DER SPIEGEL Nr. 35: Die spinnen, die Bayern

Immer noch auf dem Kriegspfad, auch wenn der Gegner schon lange tot ist: DER SPIEGEL brüstet sich mit längst vergangenen Heldentaten und hat wenig Neues zu bieten.

Den meisten Spaß haben alte Männer, wenn Sie jungen Kollegen und Kolleginnen von ihren Heldentaten aus alten Zeiten erzählen. Wie sie damals Furcht und Schrecken verbreiteten und gefährliche Kontrahenten zur Strecke brachten. Wenn solche Erzählungen den Erzählern und den Zuhörern gefallen, kommen Chefredakteure mitunter auf den Gedanken: Das sollte man doch mal schreiben. Es könnte ja in bundesdeutschen Landen immer noch irgendwo einen Leser geben, der endlich mal vom Spiegel darüber aufgeklärt werden will, wie die Hamburger den CSU-Politiker Franz-Josef Strauß zur Weißglut trieben und ausbremsten.

Da, rein zufällig zum 100. Geburtstag von FJS, ein bisher eher unauffälliger Politikwissenschaftler und Journalist Peter Siebenmorgen eine 600-seitige Biografie mit dem Titel „Franz Josef Strauß. Ein Leben im Übermaß“ fabriziert hat, in der er unter anderem aufdeckt, dass der Bajuware Gelder von Unternehmern erhielt, konnten sich die Redakteure Conny Neumann und Martin Knobbe viel Arbeit sparen.
Warum sind die Hamburger so empört über das Bakschisch? Dass in Bayern der oberste Potentat abkassiert, hat Tradition. Schließlich verkauften die Wittelsbacher ihr geliebtes Königreich für eine stattliche Geldsumme an Preußen und wurden erst Deutsche, nachdem sie von Otto von Bismarck dafür bezahlt wurden. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass dieses Geld jetzt wieder via Länderfinanzausgleich zurückfließt.

P.S. Warum bloß ist immer nur von „den Bayern“ die Rede? Die Bajuwarinnen tun das Ihre, um diese Region lebens- und liebenswert zu machen.

Der aktuelle Spiegel bietet wenig Lesenswertes, aber wenigsten manch Überraschendes: Wer rechnet schon damit, dass Jan Fleischhauer im schwarzen Kanal in seiner Kolumne „Jung und weiblich“ sich ausgegrenzt fühlt, weil die CDU mit ihrer neuen Kampagne auf Jugend und Weiblichkeit setzt?

Geistreich ist die Kolumne „Unser Spektakel“ von Elke Schmitter über den mitunter karnevalesken Wahlkampf in den USA. Gemeinsam mit ihr staunen wir darüber, dass das System jenseits des Atlantiks die dort zu beobachtenden Verschrobenheiten jedes Mal ohne Blessuren übersteht.

Nach der Lektüre der Homestory „Seidenmatt“ von Ulrich Fichtner über das Verschwinden digitaler Fotos, habe ich mich entschlossen, meine sämtlichen Fotos auszudrucken und wie früher in einem Schuhkarton aufzubewahren.

Mein Highlight ist in dieser Ausgabe die Reportage von Jonathan Stock über Rüdiger Nehberg und seinen Kampf gegen das Beschneiden junger Mädchen: Es ist großartig, dass es solche Menschen gibt, die trotz scheinbarer Aussichtslosigkeit unverdrossen gegen unmenschliche Praktiken ankämpfen.

In „Der perfekte Sturm“ warnt Alexander Jung wohlbegründet vor dem sich abzeichnenden Einbruch der Weltkonjunktur.

Dirk Kurbjuweit verliert in seinem Essay „Unter dem Regenbogen“ die Bodenhaftung und ergeht sich in wolkigen Träumereien über ein neues „Nationalkonzept“: ein vielfältiges und buntes Deutschland, das durch den Flüchtlingszustrom entstehen könnte, sofern wir alle mitmachen.

Der Spiegel ist in dieser Woche keine Pflichtlektüre.

 

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