Frankreich: Streik gegen eine unbekannte Rentenreform

Durch die geplante Rentenreform schießt der Geist der Gelben Westen wieder aus der Flasche. Dabei sind die Details der Maßnahmen noch gar nicht bekannt. Nicht gerade ermunternd für potentielle deutsche Reformer. Ein Blick in die französischsprachige Presse.

LIONEL BONAVENTURE/AFP via Getty Images

Generalstreik in Frankreich – aktuell 350 km Stau im Großraum Paris, öffentliche Verkehrsmittel größtenteils lahmgelegt, Eiffelturm geschlossen. Die Presse schreibt von den „umfangreichsten Protesten seit 2010.“ In Paris sei die Polizei mit 6.000 Polizisten im Einsatz. Zählungen des Innenministeriums zufolge seien 800.000 Demonstranten in über 100 Städten auf den Beinen gewesen. Es gab Ausschreitungen und Festnahmen. In Paris gingen am Donnerstag auch Autos in Flammen auf, Vermummte schlugen Scheiben ein. Randalierer versammelten sich am Nachmittag vor allem auf dem Place de la République im Zentrum von Paris.

Der Anlass: Die Regierung Macron will die Rente reformieren (Einführung eines Punktesystems und Abschaffung der 42 unübersichtlichen Sonderrentensysteme) und hat dafür extra das Amt eines „Hochkommissars für die Pensionen“, geschaffen, in das der frühere Minister Jean-Paul Delevoye berufen wurde. Er trifft aber auf heftigen Widerstand der Gewerkschaften und der „Straße“. Obwohl man sich grundsätzlich einig sei, dass man das Rentensystem für nachfolgende Generationen reformieren müsse, herrscht große Uneinigkeit über die Methoden. HDelevoye hat angekündigt, seine Vorschläge zum künftigen Rentenplan am Montag oder Dienstag nächster Woche bekannt geben.

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 La Presse aus Québec zitiert einen Feuerwehrmann Xavier zu den Plänen: „Mit diesem neuen System werde das Rentenalter für Feuerwehrmännner anstelle von 55 bei 60 Jahre liegen. Das sei ungerecht, da die Lebenserwartung eines Feuerwehrmanns nur 67 Jahre betrage.“ Man wolle „die Renten in Frankreich auf 14% des Brutto-Inlands-Produkts begrenzen. Wie komme man mit der alternden Bevölkerung dorthin? Es wären immer zu viele, die sich den Kuchen teilen müssten“, befürchtet Céline, eine Museumsangestellte in den Vororten von Paris.

„Zuvor sei die Rente auf der Grundlage der besten 25 Lohnjahre oder der letzten sechs Monate berechnet worden. Mit dem neuen Punktesystem beziehe man nun die gesamte Karriere einschließlich der schlechtesten Jahre mit ein. Wie solle es da Gewinner geben ?“ habe Amado, junges Mitglied der Kommunisten, beim Flugblattverteilen gesagt.

Aber die Unzufriedenheit gehe weit über die Rente hinaus, wie der Nachrichtenkanal schreibt. Für die meist links eingestellten Franzosen sei diese Reform „das Ergebnis einer zunehmend neoliberalen Politik zugunsten der Reichen, verkörpert von Emmanuel Macron.“ Nach den „Gelbwesten“-Protesten sei „diese Rentenreform die nächste große Herausforderung für den Präsidenten und ein durchaus heikles Vorhaben.“

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Ab jetzt gelte „Auge um Auge“ – mit ACAB („all cops are bastards“) unterzeichnete Drohbriefe seien bei Familien von CRS-Angehörigen (kasernierte Polizeikräfte) u.a. in Grenoble eingegangen, berichtet France TV Info. Und weiter: „Für jeden Bürger, der dieses Wochenende verletzt werde, werde einem Familienmitglied der Sicherheitskräfte dasselbe Unrecht angetan“. Die Behörden zeigen sich sehr besorgt und riefen ihre Beamten dazu auf, die Drohbriefe zur Sicherung von DNA-Beweisen vorerst nicht zu öffnen und Anzeige zu erstatten.

In Paris, Lyon und Bordeaux sind über 3.500 E-Roller von Aktivisten der „Extinction Rebellion“ als „Streikbrecher“ sabotiert worden (Meldung von Le Parisien).

Eisenbahner ließen sich beim Nouvel Observateur hören: „Wir sind da, auch wenn Macron es nicht will, wir sind hier! Zur Ehre der Arbeiter und für eine bessere Welt, auch wenn Macron uns nicht will, sind wir hier „. Die am Bahnhofschalter tätige Camille (1.600 Euro netto im Monat) habe nicht den Eindruck, dass ihre Eisenbahnerinnen-Pension sie, wie es der Präsident ausdrücke, zu einer „Privilegierten“ mache.

