Wir verdanken ja den Griechen viel, etwa die Erfindung der Demokratie. Wenn Griechenland darauf eine Lizenzgebühr erheben und bei jeder Wahl einkassieren würde, dann wären seine Schulden schnell gedeckt, hat die US-Außenministerin Hillary Clinton dem griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou vorgeschlagen, als dieser auf seiner globalen Betteltour in Washington Station machte. Clinton hat das eigentliche Versagen Athens benannt: Sie haben uns Philosophie und Kultur geschenkt, statt Wissen zu lizenzieren oder zu patentieren. Unser Beitrag zur Lösung der griechischen Finanzlage könnte also sein, dass wir die Politiker aus Athen bei der Pharmaindustrie ein Praktikum absolvieren lassen – einer Branche, die beispielhaft vorführt, wie man sich Innovationen vergolden lassen kann.
Bei aller Kritik an griechischen Schlampereien – es ist, als ob uns Griechenland nur erneut etwas voraus wäre. Auch wir verstecken unsere Schulden gekonnt: Legendär der Fonds Deutsche Einheit, in dem die Schulden versteckt wurden, die wir für die Wiedervereinigung gemacht haben. Frech, wie die Regierung Schröder/Fischer die Latte der strengen Maastricht-Kriterien zur Schuldenbegrenzung gerissen hat – und um Strafzahlungen zu vermeiden nicht gespart, sondern Maastricht-Regelungen aufgeweicht hat, basta! Wir Musterschüler Athens wissen auch: Aus einem geheimnisvollen Grund sind bei uns die Staatsschulden am Montag nach der Wahl immer höher als am Freitag vor der Wahl.
Nicht fremd ist uns die Kunst der kreativen Buchhaltung, wesentliche Verpflichtungen einfach zu vergessen: Derzeit werden im Bund und in einzelnen Ländern wie Hessen und Brandenburg gerade wieder Angestellte zu Tausenden verbeamtet. Das entzieht den Sozialkassen Beiträge, die diese Lehrer oder Behördenmitarbeiter bislang geleistet haben, und kostet uns zukünftig je Beamten 500.000 Euro an Pensionsleistungen. Diese aber tauchen in keinem Budget auf – weil diese Beiträge erst fällig werden, wenn Deutschland wegen fortgeschrittener Vergreisung der Bevölkerung längst bankrott ist. So verschiebt man Lasten aus der Gegenwart in eine ferne Zukunft – nach uns wird alles griechisch.
Wir geben uns gerne entschlossen und sind doch nur Meister des schönen Scheins: Gerne rechnen wir den Griechen vor, dass es bei uns die Rente erst mit 67 gibt, während dort der Ruhestand schon zehn Jahre früher beginnt. Dabei vergessen wir: Noch längst ist die Rente mit 67 nicht Realität, sie soll erst kommen. Und wenn sie überhaupt kommt, dann frühestens in zwölf Jahren. Vorerst liegt das Renteneintrittsalter bei 60 und bei vielen Beamten sogar auf griechischem Niveau. Ach ja, dass in den nächsten Jahrzehnten die jährlichen Pensionsleistungen von derzeit 36 Milliarden auf über 100 Milliarden Euro steigen, vergessen wir auch gerne. Denn sonst müssten wir uns eingestehen: Griechenlands Schulden sind nur Peanuts.
Längst sind wir so hoch verschuldet, dass wir die Griechen noch genauer studieren sollten: Was tut man eigentlich, wenn die Gläubiger dahinterkommen, dass bei uns nichts mehr zu holen ist? Die traurige Erkenntnis dieser Wochen ist ja: Wir stehen jetzt vor einer so dramatischen Neuverschuldung der Staaten, dass die Lehman-Pleite nur eine kleine Vorübung war. Und während die Griechen wenigstens versuchen zu sparen, haben wir noch nicht einmal damit angefangen, sondern dies aufs nächste Jahr vertagt.
Ehe wir also wieder Vorwürfe nach Athen tragen: Die Kunst der Griechen wird nicht nur auf der Berliner Museumsinsel gezeigt, sondern längst schon im Regierungsviertel praktiziert.
(Erschienen am 13.3.2010 auf Wiwo.de)
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein