In Rom zittern die alten Eliten vor dem Wahljahr 2020

Wüsste man es nicht besser, man könnte glauben, dass PD und Fünf Sterne als verdeckte Kolonne Salvinis diesem die absolute Mehrheit sichern wollen.

Matteo Nardone/Pacific Press/LightRocket via Getty Images

„Das gesamte Bildungsministerium wird verändert, um Nachhaltigkeit und Klima zentral in unserem Bildungssystem zu verankern“, sagt der italienische Bildungsminister Lorenzo Fioramonti. Es sind Zeichen wie diese, die eine Re-Europäisierung Italiens bewirken sollen. Mit der neuen sozialdemokratisch-basislinken Regierung kehren auch die bereits unter Ex-Premier Matteo Renzi begonnenen, ideologischen „Germanisierungsprozesse“ zurück, die Italien auf eine Linie bringen sollen, die man gerne „globalistisch“ schimpft. Vor wenigen Monaten, als noch Familienminister Lorenzo Fontana das Ruder in der Hand hielt, sprach man über Landverteilungen an Familien mit mindestens drei Kindern; man sprach von der Verteidigung der traditionellen Familie und christlichen Werten; es war eine Zeit, in der Matteo Salvini mit Rosenkranz in der Hand das unbefleckte Herz Mariens anrief. Heute dagegen dominieren Themen wie Sterbehilfe, die Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare und die fröhliche Umarmung der Massenimmigration. Gedanken für ein Gesetz gegen „Trans- und Homophobie“ machen die Runde.

Die Linke führt einen Kulturkrieg, wie er in Deutschland schon seit Jahren wütet – aber es ist ein Rückzugsgefecht, kein Kampf nach vorn. Wenn der Partito Democratico (PD) nun mit allen Mitteln den „Klimaschutz” als Thema spielt, dann, weil er weiß, dass er für diese ideologischen Absichten gar keine Mehrheit in der italienischen Bevölkerung hat. Die Elfenbeinturmthemen der neuen Regierung erinnern frappierend an jene nördlich der Alpen – aber ohne die breite Unterstützung, wie sie bei den prozessionsähnlichen Demonstrationen von Aktivisten jedweder Couleur hierzulande gleich einer Monstranz vorangetragen wird. Nach nur wenigen Wochen hat sich die Regierung ihres Volkes entkoppelt: mit drastischen Folgen in den Umfragewerten.

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Bereits die Regionalwahlen in Umbrien haben einen Vorgeschmack auf das drohende Erdbeben gegeben, das diese Regierung ihre ganze Amtszeit über bedroht. Nach einer jüngsten Einschätzung erreicht die Lega 34 Prozent – das ist beinahe so viel, wie die Koalitionspartner PD und Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) zusammen auf sich vereinen (18 Prozent und 17 Prozent). Die Neuheit: mit 9 Prozent kratzen derzeit die Fratelli d’Italia (FdI) von Giorgia Meloni an einem zweistelligen Ergebnis und qualifizieren sich als viertstärkste Kraft. Bereits in Umbrien haben die „Brüder Italiens“ 10 Prozent geholt – ein Rekordergebnis, mit dem sie sogar stärker abschnitten als die Fünf Sterne.

Der Aufstieg der populären Parteichefin Meloni, die von vielen als italienisches Pendant zu Marine Le Pen gehandelt wird, kommt dabei mit Ansage. Entgegen der Aussagen des außeritalienischen Journalismus ist nämlich die Lega keine rechtsextreme Partei, die sich weiter radikalisiert. Im Gegenteil: Salvini führt seine Partei seit Monaten in Richtung Mitte-Rechts, um das konservative, katholische und bürgerliche Milieu zu gewinnen, das nach der Erosion der großen Mitte-Rechts-Parteien keine politische Heimat hat. Meloni rundet dabei die rechte Flanke ab. Im Gegensatz zur föderalen Lega sind die FdI zentralistisch aufgestellt; wirtschaftlich verfolgt die Lega einen liberaleren Kurs; und gesellschaftlich waren die FdI als Erben der alten, nationalistischen Alleanza Nazionale immer konservativer eingestellt. Während letztere als postfaschistische Partei sich nie ganz von der Vergangenheit trennen wollte, hat sich Meloni nach der Neugründung ihrer Partei vom Faschismus distanziert. Dennoch gehören zu ihren Anhängern Leute, die man hierzulande am ehesten mit dem Flügel um Björn Höcke vergleichen könnte. Salvini ist dagegen ein moderater Konservativer.

