FDP: Wer will nach Jamaika?

Die FDP wird in eine Jamaika-Koalition mit dem Wahlverlierer CDU/CSU und den Grünen getrieben. Klar ist: Christian Lindner müsste dann den Bankrottkurs mittragen. Kann er widerstehen und welche Rolle spielt dabei sein Stellvertreter Wolfgang Kubicki?

© Getty Images

Die Landtagswahl in Niedersachen sollte Angela Merkel mit einem Triumph über die SPD Rückenwind für die Reise nach Jamaika geben. Doch die Wähler haben anders entschieden und die Reisegeschwindigkeit nach Jamaika erheblich herabgesetzt: CDU, FDP und Grüne haben dort Stimmen verloren – zusammen 9,8 Prozent. Jamaika ist damit kein zukunftsweisendes Projekt, sondern eine Koalition der Verlierer einer angezählten Kanzlerin.

Koalition der Verlierer

Trotzdem, am Tag danach lud Angela Merkel zu „Sondierungsgesprächen.“ Ihr bleibt auch gar nichts anderes übrig – spätestens am 30. Tag nach der Wahl konstituiert sich der neue Bundestag; ab diesem Zeitpunkt ist sie bis zur Wahl eines richtigen Bundeskanzlers nur noch „geschäftsführende Bundeskanzlerin“, oder das, was in den USA „Lahme Ente“ genannt wird. Und selbst darum muss sie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier „ersuchen“. Es ist eine ungemütliche Hängepartie. Aber Regierungsämter locken die Ehrgeizigen, die Überzeugten und diejenigen, denen die eigene politische Lebenszeit zwischen den Fingern zerrinnt – allen voran den beiden umstrittenen und wenige erfolgreichen Spitzenkandidaten der Grünen, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckhardt: Beide spüren das gnadenlose Wolfsrudel der eigenen Partei im Nacken; jetzt oder nie lautet ihrer Devise. Natürlich wird das nie ein Politiker zugeben und so versteigt sich Göring-Eckhardt zu der Formulierung, eine Regierung mit Grün sei notwendig für „die Menschheit und den Planeten“ – mehr Größenwahn war selbst in der auch an diesem Wahn reichen deutschen Geschichte schon länger nicht mehr.

Öko-Nationalismus
Schlechtes Zeugnis für die Klimakanzlerin
Differenzierter ist die Lage bei der FDP: Unterschiedliche Signale senden Christian Lindner und sein Stellvertreter Wolfgang Kubicki. Kaum eine Talkshow, in der Kubicki nicht Jamaika zum Land seiner Sehnsucht verklärte – während Lindner kaum zu sehen war. Manches mag man biographisch erklären – Lindner, gerade 38, kann warten, bis ein Amt auf ihn zukommt. Kubicki, 65, hat in der Vergangenheit Berliner Ämter immer abgelehnt – zu schlecht bezahlt gemessen an den Honoraren seiner Anwaltskanzlei, zu freudlos das Leben in den Sitzungssälen im Raumschiff Berlin für einen Genießer, dessen Motorboot im nahen Yachthafen auf das Stück Freiheit für den Mann wartet. Doch will Kubicki sein Lebenswerk nun mit einem Ministeramt krönen – oder spielt er zusammen mit Christian Lindner „Good Cop – Bad-Cop“? Während Kubicki ins Koalitionsbett steigt, ziert sich Lindner und treibt den Umfang der Morgengabe – oder kann elegant am Ende die Verhandlungen platzen lassen?

Denn für die FPD geht es ums Überleben. Sie wurde gewählt, um Merkels Politik zu beenden – nicht um sie fortzusetzen. Im Interview mit der FAZ formulierte er die „fünf großen E“, über die in den jetzt beginnenden Sondierungen gesprochen werden müsse: „Europa, Energie, Entlastung, Einwanderung und Edukation“. Damit hat er ziemlich genau beschrieben, was die Wähler von ihm erwarten – und die Wähler der FDP sind das fluide Element der deutschen Politik; viele davon angezogen von der AfD.

