Merz und Klingbeil: Warum Schulden und Waffen keine Wirtschaft retten

Ludwig Erhard, zunächst Wirtschaftsminister, später Bundeskanzler, hat mit Kettensägen-Reformen das Wirtschaftswunder losgetreten. Schafft Friedrich Merz ein neues Wirtschaftswunder mit Schulden und Rüstungspolitik? Oder war es das mit Erhards „Wohlstand für Alle“?

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Für die Beschreibung der wirtschaftlichen Realität reichen zwei Sätze vom Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie, des ansonsten der CDU treu ergebenen Peter Leibinger: „Wir stecken in der schwersten Wirtschaftskrise seit Gründung der Bundesrepublik. Die Stimmung ist extrem negativ, teils regelrecht aggressiv.“ Und weiter: „Der Wirtschaftsstandort befindet sich im freien Fall … das ist kein konjunkturelles Tief, sondern ein struktureller Abstieg.“

Keine Reformen, nur mehr Schulden und Rüstung

Nun will Friedrich Merz, Bundeskanzler unter dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil, an Ursachen wie extreme Energieverteuerung, „Green Deal“ der EU, Verbrennerverbot und weitere Erhöhung der Abgabenlast durch steigende CO2-Abgaben nichts ändern; auch bürokratische Monster wie das Lieferkettengesetz bleiben bestehen – allen Ankündigungen zum Bürokratieabbau zum Trotz.

Das Klingbeil/Merz-Konzept ist eine Art Vulgär-Keynesianismus – seit den 1960ern soll die Wirtschaft dadurch auf einen stabilen Wachstumspfad geführt werden, dass der Staat seine Ausgaben erhöht. Staatliche Beschäftigungsprogramme sollen den Verbrauchern Geld in die Taschen stopfen und so die Wirtschaft ankurbeln. Das hat nun schon unter Helmut Schmidt nicht geklappt. „Lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit“, lautet ein ihm zugeschriebenes Bonmot. Am Ende erhielt Deutschland allerdings 10 Prozent Inflation und 10 Prozent Arbeitslosigkeit – bei explodierender Schuldenlast, von der sich der Staatshaushalt bis heute nicht erholt hat. Nur der Glaube an die Wundermacht des Staates blieb in den Köpfen der staatsgläubigen Sozialdemokratie verhaftet.

Mit dem Monster-Schuldenprogramm der schwarz-roten Koalition wiederholt sich der wirtschaftshistorische Vorgang. Geschichtliche Erfahrung zählt wenig in der Koalition der wirtschaftspolitischen Dilettanten.

Das Kettensägen-Monster und die Witwenmacher

Angefangen hatte es anders unter Ludwig Erhard. Seine Wirtschaftsreformen 1948 wirkten wie ein rasendes Kettensägen-Gemetzel, mit dem die bis dahin geltenden staatlichen Preisfestsetzungen weitgehend abgeschafft wurden – das Wirtschaftswunder nahm seinen Lauf. Auch die Staatseinnahmen sprudelten und schon im Herbst 1955, nur 7 Jahre später regnete es Steuersenkungen in Form von Ehe-Gatten-Splitting, höheren Renten, besserer Kriegsopferversorgung und der Befreiung vom „Notopfer“ für das eingekesselte Berlin. Der Vergleichszeitpunkt liegt deshalb nahe, weil in denselben Ausgaben der damaligen Tageszeitungen eine zweite Schlagzeile die Frontseiten beherrschte. Just am Tage der Haushaltsdebatte wurden die ersten Generale der neugegründeten Bundeswehr ernannt. Fast mit links wurde die Gründung der Bundeswehr finanziert und auf schließlich 495.000 Mann erhöht. Modernste Bewaffnung war selbstverständlich. Schon 1958 wurde der Kauf des Überschall-Jagdbombers Lockheed F-104 „Starfighter“ beschlossen, der später so häufig abstürzte, dass er den bitteren Namen „Witwenmacher“ erhielt.

