Europas offene Flanke muss geschlossen werden

Griechenland allein zu Hause. Möchte man meinen, wenn man die deutsche Haltung zum Türkei-Problem der Hellenen sieht. Inzwischen ruft diese Unentschiedenheit auch internationales Stirnrunzeln hervor. Die Griechen organisieren ihre Verteidigung derweil selber, zusammen mit Israelis, Franzosen und dem »Club Med«.

imago Images/ageofstock

Die internationale Aufmerksamkeit ist derzeit, soweit es um Griechenland geht, ganz auf das ehemalige Lager Moria konzentriert. Tatsächlich scheinen noch einige Gebäude zu stehen, wie diese Vorher-Nachher-Luftaufnahmen zeigen. Es ließe sich also mit relativ geringem Aufwand wieder herrichten. Aber das sind wahrscheinlich unmaßgebliche Gedankenspiele, da die örtlichen Gemeinschaften dagegen Sturm laufen würden.

Daneben gibt es aber etwas weiter südlich noch einen zweiten Krisenherd, der künstlich am Kochen gehalten wird. Das türkische Forschungsschiff Oruc Reis ist noch immer südlich der griechischen Insel Kastellorizo unterwegs und nähert sich ihr langsam. Mit seinem Schlaufenkurs hält es die Illusion aufrecht, eine seismische Erkundung der Meeresbodens vorzunehmen – was von Experten allerdings bezweifelt wird. Die griechische Regierung jedenfalls scheint den Vorgang an sich nicht allzu ernst zu nehmen. Die Türkei hat inzwischen die dritte Navtex herausgegeben. Eine vierte soll folgen und bis über die Monatsmitte hinaus Erkundungen auch in jenen Gewässern ankündigen, die Griechenland als ausschließliche Wirtschaftszone für sich beansprucht.

Inzwischen mehren sich die Stimmen, dass dieser vor sich hinköchelnde Konflikt zwischen Athen und Ankara nur auf der Grundlage des internationalen Seerechts gelöst werden könne, auch wenn die Türkei eine zentrale UN-Konvention dazu nie unterzeichnet hat. Allerdings steckt die Türkei in einem unauflösbaren Dilemma, da sie einerseits den Kontinentalschelf außerhalb einer engen Zone von wenigen Seemeilen ausbeuten will, aber andererseits nicht das Instrument akzeptiert, das diese Ausweitung der nationalen Wirtschaftszonen in eine international gültige Form brachte – eben das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS). Bis jetzt bestreitet sie durch verschiedene Akte (darunter das widerrechtliche Abkommen mit einer der libyschen Bürgerkriegsparteien), dass Inseln wie Kreta oder Kastellorizo über einen eigenen Kontinentalschelf und Wirtschaftszonen verfügen.

Die türkische Führung glaubt offenbar, der Konflikt ließe sich allein mit militärischer Stärke oder gar mit kriegerischen Akten lösen. So drückte es erst kürzlich der Vorsitzende der linksnationalistischen Vaterlandspartei (Vatan Partisi) Dogu Perincek aus, dem gute Verbindungen zum türkischen Geheimdienst nachgesagt werden. Der Politologe Mehmet Efe Caman wies darauf hin und wird nun natürlich von allen offiziellen Parteiungen in der Türkei angegriffen: Erdoganisten, Nationalisten, Rechtskemalisten, Linkskemalisten, einerlei. Doch mehr Erstaunen als das nationalistische Klima in der Türkei erregt inzwischen die unentschlossene Haltung der EU- Staaten.

Wofür steht dieser Staatenclub?

