Von der Leyen plant „28. Regime“: Neues Sonderrecht für besonders brave Unternehmen?

In der EU gibt es zu wenige Start-ups. Die Lösung der Kommission liegt auf der Hand: Man schaffe ein Sonderregime für innovative Betriebe, mit Spezialrecht in allen EU-Staaten. Also einen eigenen Staat für Unternehmen – schon vorab von der EU handverlesen.

picture alliance / Hans Lucas | Martin Bertrand

Irgendwie hat die EU kein Glück mit den Namen für ihre Erfindungen. Schon die 27 Kommissare erinnern an die finstersten Zeiten der Sowjetunion und gestiefelte, bemützte Gestalten in Uniform. Dann gibt es den geheimnisumwitterten Rat mit seinen beiden Präsidenten (derzeit Costa und Frederiksen) und vielen Untergremien, etwa dem Ausschuss der Ständigen Vertreter (COREPER). Unter der Kommission wiederum treiben Exekutivagenturen ohne Namen und Zahl ihr Unwesen.

Nun soll ein „28. Regime“ errichtet werden, das neben die 27 Mitgliedstaaten treten wird. Die Mitgliedsländer scheint man hier auch schlicht als eine Reihe von Regimes zu sehen, so wie sie es vor gut fünf Jahren mit der Etablierung von „Corona-Regimes“ vielleicht wirklich waren. Es ist also schon einmal keine glückliche Begriffsfindung, zumindest im Deutschen nicht. Im Englischen bedeutet „regime“ auch „Regelung, Politik“, aber die andere Bedeutung existiert ebenso.

In jedem Fall scheint mit dem Begriff eine Art fiktives Mitgliedsland gemeint zu sein, ein Regime, das über den anderen schwebt, neben ihnen flottiert. Der neue Regelungskreis soll bestimmten Unternehmen einen EU-weiten Sonderstatus geben, um das Wachstum in bestimmten Branchen anzuregen. Branchen, die die EU-Großen offenbar entweder als strategisch wichtig oder als besonders gewinnträchtig ansehen. Deren Förderung soll sogar sehr nötig sein. Denn die EU-Wirtschaft lahmt.

Draghi sieht EU in jeder Hinsicht unter Druck

Im spanischen Oviedo sprach Mario Draghi, ehemaliger Direktor der EZB, dieser Tage wieder über die schwindende Wettbewerbsfähigkeit der EU. Draghi fragte: „Wie akut muss eine Krise werden, damit unsere Politiker ihre Gedanken bündeln und den politischen Willen zum Handeln aufbringen?“ Die EU sei zu langsam, zu fragmentiert und zu sehr in nationalen Interessen gefangen. Die Aussichten für Europa seien so schlecht wie nie. „Fast alle Grundsätze, auf denen die Union beruht, stehen unter Druck.“

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Und angeblich ist die derzeitige „lose“ Struktur als Konföderation schuld daran, dass die EU dem globalen Wettbewerb nicht mehr gewachsen sei. Die Lösung ist laut Draghi kein Bundesstaat, keine zentralen Bürokratien, sondern „Projekte und Interessen“, über die sich die EU neue organisieren soll. Das „28. Regime“ scheint in diese Kategorie zu passen.

Doch es werden Zweifel wach, ob den Eurokraten der Verzicht auf eine zentrale Bürokratie diesmal gelingen wird. Fragen verbleiben auch zu Sinn und Art des Vorhabens „28. Regime“. Was steckt nun wirklich dahinter? Kurz gesagt, handelt es sich um eine typische Brüsseler Erfindung, bei der das Problem natürlich die Mitgliedstaaten sind. Es geht um einen einheitlichen Rechtsrahmen für „innovative Unternehmen“, und der soll einerseits optional, also nicht verpflichtend, andererseits aber nicht für alle Unternehmen verfügbar sein. Also ein elitärer Kreis für einige wenige?

Die eingeschlossenen Unternehmen sollen von „einheitlichen, harmonisierten EU-weit geltenden Regeln“ profitieren, egal in welchem EU-Staat sie investieren oder aktiv werden. Das Körperschafts-, Insolvenz-, Arbeits- und Steuerrecht sollen für die erlauchten Betriebe vereinheitlicht werden. Das ist der eigentliche Punkt bei dem Vorhaben: Einige von der EU als „innovativ“ anerkannte Unternehmen profitieren von einem Sonderrecht, das sie über das Einzelrecht der EU-Staaten erhaben macht.

