Ein Potpourrie Sonntagszeitungen

Also, man lernt in jedem Fall, wenn man Zeitungen liest, und wenn auch manchmal nur, wie Zeitungen es nicht machen sollten, wenn sie gelesen werden wollen. Heutige Sonntagszeitungen, für Sie gelesen von Roland Tichy und Fritz Goergen.

Journalisten verkürzen, spitzen zu, wählen aus. Es ist das Berufsrisiko, dass es zu verkürzt, zu zugespitzt, zu selektiv wird. Unter Kollegen nennt man das dann „übergeigt“, also überdreht. Kommt vor, passiert jedem. Fehlerkultur bedeutet, dass man es korrigiert – am besten noch vor Erscheinen durch eine distanzierte Redaktionsleitung, die sich nicht mitreissen lässt von der Sensationslust der Schreiber; und danach mit einer Entschuldigung.

Das an den Haaren herbeigezogene Gauland-Interview vergangene Woche war so ein Fall – eine komplett übergeigte Überschrift  – „Gauland beleidigt Boateng“ – , die den Kern der Aussage verkehrt und krampfhaft skandalisiert. Kann ja passieren. Aber diese Woche der geradezu zwanghafte Versuch, im Nachhinein Recht zu kriegen durch eine Reportage über eine Rede auf einem Marktplatz – es wird nicht besser. Man ist verärgert und blättert nicht gerne weiter.

Dabei würde man Reportagen über die Not alter Kurorte verpassen und eine Reportage über eine Detox-Kur entginge einem, die wortreich nur zum Ergebnis kommt, dass die Reporterin zwar davon keine schönere Haut hat, aber bei Kleidergröße 36/38 verharrt und Stolz darauf ist, dass sie durchgehalten hat. Das hat sie mit dem Leser gemeinsam: Der ist auch stolz darauf, dass er durchgehalten hat.

Denn durch fast alle Ressorts zieht sich das Bemühen, die eigene Gauland-Story durch allgemeine Gauland-Verdammung zu rechtfertigen. Manches wirkt komisch, etwa wenn die Nähe der Rußlanddeutschen zur AfD analysiert wird: eigentlich ein kluges Stück, das deren Integrations- und Anpassungsleistung geradezu zwangsweise würdigen muss. Aber die überkritische Distanz bleibt: Schlimm, die bauen Eigenheime in Selbsthilfe, statt über zu geringe Sozialleistungen zu jammern. Abgestoßen fühlen diese Migranten sich von den Klatschparaden an den Bahnhöfen: Sie hat man nicht so empfangen, sondern nur ertragen. Auch die FAS erträgt sie nur. Echte Flüchtlinge sind anders. Es gibt auch was Gutes zu berichten: Die Fotostrecke über 75 Jahre Jeep.

Auf der selbst verteilten Schmierseife auszugleiten ist eben gefährlich, etwa wenn dann noch der im Hauptberuf als Moderedakteur tätige Jost Kaiser eine Analyse verbreiten darf, in der Angela Merkel  die „wahre Verteidigerin der alten, antitotalitären, bundesdeutschen Konservative ist“, ein Unsinn, der zeigt: Klug geht anders.

„Bin ich selbst schuld, wenn ich schlechte Laune habe“ – diese Frage stellt die BILD am SONNTAG; bei mir allerdings war die FAS der Auslöser für miese Laune – kein gutes Rezept für eine Sonntagszeitung wie die FAS. Die BamS wagt Muhammad Ali auf dem Titel, das erhellt den Tag schon wieder und ihr Innerstes nach außen gekehrt: Der EM-Teil prägt – „Die schaffen das“. Dabei wagt sich das Blatt auf das Gebiet Wirtschaft vor, das neuerdings am Wochenende verwaist ist. So werden die entscheidenden Sätze im ALDI-Erbstreit zitiert und der Piech-Sohn vorgeführt, der selber Autos baut: Wer aus der Familie der Porsches und Pechs kommt, braucht Mut, um diesen Vater-Sohn-Konflikt auf diesem Feld aufzunehmen. Wirtschaft wird eben von Menschen betrieben. Und die legendäre Neugier Tanja Tresers gehört dazu.

Anders als die plumpe FAS wählt WeLT am SONNTAG einen klügeren Weg der Entzauberung:

Nach dem Willen von AfD-Chefin Frauke Petry sollen die Bürger in Deutschland länger als bisher arbeiten und zudem Einschnitte bei den Renten hinnehmen. „An einer weiteren Verlängerung der Lebensarbeitszeit führt kein Weg vorbei“, sagte Petry der WamS. Außerdem werde man „vermutlich über eine weitere Kürzung der Renten reden müssen“. Dies sei „brutal“, aber unabdingbar, da angesichts der demografischen Entwicklung für die Rentenkassen schwere Zeiten anbrechen würden. Es sind aber auch schwere Zeiten für die AfD, die anbrechen: Rentenprobleme sind nicht einfach und schon gar nicht konfliktfrei zu lösen. Auf die Zeit leichter Versprechung folgt die Zeit des Einlösens. Petry stellt sich dem mit notgedrungen wenig originellen Ideen.