So veröffentlichte die Jerusalem Post kürzlich einen Meinungsartikel von Robert Marks mit der Überschrift: »Israel unterstützt Griechenland, während sein natürlicher Verbündeter, die EU, das nicht kann«. Die EU kann sich demnach nicht zur vollen Solidarität mit Griechenland durchringen, dazu fehle ihr die Stärke. Dabei ist die Herausforderung eindeutig: Die Türkei bezweifelt und bedroht die Souveränität eines Mitgliedsstaates, und dies – wie bewusst sein dürfte – an mehreren Fronten zugleich. Als da wären: der Evros, wo noch immer ein wachsamer, militärisch verstärkter Grenzschutz Europa vor einer neuen Invasion bewahrt; die Inseln der Nordägäis, die sich mit einer aufgestockten Küstenwache, teilweise auch mit Netzen und Barrieren gegen übersetzende Boote wappnen; und zuletzt der weitere Raum von Ägäis und östlichem Mittelmeer, wo die Türkei ebenfalls die griechische Souveränität herausfordert. Wenn eine dieser Fronten fällt, bröckeln auch die anderen beiden. Vor allem die Lage auf den Inseln hängt nicht unwesentlich von der Einsatzbereitschaft der griechischen Marine ab. Ein Konflikt zwischen den Nachbarn könnte zum Kontrollverlust in der Ägäis führen.

Doch Deutschland fällt in diesen Fragen immer wieder durch eine ambivalente Haltung auf, wie auch Ferdinando Giugliano auf Bloomberg feststellt: »Anstatt sich hinter Griechenland zu vereinen, nehmen einige EU-Länder eine ambivalente Haltung ein, weil sie das politische und ökonomische Echo einer antagonistischen Türkei fürchten.« Das ist etwas nebelhaft ausgedrückt und doch sehr genau beobachtet. Denn die Ambivalenz der Regierung Merkel – und von ihr ist hier vor allem die Rede – geht über die äußere Haltung hinaus. Eigentlich weiß man im Kanzler- und im Außenamt noch nicht einmal so genau, warum man die Türkei überhaupt unterstützt: aus wirtschaftlichen Gründen oder weil man Angst vor den Erdogan-Wählern hat? Und da die wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei kaum ins Gewicht fallen dürften, bleibt eigentlich nur der letzte Grund. Am Ende stellt sich für Giugliano – und für uns – die Frage: »Wofür steht dieser Staatenclub überhaupt, wenn er nicht bereit ist, seine Mitglieder zu schützen?«

Alternative Allianzen

Griechenland selbst hat es derweil anscheinend aufgegeben, auf ein Signal der Stärke aus Berlin oder Brüssel zu warten, und organisiert sich eigene Allianzen. Dazu gehört ein Bündnis mit Israel, das bereits heute mit Drohnen an der griechisch-türkischen Grenze hilft. Ein Militärabkommen zwischen beiden Staaten wurde diese Woche unterzeichnet. Daneben gibt es ein trilaterales Abkommen mit der Beteiligung Zyperns.

Daneben kann sich Griechenland in zunehmendem Maße auf Frankreich und die Gruppe der Med7 stützen, die am Donnerstag auf Korsika tagte. Mit Frankreich wird man wohl bald ein weiteres Unterstützungsabkommen abschließen. Macron spricht von einer »strategischen Partnerschaft«. Athen wird insgesamt 18 französische Rafale-Kampfflieger erwerben. Der Kauf von Fregatten und weiterem Gerät ist im Gespräch. Der italienische Regierungschef Giuseppe Conte sicherte Griechenland in dem Streit mit der Türkei die Solidarität des italienischen Volks zu. Der zypriotische Premierminister Nikos Anastasiadis begrüßte die Einmütigkeit der Gruppe der europäischen Mittelmeeranrainer.

An die Türkei gerichtet lautet die vom »Club Med« mitgetragene Linie der griechischen Regierung: »Sobald die Provokationen enden, beginnen die Gespräche.« Mitsotakis präzisierte, dass die Türkei erst einmal beweisen müsse, dass sie einen ehrlichen Dialog wolle. Dazu müsste natürlich die Oruc Reis ihren umstrittenen Kurs beenden und in die türkischen Gewässer zurückkehren. Die Türkei nannte die Abschlusserklärung des Med7-Treffens parteiisch. Sie verlangt einen Dialog ohne Vorbedingungen. In Washington hoffte US-Außenminister Mike Pompeo auf den Abzug aller Militärschiffe aus der Region, damit die Gespräche beginnen können.

