Der Staat als Beute

Wie gerne erinnere ich mich an diese Tour, eingeklemmt zwischen Vater (am Steuer) und Mutter (sehr stolz) auf der durchgehenden Sitzbank (Einzelsitze nur als Sonderausstattung erhältlich). Ein paar PS, Drei-Gang-Getriebe, Lenkradschaltung und jedes Mal diese Freude, wenn unser Opel Rekord noch einmal und noch einmal auf singenden Weißwandreifen die ebenso steilen wie engen Spitzkehren der Großglockner-Hochalpenstraße bezwingt, und der Himmel so blau und die Berge so hoch und der Gletscher so kalt und immer näher das Land, wo die Zitronen blüh’n.

Es war einmal.

Und heute? Müssen wir deswegen Opel retten? Weil der lahmende Blitz scheinbar untrennbar mit unserer Wirtschaft und unserem ganz persönlichen Erinnerungshaushalt verbunden ist?

Tatsächlich sind wir dabei, einen historischen Fehler zu wiederholen. „Der Staat wird zur Beute“, warnte schon der liberale Ökonom Alexander Rüstow vor mehr als 70 Jahren im „Deutschen Volkswirt“, dem Vorgängerblatt der WirtschaftsWoche. Diesen Satz habe ich an dieser Stelle bereits einmal zitiert. Angesichts der Ereignisse kann man ihn nicht oft genug wiederholen. Denn in diesen Tagen ist ein dialektisches Umschlagen zu beobachten: In den ersten Monaten der Finanzkrise hat sich der Staat in eine machtvolle Position teils aufgeschwungen, teils wurde er hineinge‧zwungen. Jetzt schlägt die neu erworbene Macht in Schwäche um, wird der Staat zur Beute, freigegeben zur Plünderung und zum Ausnehmen: Die Banken-Geschenke waren der erste Schlag, es folgte die Abwrackprämie. Sie hat zu großer Freude bei Autokäufern geführt und zu Sonderkonjunkturen bei Dacia in Rumänien, bei Opel in Saragossa und bei dem einen oder anderen Zulieferer. Aber klar ist: Diese Prämie schaufelt das Loch noch tiefer, in das die Autoindustrie fällt, wenn die Zahlungen ausbleiben. Und in brutalstmöglicher Offenheit formuliert das Bundesfinanzministerium, dass jeder Euro für den Autokauf natürlich anderen Branchen fehlt. So vergeht kein Tag, an dem nicht noch jemand unabweisbar zwingende – heute sagt man systemische – Gründe für Geld vom Steuerzahler vorbringt.

Das gilt auch auf europäischer Ebene. Gerade musste Deutschland den französischen Forderungen nachgeben und hinnehmen, dass jedes Mitgliedsland für Hotel, Handwerk und Gastgewerbe zukünftig die Mehrwertsteuer absenken darf. Man sieht schon die vielen gierigen Hände in die Kasse greifen – warum nicht gleich null Prozent für Kerzen wie in Irland, für Fahrradhelme und Zeitungen wie in Großbritannien (Letzteres befürworte ich persönlich gegen meine ordnungspolitischen Grundsätze aus nachvollziehbaren Gründen); warum für Medikamente den vollen Mehrwertsteuersatz zahlen und nicht wie bei Hundefutter den halbierten Satz?

Natürlich sollen und müssen die Steuern gesenkt werden. Wenn den Bürgern mehr Netto vom Brutto bleibt, würde das der Konjunktur mehr helfen als Abwrackprämie, Subventionen für Autos und einzelne Autohersteller oder Geld für die Bauindustrie.

Aber wenn die knappen Mittel der Interessengruppe, die sich gerade am lautesten gebärdet, als Beute vorgeworfen werden, dann ist der Schaden für uns alle unermesslich. Denn schon heute steht fest: Langfristig schlägt der augenblickliche Stärkezuwachs des Staates schon deshalb in eine Schwäche um, weil irgendwann die Schulden bezahlt werden müssen. Dann sind die finanzpolitischen Handlungsspielräume verloren.

Aber wer hat den Mut, für eine nachhaltige Finanzpolitik einzutreten?

Am Ende zahlen wir für Opel, und zwar rekordverdächtig.

Wetten?

 

(Erschienen am 14.03.2009 auf Wiwo.de)

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