Es kann hier nur ein grober Überblick sein. Aber unter Erhard folgte die Aufrüstung den wirtschaftlichen Möglichkeiten. Bei Friedrich Merz dagegen soll die Aufrüstung der Auslöser für ein neues Wirtschaftswachstum sein. Autofabriken sollen zu Panzerschmieden umgebaut werden, der kollabierende Mittelstand der Zulieferindustrie sein Heil als Teile-Lieferant für Rheinmetall finden. Rheinmetall rüstet seine Beschäftigtenzahl von 28.000 auf 70.000 auf; und selbst der harmlose Druckmaschinenhersteller „Heidelberger Druck“ mutiert zum Rüstungsteilelieferanten.

Wehrkraft muss sein

Aber kann das funktionieren? Sicherlich – Verteidigung muss sein. Aber ist damit nachhaltiger Wirtschaftsaufschwung verbunden? Das Beste, was ein Kampfpanzer vom Typ Leopard für derzeit rund 29,2 Millionen Euro Beschaffungskosten je Stück leistet, ist, dass er ungebraucht verrostet. Das Schlimmste, was er leisten kann: Dass er zum Einsatz kommt, denn ob Sieg oder Niederlage, es  wäre ein zerstörerischer Krieg. Zur Abschreckung werden der Leopard und seine Gefährten gebaut, und nicht, damit sie benutzt werden. Wirtschaftlich gesehen ist Waffenproduktion keine Investition, die Mehrwert und Einkommen produziert, sondern Konsum, der vom Steuerzahler finanziert werden muss. Höhere Steuern und Verschuldung ersetzen privaten Konsum und Investition.

Die EU beabsichtigt, bis 2030 den Anteil der europäischen Rüstungsproduktion aus EU-Staaten auf 60 Prozent zu steigern – was im Umkehrschluss bedeutet: Fast die Hälfte der Rüstungsausgaben fließt in die USA, neuerdings auch nach Israel oder anderswohin. Das gigantische Rüstungsprogramm ist damit ein Konjunkturprogramm allenfalls für die US-Rüstungsfirmen in Kalifornien und Texas oder anderen Bundesstaaten, auf die ein warmer Geldregen aus Germany niedergeht. Dort mag die Wirtschaft dann wachsen – in Deutschland verhungert sie unter dem Druck von Abgaben und Steuern, die ihr entzogen werden.

Gegen die Wirksamkeit staatlicher Konjuntkurprogramme spricht aber auch: Laufen die Programme, können sie kaum mehr gestoppt werden. Im Gegenteil. Irgendwann hängen so viele Unternehmen, Arbeitsplätze und Regionen davon ab, dass ein Zurückschneiden fast unmöglich wird. Das Flottenbauprogramm des Kaiserreichs ist das historische Beispiel dafür. Zu viele Stahlproduzenten wie Krupp, Werften und viele Beschäftigte waren Nutznießer, auch wenn des Kaisers Schlachtschiffe die Konflikte mit der damaligen Weltmacht Großbritannien verschärften – und praktisch nie zum Einsatz kamen. Aktuell ist es die Branche der Erneuerbaren Energien, die mit Subventionen zur unersättlichsten Macht im Staate aufgepäppelt wurde, die nur mit äußerster Kraftanstrengung gebändigt werden könnte. Die Lobby der grünen Subventionswirtschaft ernährt sich selbst durch immer neue Vergünstigungen.

„Ökonomie der Zerstörung“

Die Gefahren maßloser Aufrüstung zeigt auch die Rüstungspolitik Hitlers: Der britische Historiker Adam Tooze hat vor 20 Jahren in seinem grandiosen, faktenreichen und beispielhaften Werk „Ökonomie der Zerstörung“ einen Vorgang beschrieben, der im Hitler-Reich bis zum totalen Untergang betrieben wurde. Tooze beschreibt die Aufrüstungspolitik vor 1939 als gigantische Ressourcenverschiebung, die das Regime zunächst noch im Frieden Schritt für Schritt in eine „Kriegwirtschaft im Frieden“ treibt.

