Es war zuletzt still geworden im Wirecard-Skandal. Nun taucht mit dem ehemaligen Firmen-COO Jan Marsalek einer der Hauptverantwortlichen für das Desaster in einem weiteren Geldwäsche-Skandal wieder auf.
IMAGO
Fünf Jahre ist es her, da versank mit Wirecard der Shooting-Star der deutschen Börse in einem unfassbaren Bilanzbetrugsskandal. In einem Geflecht aus Scheinfirmen, Strohmännern und mutmaßlicher Geldwäsche verbuchte der verantwortliche Vorstand der Firma Fantasieerlöse in Milliardenhöhe mit einem fingierten Asiengeschäft. Am Ende wurden 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz ausgewiesen, die so nie existierten. Der Schaden für die Anleger war enorm.
Milliardenverluste bei Kleinsparern
Mit dem Untergang der Firma wurde ein Börsenbuchwert von 20 Milliarden Euro vernichtet. Hunderttausende Aktionäre, von Kleinsparern bis zu institutionellen Anlegern, verloren ihr Kapital. Einer der Hauptverantwortlichen, der Spiritus Rector des Lügenkonstrukts, war der COO der Firma, Jan Marsalek.
Er gilt als der operative Strippenzieher, der das Scheingeschäft mit asiatischen Firmen so professionell aufzog, dass selbst die deutsche Finanzaufsicht, die BaFin, am Tag als die Bombe platzte, wie der Ochs vor dem Karren stand und nicht wusste, wie ihr geschah. Verantwortlicher Finanzminister seiner Zeit war der spätere Bundeskanzler Olaf Scholz. Auch er konnte und wollte die offensichtlichen Warnsignale im Vorfeld nicht erkannt haben.
Während man der BaFin eine Mischung aus institutioneller Selbstgefälligkeit und möglicherweise politischer Rücksichtnahme vor dem Börsenliebling vorwarf, der als die Zukunft im Transaktionswesen gefeiert wurde, wurde die Firma selbst vor unangenehmer journalistischer Investigation in Schutz genommen.
Strafanzeige gegen kritische Journalisten
Spektakulär war seinerzeit die Strafanzeige der BaFin gegen die investigative Arbeit der Financial Times, die bereits im Jahr 2019 die Bilanzmanipulationen und Skandale rund um Wirecard aufgedeckt hatte.
Im Nachhinein muss man das Vorgehen der Behörde als Versuch werten, kritische Medienberichte zu unterdrücken und einen Schutzschirm über das Skandal-Unternehmen zu spannen. Auch wurde Druck auf kritische Journalisten der FT wie den Reporter Dan McCrum ausgeübt, um zu verhindern, dass unangenehme Enthüllungen das Licht der Öffentlichkeit erblickten.
Handelte es sich hierbei möglicherweise um den Versuch, den späteren Bundeskanzler aus der Schusslinie zu nehmen?
Von Wirecard nach Moskau
Ähnlich wie im Fall des CumEx-Skandals, bei dem eine mögliche Spur zu Olaf Scholz im Sande verlief, könnte nun auch die Wirecard-Affäre wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Denn britische Ermittler haben ein komplexes, weit verzweigtes russisches Geldwäschenetzwerk auffliegen lassen.
Und erneut taucht ein alter Bekannter auf: der flüchtige Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek. Basis der Recherchen ist erneut ein Bericht der Financial Times, die sich auf Erkenntnisse der britischen National Crime Agency (NCA) stützt.
Demnach soll Marsalek als Leiter eines bulgarischen Spionagerings, der für russische Geheimdienste tätig ist, an einem milliardenschweren Drogenhändler-Ring beteiligt sein, der enge Verbindungen zu sanktionierten russischen Oligarchen unterhält.
Aufgeflogen sind die Aktivitäten durch den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an der bereits von den USA sanktionierten Keremet Bank in Kirgisistan durch ein Netzwerk namens „TGR“. Dieses fungiert offenbar als Drehscheibe zur Umgehung westlicher Sanktionen – und transferiert Bargeld aus Drogengeschäften und anderen kriminellen Aktivitäten über Kryptowährungen an russische Rüstungs- und Technologieunternehmen, die unmittelbar in den Ukraine-Krieg involviert sind. Die Ermittler sprechen von industriellen Maßstäben der Geldwäsche.
Die Ermittlungen, die Teil der internationalen Operation „Destabilise“ sind, sehen Marsalek als zentrale Figur in diesen Aktivitäten. Bisher wurden insgesamt 128 Personen in diesem Zusammenhang festgenommen, die NCA beschlagnahmte 25 Millionen Pfund – in bar wie in Kryptowährungen.
