Experten zur EU-Chatkontrolle: enormes „Potential für Missbrauch und Schaden“ – kein Schutz für Kinder

Die EU-Mächtigen wollen trotz breitem Widerstand die Chatkontrolle fortgesetzt durchdrücken und verschärfen. Nun sollen auch Textnachrichten überwacht werden. Daneben droht die Altersverifikation bei Nutzung von Messenger-Diensten. Sicherheitsexperten warnen vor enormem „Potential für Missbrauch und Schaden“.

IMAGO/Nur Photo

Kurz vor einer weiteren Sitzung des EU-Rates zum Thema Chatkontrolle warnen erneut 18 Fachwissenschaftler aus den Bereichen Cybersicherheit und Datenschutz in einem offenen Brief vor den schädlichen Folgen des heimlich vorgelegten Vorschlags. Auch der neue Vorschlag vom 13. November bringe „hohe Risiken für die Gesellschaft ohne klaren Nutzen für Kinder“.

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Die vergangenen Wochen waren abenteuerlich: Zunächst hatte es geheißen, dass Dänemark – derzeit mit der EU-Ratspräsidentschaft betraut – seinen Vorschlag zur Chatkontrolle zurückziehen würde. Eine Mehrheit im Rat war nicht zustandegekommen, von einem Ersatz war keine Rede. Der kam aber bald – durch die Hintertür. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde ein neuer Vorschlag vorgelegt, nach dem die Chatkontrolle für die App- oder Plattformbetreiber einerseits freiwillig bleiben soll – wörtlich heißt es nun: „Diese Verordnung verpflichtet Anbieter nicht zur Aufdeckung.“ Aber gleichzeitig sollen neue Möglichkeiten zur Chat-Durchleuchtung geschaffen werden. So würden Online-Chats künftig nicht mehr nur auf Bilder und Internetadressen gescannt, auch Text und Videos sollen ins Visier der Ermittler geraten.

An diesem Mittwoch sollte eigentlich über den neuen Geheimvorschlag im Rat diskutiert werden. Netzpolitik.org berichtet nun von einer Verschiebung des Tagesordnungspunktes auf die kommende Woche (26. November). Noch immer will die dänische Ratspräsidentschaft den Gesetzentwurf aber „schnellstmöglich“ durch den Rat bringen, damit die sogenannten „Trilogverhandlungen“ zwischen Rat, Kommission und Parlament „zeitnah begonnen werden können“.

Noch im Dezember könnte der neue Vorschlag offiziell angenommen werden. Die Bundesregierung hat laut Netzpolitik „sowohl die Streichung der verpflichtenden Maßnahmen als auch die dauerhafte Verankerung freiwilliger Maßnahmen“ begrüßt. CDU, CSU und SPD scheinen nun wieder einig zu sein – haben ihre Stellung im Kampf für mehr Überwachung im Internet gefunden. Der ehemalige EU-Abgeordnete Patrick Breyer (Piraten) warnt vor einer Festlegung durch die Zustimmung der EU-Mitgliedsstaaten.

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Es gibt weiterhin viel Kritik an dem Vorschlag. Zunächst ist offensichtlich: Durch die Ausweitung des erfassten Materials (nun Bilder, URLs, Texte und Videos) käme immer mehr KI ins Spiel. Denn nur die kann die anfallenden Datenmengen scannen. Der Mensch, das ist die sehr konkrete Zukunftsvision dieses EU-Rats, soll bald allseitig und durchdringend von Künstlicher Intelligenz gescannt und durchleuchtet werden. Die KI wird damit Polizeibehörden eine Einschätzung liefern, welchen „Fällen“ von möglichen Online-Vergehen sie nachgehen soll. Wenn man das zu Ende denkt, ist es eine gespenstische Zuspitzung der KI-gestützten Überwachung der Bürger durch den Staat.

Die Experten aus vorerst 13 Staaten – weitere dürften rasch hinzukommen – kritisieren zum einen die Ausweitung des „Scan-Guts“ auf Text und Videos. Denn hier werde man am Ende nicht mit KI auskommen, die notwendige Verifikation der Verdachtsmomente durch die „menschliche Arbeitskraft“ werde aufwendig und kostspielig sein. Zum anderen und zuvörderst beklagen die Experten aber den Verlust an Privatsphäre, der mit so weit und tief reichenden Eingriffen einhergeht – und das bei einer hohen Fehleranfälligkeit der KI.