Macron fordert geeinte Position der Europäer

In Ajaccio hatte Macron zuvor festgestellt, dass die Türkei kein Partner mehr im östlichen Mittelmeer sei. Er verwies auf Aktionen vor der libyschen Küste, wo ein türkisches Schiff eine französische Fregatte aufs elektronische Korn genommen hatte. Auch das Abkommen der Türkei mit der nationalen Einheitsregierung in Tripolis nannte Macron inakzeptabel, dadurch würden die legitimen Interessen Griechenlands verletzt. Hinzu kommen die Gasbohrungen rund um Zypern und andere Provokationen, die Macron nicht im einzelnen benannte.

Macron gibt allenfalls zu, dass man für eine »Pax mediterranea« (Mittelmeerischer Frieden) auch einen Modus vivendi mit der Türkei finden müsse. Dazu müsse allerdings erst einmal Europa bzw. die EU eine einheitliche Meinung haben, also einerseits zu den »energetischen Fragen«, die sich im östlichen Mittelmeer stellen, aber auch – und hier machte Macron eine kleine Kunstpause – zu den »strategischen Fragen«, die man nicht mehr allein der NATO überlassen könnte.

Damit betätigt sich Macron sozusagen als Mittelmeer-Gaullist und lässt eine eigene Militärdoktrin Frankreichs für die Region erwarten. Es wird erwartet, dass auch Deutschland bei den kommenden EU-Gipfeln unter Druck geraten wird, sich stärker als bisher von Erdogans Türkei abzusetzen. Setzt die Türkei ihren konfrontativen Kurs bis dahin fort – und davon ist auszugehen –, dann dürften EU-Sanktionen unausweichlich werden.

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Kommentare ( 60 )

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199 Luftballon
3 Jahre her

Nicht Europa sondern nur die korrupte, größenwahnsinnige EU.

199 Luftballon
3 Jahre her

Größenwahn hat einen Namen, Ursula von McKinsey.

Bea McL
3 Jahre her

Dank des „Doppelpasses“ steht den erdoganaffinen Deutschtürken alles offen. Hier wählen sie Rot-Grün und in der Türkei die sunnitisch-radikale AKP. Geniale Strategie, denn die 5. Kolonne des Sultans hierzulande wächst und wächst. Im Iran sind die Schiiten in der Mehrheit und auch der Iran schleust unter dem Deckmantel der „Flüchtlinge“ kampfbereite Schiiten aus aller Herren Länder nach Deutschland. Die machen es wie Merkel, sie denken vom Ende….. Wenn man bedenkt, wie in UNSEREM Land Kurden demonstrieren, Al-Quds Märsche erlaubt sind, und die vielen unterschiedlichen Moscheen aus dem Boden spriessen, dann kann man sich (hoffentlich) lebhaft vorstellen, was in spätestens 10… Mehr

Alf
3 Jahre her

Solange verkündet wird

Merkel will mehr Moria-Flüchtlinge aufnehmen!
Hunderte Kinder und ihre Eltern als „einmalige Aktion“

können wir uns jedwede Diskussion zur Grenzsicherung sparen.

Die offene Flanke sitzt im Innern.

Vogelfrei
3 Jahre her

So ganz unter uns verrate ich Ihnen etwas: Dass die Zustände in den griechischen Lagern nicht die besten sind, ist von den Griechen wohlkalkuliert, wären sie es, so wäre das dortige Migrantenproblem um Größenordnungen größer. Und die eigentliche Verursacherin des Schlamassels sitzt in Berlin.

Vogelfrei
3 Jahre her

Wenn die Griechen diese Waffen einsetzen, um den Ansturm aus dem Orient zu stoppen, zahle ich gern.

Vogelfrei
3 Jahre her

Der Pull-Faktor ist die deutsche Willkommenspolitik. Ohne diese hätten die genannten Länder diese Probleme längst nicht in der gegenwärtigen Intensität. Was denken Sie, was los wäre, wenn alle Grenzen vor der deutsch-österreichischen offen wären, angefangen mit der türkisch-griechischen? Das dem z.Zt. nicht so ist, ist ein unverdientes Glück für Deutschland.