Marsalek selbst war nach Bekanntwerden des Wirecard-Skandals 2020 mit unbekanntem Ziel geflüchtet, um einer Anklage wegen Bilanzbetrugs, gewerbsmäßigem Bandenbetrug und weiterer Wirtschaftsdelikte zu entgehen.
Drohender Entzug der Staatsbürgerschaft
Für Marsalek dürfte sich die Lage in diesen Tagen dramatisch zuspitzen. Mutmaßlich hält er sich seit Jahren in Russland auf – oder zumindest in Gebieten, die unter direkter Kontrolle Moskaus stehen. Umso heikler ist daher die Drohung des österreichischen Staates, ihm die Staatsbürgerschaft zu entziehen.
Sollte sich bestätigen, dass Marsalek tatsächlich für den russischen Geheimdienst FSB tätig ist, würde ein solcher Schritt seinen „Marktwert“ aus Sicht Russlands erheblich schmälern. Ein staatenloser Geheimdiensthelfer ist austauschbar – und aus Sicht Moskaus vor allem erpressbar.
Mit dem Verlust der österreichischen und damit einer EU-Staatsbürgerschaft entfiele für Marsalek jeder mögliche Rückzugsraum in den europäischen Rechtsbereich. Ohne gültigen Pass wäre er faktisch gefangen: Er könnte Russland oder russisch kontrolliertes Territorium kaum noch verlassen, geschweige denn um politisches Asyl nachsuchen. Für jemanden, der über Jahre hinweg im Schatten globaler Finanzströme operiert haben soll, bedeutete dies das Schlusskapitel.
Spannend bleibt daher, in welche Richtung sich dieser Fall entwickelt.
Verfahren biegt auf die Zielgerade
Noch bis Jahresende läuft zudem die Verhandlung um den Wirecard-Skandal beim Landgericht München, bei dem offensichtlich Aktionäre ohne jegliche Kompensation außen vor bleiben, während Banken und Kapitalgeber Entschädigungen erhalten dürften. Das dürfte für erhebliche öffentliche Erregung sorgen. Sollte sich Marsalek als einer der drei Hauptangeklagten als Kronzeuge anbieten, kommt Bewegung in den weitgehend festgefahrenen Fall.
Zwar ist nicht davon auszugehen, dass Marsalek das Risiko auf sich nimmt, aus der Deckung zu kommen. Allerdings ließ er bereits im Sommer 2023 über seinen Anwalt einen achtseitigen Brief an das Gericht übermitteln.
Darin attackiert der frühere Wirecard-COO vor allem Kronzeuge Oliver Bellenhaus, den er der Falschaussage bezichtigt. Zugleich widerspricht Marsalek vehement der Darstellung Bellenhaus´, das umstrittene Drittpartnergeschäft sei frei erfunden gewesen, und behauptet, es habe ein reales Geschäft zur Zahlungsabwicklung von Firmen in Märkten existiert, in denen Wirecard lediglich keine Banklizenz besessen habe. Dieses Geschäft sei sogar noch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens weiterbetrieben worden.
Ob das Schreiben allerdings als Beweismittel zugelassen werden kann, liegt letztlich im Ermessen der Kammer.
Packt einer der Insider aus und bringt möglicherweise Licht in das Dunkel des politischen Hintergrundes, erhellt mögliche Anweisungen an die BaFin, den Fall zunächst schleifen zu lassen und Druck auf Medien auszuüben, könnte die Affäre auch dem ehemaligen Bundeskanzler Olaf Scholz wieder Ungemach bereiten. Marsalek könnte jene dunklen politischen Hintergründe ausleuchten, die bislang hinter Vertraulichkeit, Erinnerungslücken und verschwundenen Aktenvermerken okkultiert wurden.
Es wäre die Ironie der Geschichte: Ausgerechnet der Mann, der einst wie ein global agierendes Phantom wirkte, könnte – maximalem Druck ausgesetzt – zum Schlüsselzeugen werden, der das gesamte Konstrukt des Schweigens doch noch zum Einsturz bringt.

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Der Mann steht doch ohnehin auf internationalen Fahndungslisten. Was nützt ihm da, dass er einen österreichischen Pass besitzt? Er ist jetzt schon auf die Gnade Russlands angewiesen, falls er sich dort aufhalten sollte. Die Aberkennung der Staatsbürgerschaft wird ihm da nicht wirklich schaden. Womöglich hat er bereits eine weitere Staatsbürgerschaft angenommen.
Der Fall Wirecard lässt mich immer an die Iran-Contra Affäre denken und an die Leuna Affäre. Bei hochkriminellen Machenschaften wegsehen, mitmachen oder gar initiieren um über das Schwarzgeld illegale Aktivitäten der „Dienste“ und den Finanzbedarf von Parteien und deren Gliedern zu bezahlen.