1938 liegt der Militäranteil am Nationaleinkommen bereits bei über 19 Prozent. Allein das Heer verschlingt in wenigen Monaten einen Betrag, der volkswirtschaftlich schon mehrere Prozent des Nationaleinkommens ausmacht. Der entscheidende Punkt bei Tooze ist nicht nur „viel Rüstung“, sondern der Mechanismus dahinter. Die politischen Ziele werden in harte Produktions- und Beschaffungsprogramme übersetzt – und diese Programme laufen in einer Wirtschaft, die weder Rohstoffe noch Devisen im Überfluss hat. Finanzpolitisch führt das laut Tooze bereits 1938/39 in die Sackgasse.

Die klassische Finanzierung über Steuern und langfristige Platzierung von Reichsanleihen reicht nicht mehr, der Kapitalmarkt wird widerspenstig, die Last rutscht auf kurzfristige Staatsschulden – und am Ende auf Reichsbankkredite und abenteuerliche Wechselreiterei hinaus, die Bürger, Wirtschaft und Staat ruinieren. Die Aufrüstung erzeugt so eine Art Zwangsdynamik. Wer die Programme nicht kürzt, muss improvisieren – und diese Improvisation bedeutet wachsende „schwebende“ Verbindlichkeiten, steigende Geldschöpfung und wachsenden Druck auf Preise und Knappheiten. Tooze’ Botschaft: Das Regime zieht 1939 nicht aus schierer Kriegslüsternheit in den Krieg, sondern auch, weil die ökonomische Konstruktion der Hochrüstung im Frieden instabil geworden ist. Der Anschluss Österreichs und die in Wien lagernden Goldbestände der Republik verschaffen nur vorübergehend Erleichterung. Der Wettlauf gegen die Gesetze der Ökonomie schien nur durch immer neue Raubzüge zu gewinnen zu sein.

In seinem großartigen Werk „Hitlers Volksstaat: Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus“ führt der Historiker Götz Aly daher Hitlers expansive Eroberungspolitik auch auf eine wirtschaftliche Notwendigkeit zurück. Das System kämpfte gegen Ressourcenknappheit und Staatsbankrott. Diese Deutung beschreibt die materiellen Motive hinter der Kriegswirtschaft. Dazu gehört aber auch die soziale Befriedung durch eine umfangreiche, sozialistische Sozialpolitik. Selbst den Holocaust analysiert Aly als räuberische Ausplünderung und Ermordung der Opfer. Wirtschaftliche Notwendigkeit und Rassenwahn verschränkten sich.

Gesetze der Ökonomie gelten immer

Kein Land könnte derzeit davon weiter entfernt sein als Deutschland an der Jahreswende 2025/26. Doch die innere Logik sozialistischer Planwirtschaft zu Gunsten höherer Ziele, das Verdrängen des marktwirtschaftlichen Lenkungssystems durch administrierte Preise und Produktionsvorschriften gilt es zu verstehen. Und deren Folgen sind immer ziemlich ähnlich.

Denn derzeit betragen die Rüstungsausgaben der Größenordnung in Nato-Kriterien gemessen nur ein Zehntel der damaligen, nämlich 2 statt 20 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Aber gewisse Parallelen sind erschütternd – wenn man die wirtschaftlichen Folgen etwa der Klimapolitik in Betracht zieht, die einer ähnlichen Steuerungslogik unterliegt. Immer tiefer greift die EU in die Wirtschaft ein. Lenkt ganze Branchen wie die Autoindustrie, begrenzt globalen Wettbewerb, fördert oder bestraft ganze Industriezweige nach den Maßgaben einer selbstherrlichen grünen Transformation. Immer weitere Bereiche der Wirtschaft mussten und müssen subventioniert werden. 18.000 Beamte waren vor 1939 schließlich alleine für die außenwirtschaftliche Lenkung in 25 Branchen zuständig. Ein Grenzausgleichsmechanismus wurde geschaffen, der sonst zu teure, konkurrenzunfähige Exporte auf Weltmarktniveau herabsubventionierte und im Inland entsprechend besteuerte, um sich die Mittel zu verschaffen. Dem ähnelt der Grenzausgleichsmechanismus, der jetzt Wirklichkeit wird: Deutsche Autobauer sollen grotesk überteuerten „grünen Stahl“ in ihre Karossen verbauen. Damit sie noch wettbewerbsfähig anbieten können, erhalten sie bei der Ausfuhr Subventionen, die den importierten Autos abgeknöpft werden sollen. 18.000 Beamte sind vermutlich die Untergrenze der neuen grünen Grenzausgleichsmechanismen.