Die fünf E’s der FDP

In den beiden Tagen vor der Bundestagswahl zeigten zwei weitgehend unbeachtete Ereignisse, wie schwierig es die FDP mit den E’s so haben wird: Am Freitag um 17.00 Uhr erreichte die Windenergieeinspeisung in Deutschland ein Minimum von gerade mal 296 Megawatt. Das sind 0,55 Prozent der installierten Leistung, die deutsche Windräder erbringen können, wenn der Wind richtig – nicht zu schwach und nicht zu stark – weht.

Die Zahl ist eine Bankrotterklärung: Merkels Energiewende funktioniert nicht. Denn diese Zahl besagt nichts anderes, als dass zu diesem Zeitpunkt an die 90 Prozent der in Deutschland verbrauchten Energie aus herkömmlichen Kraftwerken stammte – aus viel Braunkohle also, noch etwas Atom und russischem Gas. Weil das nicht reichte, musste französisch-belgische Kernenergie dazugekauft werden.
Die deutschen Windparks lieferten nicht. 1.000 Milliarden Euro Kosten für die Energiewende, und alles bleibt, wie es war? Glaube und Hoffnung der Politik scheitern an der Physik und dem Wetter?    

Welche Wahlauswirkungen?
CDU-FDP Koalition in Kiel für leichten Familiennachzug
Das zweite Ereignis unmittelbar vor der Wahl fand am Donnerstag statt. Die Jamaika-Koalition in Kiel, ein Werk des dortigen Landesvorsitzenden Wolfgang Kubicki, fasste den gemeinsamen, farbenfrohen Beschluss, dass der Familiennachzug von Flüchtlingen erleichtert werden solle. Das würde bedeuten: Die noch längst nicht bewältigte Zuwanderung der Jahre 2014 bis 2016 von fast zwei Millionen (noch ohne Zuwanderung aus den EU-Ländern Bulgarien und Rumänien) würde noch einmal erhöht. Nimmt man die Landesregierung in Kiel als Blaupause, dann sind die Ziele offensichtlich dem entgegengesetzt, was die Deutschen wollen und was die FDP versprochen hat. Jetzt liegt es an Parteichef Christian Lindner, das E für „Limitierung“ statt „Ausweitung der Einwanderung“ nach Modell Kubicki zu interpretieren – und Kubicki auf´s Motorboot statt ins Ministeramt zu schicken.

Mit den anderen E’s ist es nicht viel einfacher.

  • In der Euro-Politik will Frankreich unter seinem charismatischen Präsidenten Emanuel Macron eine gesamteuropäische Bankenhaftung, die gemeinsame Haftung für Schulden und neue Umverteilungstöpfe – alles zu Lasten der Deutschen.
  • In der Energiepolitik geht es darum, Merkels zerstörerische Energiewende zu sanieren und die Zahlung immer neuer und immer höherer Subventionen sofort zu beenden.
  • In der Bildungspolitik, die Lindner mit Edukation in den Reigen seiner Eckpunkte aufnimmt, fehlt jeder Ansatz, um wieder an Traditionen des Lehrens und Lernens anzuknüpfen. Vorbei sind die Zeiten, als das „Land der Dichter und Denker“ mit seinen Bildungsidealen noch Vorbild für weite Teile der Welt war: jeder Pisa-Test eine Bankrotterklärung.
Weiter in Grün wie bisher?

Geschickt spricht Lindner davon, dass sich CDU, SPD und Grüne sehr ähnlich geworden seien: „Sie bilden den politischen Mainstream, der den Staat allzuständig macht, Unterschiede nivelliert und eine moralische Überheblichkeit kultiviert“. Lindner im Kampf gegen den Mainstream – das ist auch für das fünfte E, die steuerliche Entlastung kein Platz. Für die Grünen formuliert das ihr NRW- Chef Sven Lehmann so: „Wir wurden gewählt für einen Ausstieg aus Kohle und Verbrennungsmotor, für mehr soziale Gerechtigkeit und ein Ende des Sparkurses in Europa. Wir haben einen Wählerauftrag für eine humane Flüchtlingspolitik.“

Wenn man „soziale Gerechtigkeit“ übersetzt in das, was gemeint ist, nämlich noch höhere Steuern für noch mehr Umverteilung, und „Ende des Sparkurses“ in „noch mehr Transferzahlungen für Südeuropa“, „humane Flüchtlingspolitik“ in „offene Grenzen und keine Abschiebung“ – dann erhält man das Kontrastprogramm zu Lindners E-Programm, für das die  FDP gewählt wurde. Angela Merkel mag ein Jamaika- Bündnis mit dieser Programmatik ihrer bereits begangenen Fehlentscheidungen willkommen sein; Kubicki mag dafür in jeder Talkshow werben – für die FDP wäre es der Untergang nach einer flotten Auferstehung.

