Insel der Seligen

Wenn man Wirtschaftskrisen fürchtet, muss man ja nicht gleich an Griechenland denken, wo Taxifahrer die EU-Milliarden schnell in den Hades der Unwirtschaftlichkeit hineinstreiken. Oder an Zypern, wo falsch gelagerte Munition explodierte, dabei das größte Kraftwerk und alle Wachstumshoffnungen zerstörte.

Auch in Frankreich schrumpft das Wachstum, wächst die Staatsverschuldung und wackelt das Rating. Großbritannien liegt unter einem depressiven Smog wie zu den düsteren Zeiten vor Maggie Thatcher. US-Präsident Barack Obama darf wieder neue Schulden machen, damit der Tag der Zahlungsunfähigkeit noch einmal hinausgeschoben wird. Aber das verschärft die Probleme der Vereinigten Staaten eher, statt sie zu verringern: Die Sparvorhaben von mehr als 900 Milliarden Dollar für die nächsten zehn Jahre entsprechen weniger als zwei Dritteln des Defizits, mit dem Obama allein für 2011 rechnet. Der Staat gibt 70 Prozent mehr aus, als er einnimmt, und wird zügig die Verschuldungsgrenze von 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten. Es ist schon makaber, dass die Ratingagenturen mit einer Herabstufung für die Staatsschulden nicht nur Griechenland, sondern die letzte real existierende Weltmacht zur Hölle schicken könnten.

Wie schön wirtschaftet es sich dagegen in Deutschland: Auch ohne große Sparanstrengungen verlangsamt sich (mehr allerdings auch nicht) die Zunahme der Schulden von Bund und Ländern; kaum eine andere Nation liefert so bereitwillig von jedem zusätzlich verdienten Euro 60 Cent an den Fiskus ab wie die Deutschen. Nicht nur die Autobauer, auch viele andere Unternehmen arbeiten an der Kapazitätsgrenze.

So rosig ist die Lage, dass nur hartgesottene Berufspessimisten das fast volle Glas in ein leeres umdeuten können, etwa bei Tarifverhandlungen. Aber die Frage ist berechtigt, ob das gut gehen kann, wenn es allen um uns herum schlecht geht.

Denn für eine vom Export getriebene Wirtschaft ist es allemal besser, wenn die globale Konjunktur brummt und die Lust am Mercedes die nüchterne Kalkulation von Cent pro gefahrenen Kilometer aushebelt. Die Spannungen in Europa nehmen zu: Wir entleeren wieder die südlichen Landstriche und locken die gut ausgebildeten Spanier und Portugiesen zur Lösung unseres Demografieproblems nach Deutschland – wir wachsen mit den besten Köpfen der Nachbarn.

Und alle brauchen niedrige Zinsen, damit ihre Schulden sie nicht auffressen – Deutschland boomt, weil die Zinsen für uns zu niedrig sind. Es besteht sogar die Gefahr, dass jetzt wir uns mit Euro-Angst und Micker-Zinsen das Krebsgeschwür einer Immobilienblase einkaufen.

Für eine Nation, die aus gutem Grund so kritisch beäugt wird wie Deutschland, ist Protzerei und der dadurch ausgelöste Neid der Nachbarn gefährlich: In der neu entstehenden europäischen Vorstellungswelt gilt Deutschland als der böse Bube, der sich mithilfe des Euro auf Kosten der Nachbarn erst mästet und dann beim Lösen der Probleme knausert. Wie die Stimmung ist, hat der britische Historiker Niall Ferguson in Anlehnung an Agatha Christie den „Mord im EU-Express benannt: Es gebe verwirrend viele Verdächtige – und am Ende laufe es doch auf den einen Täter hinaus: Der Deutsche … ist’s gewesen.“

Einer jedenfalls ist es nicht gewesen, der den deutschen Erfolg verursachte: die Politik. Mit dem kühlen Blick des von außen Kommenden sagt Bayer-Chef Marijn Dekkers: „Deutschland verliert.“ Er benennt die explodierenden Energiekosten, aber mehr noch die wachsende Planungsunsicherheit als Ursachen für zukünftige Schwäche. Die Frühindikatoren der Konjunkturforscher geben ihm recht – sie deuten nach Süden.

Eigentlich sollte man das Dach bei Sonnenschein flicken, nicht bei Regen. Aber was soll’s, uns geht’s ja noch Gold?

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