Die neue Koalition in Rom befördert mit ihrem Linksextremismus daher eine weitere Radikalisierung der italienischen Gesellschaft – ein Prozess, den ein Innenminister Salvini nicht befeuert, sondern als Integrationsfigur abgefedert hat. Die beiden Ex-Premiers Renzi und Silvio Berlusconi dümpeln dagegen mit ihren pro-EU, links- bzw. rechtsliberalen Parteien bei 6 Prozent herum. Ideologische Phantastereien helfen wenig, wenn in Tarent die Schließung eines Stahlwerks die Arbeitsplätze des wirtschaftlich schwachen Südens bedroht. Und sie helfen nichts angesichts einer sich ausweitenden deutschen Rezession, die dem europäischen Ausland massiv schaden wird.

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In Rom zittern die Eliten bereits vor dem Jahr 2020. 8 Regionalwahlen stehen an, 6 davon rot regiert. 5 von ihnen – darunter die wichtige Region Emilia-Romagna – könnten fallen. Sollten Salvini und Meloni diese Bastionen stürmen, dann ist auch die Hauptstadt sturmreif geschossen. Die alte gelb-grüne Regierung hat die Einbußen des M5S verkraften können, weil die Lega zugleich triumphierte. Wie die Koalition in Rom damit umgehen wird, wenn beide Parteien in den Regionen kollabieren, steht auf einem ganz anderen Blatt. In Umbrien waren die Fünf Sterne jüngst auf ein einstelliges Ergebnis geschrumpft. Die rote Umarmung könnte sich für die Partei von Außenminister Di Maio als existenzbedrohendes Suizidmanöver herausstellen. Aber anstatt auf eine vernünftige Realpolitik zu setzen, welche die Bedürfnisse des italienischen Volkes in der Migrations- und Gesellschaftspolitik erwidert, um ihren wichtigsten Opponenten das Wasser abzugraben, hat sich der M5S völlig in die Hand des PD gegeben, um nicht die eigene Macht zu verlieren – und reicht ein ideologisches Projekt nach dem anderen durch. Wüsste man es nicht besser, man könnte glauben, dass PD und Fünf Sterne als verdeckte Kolonne Salvinis diesem die absolute Mehrheit sichern wollen.

Marco Gallina schreibt vorzugsweise auf www.marcogallina.de

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Kommentare ( 14 )

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Sonny
4 Jahre her

Ich hätte nie gedacht, dass wir mal von Ländern wie Italien oder Ungarn „aus dem Linksfaschismus befreit“ werden müssen.
Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass die Italiener oder Ungarn überhaupt – nach allem was war – dafür überhaupt Ambitionen haben.

Julian Schneider
4 Jahre her

Die Nazis waren auch Sozialisten. Beschämend ist freilich, wie anfällig das deutsche Volk für Sozialismus ist, von Nationalsozialismus über DDR-Sozialismus zum Internationalen Sozialismus der Merkel-Zeit. Triebfedern des Sozialismus sind Neid, Missgunst, Freude am Denunzieren, Vorschreiben und der Hang zu Weltverbesserung und Weltherrschaft. Das scheinen typisch deutsche Untugenden zu sein. Wir sind wieder im Klassenkampf.

Alexis de Tocqueville
4 Jahre her
Antworten an  Julian Schneider

Vergrünung, Verblödung, 68er? Stimmt, das ist der Westen.
Ich zieh mir den Schuh ja nicht persönlich an. Dennoch, jedes Volk hat die Regierung, die es verdient.

Vivi_Virtual
4 Jahre her

Danke für die interessanten Einblicke, die ich in den gängigen Medien nur verfälscht – wenn überhaupt – bekomme. Werde mit Spannung den weiteren Werdegang in 2020 verfolgen.

Dieter Kief
4 Jahre her

Salvini hat etwas sehr riskantes gemacht, als er wegen einer neuen Bahnstrecke nach Frankreich die erfolgreiche Koaltion mit den 5Stelle verlies. Obwohl er in der Innenpolitik freie Hand hatte… Außerdem versucht er das Gesetz zu widerlegn, dass ein Bärtiger Mann kein Präsident eines großen europäischen Landes sein kann. – Riskiert Matteo Salvini seinen Bart? – Hat er eine beste zeit bereits hinter sich? – Wir leben in spannenden Zeiten.

Cojo Tee
4 Jahre her

Wie kann man statistische Wetterdaten in ein Bildungssystem integrieren? (Außer sie an die Tafel zu schreiben?)

Gjergj Kastrioti
4 Jahre her

Die Wahlen im nächsten Jahr in Italien sind weitaus spannender, als die wenigen Wahlen, die in Deutschland anstehen. Hoffentlich zeigen die acht Regionalwahlen ähnliche Erdrutsch-Ergebnisse wie in Umbrien. Die derzeitige Regierung arbeitet daran.