Bleibt Merkel oder bleibt Lindner hart?

Vermutlich ist Deutschland das einzige Land, in dem eine Regierungschefin nach einer verheerenden Wahlniederlage und Jahren der multiplen Fehlentscheidungen erneut versuchen kann, eine Regierung des fehlerhaften Handelns zu installieren. Nachdem ihr die SPD abhanden kam, will Angela Merkel nun die FDP mit dem Argument angeblicher „staatsbürgerlicher Verantwortung“ in eine Jamaika-Koalition mit den Grünen pressen – trotz inhaltlicher Gegensätze, wie sie größer nicht sein könnten. Dabei gibt es im Grundgesetz keinen Selbstmordauftrag für Parteien, wie es Jamaika für die FDP sein könnte. Demokratie ist, wenn das Parlament die Regierung kontrolliert. In Zeiten der Großen Koalition aber haben sich die Deutschen daran gewähnt, dass die Regierung das Parlament kontrolliert, und die Abgeordneten durchwinken, was ihnen vorgesetzt wird.

SPIEGEL-Interview
Kubicki will Jamaika um jeden Preis
Eine Minderheitsregierung, die für jedes Gesetz eine Mehrheit suchen muss, wäre ein Stück gelebte Demokratieerfahrung. Sicherlich würde darunter die Massenproduktion von Gesetzen und Novellen sowie von Novellen zu novellierten Novellen leiden. Der Gesetzgebungsprozess wäre komplizierter und auf das Wesentliche zu beschränken. Schaden würde das nicht – Deutschland hat nicht zu wenig Gesetze, sondern viel zu viele. Und grundsätzliche Entscheidungen bekämen den Raum, den sie brauchen – abgesehen davon, dass Energiewende und Einwanderung ganz ohne Bundestag durchgezogen wurden. Der Bundestag nur als Notar – dafür ist er zu schade. Und eine Minderheitsregierung wäre sicherlich nur vorübergehend – Zeit für einen Neuanfang. In der SPD hat dieser Prozess längst begonnen, in der CSU gärt es, die CDU muss den schmerzhaften Weg gehen. Den Klärungsprozess zwischen linken Spinnern und ernsthaften Politikern müssen auch die Grünen bewältigen. Am weitesten ist die FDP.

Lindner  konnte zuschauen, wie die SPD unter Merkel zum Schatten ihrer selbst wurde. Und er weiß: Die FDP ist das letzte Mal aus dem Bundestag geflogen, weil sie vorher die Backen aufgeblasen und dann nicht geliefert, sondern ihre Wähler maßlos enttäuscht hat. Jetzt haben die Wähler ihr eine zweite Chance gegeben. Eine dritte Chance wird es nicht geben. Wenn die FDP wiederum ihre Ziele verrät, droht das Ende der Partei.

Was passiert, wenn Lindner stark bleibt? Erst einmal bleibt die alte Regierung geschäftsführend im Amt. Und dann könnte es zu einer vorübergehenden Minderheitenregierung kommen – und zu Neuwahlen. Das behagt den Akteuren nicht. Die Parteien haben es sich warm eingerichtet. 598 Abgeordnete sieht das Grundgesetz vor, aber im 19. Bundestag machen sich 709 breit. Die Dehnung der Anzahl der Mandate, ein jedes mit 10 Mitarbeitern ausgestattet, zeigt, wie sehr das Land schon Beute der Parteien geworden ist.

Kann die FDP da widerstehen?