Zumal bei Textnachrichten die KI einfach nicht so weit sei: „Die derzeitige KI-Technologie ist bei weitem nicht präzise genug, um diese Aufgaben mit der erforderlichen Genauigkeit zu gewährleisten.“ Keine künstliche Intelligenz dürfte in der Lage sein, die sexualisierte Ansprache von Minderjährigen durch Missbrauchstäter („grooming“) etwa von freundschaftlicher Kommunikation etwa auch zwischen Gleichaltrigen zu unterscheiden.

Aber auch durch in Chats verschickte Bilder dürfte die KI sich immer wieder täuschen lassen und damit viele „falsch Positive“ auslösen, so die Experten. Immer mehr Online-Chats gerieten damit ins Visier der Ermittler, „ohne jede Gewährleistung für besseren Schutz – und mit einem hohen Risiko, den Schutz insgesamt zu verringern, indem die Ermittler mit falschen Anschuldigungen überflutet werden, die sie daran hindern, die tatsächlichen Fälle zu untersuchen“. Die intensivierte Online-Überwachung könnte also zu einem Erlahmen der so wichtigen Polizeiarbeit in der Offline-Realität (auch als „real life“ bekannt) führen.

Nächster logischer Schritt: Zugang zu VPNs einschränken

Das ist aber noch längst nicht alles, was die Forscher kritisieren. Hinzugekommen ist beim neuen EU-Gesetzentwurf nämlich die verpflichtende Altersverifikation für Software-Stores und für Anbieter von Ende-zu-Ende-verschlüsselten Chats. Muss man also künftig sein Alter verifizieren, gar seine Identität offenlegen, wenn man Whatsapp und ähnliche Dienste nutzen will? So scheint es geplant zu sein. Laut Breyer soll das sogar für E-Mail-Anbieter gelten.

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Die Experten weisen darauf hin, dass es derzeit keinen technischen Weg zur Altersbestätigung gibt, der die Privatsphäre erhält und respektiert. Immer müssen entweder biometrische Daten, Browserdaten oder gar behördliche Dokumente (Pass oder Personalausweis) vorliegen. Die vorgeschlagene Neuregelung sei ein Anreiz für das Sammeln von Daten. Das aber mindert die Online-Sicherheit etwa durch drohende Datenlecks. Außerdem funktionieren biometrische Bestätigungsarten nicht sicher bei „bestimmten Minderheiten“, und viele Nutzer hätten ohnehin keinen Zugang zu technisch avancierten Lösungen, so die Forscher.

Die Vorlage von Ausweis-Scans sei dagegen „unverhältnismäßig, da sie viel mehr Informationen preisgibt als das Alter“. Außerdem und vor allem würde aber auch dieses Verfahren am Ende keinen Sicherheitsgewinn bieten. Die Altersbestätigung könne leicht durch technische Mittel umgangen werden, etwa durch VPN. Das sieht man schon heute in Ländern wie dem UK, in denen eine verpflichtende Altersverifikation eingeführt wurde. Der logische nächste Schritt der EU werde sein, den Zugang zu VPNs zu beschränken oder zu unterbinden.

Auslaufen der Chatkontrolle ist zum Greifen nahe

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Essentiell für das Verständnis der krampfhaften Bemühungen der EU-Mächtigen um eine Neuregelung ist die drohende Regelungslücke im Hintergrund. Die aktuelle Regelung zur freiwilligen Chatkontrolle durch die Anbieter würde nach derzeitigem Stand im Frühjahr 2026 auslaufen. Würde sie nicht verlängert (wie es allerdings schon einmal geschah), wäre die EU ab dem 4. April 2026 ohne jede Anweisung zur Kontrolle von Chats, ob freiwillig oder nicht. Das soll um jeden Preis verhindert werden. Am Ende ist aber auch dieser Regelungswahn nur ein Vorwand um neue, bisher ungesehene Arten der Massenüberwachung EU-weit zu installieren, ohne dass irgendein nationales Parlament damit befasst worden wäre.

