Der Staat zwischen allen Stühlen

Ein neues »Gesetz für umfassende Sicherheit« sollte französische Polizisten gegen organisierte Kriminalität aus den Reihen des radikalen Islam schützen. Doch nun sorgt das Gesetz selbst für maximale Unsicherheit auf den Straßen. Die Befürchtungen der Demonstranten scheinen weitgehend unbegründet. Doch wogegen protestieren sie dann?

picture alliance / AA | Julien Mattia

Die französische Regierung befindet sich in einer Zwickmühle. Denn was sich auf den Straßen der großen Städte abspielt, erscheint immer mehr wie ein Kampf aller gegen alle. Die Polizisten des Landes fordern seit langem Schutz gegen organisierte Kriminelle, die mit Videoaufnahmen in sozialen Netzwerken Druck auf die Sicherheitskräfte ausüben. Auch die Wohnadressen von Beamten wurden angeblich preisgegeben. 2016 wurde ein Polizistenpaar im eigenen Haus von einem Islamisten ermordet. Vor allem radikale Muslime haben Listen mit den Privatadressen von Polizisten angelegt, um diese bei Bedarf zu »disziplinieren«.

Das sind schockierende Nachrichten aus einem Nachbarland, das uns in vielem ähnlich ist. Doch schockierend sind auch die Bilder der Proteste vom Wochenende: Szenen wie aus einem Bürgerkrieg, und die Polizisten waren häufig in der Defensive.

— Δρομογράφος (@dromografos) November 28, 2020

Doch hilft die Vorgabe, die Innenminister Darmanin nun in dem neuen »Gesetz für umfassende Sicherheit« festgeschrieben hat, den Beamten überhaupt? Der Artikel 24 des Gesetzes verbietet das Filmen und das Verbreiten von Videos mit dem Ziel, der »psychischen oder körperlichen Unversehrtheit« der Polizeibeamten zu schaden. Dieser Wortlaut scheint auf den ersten Blick schlüssig, aber inzwischen will auch Premierminister Castex ihn vom Verfassungsrat überprüfen lassen.

Zusammenstoß zweier Welten

Für erhöhte Unruhe sorgt das Faktum, dass die Anwendung des Gesetzes natürlich in den Händen der Betroffenen selbst, also der Polizisten, läge. Aber das ist nun einmal bei fast allen Gesetzen unvermeidlich.Verständlich ist aber, dass diese Regelung gerade in der aktuellen Zeit für Unmut sorgt, wo die Presse- und Meinungsfreiheit in Frankreich ohnehin unter Beschuss steht, auch wenn es bisher nicht die Republik war, die als Gefährderin dieser Freiheiten auftrat, sondern – wie bekannt ist – der radikale Islam.

Die Lage ist also nicht ohne Grund kompliziert, sondern wirklich und in der Tat komplex. Die Regierung Castex versucht unter der Ägide von Präsident Macron, dem politischen Islam und seinen kriminellen Organisationsformen beizukommen – und bringt dabei die eigenen, freisinnigen Bürger gegen sich auf. Zwei Lebens- und Gesellschaftsmodelle stoßen aufeinander, und der entstehende Klang ist nicht hohl.

Hunderttausende demonstrierten nun – zum Teil friedlich – in Paris und verschiedenen anderen Städten. Die Protestierenden sind dabei bunt gemischt. Angeblich waren Linksextreme, Studenten und Umweltschützer darunter, aber auch Journalisten und Gelbwesten. Präsident Macron und seiner Regierung warfen sie ein »Abrutschen ins Autoritäre« vor, beide wollten die Demokratie »niederknüppeln«. Das erscheint kaum glaubhaft. Doch auch der Protest blieb nicht friedlich. Bald wurden Barrikaden errichtet, Autos brannten. Laut Innenminister Darmanin, wurden bisher 37 Polizisten und Gendarmen verletzt. Die berichtende Presse kam teilweise mit Fahrradhelmen. Brennende Autos und Molotowcocktails erinnern dabei eher an das ›Vokabular‹ der gewaltbereiten Linken als an den bürgerlichen Protest der Gelbwesten.

Wird jetzt auch Macron zum »Volksteufel« der Linkspresse stilisiert?

Der spezifische Protest von Journalisten – einige von staatlich finanzierten Medien – scheint dabei nicht wirklich zu verfangen, denn die Berichterstattung wird durch den Gesetzentwurf nicht eingeschränkt, der eindeutig nur die Verbreitung von Videos mit dem Ziel einer Schädigung der »psychischen oder körperlichen Unversehrtheit der Beamten« unter Strafe stellt. Das Gesetz und diese Formulierung sind der Notwehr des französischen Staates gegen islamische Gefährder geschuldet, die sich in Frankreich zu einem flagranten Netzwerk formiert haben.

Insofern ist es wohl die Dammbruchtheorie, die hier zu aufgeregten Reaktionen führt. Oder erfährt Macron jetzt das gleiche innenpolitische Schicksal wie Donald Trump? Stilisiert ihn die Wohlstandslinke zu ihrem neuen »Volksteufel«? Auch in der deutschen Presse liest man sogleich etwas von einer Einschränkung der Pressefreiheit, die vielleicht mehr beschworen wird, als dass sie wirklich aus dem Gesetzestext hervorginge. Gérald Darmanin hat im Parlament eindeutig gesagt, dass kein Polizist und kein Gendarm die Macht habe, das Filmen selbst zu verbieten.

Zu allem Überfluss ereignete sich zur gleichen Zeit etwas allem Anschein nach Skandalöses im Tonstudio eines Pariser Musikproduzenten. Dort wurde der schwarze Musikproduzent Michel Zecler von Polizisten angegriffen und recht übel zugerichtet, was eine Sicherheitskamera zufällig festhielt. Angeblich fielen auch rassistische Beleidigungen. Erst einige Mitarbeiter Zeclers konnten die Beamten wieder zur Tür hinausdrängen. Die warfen daraufhin eine Tränengasgranate und warteten vor dem Haus auf Zecler. Sie nehmen ihn schließlich für 48 Stunden fest. Angezeigt wird er wegen Beleidigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Doch warum waren die Polizisten eigentlich in sein Studio eingedrungen? Man erfährt es nicht zur Gänze. Die Polizisten sagen aus, er habe auf der Straße keine Gesichtsmaske getragen. Gérald Darmanin sprach von Beamten, die »ihre Uniform beschmutzt« hätten. Der nationale Polizeichef verglich ihr Verhalten mit dem von Delinquenten.

Richtig ist, dass die französische Polizei nicht zimperlich mit zivilem Protest umgeht. Vergangene Woche hatte die Räumung eines Migrantenlagers inmitten von Paris sogar den Innenminister schockiert. Doch auch im Umgang mit einheimischen Demonstranten entspricht die Bilanz der Polizei und Gendarmerie einem vielfachen »Stuttgart 21«. So waren im Laufe der Gelbwesten-Proteste vier Tote und hunderte Kopfverletzungen zu beklagen, daneben fünf abgerissene Hände und mehr als 20 eingebüßte Augen. Das sind relevante Zahlen, die sich in einem Rechtsstaat nicht ergeben sollten. Die Frage ist, ob es an der Polizeistrategie hapert oder sich das Aggressionsniveau auf französischen Straßen so deutlich von dem hierzulande abhebt. Die nun wieder gesehenen Bürgerkriegsszenen könnten letztes nahelegen.

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