Amerikas Sicherheitsstrategie: Europa als zivilisationsmüder Problemfall

In der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der USA steht Europa nicht mehr als Partner auf Augenhöhe, sondern als Krankenakte: wirtschaftlich abgestürzt, demographisch ausgedünnt, politisch entkernt, mit totalitären Tendenzen. Washington seziert, was Brüssel und Berlin zensieren wollen und kündigt an, sich künftig nur noch mit einem anderen Europa zu verbünden.

picture alliance / ZUMAPRESS.com | Daniel Torok/White House

Europa steht in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der USA nicht nur als Krisenfall, sondern als Warnbild. Wörtlich ist von der „drastischen Aussicht einer zivilisatorischen Auslöschung“ die Rede – und Washington kündigt an, gezielt „patriotische“ Parteien in Europa zu unterstützen, um eine Zukunft zu verhindern, in der „bestimmte NATO-Mitglieder mehrheitlich nicht-europäisch“ werden. Deutlicher kann man einem Kontinent kaum sagen, dass man ihn für auf Selbstauflösungskurs hält.

Dieses Dokument ist nicht irgendein Thinktank-Papier, sondern das jährliche Update der offiziellen Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten. Donald Trump nennt es im Vorwort einen „Fahrplan, um sicherzustellen, dass Amerika die größte und erfolgreichste Nation der Menschheitsgeschichte bleibt“ und formuliert den Kernsatz: „Bei allem, was wir tun, stellen wir Amerika an erste Stelle.“ In diesem „America First“-Koordinatensystem wird Europa nicht mehr als sakrosankte Partnerkulisse behandelt, sondern als Problemzone, die man neu sortieren will.

Im Europa-Kapitel „Promoting European Greatness“ („Europäische Größe fördern“) findet sich die vielleicht schärfste Diagnose, die ein amerikanisches Regierungsdokument je über die Verbündeten geliefert hat. Europa, so der Text, befinde sich auf einem Pfad, nicht mehr wiedererkennbar zu werden: vor allem durch Migrationspolitiken, die nationale Identitäten untergraben, und durch eine „regulatorische Erdrosselung“, die Wirtschaftskraft und Selbstvertrauen zerstört. Das strategische Ziel der USA wird ausdrücklich formuliert: Es solle Politik Washingtons sein, Europa über Jahrzehnte hinweg dabei zu helfen, „seinen derzeitigen Kurs zu korrigieren“.

Im Klartext: Washington bezweifelt, dass der Kontinent in seiner jetzigen Verfassung – wirtschaftlich, demographisch, politisch – noch lange ein verlässlicher Pfeiler des Westens bleibt. Die Strategie rechnet vor, wie der Anteil Kontinentaleuropas an der Weltwirtschaft seit 1990 abgestürzt ist. Sie listet jene Faktoren auf, die in europäischen Regierungserklärungen nur in Watte verpackt vorkommen: Migrationsregime, die Gesellschaften tief umformen, transnationale Institutionen, die nationale Souveränität aushöhlen, Gesetze und Praktiken, die Rede- und Oppositionsfreiheit einschnüren und verunmöglichen, Geburtenraten im freien Fall, Identitätsverlust.

Neu ist, dass die US-Regierung den Befund nicht im luftleeren Raum stehen lässt, sondern mit einer innenpolitischen Agenda in Europa verbindet. Das Dokument beschreibt, dass die Vereinigten Staaten politische Parteien unterstützen sollten, die gegen Migration kämpfen und Nationalismus vertreten. Als Beispiele nennt die New York Times Reform U.K. in Großbritannien und die AfD in Deutschland, die von einem politisch unterwanderten und instrumentalisierten Verfassungsschutz inzwischen als „extremistische Partei“ geführt wird. In der Strategie selbst klingt es nüchterner: „Der zunehmende Einfluss patriotischer europäischer Parteien gibt in der Tat großen Anlass zu Optimismus. Unser Ziel sollte sein, Europa zu helfen, seinen derzeitigen Kurs zu korrigieren.“

