO-Beitritt, auch die schnelle Ausweitung um die MED-Länder, bis diese im EZB-Rat die Mehrheit hatten, aktuell mit Mario Draghi als EZB-Chef. Und nun gibt´s keine Zinsen mehr. Auch die schnelle Ausweitung der EU-Länder unter SPD-Verheugen als Erweiterungskommissar nannte selbst ein Helmut Schmidt „totalen Schwachsinn“. Ein Europa der 12 war schon schwierig genug. Und für das Sicherheitsbedürfnis hätte lt. Schmidt auch eine… Mehr

Die Zahnfee
6 Jahre her

In der Kanzlerzeit von Kohl gab es die Möglichkeit der Wiedervereinigung und er hat zugegriffen. Da ich einige wenige Verwandte hatte, die unglücklicherweise ein paar Kilometer in falscher Himmelsrichtung wohnten und plötzlich vom Westen abgetrennt wurden, machte die Rückkehr zum gemeinsamen Deutschland unsere ganze, große Familie natürlich unfassbar glücklich. Und ich genieße es bis heute, dass wir alle wieder zusammenleben können. – Es gab aber bei der Zusammenführung der beiden Teile sehr viele Fehler, die für etliche Ostler sehr bitter waren. Wirtschaftlich war vieles zu rabiat und zu hektisch, manches unlauter. – Der Euro war und ist eine teure Fehlkonstruktion,… Mehr

Hinrich Mock
6 Jahre her

I. Geschenkt. II. Kohl hat an die Einheit geglaubt, sonst hätte er die Wiedervereinigung gar nicht hinbekommen. Er hat außerdem nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, der nicht nur Deutschland, sondern auch Europa geteilt hatte, massiv die Wiederherstellung der Einheit Europas betrieben. Wirtschaftlich ambitioniert, politisch genau richtig. Die Osteuropäer werden wissen, was sie da wem zu verdanken haben. Jedenfalls sind sie in EU und NATO in Sicherheit und Freiheit (es sei denn die EU macht so weiter). III. Helmut Kohl genießt in der Tat international einen besonderen Ruf. Es ist so normal wie bedauerlich, daß kleinere Lichter in seinem Schatten… Mehr

Jaco Sandberg
6 Jahre her

Das ist offensichtlich. Aber natürlich alles nur ‚Verschwörungstheorie‘. Schon klar. Die Realität hat die VT längst überholt —

Bernd
6 Jahre her

„Bei all seinen Verdiensten: Das war mir neu. Ich erinnere mich an
nachhaltige Erschütterungen des Sozialstaats und an den ökonomischen
Kahlschlag in der ehemaligen DDR als Folge der Kohlschen Tempokratie“.

Ich erinnere mich auch: „Die Macher hinter den Kulissen“ (H. Ploppa)

grammar nerd
6 Jahre her

Ein Malteser verbindet 1000 mal mehr mit einem Bulgaren und – vice versa – als einen Schweden mit einem Syrer/Iraker/Afghanen/Ghanesen etc.

Leitwolf
6 Jahre her
Antworten an  grammar nerd

Das will ich auch gar nicht bestreiten. Dennoch werden beide – jedenfalls vermute ich das stark – nicht durch ein Zusammenhörigkeitsgefühl verbunden sein. Auch haben sie eine unterschiedliche Sprache, eine andere Schrift, unterschiedliche Bräuche und Gewohnheiten und auch eine andere Geschichte.

Sabine Abbel
6 Jahre her
Antworten an  Leitwolf

Das Zusammengehörigkeitsgefühl gibt es mE schon in gewissen Grenzen und Abstufungen, nur heißt das nicht, dass ich mein Portemonnaie öffne, insbesondre wenn der andere statistisch reicher ist oder sonst ein angenehmeres Leben hat…