Aserbaidschan greift Region Bergkarabach an

Nachdem bereits in der letzten Woche aserbaidschanische Truppen an der Grenze zu Armenien aufmarschierten, brachen nun neuerliche Kampfhandlungen aus. Aserbaidschan nahm in einer sogenannten „Anti-Terror“-Operation die Region Bergkarabach unter Feuer.

X / @Tekin629041
Für einen kurzen Moment keimte ein wenig Hoffnung auf, dass Menschlichkeit und Diplomatie im Konflikt um die Region Bergkarabach obsiegen könnten, als vor einigen Tagen erstmals nach 10 Monaten ein russischer Konvoi mit Hilfsgütern die belagerte Region Bergkarabach erreichte. Doch diese Hoffnung wurde spätestens gestern mit dem Ausbruch von Kampfhandlungen zunichte gemacht.

Am 19. September um 13 Uhr Ortszeit startete Aserbaidschan eine sogenannte „Anti-Terror“-Operation gegen die Separatisten der Region Bergkarabach. Der aserbaidschanischen Seite zufolge sollen zivile Opfer von Minen entlang der Agdam-Route der Auslöser der Kampfhandlungen gewesen sein. Angesichts des tagelangen Aufmarsches aserbaidschanischer Truppen an der Grenze, darf aber an der Vollständigkeit dieser Version gezweifelt werden.

Der Duktus der „Anti-Terror“-Operation bewegt sich dabei ganz in der Tradition des 21. Jahrhunderts, Kriege als „Spezialoperationen“ oder als Kampf gegen den Terror neu zu etikettieren. Die Bewohner der Region Bergkarabach dürften darin wenig Trost finden, erste Berichte aus der isolierten Region zeigen Explosionen, sowie von Artillerie beschossene Wohnhäuser. Viele dieser Berichte lassen sich bislang nur bedingt verifizieren, Menschenrechtsbeobachter sprachen aber von mindestens zwei Todesopfern, darunter einem Kind, sowie elf Verletzten (darunter 8 Kinder) unter den Zivilisten.

Wird Bergkarabach zum Bauernopfer Armeniens?

Der neuerliche Krieg zwischen Aserbaidschan und der Region Bergkarabach bringt die Stabilität der Region nun nachhaltig ins Wanken. Der armenische Premierminister Nikol Paschinjan berichtete im Fernsehen vom Einsatz von Bodentruppen von Aserbaidschan und sprach von einer „ethnischen Säuberung“ der Armenier in der Region. Armenien selbst sei aber bislang nicht in Kampfhandlungen verwickelt, dennoch berief der Premier eine Dringlichkeitssitzung des nationalen Sicherheitsrats ein, um weitere Schritte zu erörtern. In der Hauptstadt Eriwan fanden Proteste statt, die ein Eingreifen zum Schutz der Bevölkerung in Bergkarabach forderten.

— 301🇦🇲 (@301arm) September 19, 2023

Armenien hatte in den letzten Monaten wiederholt Signale gesendet, dass man den Anspruch auf Bergkarabach eventuell aufgeben könnte, falls damit die territoriale Integrität Armeniens gesichert werden könnte. Berichten des aserbaidschanischen Verteidigungsministeriums zufolge wurden die regionalen Schutzmächte Türkei und Russland über den bevorstehenden Angriff vorab informiert. Vor allem von der Türkei wird erwartet, dass sie sich in einem bevorstehenden Konflikt mit Aserbaidschan verbünden könnte. Russland hingegen betont, nur „wenige Minuten vor Beginn des Angriffs“ über die bevorstehende Operation informiert worden zu sein.

Regionale Interessen und Stellvertreterkonflikte

Zwar plädierte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, für die Beendigung des Blutvergießens und eine Wiederaufnahme diplomatischer Gespräche, doch dürfte auch die russische Vermittlungsbereitschaft in den letzten Wochen deutlich abgenommen haben. Erst kürzlich führte Armenien erstmals im kleinen Rahmen eine gemeinsame Militärübung mit US-amerikanischen Soldaten durch. Zwar handelte es sich um eine Übung im kleinen Rahmen, doch der symbolhafte Charakter – nämlich jener einer verstärkten Westbindung in der Hoffnung, darin eine zuverlässige Schutzmacht gegen Aserbaidschan zu finden – blieb weder den westlichen Beobachtern noch dem Kreml verborgen. Moskau machte keinen Hehl daraus, über diese Entwicklung verstimmt zu sein. Der Iran, der bislang dazu tendierte, Armenien zu unterstützen, hat sich seit dem neuesten Angriff bislang nicht in die Karten blicken lassen.

Nachdem Außenministerin Baerbock im vergangenen Jahr versäumte, die Aggression Aserbaidschans deutlich zu benennen, bezeichnete sie diesmal die Berichte als „dramatisch“ und forderte Baku auf, „den Beschuss sofort einzustellen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren“. Mögliche Sanktionen gegen den Angriffskrieg Aserbaidschans, ähnlich der prompten Verurteilung des Überfalls auf die Ukraine, als Baerbock bereits am ersten Tag des Angriffs das „volle Paket massivster Sanktionen“ gegen Russland versprach, blieben allerdings aus.

Das Außenministerium in Eriwan rief den UN-Sicherheitsrat und Russland zu Maßnahmen zur Beendigung des Militäreinsatzes auf. Eines scheint nunmehr deutlich: Was auch immer unternommen werden sollte, es muss schnell geschehen, ehe Aserbaidschan die Weltgemeinschaft vor vollendete Tatsachen stellt.

Anzeige

Unterstützung
oder