Damit ist die Linie klar: Amerika bindet sich nicht länger an die Brüsseler und Berliner Regierungsparteien, sondern erklärt offen, dass es die innere Opposition auf dem Kontinent als Hoffnungsträger betrachtet. Zugleich bedient die Strategie Begriffe, die den etablierten Diskurs in Europa maximal triggern. Die New York Times ordnet Formulierungen wie die Warnung vor mehrheitlich „nicht-europäischen“ künftigen NATO-Mitgliedern in die Nähe der „Great Replacement Theory“ ein – jener Ersetzungsthese, die im offiziellen Diskurs als „nationalistische Verschwörungstheorie“ geführt wird. Dass genau solche Warnbilder nun in einer US-Regierungsstrategie auftauchen, markiert einen rhetorischen Bruch, den man in Brüssel lieber nicht zur Kenntnis nehmen möchte.

Besonders empfindlich ist die Passage, in der das Dokument die Europäische Union und andere „transnationale Körperschaften“ beschuldigt, Freiheit und Souveränität zu untergraben, freie Rede zu zensieren und „grundlegende Prinzipien der Demokratie mit Füßen zu treten, um Opposition zu unterdrücken“. Hier beschreibt Washington in nüchternem Verwaltungston genau jene Entwicklung, die europäische Kritiker seit Jahren benennen: das Abgleiten der „liberalen Demokratie“ in ein System, das Opposition nur noch in engen Grenzen toleriert.

Beim Ukraine-Krieg geht das Papier einen Schritt weiter und legt den Finger direkt auf die Bruchstelle zwischen Regierungen und Bevölkerungen. Europäische Regierungen, heißt es, lebten „unrealistische Erwartungen für den Krieg“, stützten sich auf „instabile Minderheitsregierungen“, von denen viele „grundlegende Prinzipien der Demokratie mit Füßen treten, um Opposition zu unterdrücken“. Demgegenüber definiert die US-Strategie als Kerninteresse eine zügige Beendigung der Kampfhandlungen, um europäische Volkswirtschaften zu stabilisieren, Eskalation zu vermeiden und eine strategische Balance mit Russland wiederherzustellen. Zugleich fordert sie, „die Wahrnehmung zu beenden und die Realität zu verhindern, dass die NATO ein sich permanent ausweitendes Bündnis ist“.

Die Reaktionen aus Europa fallen entsprechend dünnhäutig aus. Der deutsche Außenminister Johann Wadephul erklärte, die Länder Europas „glauben nicht, dass wir hier Rat von irgendeinem Land oder einer Partei brauchen“. Die USA seien zwar wichtigster NATO-Partner, aber Fragen wie Meinungsfreiheit und die Organisation der „liberalen Gesellschaft“ gingen Washington nichts an. In Italien nannte der Mitte-links-Senator Carlo Calenda Trump einen „Feind Europas, einen Feind der Demokratie“ und erklärte, der Versuch europäischer Politiker, sich bei Trump einzuschmeicheln, sei gescheitert: „Er ist ein Tyrann, und einem Tyrannen kann man nicht begegnen, indem man warm und freundlich ist.“

Transatlantische Thinktank-Vertreter wie Ian Lesser vom German Marshall Fund geben sich betont alarmiert. Viele Europäer würden dieses Dokument als „höchst beunruhigend“ empfinden, sagt er. Es behandle Europa als „ein Modell dessen, was man nicht tun sollte“ und bestätige, dass die USA nicht isolationistisch, sondern unilateral agierten. Mit anderen Worten: Man hat Angst, dass Washington die transatlantische Partnerschaft nicht mehr als Club gleichgesinnter Eliten versteht, sondern als pragmatische Allianz mit austauschbaren Regierungen und wechselnden innenpolitischen Bündnispartnern.

