Schulden regieren die Welt

Die Wirtschafts- und Geldpolitik ist international zu einem gigantischen Experiment geworden. Das Schlimme daran: Besserung ist nicht zu erwarten. Die Konsequenzen für Anleger liegen auf der Hand.

Wenn das kein Konsens ist: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hält einen hauptamtlichen Chef der Eurogruppe für denkbar, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker findet das richtig gut, der Wirtschaftsweise Peter Bofinger plädiert für ein gemeinsames europäisches Schatzamt, DIW-Chef Marcel Fratzscher für einen europäischen Finanzminister mit Durchgriffsrechten. Die Vorschläge ließen sich beliebig erweitern, und in europäischen Regierungskreisen wird bereits kräftig an Möglichkeiten zu ihrer Realisierung gebastelt – mit der Maßgabe, die Öffentlichkeit möge davon erst dann erfahren, wenn die Transferunion beschlossen ist. Auf die, also auf etwas Ähnliches wie die Umverteilung von Nutzen und Lasten nach dem Muster des deutschen Länderfinanzausgleichs, läuft ja alles hinaus, nur halt europaweit statt national.

Die entscheidende Frage indes bleibt: Kann der europäische Finanzausgleich überhaupt funktionieren? Die Antwort hängt zunächst davon ab, ob die großen Euroländer mitmachen, und falls ja, unter welchen Bedingungen. Deutschland ist fraglos kooperativ, im Zweifel sogar zulasten des eigenen und zugunsten fremder Etats. Auch Frankreich ist kooperativ, allerdings nur zugunsten des eigenen Etats. Italien steht den Franzosen bei, Spanien im Zweifel ebenfalls – und schon ist die Kern-Transferunion fertig. Hinter Deutschland mögen sich von Luxemburg über die Slowakei bis zu den baltischen Staaten alle versammeln, die es mit der Stabilität nach deutschen Vorstellungen halten, gegen den französisch-italienischen Block mitsamt Anhang können sie dagegen kaum etwas ausrichten.

Die EZB kann keine Regierung ersetzen

Das heißt, es muss zu einem Kompromiss kommen. Diese Erkenntnis ist zwar nicht neu, aber die Kompromissfähigkeit und -bereitschaft hat, wie anhand des Griechenland-Debakels leicht nachzuvollziehen ist, schon erheblich gelitten. Da hat sich Vertrauen in Misstrauen verwandelt, der Wille zur Kooperation ist der Sturheit gewichen. Das kleine Griechenland als Auslöser einer Eurokrise, wer hätte das gedacht? Und das nach 2010 bereits zum zweiten Mal!

Damals lenkte die überraschend schnelle Erholung der europäischen Konjunktur unter deutscher Führung von den Griechen ab. Und als EZB-Chef Mario Draghi zwei Jahre später versprach, alles zu unternehmen, um den Euro zu retten, schien die Euro-Welt wieder in Ordnung zu sein. Doch Draghi konnte und kann keine Regierung ersetzen. Nachdem er den Leitzins gegen Null gesenkt und fleißig Euroanleihen gekauft hat, bleibt ihm kaum noch Spielraum für weitere Stimulanz. Und weil der Leitzins bis auf Weiteres dort verharrt, freuen sich die Finanzminister der Eurozone. Denn sie können immer weiter zu günstigen Konditionen Anleihen platzieren, die ihnen, wenn alles gut geht, die EZB höchstselbst wieder abkauft. Das Ganze hat noch einen pikanten Nebeneffekt: Die EZB kassiert von den Euroländern Anleihezinsen, die auf dem Umweg über ihren Gewinn wieder den Euroländern zugute kommen.

Immer weiter Schulden machen

Wer kann diesen Wahnsinn stoppen? Die EZB hat ihr Pulver weitgehend verschossen, die Regierungen der Euroländer sind untereinander so uneinig wie nie zuvor, das Vertrauen ist dahin, und kaum jemand lässt Kompromissbereitschaft erkennen, schon gar nicht nach dem Debakel mit Griechenland. Aber irgendwie muss es ja weiter gehen. Die wahrscheinlichste Variante: Politiker tun so, als würden sie verhandeln, und lassen die Börsen entscheiden, was wird. Geht es dort so zu wie bisher, also ohne größere Verwerfungen, wird einfach weiter verhandelt. Kommt es dagegen zu ernsten Turbulenzen oder sogar zu einem Crash, werden Politiker in Abstimmung mit der EZB – einschließlich der anderen großen Notenbanken – eingreifen und hoffen, alles möge noch einmal gut gehen.

Die Alternative bestünde zweifellos in einer aktiv angegangenen internationalen Rettungsaktion einschließlich Schuldenschnitt. Doch wo ansetzen? Das Europroblem ist hausgemacht. Nicht von ungefähr weisen amerikanische Nobelpreisträger im Fach Wirtschaft – dem Fach mit dem geringsten wissenschaftlichen Tiefgang – darauf hin, die Europäer sollten ihre Probleme erst einmal selbst lösen, bevor sie sich an einen international ausgerichteten Tisch setzen. Wie lösen? Aus amerikanischer Sicht ganz einfach: letztlich mit noch mehr Schulden. Die US-Regierung hat es ja vorgemacht. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied zur Eurozone: Die verfügt nicht über eine Regierung.

Wir werden von Notenbankern regiert

Die USA haben es geschafft, die 2007/08 eingesetzte Wirtschafts- und Finanzkrise mit irrsinnigen Schulden zu überwinden, vorwiegend über ihre Notenbank Fed, deren Bilanzsumme sich seitdem mehr als vervierfacht hat. Die Fed sitzt auf einem riesigen Haufen von Staats- und immobiliengedeckten Anleihen. Die EZB ist ihr in der Art der extrem expansiven Geldpolitik gefolgt. Den Vogel abgeschossen hat indes die Bank von Japan. Sie ist sogar in größerem Umfang zum massiven Kauf von Aktien übergegangen.

Werden wir also mehr von Notenbankern als von Politikern regiert? Ja, bis auf Weiteres. Das liegt an der politischen Konstellation: Die Eurozone, die EU insgesamt so wie so, ist aus den genannten Gründen unregierbar; folglich muss es die EZB richten. In den USA gilt Präsident Barack Obama längst als „lame duck“ (im übertragenen Sinn: Auslaufmodell), sodass die Fed sich auch um einen Teil der Politik kümmern muss. Und in Japan hat der Regierungschef Shinzo Abe der dortigen Geldpolitik sogar seinen Namen gegeben: Abenomics. Sieht man von China ab, wo etwas andere Verhältnisse herrschen, kann man also mit Fug und Recht behaupten, dass die Welt in wesentlichen Teilen von Schulden regiert wird. Dagegen hilft, aus Anlegersicht betrachtet, nur eine gesunde Mischung aus Edelmetallen mit dem Schwerpunkt Gold, aus einer gut gelegenen, im Zweifel leicht verkäuflichen Immobilie für den Eigenbedarf, aus jederzeit einsetzbarem Tagesgeld und – nach einem möglichen Crash – aus Aktien, die man dann mit dem Tagesgeld kauft. Wer sich zusätzlich absichern will, verteilt die Kaufaufträge für die Edelmetalle über mehrere Monate.

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