Bayrou abgewählt: Macron sucht den nächsten Premier ohne eigene Mehrheit

In Frankreich ist nun auch der Mitte-Premier François Bayrou Geschichte, gestürzt über den Versuch einer Haushaltsreform. Die Linken wittern Morgenluft, aber ihre Ideen vertragen sich nicht mit denen der Macronie. Marine Le Pen würde sogar ihr Parlamentsmandat für Neuwahlen opfern. Macron will sich weiter durchlavieren.

IMAGO / MAXPPP

Frankreich wird immer undemokratischer, und seine Regierenden wundern sich, dass ihnen dabei keiner folgen will. Nun wurde der vierte Premier binnen zehn Monaten zum Rücktritt gedrängt. Unter Emmanuel Macron erlebt Frankreich Regierungswirren, die allenfalls mit den ersten Jahren nach dem Weltkrieg vergleichbar scheinen, als schon einmal die Regierungschefs im Halbjahresrhythmus wechselten. Man könnte es historisch nennen, dass nun auch unter Macron eine ähnliche Premierminister-Dichte erreicht ist.

Auf Élisabeth Borne folgte Anfang 2024 der junge Macronist Gabriel Attal. Nach acht Monaten wurde der vom Republikaner Michel Barnier abgelöst, der das Jahr aber auch nicht zu Ende brachte. Kurz vor Weihnachten übernahm der Zentrist François Bayrou das Amt. 2024 war damit ein Vier-Premierminister-Jahr für Frankreich. Und jetzt, nach nicht einmal zehn Monaten, ist es auch mit dem Premier Bayrou vorbei. Gestürzt ist er, wie seine Vorgänger, vor allem über den Haushalt, die Verschuldung und den Versuch, irgendwo etwas einzusparen und diese Beschlüsse dann ohne eigene Mehrheit im Parlament durchzupeitschen. Das war meist nur per Dekret möglich. Es ging also zugleich immer undemokratischer zu.

Bayrou verliert Vertrauensabstimmung
Frankreichs Regierung gestürzt – droht eine neue Euro-Krise?
Eigentlich leidet Frankreich an zwei Krisen, die sich bedingen und beeinflussen: einer fiskalischen und einer politischen. Die regierende Macronie und die Linke wollten bei vergangenen Wahlen partout keinen Machtwechsel hin zum Rassemblement zulassen, und so bleibt das Land politisch blockiert. Die Haushaltsnöte bleiben so im Hickhack der Parteien verborgen. Keiner scheint dafür verantwortlich. Der Franzose denkt sich seinen Teil, vermutlich in der Art, dass die da oben alle Gauner und Räuber seien, und wählt doch wieder genauso verworren wie zuvor. So geht das nun einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte.

Angesichts einer Staatsverschuldung von inzwischen mehr als 3,4 Billionen Euro und einem Haushaltsdefizit von derzeit 5,8 Prozent des BIP war Bayrous Anstrengung zwar notwendig, aber deshalb nicht weniger zum Scheitern verurteilt. Denn die Notwendigkeit allein holt in Frankreich noch nicht die Opposition ins Boot der Regierung. Das ist vielleicht anders als in Deutschland. Selbst die Drohung des Wirtschafts- und Finanzministers, Éric Lombard, dass dem Land bei Nichthandeln ein IWF-Programm bevorstehen könnte, blieb ohne Erfolg. Die Oppositionsparteien von der radikalen Linken (La France insoumise) über Grüne und Sozialisten bis hin zum Rassemblement national (RN) blieben bei ihrer Ablehnung der Sparpläne.

Dabei würden auch dieselben das Staatsdefizit nur auf etwa 5,4 Prozent des BIP drücken. Der Maastrichter Vertrag hatte einmal drei Prozent Defizit und 60 Prozent Schuldenstand für alle Euro-Länder gefordert. Das kann schon lange als illusorisch gelten. Frankreich überschreitet gerade die 115-Prozent-Marke was die Gesamtschulden angeht. Der Euro steuert damit weiter munter in Richtung Schuldensozialismus. Allein im ersten Halbjahr 2025 nahm der französische Staat über 100 Milliarden Euro zusätzlicher Schulden auf. Letztes Jahr waren es 170 Milliarden Euro. In der zweiten Hälfte reißt man sich immer etwas zusammen. Aber auch aus deutscher Sicht sind das inzwischen normale Summen, nicht mehr als ein bis zwei kleinere „Sondervermögen“.

„Jedes Jahr geben wir mehr aus, als wir produzieren“

Am Montagnachmittag trat Bayrou vor die Nationalversammlung, um seine Politik ein letztes Mal zu verteidigen. Er trug eine Art Regierungserklärung vor, auf die in diesem Fall eine Vertrauensfrage folgen sollte. Es war Bayrous erste solche Frage, die er bis dahin immer vermieden hatte. Er hätte sie ja eh nur verlieren können.