Für Europas politische Klasse steckt in dieser Strategie der eigentliche Affront weniger in der Diagnose als in der Adressierung. Dass Europas Wirtschaft an Boden verliert, dass die Migrationspolitik in vielen Staaten zu massiver Destabilisierung geführt hat, dass Zensurgesetze und Plattformregime die Meinungsfreiheit einschränken. Im Fall X zeigt Brüssel exemplarisch, wie diese Zensur in der Praxis aussieht: Die Kommission verhängt 120 Millionen Euro Strafe – offiziell wegen „irreführender“ Verifizierungshäkchen, unzureichendem Datenzugang für Forscher und fehlender Werbetransparenz. Nach Musks Darstellung hatte die Kommission X vor einem Jahr im Geheimen einen Deal angeboten: Wenn die Plattform stillschweigend EU-Zensur freier Rede durchsetze, werde man von Klagen absehen; ein Angebot, das Konzerne wie Meta und Google akzeptiert hätten, X aber nicht. Nun trifft der erste große Schlag des Digital Services Act ausgerechnet jene Plattform, die sich dieser stillen Gleichschaltung verweigert, während ein Verfahren gegen TikTok nach „verbindlichen Zusagen“ eingestellt wird.

Genau solche Fälle hat Washington im Blick, wenn die neue US-Sicherheitsstrategie vor einem Verlust von Demokratie und Meinungsfreiheit in Europa warnt und ausdrücklich von „Zensur der freien Meinungsäußerung“ spricht. Noch vor der offiziellen Verkündung der Strafe attackiert Vizepräsident J.D. Vance auf X Brüssel mit der Forderung, die EU solle die Meinungsfreiheit verteidigen, statt amerikanische Unternehmen „wegen Müll“ anzugreifen; Trump hatte die europäischen Digitalgesetze schon zuvor als wettbewerbsfeindlich gebrandmarkt. In dieser Sicht ist der DSA-Beschluss gegen X kein neutraler Verwaltungsakt, sondern ein weiterer Beleg dafür, dass die EU ihre Regulierungsbehörden als politisches Zensurinstrument gegen unbotmäßige Plattformen einsetzt.

Der Bruch liegt darin, dass die USA diese Entwicklungen nun offiziell benennen und sich gleichzeitig auf die Seite jener Kräfte stellen, die im Inneren des Kontinents genau diese Themen aufgreifen.

Dass Trumps Regierung dabei ausdrücklich auf „America First“ setzt, macht die Sache für Europa nicht bequemer. Wenn Washington Europa als warnendes Beispiel behandelt, als „Modell dessen, was man nicht tun sollte“, dann ist das nicht die Abkehr vom Westen, sondern ein Umbau des Westens: weg von einer supranationalen Moralverwaltung, hin zu einem loseren Verbund von Nationalstaaten, in dem jeder seine Interessen verfolgt. Für Brüssel und Berlin ist das ein Alptraum, denn es bedeutet, dass die USA sich nicht mehr reflexhaft vor die europäische Binnenordnung stellen, sondern bereit sind, an ihr zu rütteln.

Am Ende bleibt ein Befund, den die europäischen Reaktionen nicht wegreden: Die neue US-Sicherheitsstrategie betrachtet Europa nicht mehr automatisch als Stärke, sondern als Risiko – und setzt zugleich darauf, dass ein anderes Europa möglich ist: „Wir wollen, dass Europa europäisch bleibt, sein zivilisatorisches Selbstvertrauen wiedergewinnt und seinen gescheiterten Fokus auf regulatorische Erdrosselung aufgibt“, heißt es im Dokument. Ob dieser Satz in den Kanzleien und Kommissionsbüros nur Empörung auslöst oder auch ein Minimum an Selbstprüfung, entscheidet darüber, ob Europa im nächsten strategischen Papier immer noch als Patient geführt wird – oder wieder als Partner.

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