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Viele technische Fragen, wie die Reform aussehen soll, bleiben ungelöst, allein schon die nach dem Beginn. Auch die eher linke Tageszeitung Le Monde ist skeptisch: „Die erworbenen Anwartschaften würden zu 100% beibehalten“, habe Premier Philippe noch Ende November beruhigt. In der Praxis sei das jedoch nicht einfach. Bisher habe man vor, jedem Versicherten, so als ob er in diesem Moment in Frührente gehe, seine bisher gesammelten Rentenanwartschaften mit der Einführung des neuen Systems in neue Rentenpunkte umzuwandeln. Aber „der Weg für eine Umwandlung von früher erworbenen Anwartschaften in Punkte eines neuen Systems sei noch lange nicht vorgezeichnet.“ Auch dass Hochkommissar Jean-Paul Delevoye betont habe, dass Rentner ja überprüfen könnten, wie die Umstellung erfolgt sei, und sich erforderlichenfalls bei einer Vermittlungsstelle beschweren könnten, mache es nicht einfacher. Wer Umwandlung sage, so heißt es in Le Monde, säe immer Zweifel – jeder werde sich unweigerlich fragen, ob er nicht auf dem Rechenwege Einbußen habe hinnehmen müssen. Die Regierung mache es den Gegnern mit ihrem Schweigen zu den Details einfach.

Der Wirtschaftszeitung Les Echos machen die Proteste Sorgen um die Konjunktur: Der Handel habe bereits im Laufe des Jahres 30 % des Umsatzes eingebüßt und vertrage einfach keine neuen Demonstrationen, da man sich gerade erst von den Gelbwestenprotesten erholt habe – schon gar nicht zum Jahresende hin.

Nach Ansicht von L’Opinion bereitet Präsident Macron, der sich nach Aussagen aus seinem Umfeld angesichts der Proteste „ruhig und entschlossen zeige“, nach mehr als 18 Monaten Beratung bereits „die Landung“ vor, „um das Tempo zu beschleunigen und Schiedsverfahren einzuleiten, die soziale Konflikte so schnell wie möglich beenden sollten.“ Die Regierung sei bemüht, sensible Fragen zu klären, damit sich im Laufe der Zeit keine sozialen Konflikte entwickelten, heißt es in L’Opinion. 

Der Premierminister hat lange Übergangsfristen versprochen, um niemanden zu überfordern. Die Frage ist jedoch, welcher Jahrgang als erster von den neuen Regeln betroffen sein wird. Ursprünglich sollten es die im Jahr 1963 Geborenen sein. Ministerpräsident Philippe hat jedoch zugestanden, dass es sicherlich mehr Zeit, „5 oder 10 Jahre“ geben werde und so zwischen den 1963 Geborenen und späteren Einsteigern in den Arbeitsmarkt mehr Raum bleiben könne. „Der letzte Weg, mögliche Härten zu lindern, besteht immer darin, Verlierer der Rentenreform zu entschädigen. Das wird aber kostspielig“, schreibt die Kommentatorin von L’Opinion.  „Normalerweise bringen Rentenreformen die Menschen auf die Straße, weil Einschnitte angekündigt würden. Es ist einzigartig, dass Menschen nun gegen eine Reform auf die Straßen gehen, die nur für den Fiskus teuer wird.“

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Kommentare ( 28 )

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der_sommer
5 Jahre her

Wir Deutschen schaffen es ja nicht einmal, der Wegelagerei bezügl. der völlig überzogenen Gebühren für unsere öffentlich-„rechtlichen“ Propagandaanstalten Einhalt zu gebieten, obwohl man dafür noch nicht einmal auf die Straße gehe müßte – ein massenhafter Widerruf der Einzugsermächtigung würde völlig ausreichen.

Martin L
5 Jahre her

Ich finde zwei Dinge passen sehr gut zusammen: Einerseits der Streik in Frankreich. Die Menschen demonstrieren im Grunde für mehr Geld und weniger Arbeit. Gleichzeitig Greta bei der Klimakonferenz in Madrid. Dort: Alle, vor allem die breite Masse, soll deutlich mehr Geld für alles zahlen. Weil natürlich alles zu billig ist. Als „Gegenleistung“ gibt es angeblich keine Klimakatastrophe (die es sonst vielleicht auch nicht gegeben hätte). Ob das das ist, was die Streikenden in Frankreich haben wollen: Alles wird teuerer und sie können sich weniger leisten? Während also die Streikenden in Frankreich klassische „linke Politik“ betreiben (Mehr Geld für mich!),… Mehr

AlNamrood
5 Jahre her
Antworten an  Kassandra

Das könnte Teile der Bevölkerung verunsichern.

prague
5 Jahre her

Und hier hüpfen die Gewerkschaften mit FfF für Verlust der Arbeitsplätze. Kein hüpfen für bessere Renten, kein hüpfen für bessere Sicherheit etc. Man hüpft hier gerne für den schnellen Untergang mit frenetischen Unterstützung der Medien. So unterschiedlich sind die Nationen, die einen wollen es besser haben und die anderen schlechter.