Der scheidende Premier verklärte sich dennoch zur demokratischen Lichtgestalt, die etwas wagt, weil es eben nicht anders geht. Das „größte Risiko“ hätte laut ihm darin bestanden, „nichts zu unternehmen und die Dinge einfach weiterlaufen zu lassen, ohne dass sich etwas ändert“. Das mag aus haushaltspolitischer Sicht richtig sein. Bayrou wollte, wenn er schon nicht regieren kann, zumindest die Franzosen mit einem Bravour-Abgang aufrütteln, sie sozusagen aufwecken aus ihrem fiskalpolitischen Schlaf. Dass das gelingen wird, bleibt mehr als zweifelhaft.

Seine Rede begann Bayrou mit einem historischen Höhenflug: „Frankreich hat seit 51 Jahren keinen ausgeglichenen Haushalt mehr gehabt.“ Die aufgenommenen Schulden aber würden sich immer weiter anhäufen. Das ist Volkswirtschaftslehre auf Grundschulniveau. „Wir produzieren weniger als unsere Nachbarn … Jedes Jahr geben wir mehr aus, als wir produzieren.“ Ein Land versinkt im anstrengungslosen Konsum (vieler) seiner Einwohner.

Zu den grundlegenden Problemen, die Bayrou aufzählte, gehören daneben „ein immenses Problem“ bei der nationalen Bildung, ein „immenses Wohnungsproblem“. Daneben sieht er tatsächlich auch „Herausforderungen in Bezug auf Sicherheit“ und „Gerechtigkeit“, streift dann die „entscheidende Frage“ der Zuwanderung und der Parallelgesellschaften. Aber dass sie die Wurzel vieler Übel sind, dem widerspricht Bayrou später auf eine Art. Für ihn bleibt das Hauptproblem die Verschuldung: „Jedes Jahr geben wir mehr aus als unsere Ressourcen und oft sogar noch viel mehr.“

Regierung nur dem Namen nach

Dagegen warnt Bayrou, man dürfe nicht glauben, mit der Bereinigung der Migrations- und Ghetto-Lage im Land würden sich die Haushaltsprobleme in Luft auflösen, wie es das RN nahelegt. Doch das Problem liegt eher darin, dass bisher niemand diese Probleme mit der ethnischen Demographie Frankreichs entschieden genug angegangen ist. Der junge Parteichef Jordan Bardella übt sich derweil in schon eher wirtschaftsliberalen Tönen, wenn er etwa ein Ende der „Normenlawine“ (auch aus der EU-Fabrik) anmahnt, die die Wirtschaft ersticke. Bardella spricht von „28.000 neuen Vorschriften, die die Europäische Kommission in den letzten 15 Jahren produziert hat“. Daneben soll ein wenig „Frankreich zuerst“ bei Staatsaufträgen dabei helfen, die Wirtschaft wieder anzufachen. Er ist deshalb noch kein Thatcherist.

Derweil fordert die politische Linke eine rein linke Regierung ohne jede Spur von Macronie oder Konservativen. Letztlich zeigt sich so der fortgesetzte Wahlkampf, den Frankreich praktisch seit den letzten Wahlen nicht mehr beendet hat. Just an diesem Tag wird bekannt, dass der Berufungsprozess von Marine Le Pen gegen das Urteil, das ihr das passive Wahlrecht entzog, vom 13. Januar bis zum 12. Februar 2026 stattfinden soll. Das wäre wohl noch rechtzeitig für eine erneute Kandidatur um die Präsidentschaft, aber nicht früh genug für eine eventuelle Neuwahl des Parlaments. Le Pen hat auf kämpferische Weise gesagt, dass sie ihren Parlamentssitz in dem Fall opfern würde. Sie fordert trotzdem Neuwahlen.

Für Marine Le Pen ist die Abwahl Bayrous das „Ende der Agonie einer Geisterregierung“, die ohnehin nichts weiter als den Namen einer Regierung trug. Eine Regierung nur dem Namen nach.

Das gleiche alte Dilemma

Aber was folgt nun konkret aus der Abwahl? Schon vorab gab es im Grunde drei Szenarien. Erstens: Emmanuel Macron begibt sich auf die komplizierte Suche nach einem neuen Premier. Erste Nachrichten sagen, dass er dies tun will, wobei sich die ihm zu Gebote stehenden Parteien im Grunde schon alle gegenseitig ausgeschlossen haben. Denn Macron selbst will nicht mit den Linksradikalen der „France insoumise“ gehen, obwohl er nichts gegen Wahlbündnisse mit ihnen gegen Le Pen hatte. Dagegen will der Chef der Sozialisten, Olivier Faure, nur dann in eine Regierung eintreten, wenn es sich bei dieser nicht um eine „Kohabitation“ mit der Macronie oder der Rechten handelt. Also will er es gar nicht. Der Chef der Republikaner und Innenminister Bruno Retailleau will wiederum jeder sozialistischen Regierung das Vertrauen entziehen. Willkommen im Stillstands-Land Frankreich, wo man eine Art avanciertes Mikado zu spielen scheint. Wer sich zuerst rührt, verliert.