Zur langfristigen „Entlastung der Sozialkasse“ brauche das Land „einen stärkeren innerfamiliären Zusammenhalt“ sowie mehr Geburten, sagte Petry. Eine höhere Geburtenrate wolle die Partei durch eine Familienpolitik ermöglichen, bei der Kinderlose stärker belastet würden als bisher. „Familien soll weniger Geld abgezogen werden, ärmere Familien wollen wir bei den Sozialbeiträgen entlasten. Das wird von Kinderlosen mitfinanziert werden müssen.“

Das ist marktüblich Unpopuläres von der des Populismus Gescholtenen.

Ein Ja zur weiteren Verschärfung des Asylrechts wird in der heutigen Schweizer Volksabstimmung erwartet. Unbemerkt in Deutschland, wenig beachtet in Österreich verlangt nach der SVP nun auch die CVP – „CVP will Grenzen dichtmachen“ – die Schließung der Grenzen für Asylsuchende: „Wer über einen sicheren Schengenstaat zu uns kommt, soll nicht einreisen dürfen.“ Die SonntagsZeitung zitiert denTessiner Staatsrat Norman Gobbi, dass sich das Ansteigen der Migrantenzahlen aus Libyen übers Mittelmeer nach Italien ins Tessin fortsetzt. CVP-Chef Gerhard Pfister velangt den Einsatz der Schweizer Armee zur Verstärkung der Grenzwachen.

„Bundesrat lässt Folgen eines Bexit untersuchen“ meldet die SonntagsZeitung. Die Sicht der Experten ist ambivalent. Einerseits könnte Bern mit London „zusammenspannen“ angesichts des gemeinsamen Interesses „an einem ungehinderten Zugang zum EU-Binnenmarkt ohne freien Personenverkehr und politischer Integration“. Anererseits warnen Ökonomen vor dem Risiko, „dass die EU an der Schweiz ein Exempel statuieren könnte“.

„Jetzt kommt der Aufschwung“, Auftragseingang der Maschinenindustrie steigt, auch im Bau, selbst die Tourismusbranche sieht zuversichtlich aus, die Schweizer Wirtschaft hofft, dass es nicht zum Brexit kommt, weil eine Flucht in den Franken den zarten Aufschwung wieder abwürgen würde.

Die Titelstory des Buchs Wirtschaft: „Zuckerberg wäre in Zürich gescheitert“, Untertitel: „Der Facebook-Gründer hätte bis zum Börsengang 264 Millionen Steuern gezahlt“. Gescheitert wäre er in Deutschland alleine an der Bürokratie. „Grossfirmen erhalten Millionen aus dem Honigtopf des Bundes“ kritisiert die SonntagsZeitung: „Die Förderagtentur KTI subventiert Forschungsprojekte von Firmen, die das nicht nötig haben“ – na das klingt ja wie in Deutschland und Österreich – oder wie die ganze EU? Die anschließende Empfehlung der SoZ gilt auch europaweit: „Tiefere Steuern sind die bessere Innovationsförderung als Subventionen“ – „Dass der Staat Forschungsprojekte von Grossunternehmen subventioniert und gleichzeitig Start-ups mit seiner Steuerpolizik vertreibt, hält Peter Burkhardt für fragwürdig“. In der Tat.

Zur Fußball-EM bringt die SoZ ein Interview mit dem französischen Philosophen und Fußballfan Jean-François Pradeau: „Fussball ist wie eine religiös-erotische Feier der Antike“. Wer unterstellt, „dass die griechischen Helden moralisch waren und die Fußballer heute unmoralisch sind“, sollte Platon lesen: „Dem berühmtesten Sportler seiner Zeit warf er die Gier nach Orgien und nach Sex vor.“ 

Ein Sonntags-Schmankerl ist „Rhetorik der Retourkutsche“ von Theaterautor, Regisseur und Essayist Milo Rau. Unterste Stufe ist „Blame the Same“ – stimmt schon, aber in sowieso ist es noch schlimmer. Komplizierter die Taktik „Weiser Indianer“: Auf die Frage, denken Sie, dass Jesus Gottes Sohn war, aber mein Lieber, sind wir nicht alle Kinder Gottes? Höchste Stufe der „Dreher“, der Massenmörder Breivik auf die Frage, ob er sich vor dem Gefängnis fürchtet: „Ist nicht ganz Europa ein Gefängnis? Und ist deshalb nicht die demokratische Freiheit die eigentliche Gefangenschaft?“

In Wahrheit, sagt Rau, ist die Retourkutsche nur dazu da, „für jene drei Sekunden der Verwirrung zu sorgen, die man braucht, um das Fehlen einer reellen Antwort zu vertuschen. Denn mal ehrlich: Ist nicht in Wahrheit das Fehlen einer Antwort die eigentliche Antwort? Na also.“

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