Der Vorschlag wurde schon länger in den Hinterzimmern der Union diskutiert und gebilligt, bevor er nun öffentlich wird – also alles wie immer. Er scheint aus den Berichten der ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Letta und Draghi (beide von 2024) zu stammen. Im Januar dieses Jahres setzte dann Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Projektgruppe ein, die das Vorhaben ausarbeiten soll. Am 10. September sagte von der Leyen in ihrer Rede zur „Lage der Union“: „Für innovative Unternehmen bereiten wir das 28. Regime vor.“ Im ersten Quartal 2026 soll der Gesetzentwurf der Kommission folgen. Das wäre ganz schön flott für die EU.

Viele Start-ups, doch keines wächst wie Microsoft

In einer vom EU-Parlament beauftragten Expertenstudie heißt es, die EU erzeuge mehr Start-ups pro Jahr als die USA, sei aber unfähig, sie wachsen zu lassen: 2023 waren nur sieben Prozent der einzigartigen Unicorn-Unternehmen in der EU zu Hause, 46 Prozent weiterhin in den USA, daneben hatte sich der „Rest der Welt“ auf 22 Prozent gesteigert (Seite 9 des verlinkten Dokuments). London und New York haben heute drei- bis viermal so viele Start-ups wie Paris oder Berlin. Das will man ändern und macht einmal mehr die Binnengrenzen im Binnenmarkt als kritischen Faktor aus. Dass es vielleicht auch an der EU-Politik von Green Deal und unsicheren Rahmenbedingungen (zum Beispiel für Internet-Unternehmen durch die Zensur-Verordnung Digital Services Act) liegen könnte, scheint den EU-Dirigenten nicht in den Sinn zu kommen.

Die Probleme „innovativer EU-Unternehmen“ sind laut der Expertenstudie der fehlende Zugang zu Finanzen oder Fachkräften, daneben und vor allem aber der „noch immer unvollendete Binnenmarkt“, „harsche und ungleiche Insolvenzregeln“ in den einzelnen Staaten und lästige Regulierungen.

Wir lernen auch, dass es eigentlich schon ein paar „28. Regimes“ gibt, etwa das Pan-Europäische persönliche Pensionsprodukt (PEPP), das EU-Einheitspatent, die Europäische Gesellschaft sowie noch einige andere. Nicht alle sind Erfolgsgeschichten. Ihr Scheitern wird analysiert, und natürlich sind wieder einmal die Divergenzen zwischen den Mitgliedsstaaten schuld.

Das „28. Regime“ als erlauchter Kreis von Innovatoren

Bisher soll vor allem die Betriebsform der Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea, SE) Unternehmen das Operieren im EU-Raum erleichtern. Die Betriebe haben dann nur noch mit einer nationalen Aufsichtsbehörde zu tun, je nach Firmensitz. Das „28. Regime“ geht über die SE hinaus, indem es einen gesonderten Rechtsraum schafft. Junge, schnell wachsende Firmen, die sich durch technische Neuerungen und kreative Geschäftsideen auszeichnen, will man so angeblich fördern. Aber wer wird am Ende die kleinen von den großen unterscheiden? Wann entwächst ein Unternehmen dem Start-up-Status und wird zum Konzern? Man könnte an den Mainzer Biontech-Betrieb denken, der dank „EU-Investionen“ in mRNA-Produkte im Nu vom Start-up zur Goldgrube wurde.

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Innovationen sind dabei laut einer Fachseite besonders in Bereichen wie „Informationstechnologie, Biotechnologie, erneuerbare Energien“ zu erwarten. Und hier versteht man plötzlich, wie das „28. Regime“ laut von der Leyen auch zur Erreichung der EU-Klimaziele beitragen soll. Der Rechtsrahmen wäre nur ein weiteres Förderprogramm für die Industriepolitik der EU, die sich unter vdL vor allem in der Biotechnologie (Pfizer-Biontech) und bei grünen Technologien (Green Deal) abgezeichnet hat. Das „28. Regime“ wäre dann also ein neues Instrument, um dieselben Politikziele zu erreichen. Nur, dass dabei nun auch die Rechtssysteme von 27 Mitgliedsländern niedergewalzt werden – mit unabsehbaren Folgen etwa für die Haftung der Unternehmen und für die Einhaltung nationaler Standards.

Daneben soll der Zugang zum „28. Regime“ vermutlich irgendwie beschränkt werden. Im Draghi-Bericht hieß es dazu, innovative Start-ups sollten sich durch Kriterien wie die Qualifikation der Belegschaft, durch ein Mindestmaß an Forschungs- und Entwicklungsausgaben und den Besitz von geistigen Eigentumsrechten „qualifizieren“. Es wären also EU-Kriterien, die ein Unternehmen zum „innovativen Start-up“ machen und die ihm damit Zugang zum „28. Regime“ gewähren.