GUMBACH
3 Jahre her

Deutschland importiert seit 2015 einerseits Arbeitsslaven und benutzt diese andererseits, um die deutsche Gesellschaft nachhaltig zu destabilisieren. Es dürfte klar sein, dass nur eine winzige Minderheit derjenigen, die seit 2015 kontinuierlich ins Land kommen – die Neusprech-Definitionen der relevanten Programme wie besonders Schutzbedürftige, UN-Kontingente, Resettlement usw. usf. sind Legion – etwas zum BSP und der Kultur des Landes beitragen. Die übergroße Mehrheit wird man bis zum Ende alimentieren müssen. Letzteres wird bald nicht mehr möglich sein, da es zu wenige gibt, die in diesem Land etwas erwirtschaften. Danach: Exodus. Und dann: Der große EU-Zentralstaat, das, worauf die Lakaien der globalen… Mehr

Onan der Barbar
3 Jahre her
Antworten an  GUMBACH

Arbeitssklaven?

Tee Al
3 Jahre her

Sie regen sich bestimmt auch auf, dass Griechenland immer mal wieder versucht Reparaturzahlungen von Dummland zu bekommen, richtig ? Nun, Sie selber wenden aber die gleiche argumentative Taktik an.

Hier geht es wirklich um Geopolitische Angelegenheiten, die die EU nutzen kann, um außenpolitisch stark zu werden. Abgesehen davon kann das auch dazu dienen die Griechen an eine daraus resultierende Bringschuld zu verpflichtet (politischer Ausdruck = erinnern).
Ich persönlich finde, dass Sie zu kurz denken.

fatherted
3 Jahre her

Die Landgrenze zur Türkei wäre ohne Probleme zu schließen….siehe Ungarn und Co. Das geht binnen 4 Wochen. Nur die Seegrenze….da ist nichts zu machen….Schnellboote die Schlauchboote abdrängen oder gar zum kentern bringen….geht weder in Griechenland noch Italien, noch Spanien….also muss gezahlt werden….damit die Türken die „Flüchtlinge“ wieder vom fliehen abhalten (übersetzt heißt das diese „weggknüppeln).

bfwied
3 Jahre her
Antworten an  fatherted

1. Wir wissen alle, dass das keine Asylanten sind, sondern die Überzähligen in ihren Ländern, die eben wegen der Bevölkerungsmasse kaputtgehen. Sie überschreiten die Tragfähigkeit ihrer Länder und bekriegen sich, weil sie zusätzlich archaisch-tribalistisch aufgebaut sind. Außerdem ist es bekanntlich gar nicht so, dass man ein Land mit einer beliebigen Menge Menschen füllen könnte, wie es die Gutmenschen und die Zyniker der UN meinen. 2. Jeder, der auch nur ein bisschen informiert ist, weiß, dass allein Afrika jährlich um rund 50 Mio. Menschen wächst – derzeit ca. 1.400 Mio. -, jede Frau (Fertilität) knapp 5 Kinder zur Welt bringt, manche,… Mehr

bfwied
3 Jahre her
Antworten an  fatherted

Man wird es nicht gerne lesen, aber es gibt, entgegen den Phantasien der Genderer, ein weibliches und ein männliches Prinzip. Frauen sind viel eher auf Ausgleich aus, also auf Preisgabe von Erreichtem, Männer, auch ganz archaisch-genetisch, auf dessen Verteidigung. Merkel hat es nicht fertiggebracht im damaligen Hier und Jetzt diese Okkupanten abzuwehren. Sie betrachtete nur das Jetzt, sie dachte nicht kühl weiter und mit ihr all die Frauen, die sie um sich geschart hatte, und die geduldeten handzahmen Männer. Kurzfristdenken kann keine Grundlage für eine sinnvolle Politik sein. Das war es noch niemals, es führte immer in den Untergang. Und… Mehr