Alexis de Tocqueville
5 Jahre her
Antworten an  prague

Besser werden es die Franzosen so schnell auch nicht bekommen.
Franzosen ticken links, anders links als die Deutschen, aber links. Und nicht zu knapp. Darum haben sie ja die Probleme. Mehr davon löst die Probleme nicht.

humerd
5 Jahre her

Die deutsche mainstreampresse kolportiert schon seit Monaten eine angebliche Angst vor Gelbwestenprotesten oder jetzt halt Generalstreiks wie in Frankreich. SPON, WON.ZON, focus & Co wissen doch ganz genau, dass die Deutschen für sich selbst niemals auf die Straße gehen werden. Dennoch löschen sie eifrig Kommentare, die Sympathie für die Franzosen ausdrücken. Wehe es finden sich einzelne Gruppen, die auch nur den Hauch von Gelbwestenprotesten haben, schon werden diese als Nazis, Rechtspopulisten diffamiert. Aktuell gehen die Deutschen Freitags für mehr Steuern auf die Straßen Und deswegen ist es auch absolut richtig, wenn die Deutschen eines der ärmsten Völker der EU sind.… Mehr

AlNamrood
5 Jahre her
Antworten an  humerd

Was ist eigentlich aus den hiesigen Gelbwesten z. B. in Stuttgart geworden?

Kassandra
5 Jahre her
Antworten an  AlNamrood

Die S 21 Gegner stehen noch jeden Montag…

humerd
5 Jahre her

tja, und das gegeneinander ausspielen ist das Erfolgsrezept der Politik. Junge gegen Alte, Arbeiter gegen Beamte – klappt seit Ewigkeiten gut: „Es gibt kein gutmütigeres, aber auch kein leichtgläubigeres Volk als das deutsche. Zwiespalt brauchte ich unter ihnen nie zu säen. Ich brauchte nur meine Netze auszuspannen, dann liefen sie wie ein scheues Wild hinein. Untereinander haben sie sich gewürgt, und sie meinten ihre Pflicht zu tun. Törichter ist kein anderes Volk auf Erden. Keine Lüge kann grob genug ersonnen werden: die Deutschen glauben sie. Um eine Parole, die man ihnen gab, verfolgten sie ihre Landsleute mit größerer Erbitterung als… Mehr

elly
5 Jahre her

Ich finde es gut wie die Franzosen für ihre sozialen Absicherungen kämpfen.
Die Deutschen haben den Feldhamster, Juchtenkäfer und mit 51% das niedrigste Rentenniveau der Industrieländer(!), die zweithöchsten Abgaben auf Einkommen, eine sehr niedrige Eigenheimquote und sehr niedriges Privatvermögen innerhalb der EU.
Und damits noch weniger wird, gehen Freitags die Deutschen auf die Straße. Passt doch alles.

Frank M.
5 Jahre her
Antworten an  elly

Ja, man könnte fast neidisch zu manchem Nachbarn blicken. Auf dem zweiten Blick erst wird einem bewusst, dass wir demnächst dann wohl gut 10 Mrd. mehr durch Michels Leistung und Beiträge nach Brüssel überweisen.

AlNamrood
5 Jahre her

Wann wären das letzte mal 800000 Leute in der BRD demonstrieren? „

Sonnenschein
5 Jahre her

Bei uns geht/ging halt keiner auf die Barrikaden. Ich finde es gut dass die Franzosen Druck machen! Hier gibt es so viele Weichgespülte, die auch noch die Rente mit 70 beklatschen, weil sie niemanden haben mit dem sie die Freizeit verbringen können oder aus sonstigen egomanischen Gründen. Ich bin Beuteschema mit 67 Rente und finde es zum brechen, nach 50 Jahren………..dass sich linksgespülte da anheften ist normal, die haben ja nicht viel auf ihrer Agenda. Vielleicht ist es auch so, dass wir dafür bezahlen, aber glaubt irgendjemand, dass wir nicht bezahlen, egal was drauf steht?Die Honks haben doch alles schon… Mehr

H. Priess
5 Jahre her

Es ist einzigartig, dass Menschen nun gegen eine Reform auf die Straßen gehen, die nur für den Fiskus teuer wird.“Zitat
Ach, und der Fiskus ist wer? Das kostet den Bürger gar nichts, das bezahlt alles der Staat!(Hollande) Die Franzosen sind nicht doof, die wissen was es mit den „Entschädigungen“ auf sich hat, wenn man alle entschädigt warum dann eine Reform? Längere Lebensarbeitszeit werden kommen da können die Franzosen drauf wetten. Ob ab Jahrgang 65, 68, 70 oder 75 das Geld wird nicht mehr und wir werden das auch nicht Schultern können.

elly
5 Jahre her
Antworten an  H. Priess

„Die Franzosen sind nicht doof,..“ sie haben zudem die Deutschen als Vorbild.
„Demnach können künftige deutsche Rentner im Schnitt nur 51 Prozent des derzeitigen durchschnittlichen Nettoeinkommens erwarten. Im OECD-Durchschnitt liegt das Rentenniveau bei 63 Prozent. Schlechter als in Deutschland sieht es nur in Mexiko, Polen, Chile, Großbritannien und Japan aus.“
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/rentenreport-103.html