Anders gesagt: Ein neuer Flügel würde im Bürokraten-Bau namens Brüssel angebaut. Die kleinen und mittleren Unternehmen würden von Brüssel kategorisiert und selektiv in eine vorteilhafte EU-weit gültige Rechtsform gebracht. Ein Problem könnte sein, dass das EU-Korsett zu eng sein könnte, die echten Start-ups also gar nicht erst aufgenommen werden, sondern ausgeschlossen bleiben, weil Bürokraten nicht finden, dass sie die Kriterien erfüllen.

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Kommentare ( 16 )

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16 Comments
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Monostatos
1 Monat her

Angeblich soll Benito Mussolini – zufälligerweise auch ein Italiener wie Letti und Draghi – gesagt haben, dass der Faschismus die ideale Verbindung von Staat und Unternehmen sei und daher eher Korporatismus genannt werden sollte. Insofern sollte man das „28. Regime“, in welchem nationales Recht, das in aller Regel über parlamentarische Verfahren der repräsentativen Demokratie etabliert wurde, außer Kraft gesetzt wird, „FASCHISTAN“ nennen. Die korrespondierende Regulatorik wird dann auch als „Bürokratieabbau“ bezeichnet werden und hat damit soviel zu tun wie „UnsereDemokratie“ mit echter Demokratie. Mit Grundrechten hat man es in Brüssel nicht so.

Last edited 1 Monat her by Monostatos
Schwabenwilli
1 Monat her

Diese Bürokraten EU muss untergehen damit Europa lebt.

JamesBond
1 Monat her

Diese EU einfach auflösen und dazu noch Energie- und sonstige Wende beenden und dann klappts, wetten?

AlexR
1 Monat her

„28. Regime“? Oder eher das tausendjährige Reich, das gerade mal eine zweistellige Anzahl Jahre durchgestanden hat? In diesem EU-Beamtenmoloch ist alles möglich.

Sozia
1 Monat her

Die EU und ihre Regulierungswut sehe ich als selbständige Unternehmerin als größtes Hindernis neben der deutschen Bürokratie. Beides zusammen nimmt mir auch jeglichen Expansionswillen, denn erstens wird sowieso der Gewinn wieder größtenteils wegversteuert und zweitens ist jegliches Wirtschaften längst ein Risiko, weil der Unternehmer von allen Seiten bedroht wird durch das Regelungsdickicht, das kaum einer noch durchschaut. Das Ergebnis kann existenziell sein oder man landet gar im Gefängnis, wobei es kaum noch jemandem möglich ist, alles zu durchschauen. Ich kenne Selbständige, die ganz aufgegeben haben wegen der Datenschutzgesetze und der damit verbundenen Risiken. Die beste Form der Wirtschaftsförderung wäre dann… Mehr

W aus der Diaspora
1 Monat her

Ein startup, dass wirklich gut ist und dessen Gründer daran glauben, dass sie etwas erreichen werden, wird nie und nimmer Teil eines 28. Regimes werden wollen.
Startups brauchen Freiheit – und die gibt es in der EU nicht!

NurEinPhilosoph
1 Monat her

Ein Staat ohne Land, ohne Volk baut sich eine virtuelle Steuerinsel zur Beglückung ausgewählter Konzerne und handverlesener Startups.

Die nächste Schnapsidee der EU.

Dr. Thomas Schimpff
1 Monat her

Ich weiss, es ist kein guter Gedanke. Aber ich bin froh, dass die auch hier wieder zweimal fotografisch Verewigte im 68.Lebensjahr, als in voller Pensionsreife- steht. Der Gedanke, dass „Flinten-Uschi“ erst auf die 50 zuginge und die Welt noch zwei Jahrzehnte beglücken will, der wäre beängstigend.

Guenther Adens
1 Monat her
Antworten an  Dr. Thomas Schimpff

Stimmt schon, aber hat jemand eine Idee, wir man diese Tante, die wohl für immer EU- Königin sein will, möglichst schnell ( auf legalem Wege) los wird?

Monostatos
1 Monat her
Antworten an  Dr. Thomas Schimpff

Ich wäre mir nicht sicher, dass man in der EU-Elite nicht eine noch üblere Person – etwa Alena Buyx – für dieses Amt findet. Bislang war das immer so – auch wenn UvdL kaum zu toppen sein wird.

Elmar
1 Monat her

Ich tippe mal auf einen Flop. Dass wird so enden wie der Versuch, junge Süditaliener und junge Spanier mit schlecht bezahlten und befristeten Jobs nach Deutschland zu locken. Mehr als ein weiteres nutzloses Bürokratiemonster ist nicht zu erwarten.

nicht in meinem Namen
1 Monat her

Wie können Unternehmen jeglicher Art, in einem korrupten und totalitären System gedeihen? Diese Frage kann sicher jeder, der selbst denkt und mit offenen Augen durch das Leben geht, selbst beantworten …