Die Draghisierung hat begonnen

Die meisten Deutschen sparen falsch, das ist schon lange so. Doch jetzt wird es damit richtig ernst. Die Fehlerquellen sind enorm. Zum Glück lassen sie sich eingrenzen.

Soll man da lachen oder weinen? Nicht etwa ein Versicherungsvertreter, sondern die Bundesbank behauptet in ihrer aktuellen Pressemitteilung zum Geldvermögen der Deutschen tatsächlich allen Ernstes, Ansprüche gegen Versicherungen und Pensionseinrichtungen gelten „typischerweise als risikoarm“. Damit nicht genug, diese Ansprüche deuten zusammen mit den hohen Bankeinlagen „auf eine anhaltend hohe Risikoaversion der privaten Haushalte hin“. Oder in einer Zahl ausgedrückt: Bargeld, Bankeinlagen und Altersvorsorgesysteme aller deutschen Haushalte belaufen sich zusammen auf knapp 3,9 Billionen Euro.
Das ist nicht einmal das Doppelte dessen, was EZB-Chef Mario Draghi am vergangenen Donnerstag den Euroländern aus dem Stegreif an Geldspritzen versprach – bis September 2016, Verlängerung möglich. Damit will er die Inflation anheizen. Ein Teilziel hat er schon erreicht: Der Euro ist zur Weichwährung geworden. Weil die Zinsen unten bleiben, wird es für die in mehreren Jahrzehnten angesparten 3,9 Billionen dreifach gefährlich: erstens durch das Abschmelzen der einst mit hohen Garantiezinsen versprochenen Lebensversicherungen und vergleichbaren Anlagen, zweitens dadurch, dass mit dem weichen Euro die importierte Inflation kommt. Und sobald die Bankeinlagen einschließlich Bargeld an Kaufkraft verlieren, werden auch sie immer weniger wert.

Risiko ist nicht messbar

Risikoarme Anlagen sehen anders aus. Aber wie? Akademiker haben dazu bereits allerlei Kennzahlen entwickelt. Das Dumme daran ist nur, dass der ganze Zahlensalat versagt, sobald er sich in der Praxis bewähren soll. Kaum drückt ein hoch dotierter Investmentbanker auf den falschen Knopf, kommt Panik auf. Der plötzliche Aktiencrash von 1987, der Anleihencrash von 1994, der anhaltende Aktiencrash von 2000 bis 2003 und der wiederum plötzliche von 2008 bieten Anschauungsmaterial ohne Ende. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Nichts davon, stattdessen jeweils erfolglose Versuche, das Desaster zu erklären.
Als Risikomaß für Wertpapiere aller Art (Aktien, Anleihen, ja sogar Fonds) gilt in akademischen Kreisen wie auch unter Vermögensverwaltern die Volatilität; das ist die Schwankungsstärke. Sie war im vergangenen Oktober für deutsche Aktien hoch; seit einer Woche ist sie wieder kräftig gefallen. Erkenntniswert? Für die antizyklische Aktienspekulation durchaus vorhanden, für die Risikomessung dagegen uninteressant. Denn wer deutsche, amerikanische, japanische oder chinesische Aktien durchhielt, erlebte zwar ein Auf und Ab der Gefühle, strich aber am Freitag noch rechtzeitig vor der Griechenland-Wahl satte Aktiengewinne ein. Und wer im Minuten- oder Stundentakt dem Trading verfiel, dachte nur daran, schnell einen Batzen Euro zu verdienen. Risikomaß? Fehlanzeige.

Die meisten Deutschen lieben es riskant, ohne sich dessen bewusst zu sein

Es wird allerhöchste Zeit, das Risiko neu zu definieren. Allumfassend etwa so: Als Gefahr, einen Fehler zu begehen. Das bedeutet im Hinblick auf die Geldanlage allerlei, zum Beispiel: falsche Aktie, falscher Fonds, langfristige Bindung an Bank- und vor allem an Versicherungsprodukte, falsches Timing, auf einen Anlageberater, Versicherungsvertreter oder Immobilienmakler hereinfallen oder – noch schlimmer – auf einen Schneeballsystem-Betrüger, hoher Kredit, Gier, Angst und die ganze sonstige emotionale Skala auf und ab, darunter besonders gefährlich: die Spielsucht – Uli Hoeneß lässt grüßen. Risiko enthält also verschiedene Komponenten: untaugliche Finanzprodukte, eigene Anlagefehler, zu viel Vertrauen in andere Leute und nicht zuletzt Emotionen. Eine Formel für all das wird es nie geben können.
Das Risiko lässt sich zwar hier und da begrenzen, aber nie ganz ausschalten. Etwa durch Stop loss-Aufträge, sukzessive statt einmalige Käufe, Streuung der Anlagen, Misstrauen gegenüber Renditeversprechen, umfangreiche Informationen aus Medien, regelmäßiges Verfolgen der relevanten Märkte und viel eigene Disziplin. Das kann schnell in viel Arbeit ausarten. Da flüchtet der Durchschnittsdeutsche doch lieber gleich in Bankeinlagen oder Lebensversicherungen und meint im schlimmsten Fall sogar, damit das Risiko ausschalten zu können. Das bedeutet: Die Augen vor der ungewissen Zukunft verschließen und damit ein noch größeres Risiko eingehen.

Das Spielcasino ist eröffnet

Das Gegenteil des Risikos ist bekanntlich die Chance, bei der Geldanlage also die Chance auf Rendite oder auf einen Gewinn. Sie ist ebenso wie das Risiko weder quantifizierbar noch in ihrem Ausmaß vorhersehbar. Immerhin haben wir vom Börsianer André Kostolany gelernt: Wer viel Geld hat, darf spekulieren; wer wenig Geld hat, darf nicht spekulieren; wer ganz wenig Geld hat, muss spekulieren. Folglich ist der Multimillionär gut beraten, es mal mit der einen oder anderen Aktie zu versuchen, aber ansonsten sein breit gestreutes Vermögen nicht anzurühren. Für den angestellten Familienvater sollte die Aktienabstinenz so lange tabu bleiben, bis er einen hoch dotierten Job bekommt und das Eigenheim abbezahlt ist. Wer dagegen nur wenig Geld besitzt, praktiziert am besten Learning by doing, indem er sich erst einmal mit viel Trading an das Auf und Ab der Börse gewöhnt.
Die größten Chancen entstehen aus neuen Trends und Umbrüchen, wie Digitalisierung, Biotechnologie, neue Werkstoffe, Energiewende, Urbanisierung (in den jeweils gestiegenen Aktienkursen schon weit vorweggenommen) – und Draghisierung: Den größten Teil Europas mit Geld überschwemmen, damit die Inflation kommt. Ob davon am Ende mehr die volatilen Aktien profitieren werden oder das weniger volatile Gold, spielt dann eigentlich keine Rolle mehr. Im Fall Aktien ist durch Draghi vorerst das Spielcasino eröffnet; dagegen benötigt der Goldpreis noch ein paar Anläufe, um alte Höhen zu erklimmen. Folglich erhalten spekulative wie auch konservative Anleger Anleger ihre Chance.

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