CIVIS
4 Jahre her

Die politischen Ausgangslagen in Deutschland und Italien scheinen annähernd identisch: von herrschender Politik und vom gleichgeschalteten Mainstream werden Mitte-Rechts-Strukturen verteufelt; Rot-Grünes Gedankengut wird dagegen verherrlicht und als alternativlos dargestellt. Die Italiener und fast alle Länder um uns rum haben diese Indoktrination durchschaut und glauben mehrheitlich ihren Politikern nicht mehr. Nur der Deutsche Michel hängt augenscheinlich noch der Napoleon Bonaparte -Aussage hinterher, die da lautete: > „Keine Lüge kann grob genug ersonnen werden: die Deutschen glauben sie. Um eine Parole, die man ihnen gab, verfolgten sie ihre Landsleute mit größerer Erbitterung als ihre wirklichen Feinde.“< Und genau darum wird Deutschland als… Mehr

Alexis de Tocqueville
4 Jahre her
Antworten an  CIVIS

Die Deutschen sind ja sogar zu blöd, wenigstens eine halbwegs vernünftige Parole auszusuchen. Wenn man sich anschaut, welchen Parolen wir heute folgen, z.B. „gegen rechts“ (vulgo: gegen unsere Identität) oder „Krieg dem CO2 – zurück ins Mittelalter“, dann gruselt es einen. Wenn es nur darum geht unsere überschüssige Produktivität zu verbraten, ohne das Konsumkarussel noch mehr anzuheizen, dann fiele mir als Kaiser/in schon was besseres ein. „Die Zukunft liegt zwischen den Sternen“ oder so, und dann würde ich die Energiewende & Migrationsmilliarden in die Raumfahrt pumpen. Weg isses, Schaden fürs Land Null, und vielleicht springt ja sogar wirklich noch was… Mehr

hubert paluch
4 Jahre her

Das Schicksal der EU wird sich in Italien entscheiden. Egal, wer die Regierung nächstes Jahr führen wird: Das Land steckt seit vielen Jahren in einem Sumpf, der immer tiefer und zäher nach unten zieht. Die demographische Entwicklung raubt dem Land sie sozialbiologischen Fundamente für Wohlstand, weil die klugen Köpfe, die für einen Aufschwung sorgen könnten, einfach nicht geboren worden sind. Was zuwandert, pflückt entweder für fünf Euro die Stunde Tomaten unter sengender Sonne oder steht sich nachts an den Ausfallstraßen für einen Zwanzig-Euro-Job die Beine in den Bauch. Die Staatsschulden kann man weder weghexen noch komplett den Deutschen an die… Mehr

butlerparker
4 Jahre her
Antworten an  hubert paluch

Verwechseln Sie nicht mit dem Scheitern die EU mit dem Euro Raum.

Die EU als Wirtschaftsunion ist nämlich m.E. ein absolutes Erfolgsmodell. Allein auf dem Weltmarkt ist jedes Land ein Zwerg. Nur vereint wird man gegen USA, China und irgendwann einmal Indien ankommen können.

Man muss auf EU Seite einfach einen Schritt zurückgehen und aus einer politischen Union wieder mehr zu einer wirtschaftlichen Union gehen. Dann wird auch wieder ein Stück Frieden innerhalb der EU einkehren.

schwarzseher
4 Jahre her

Früher habe ich etwas verächtlich auf Länder wie Italien, Polen, Ungarn herabgeschaut. Das ändert sich allerdings zur Zeit gravierend.

Thorsten
4 Jahre her
Antworten an  schwarzseher

Daran erkannt man wie heruntergewirtschaftet Deutschland ist und welcher Kraftakt nötig „wäre“.

Alexis de Tocqueville
4 Jahre her
Antworten an  schwarzseher

Wirklich? Klar, man bekommt Zweifel, wie auch nicht. Aber dieses etwas verächtliche Herabschauen ist Teil unserer Sozialisierung. Wir sind nun mal das größte und stärkste Land in Europa. Ähnlich gucken die Amis auf Kanada. Auch jetzt noch sind viele an sich vernünftige Leute – wider besseren Wissens – im tiefsten Innern der Ansicht, wir seien irgendwie überlegen. Darum glauben sie insgeheim auch, dass irgendwie alle gut wird, weil wir eben Deutschland sind. Das Land der Dichter und Denker, das Land, das die Welt in die Moderne gebracht hat, der industrielle Gigant, der militärisch sogar mit der ganzen Welt ringen konnte,… Mehr