Die bizarre Geschichtsstunde der Katrin Göring-Eckardt

Die Grünen-Politikerin versucht sich in der FAZ an einem grotesken historischen Vergleich: Die von Regierung und Medien unterstützten Kundgebungen ‚gegen rechts‘ erinnern sie angeblich an die Demonstrationen in der DDR 1989.

IMAGO / Christoph Worsch
Katrin Göring-Eckardt auf Demo gegen Rechts in der Innenstadt von Jena in Thüringen (03.02.2024). Die Initiative Weltoffenes Thüringen, Verbände, Sportvereine und Parteien hatten zur Demo aufgerufen.

Zu den schiefen historischen Vergleichen, mit denen Politiker und Journalisten die Großkundgebungen ‚gegen rechts‘ begründen, kommt nach der bizarren „Wannsee 2.0“-Parole eine neue Geschichtsinstrumentalisierung: Die Grünen-Politikerin und stellvertretende Bundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt stellt die von Regierung, Medien und besonders dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk massiv unterstützten Aufzüge ernsthaft auf eine Stufe mit den Demonstrationen in der DDR 1989 gegen das SED-Regime. In einem Interview mit der FAZ erklärte sie:

„Wir dachten als demokratische Opposition in der DDR lange, wir seien eine kleine Minderheit. Und dann gab es diesen Moment, an dem Leute auf der Straße, die eigentlich nur einkaufen wollten, spontan gesagt haben: Wir laufen jetzt mit. Ähnlich ist es jetzt.“

— Katrin Göring-Eckardt (@GoeringEckardt) February 7, 2024

Spontane Teilnahme an ‚gegen rechts‘-Kundgebungen, die öffentlich-rechtliche Sender Tage vorher groß ankündigen, für die Parteien, Gewerkschaften und Dutzende meist linke linksradikale Organisationen trommeln, für deren Teilnahme sogar unter Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung geworben wird? Görings-Eckardts Unterstellung, die heutigen Demonstranten würden ganz von selbst auf Straßen und Plätze strömen, wirkt genauso absurd wie ihre restliche Geschichtsstunde.

Im Herbst 1989 sahen sich die Demonstranten in Leipzig, Dresden und anderswo einer Einheitsfront von Politik, Organisationen und DDR-Medien gegenüber; die Zeitungen der SED und der Blockparteien feuerten aus allen Propagandarohren gegen die „Zusammenrottungen“ von „Rowdys“. Für die linientreuen Journalisten stand es außer Frage, dass es sich bei dem Aufbegehren der Bürger um „konterrevolutionäre Machenschaften“ handelt, natürlich gesteuert „von westlichen Geheimdiensten“. Vor dem 9. Oktober 1989 rückte die Polizei noch mit Knüppel, Wasserwerfern und Hunden gegen die Menschen auf der Straße aus. Hunderte landeten in Haft oder in sogenannten „Sammelstellen“.

Diejenigen, die damals demonstrierten, taten das unter einem erheblichen Risiko. Vor allem: Sie traten gegen ein linkes autoritäres Regime an. Sie bildeten die Opposition, während die dutzende Reden und Plakatparolen auf den Kundgebungen heute sich gegen Oppositionsparteien richten, nicht nur gegen die AfD, sondern immer wieder auch gegen die Freien Wähler, sogar gegen die CDU.

In ihrem Gespräch mit der FAZ biegt Göring-Eckardt nicht nur Parallelen zwischen 1989 und den Kundgebungen des Jahres 2024 zurecht, bei denen Linksextremisten mitlaufen, außerdem Hamas-Versteher mit Palästina-Flaggen. Sie verbreitet auch das längst widerlegte Narrativ, es habe eine „Recherche“ von Correctiv zu dem Treffen am 25. November 2023 in Potsdam gegeben – und nicht vielmehr ein Text mit falschen und unbelegten Behauptungen, etwa von einem „Geheimplan“, bei dem es sich tatsächlich um die Vorstellung eines längst bekannten Buchs handelte. Dazu unterstellt sie ungenannten AfD-Mitgliedern noch „Umsturzpläne“ gleich im Plural, ohne ins Detail zu gehen.

„Bei den bundesweiten Demonstrationen“, so die Grünen-Politikerin, „konnte man spüren, wie jetzt dieser Moment gekommen ist. Dieser Drang, unser freies Leben zu verteidigen. Die Leute lassen nicht zu, dass unsere freiheitliche demokratische Grundordnung infrage gestellt wird. Im Neuen Testament heißt dieser Moment: Kairos (…) Der Moment ist jetzt. Wir wussten ja schon lange, dass manche in der AfD Umsturzpläne haben, dass sie Mitbürgerinnen und Mitbürger ausweisen wollen. Die Recherche von Correctiv hat das jetzt allen eindringlich vor Augen geführt.“

„Demokratie verteidigen“ mit Parolen, die sich hundertfach nicht gegen Rechtsextremismus, sondern explizit ‚gegen rechts‘ richten – also ein ganzes politisches Spektrum? Ein Verfassungsbogen von links bis rechts galt jedenfalls früher einmal als Merkmal der Demokratie. Und auch das unterscheidet die Demonstrationen im Herbst 1989 fundamental von den Kundgebungen heute: Damals gingen Hunderttausende gegen bedrückende Lebensverhältnisse auf die Straße. Viele der Kundgebungsteilnehmer heute stammen aus dem saturierten linken Bürgertum, fotografieren einander fröhlich mit iPhones und sprechen Statements in die Mikros der Teams von ARD und ZDF.

Im gleichen Interview plädiert Göring-Eckardt dann selbst dafür, Migranten ohne Anrecht auf Asyl wieder zurückzuschicken: „Ich bin die Letzte, die bestreitet, dass zu viele Menschen auf zu wenig Strukturen stoßen. Mein Plädoyer ist deshalb: Sorgen wir dafür, dass die Asylverfahren beschleunigt werden und dass diejenigen, die kein Asyl bekommen, auch schnell wieder zurückkehren.“

Inwieweit Göring-Eckardt zur Opposition in der DDR gehörte, wird aus dem Gespräch nicht ganz klar. Die FAZ fragt auch nicht weiter nach. An der Erweiterten Oberschule war die 1966 geborene Thüringerin nach eigenen Angaben als FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda tätig.

In dem Wikipedia-Eintrag zu der Politikerin findet sich der merkwürdige Satz: „Bis zur Wendezeit in der DDR arbeitete Göring-Eckardt ohne Parteimitgliedschaft im Arbeitskreis Solidarische Kirche (AKSK).“ Bei dem kirchlichen Arbeitskreis handelte es sich allerdings um keine Partei. Gemeint ist möglicherweise, dass sie an Versammlungen des AKSK teilnahm, ohne dort Mitglied zu sein. Wann genau, dazu gibt es bei Wikipedia keine Auskunft. Der 1986 gegründete Arbeitskreis Solidarische Kirche zählte tatsächlich zu den wichtigen oppositionellen Plattformen in der DDR. In seiner Gründungserklärung hieß es: „Wir rufen zu einem Prozess der gemeinsamen Meinungs- und Willensbildung auf.“

Genau dafür stehen die von Göring-Eckardt gelobten ‚gegen rechts‘-Veranstaltungen nicht.

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