So könnte es am Ende doch auf eine erneute Auflösung der Nationalversammlung hinauslaufen, die allerdings auch gefürchtet wird. Und käme es so überhaupt zu neuen, anderen Mehrheiten? Das ist unsicher. Dann bliebe am Ende nur der Rücktritt von Macron selbst, den der aber erst im August wieder ausgeschlossen hat: Er werde dem Lande präsidieren „bis zur letzten Viertelstunde“. Ob das eine Drohung ist, könnten sich nun viele fragen. Jedenfalls scheint es noch ein bis zwei Jahre Stillstand für Frankreich zu bedeuten. Ob das angesichts der Finanz- und sonstigen Dynamik ratsam ist, müssen sich die Franzosen beantworten. Die Regierenden fürchten als nächstes die allgemeine Mobilisierung der Gewerkschaften, die ab Mitte September erwartet wird. Bis dahin soll es einen neuen Premier geben.

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Kommentare ( 11 )

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MfS-HN-182366
2 Monate her

Es lohnt sich wieder, einen oder auch zwei „Erbfeinde“ zu haben. Was waren de Gaulle und Adenauer für Träumer? Eigentlich hat Deutschland vier oder fünf „Erbfeinde“, unter anderem F, GB, RUS, POL und ganz wichtig, SICH SELBST.

Ralph Martin
2 Monate her

Monsieur Macron steht für alles was auf diesem Kontinent falsch läuft: Den eigenen Laden mit Vollgas in allen Dimensionen an die Wand fahren, aber gegenüber Russland auf dicke Hose machen.

WGreuer
2 Monate her

Den Sozialismus in seinem Lauf, halten weder Ochs noch Esel auf. Macron schon gleich gar nicht.
Hier wird geliefert, was von den Franzosen über Jahre bestellt wurde.
Genießt es! Deutschland ist der Nächste.

Paul Brusselmans
2 Monate her

Ich sehe hier sehr viel Kritik, berechtigte, an Frankreich. Ich halte den Zustand Deutschlands für viel schlimmer. In Frankreich herrscht noch ein gewisser Pragmatismus, in Deutschland woke Ideologie, mit Klimawahn und Vergötterung der Migration. Mit der Negation physikalischer Gesetze, die sich eben nicht mit Zweidrittelmehrheit ändern lassen.
Der Schuldenberg wurde in kleinen Portionen jährlich angehäft, Deutschland holt jetzt die dicke Bertha der „Sondervermögen“ raus – ohne Rücksicht auf den Euro. Und untergräbt die Herrschaft des Volkes durch bezahlte NON Governmental Organization,s von der Regierung finanziert.

Nibelung
2 Monate her

Überall wo Geld gebunkert wird oder zusätzliche Wirtschaftsleistungen einfließen geht der Schuldenstand zurück wie im Beispiel Irland und Zypern und wo ein Sparwille zu sehen ist wie in Italien und anderswo und der große Rest zeigt in der Verschuldungsspirale ganz klar die Tendenz nach oben und da kommt dann eine Bundesrepublik gerade recht, die noch Luft nach oben hat und uns Bürger am Ende ersticken wird.

Haba Orwell
2 Monate her

> Er werde dem Lande präsidieren „bis zur letzten Viertelstunde“. Ob das eine Drohung ist, könnten sich nun viele fragen. Jedenfalls scheint es noch ein bis zwei Jahre Stillstand für Frankreich zu bedeuten.

Wenn er mitten im Stillstand nicht in den Krieg ziehen kann, ist das Wichtigste erreicht. Positive Aspekte hatte die Macron-Agenda noch nie. Einst drängte er gemeinsam mit der „Klimakanzlerin“ auf noch mehr Klimagedöns.

h.milde
2 Monate her

Mittlererweile hat „monsieur“ le Président Macron in seiner 2ten Amtszeit nmK. den 8ten MP verschlissen & der ReGIERungsladen fliegt ihm mindestens genauso oft um die Ohren, wie die zarten Hände von Madame Macron.

Karl Renschu
2 Monate her

Am Sondervermögen „Renovierung von Versailles“ wird schon gearbeitet, keine Angst.

Laurenz
2 Monate her

Der Schuldensozialismus ist doch schon länger da & deswegen bereits tot. Wer soll denn die Schrott- oder gar Kriegsanleihen kaufen? Selbst die EZB ist dazu nicht unbegrenzt in der Lage. Auch EURO-Bonds ändern nicht mehr wirklich was, die Bonität ist beim Allerwertesten.

Haba Orwell
2 Monate her

> Ein Land versinkt im anstrengungslosen Konsum (vieler) seiner Einwohner.

Dekadenz verwöhnter Wohlstandskinder, haben Buntschländende:innen genauso. Wozu anstrengen, wenn Kohle eh da ist und die Obrigkeit sowieso das Meiste verschwendet? Als Gender-Beauftragtende:innen lässt sich so leicht leben…