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Kommentare ( 98 )

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98 Comments
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Roland Raisig
6 Jahre her

CSU und GRÜN, da versucht zusammenzukommen, was nicht zusammengehört

Ruth Jakon
6 Jahre her

„ ………sie hätte gehen sollen,als es am Schönsten war“ Was war den so schön in der Ära Merkel? Für Merkel nur das Wachkoma der Wähler, anders ist das nicht zu erklären. Verdienste der letzten 10 Jahre unter Merkel, ihren Partnern, und der nicht vorhandenen Opposition! Ziehen wir mal Merkel-Bilanz: – Außenpolitisch über 100 Milliarden alternativlos in Griechenland versenkt ohne Lösung des Problems. – Alle wichtigen europäischen Schaltposten durch andere Nationen besetzt. – Einführung einer Haftungsunion. (Mit mir wird es keine Eurobonds geben) – Alle Verträge (Kompromisse) überproportional durch deutsche Zusagen erkauft. Halbwertzeit max. 6 Monate. – Deutschland durch einseitiges Ausrufen… Mehr

Wolfgang Lang
6 Jahre her

Angenommen! Einsicht ist der einzige Weg zur Besserung.

Wolfgang Lang
6 Jahre her

Wenn man sich von Europa aus Jamaika nähert, kommt zuvor das Bermuda- Dreieck. Da könnte es den einen oder die andere verschlucken. Einfach weg – ratzfatz. Ich kenne da Leute bei denen wäre das sogar ein Segen – für das Land und die schon länger hier Lebenden.

Wolfgang Lang
6 Jahre her

Die Kirchen, die katholische vorneweg, sind die größten Heuchler und Trickser, die die Weltgeschichte je gesehen hat. Die konstantinische Schenkung ist dafür nur ein Beispiel. Wer denen heute noch nachrennt, hat echt einen an der Waffel.

Wolfgang Lang
6 Jahre her

Bitte beleidigen sie die Krokodile nicht. Das sind anständige Fleischfresser und keine Tofuheuchler.

Wolfgang Lang
6 Jahre her

…eine Regierung mit Grün sei notwendig für „die Menschheit und den Planeten“ .
So trompetet eine taube Nuss großartig in die Welt. Wenn das der Führer gewusst hätte. Die gute Frau hat nicht begriffen, dass „Wichtig scheinen“ oder „sich wichtig machen“, genau das Gegenteil von „wichtig sein“ ist. Man kann nur hoffen, dass KGE bald ihre nicht unbedingt wohlverdiente Pension genießt. Aber für das allgemeine Wohl des Landes ist es eindeutig besser, sie tut nix und sie sagt nix. Geistige Tiefflieger haben wir schon mehr als genug.

Erwin2016
6 Jahre her

kann man nicht vergleichen, die Probleme sind heute ganz andere. ich würde das nicht zu sehr verklären.

Erwin2016
6 Jahre her

ist was dran. bei mir im Osten ist es so: ich will jetzt auch mal Spass haben! nach unsicheren wendejahren, kinderaufzucht, häuslebaue und vertretungsloses Stellunghalten: kam dann “ April april“ es gibt jetzt höhere ziele: du musst jetzt die Welt retten. das heisst Auto verschrotten, murrend die Rechnungen bezahlen. mit geht es gut, solange man so einigermaßen gesund ist. Arbeit gibt es genug und ich arbeite gerne, aber wenn es nicht mehr geht??? Aussicht ist Rente mit 70. also ich gehöre zu den Baby boomern. die achtziger waren im Osten viel Arbeit und Unsicherheit und sparen für das Haus. da… Mehr

Sabine W.
6 Jahre her

‚Jamaika‘ wird nie und nimmer funktionieren. Man wird versuchen, mühsam einen Flickenteppich zusammenzuschustern, der vorne und hinten nicht hält, denn die Positionen sind teilweise diametral gegenübergesetzt. Es ist der verzweifelte Versuch der Union, aus diesem Wahldesaster noch eine funktionierende Regierung hinzukriegen – sei es, um nur die eigenen Pfründe noch länger zu schützen. Und dabei gibt es gleichzeitig gleich drei Parteien, die um ihr Überleben ringen müssen: Die FDP, weil gerade nur mal wieder (kurz?) auferstanden (und im Zweifelsfall als AfD ‚light‘), die CSU, die über ihre ständigen Forderungen mit schnellem Einknicken in der Migrantenpolitik empfindliche Verluste einfahren musste, und… Mehr