Notre Dame: Europas Seele brennt

Die Kathedrale Notre Dame in Paris steht in Flammen. Das Feuer zerstört große Teile eines der wichtigsten Zeugnisse europäischer christlicher Kultur. Es steht auch für den Verfall unseres Erbes. Präsident Macron spricht davon, dass „ein Teil von uns selbst verbrennt“. 

GEOFFROY VAN DER HASSELT/AFP/Getty Images

Noch lodern die Flammen hoch. Die Bilder sehen lange so aus, als würde Notre Dame in Paris, die wichtigste gotischen Kathedralen Frankreichs und eine der wichtigsten Kirche Europas, weitgehend zerstört.

Der schmale mittlere Turm ist eingestürzt. Das Dach droht zu kollabieren. Die filigranen Strebepfeiler an den Seiten sind gefährdet, vielleicht sind auch die Rosetten mit den herrlichen farbenfrohen Glasfenstern von den Flammen betroffen. In der Kirche, die schon einmal, während der Revolutionszeit 1789ff schwer beschädigt wurde, befinden sich große Kunstschätze. Zudem Reliquien vom Heiligen Kreuz und von der Dornenkrone.

— ABC News (@ABC) April 15, 2019

Der Verlust ist unermesslich – ganz Europa verliert einen Markstein des kulturellen Erbes. Politiker aus der ganzen Welt, Kirchenmänner und die Bevölkerung haben sich tief traurig und entsetzt gezeigt. Präsident Macron spricht davon, „ein Teil von uns selbst verbrennt“. Der Vatikan hat seine tiefe Trauer geäußert – die Kirche sei „ein Symbol für die Christenheit, in Frankreich und in der ganzen Welt“.

Europas Seele brennt. Das ist so zumindest für alle, denen das christlich-abendländische Erbe dieses Kontinents etwas bedeutet. Frankreich wird die „älteste Tochter der Kirche“ genannt. Auch mehr als hundert Jahre nach dem scharfen laizistischen Trennungsbeschluss von 1904 ist der katholische Einfluss in dem Land kulturell prägend, obwohl in immer mehr Städten sich große muslimische Minderheiten etablieren.

Noch ist unklar, wie das Feuer entstand. Es ist wohl um 18.50 Uhr im Dachbereich ausgebrochen, wo vorher Sanierungsarbeiten stattfanden. Eine genaue Untersuchung wird die Verantwortung für dieses Desaster aufklären müssen. Spekulationen über Brandstiftungen verbieten sich derzeit.

Allerdings brachte erst vor knapp einer Woche die FAZ einen Bericht darüber, wie sich Brandstiftungen und Vandalismus in französischen Kirchen häufen, die an diesem Abend ebenfalls in den sozialen Medien geteilt werden und Gegenstand zahlreicher Diskussionen sind. „Die Kirche brennt“ lautete die bezeichnende Überschrift der FAZ. Täglich würden in Frankreich durchschnittlich drei Gotteshäuser beschädigt, und die Täter sind oft genug arabisch-muslimischen Ursprungs. Mal werden Skulpturen zertrümmert, mal ein Altartuch oder eine Türe angezündet. „Von der katholischen Kirche wurden die Vorfälle lange nicht an die große Glocke gehängt“, schrieb die FAZ „ – jetzt finden sie größere Aufmerksamkeit.“

Anfang März wurde die Kirche von Reichstett im Elsass geschändet, Kirchenfenster zerschlagen, mit Satanszeichen beschmiert; in Saint Gilles-Croix-deVie an der Atlantikküste wurde einer Christusfigur des Hochaltars der Kopf abgeschlagen.

Dieser Vandalismus ist längst auch in Deutschland Alltag. Feldkreuze werden gefällt, Gipfelkreuze gestürzt, Altäre beschmutzt. Nicht um Diebstahl geht es, sondern um Herabwürdigung. Es sind symbolische Akte. Meist schweigt die Kirche. Sie ist längst kleinmütig und verängstigt.

Andere sind laut.

Was auch auffällt: Während heute Abend auf der ganzen Welt Tausende Menschen in sozialen Medien mit tiefer Betroffenheit und Trauer den verheerenden Brand in Notre Dame kommentieren, gibt es auch andere Reaktionen voll boshafter Schadenfreude. Es finden sich hundertfach hämische Reaktionen auf Facebook mit dicken Zwinker-Smileys – fast ausschließlich von Nutzern mit arabisch-muslimischen Namen.

Auch das ist heute Abend ein Zeichen. Der Jubel und die Häme sind auch symbolische Akte. Viele Kunstwerke konnten wohl gerettet werden. Dome können wieder errichtet, Steine aufgeschichtet, Dächer gedeckt werden. Aber eine verlorene Seele kann nicht restauriert werden.

Die brennende Kathedrale ist mehr als nur ein kultureller Verlust. Es ist ein Fanal für den Zustand Europas.


Von Robert Jonas

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