Und ein geradezu groteskes Beispiel drängt sich nach vorne: Deutschland erzeugte in riesigen Anlagen künstliches Benzin aus Kohle, um autark zu werden. Die Differenz zum Weltmarktpreis für Benzin wurde aus der Staatskasse finanziert und zwar in Dimensionen, die durchaus vergleichbar sind mit den Subventionen für Wind- und Solarenergie. Man erzeugt teuer und rechnet sich künstlich billig – zu Lasten von Industrie und Verbrauchern. Das Dritte Reich rutschte auf diese Weise in eine staatliche, immer mehr sozialistische Planungs- und Lenkungswirtschaft mit sozialpolitischer Absicherung der Volksgenossen, um seine wahnsinnigen politischen Ziele zu erreichen. Weil die Volksgenossen mit allerlei Sozialleistungen über die wahre Entwicklung hinweggetäuscht werden mussten, geriet das System immer weiter in die Schieflage, bis es zu Raubzügen gegen die Juden im Reich und die Nachbarschaft ansetzte.

Zurück zur Kettensäge

Ludwig Erhard hätte anders gehandelt: Es geht darum, die Angebotsbedingungen der deutschen Wirtschaft zu verbessern – bessere Ausbildung der Werktätigen, Forschung und Entwicklung, günstige Energiepreise, Ausbau der Infrastruktur, Abbau der Bürokratie und Anreize für wirtschaftliches Handeln, statt durch Besteuerung die Leistung zu dämpfen und über das Bürgergeld Arbeitslosigkeit zu subventionieren.

Das wäre die Wiedergeburt des Kettensägen-Monsters. Lars Klingbeil und sein Merz gehen einen anderen Weg. Die Rüstung soll darüber hinwegtäuschen, dass die Nachfrage fehlt, weil niemand überteuerte deutsche Produkte kaufen will. Immer neue Bürokratie-Regelungen, Ausgleichsmechanismen, Subventionen, Gebote und Verbote sollen die Märkte verzerren und die Unwirtschaftlichkeit verschleiern.

Dahinter stecken zwei Glaubenssätze: Dass Staatswirtschaft mit ihrer Politik den Märkten überlegen ist, dass Beamte also besser als Unternehmer wissen, was die Konsumenten der Welt verlangen. Und dass sich alles einem großen Plan unterzuordnen habe: der Transformation in eine staatlich gelenkte Wirtschaft.

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Kommentare ( 2 )

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Logiker
1 Stunde her

apropos deutsche Wirtschaft:

https://www.bietigheimerzeitung.de/inhalt.fernverkehr-neuer-ice-l-der-bahn-wird-von-angemieteten-loks-gezogen.720bbab3-9ca1-4148-9860-0151294a5d22.html

Früher wurden ICEs in Deutschland gebaut und exportiert – heute „baut“ man nur noch die Vorschriften dafür in Deutschland.

Und wenn du denkst, da geht nichts mehr, kommt ’ne neue Pleite schnell daher.

BER ist überall !

Es gibt immer noch etwas, was kaputt gewirtschaftet werden kann.
Also – auf geht’s !

Last edited 53 Minuten her by Logiker
hodams
1 Stunde her

Solange die Futternäpfe unserer Demokratie gefüllt sind geht der Irrsinn weiter.