Wenn der Rat sich nicht um die Kritik der Experten kümmern sollte, sieht Breyer massive Diskussionen im EU-Parlament kommen. Offenbar setzt der Ex-Abgeordnete auf das Parlament als Korrektiv wie zuletzt gesehen beim Lieferkettengesetz.

Neben der polnischen hat allerdings zuletzt die italienische Regierung ihre Zustimmung zur neuen „freiwilligen“ Chatkontrolle in Frage gestellt. Die Regierung Meloni befürchtet demnach, „das Instrument könne auch auf andere Delikte ausgeweitet werden“. Daher habe man Schwierigkeiten, den Vorschlag zu unterstützen. Der Hinweis ist fast eindeutig zu lesen: Die italienische Regierung sieht die EU in der Gefahr, die Online-Kommunikation in Chats und E-Mails in großem Ausmaß unter Strafe, oder doch unter Ermittlungsdruck zu stellen. Die Verfolgung missliebiger Meinungsäußerungen ist nicht fern, wo Regierungen immer wieder vorgeben, gegen „Hass und Hetze“ durchgreifen zu wollen. Dazu könnte auch die EU-Chatkontrolle am Ende dienen und so die Meinungskontrolle, die laut Digital Services Act für die großen Plattformen (Facebook, X usw.) geplant ist, auf die privaten Messengerdienste ausdehnen. An beiden Fronten – Überwachung öffentlicher wie privater Kommunikation – stehen noch weitere Kämpfe an.

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Kommentare ( 16 )

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Dellson
27 Tage her

Experten sprechen bei Narzissmus, er wäre nur eine Form von Unreife. In der Sozialisierung im Kindesalter wäre da etwas schiefgelaufen.
Bei Politikern und ihrem Verhalten spricht man ja auch oft von Kindern, Kindergarten. Damit bekommt dieses Gesetz endlich Klarheit in seiner Zielsetzung.
EU-Chatkontrolle: enormes „Potential für Missbrauch und Schaden“ – kein Schutz für Kinder!

Last edited 27 Tage her by Dellson
OJ
28 Tage her

Ursula von der Leyen und Merkel, beide sind ja sehr gut miteinander, werden Deutschland zugrunde richten, das ist so erbärmlich❗

November Man
28 Tage her

Die Bundesregierung begrüßt alles was unserem Land und seinen Menschen nachhaltig schadet und die Macht der vdL und der Kartellbande sichert.

Last edited 28 Tage her by November Man
Tin
28 Tage her

Eine Lügenbaronin hat mein Chat einen feuchten Drxck zu interessieren. Wer alleine so etwas öffentlich in einer Demokratie bewirbt, gehört vor ein Fenster mit Gitterstäben davor.

GefanzerterAloholiker
28 Tage her

Die EU will ein Staat sein.

Sie braucht eine eigene Währung, ein FBI, CIA, NSA. Und noch zu meinen Lebzeiten wird sie eigene Pässe ausgeben, was mit den Reisepässen in einem ersten Schritt längst geschah.

In den USA haben sie für mehr Polizei erst einmal Drogen und Kriminalität hochgefahren, wie sie wollten, weil sie es brauchten. Die Ursachen für eine „Überwachung“ , die ja „nur“ eine pro-aktive Verbrechenseindämmung sein soll, hat man in der EU auch schon geschaffen. Es erinnert an billiges Abkupfern.

Herbert K.
28 Tage her

Es wird immer enger für den deutschen Michel, aber er wählt immer noch CDU/CSU/SPD/GRÜNE. Sowohl bei den EU-Wahlen als auch bei den Bundestagswahlen. Laut aktuellen Umfragen liegt die AFD im Moment bei nur mickrigen 26%, so trottet der deutsche Michel in die Knechtschaft und den Untergang. Viel Spaß noch!

woderm
28 Tage her

Was die geplante Verletzung der Privatsphäre betrifft:
Wenn jeder Nutzer sozialer Medien jeden Tag jede Menge Begriffe in seinen Nachrichten versenden würde, die die Schnüffel-KI aufgreift, würde das System zusammenbrechen wegen Überlastung und weil die gefilterten Nachrichten aufgrund der Menge nicht mehr ausgewertet werden könnte. Fertig.

Thomas Mairowski
28 Tage her

Könnte man nicht jedem EU-Bürger, wie bei einer Fußfessel, einen nicht abnehmbaren Ring um den Hals legen, der jedes gesprochene Wort aufzeichnet und per WLAN oder SIM-Karte nach Brüssel schickt?
Außerdem müsste man damit 1 Mal pro Jahr zum TÜV (oder besser gleich 1 Mal pro Monat), der dann für schlappe 80 Euro + MWST die Batterie tauscht und eine Sichtkontrolle macht.

Thilo Braun
27 Tage her
Antworten an  Thomas Mairowski

Grandiose Idee. Hab etwas ähnliches schon mal in einem Zukunftsroman gelesen. Sinnvoll wäre, wenn das Ding sich dann auch als vorläufige Warnung zuzieht, wenn unerwünschte Sachen gesagt werden. Alternative wäre ein eingebauter Elektroschocker, dessen Stromstoß stärker wird, je länger unerwünschte Gespräche andauern. Vielleicht wird an so einer Lösung auch schon gearbeitet. Es gibt nichts, was ich der Kommission und dem nachgeordneten Apparat nicht zutrauen würde.

rainer erich
28 Tage her

Inzwischen auch zum x. Male : Die “ Argumentation“ mit den Grundrechten und drr Demokratie ist sinnlos. Das wäre so, als ob man einen Killer von seiner Tat dadurch abhalten wollte, indem man ihm eindringlich sagt, dass sein Opfer dabei sterben werde. Es ist ein Rätsel , warum selbst Menschen mit einem gewissen Erkenntnispotential partout nicht begreifen , worum es hier geht, nämlich exakt die Beseitigung der Grundrechte als solche gegen die Machthaber , welche die bescheidenen Reste der Demokratie abwickeln , weil sie selbst totalitär herrschen wollen, auch als “ politische“ Statthalter der Oligarchen und Orgas dahinter. Vielleicht hilft… Mehr

LunaMystic
28 Tage her
Antworten an  rainer erich

Wenn man dies alles mit der sich in vollem Gange befindlichen Umvolkung verbindet, haben die EU-Macker in 25 Jahren ein völlig rechtloses Volk, das man beliebig manipulieren und ausbeuten kann.

Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass die vielen muslimischen Werktätigen ein ähnlich starkes Klassenbewusstsein entwickeln werden wie das der dann ehemaligen autochthonen Arbeiter und Angestellten.

Last edited 28 Tage her by LunaMystic
Felix Dingo
28 Tage her

Wer noch festnetzgebundenes Internet benutzt, könnte theoretisch auf Elon Musks Satelliten-Internet „Starlink“ umsteigen. Dies würde das Verbot von VPN und TOR oder TAILS umgehen.

Die Empfangsanlage, SatellitenSchüssel plus Receiver, gibt es für ca. 300 Euro.
Die monatlichen Kosten belaufen sich auf 29+ Euro.

LunaMystic
28 Tage her
Antworten an  Felix Dingo

Sobald der EU-weite Identitätszwang kommt, ist anonymes Surfen und Posten in Mainstream-Diensten quasi unmöglich.

Behörden könnten alle Aktivitäten eindeutig zurückverfolgen.

Selbst VPN oder Satelliteninternet wie Starlink schützt nur die Verbindung, nicht die Identität im Dienst.

Meint: ChatGPT.

Es sei denn, man jubelt den EU-Überwachern eine falsche Identität unter, was aber für nachzu 100% der Bürger unmöglich sein dürfte.

Am einfachsten ist wohl der Email-Verkehr zu schützen, indem man die Emails grundsätzlich stark verschlüsselt.
Dafür gibt es viele Programme. Zum Beispiel PGP.

Idealerweise geschieht die Ver- und Entschlüsselung auf PCs, die nicht mit dem Internet verbunden sind.

Last edited 28 Tage her by LunaMystic