Wer ist hier Antisemit?

Der Antisemitismus-Vorwurf gegen Maaßen und die gleichzeitige Verharmlosung von Mob-Aufmärschen vor Synagogen zeigen zwei Seiten des gleichen Dummstellens. Nichts bedroht die Aufklärung so stark wie die Allianz der Linken mit dem politischen Islam.

Screenprint: instagram tagesschau | via Twitter
Wohl nichts breitet sich in Deutschland so schnell aus, wie die Behauptung, jemand sei Antisemit. Es existieren mehrere Abstufungen: Antisemit, Verbreiter von Antisemitismus, Verbreiter von strukturellem Antisemitismus, die sich wiederum in einem einzigen Wort äußern kann, etwa „Globalist“. Eindämmungsmaßnahmen finden so gut wie nicht statt, zumindest nicht in weiten Teilen von Medien und Politik. Sondern eher eine Ausbreitungsförderung.

Neben dem vorgeworfenen Antisemiten- oder Antisemitismusverbreitertum gibt es auch Antisemitismus. Interessanterweise werfen nicht selten die gleichen Personen anderen indirekten und erst mühevoll hergeleiteten Antisemitismus vor, die selbst sehr eindeutig antisemitische Stereotype für ihre „gute” Sache benutzen, mit antisemitischen Organisationen sympathisieren oder schlicht und einfach ein Problem mit der Existenz von Israel haben. Überhaupt fällt in diesen Tagen des andauernden Raketenfeuers der Hamas auf Israel auf, dass die Zuneigung dieses Milieus fast ausschließlich den beiden in Deutschland beliebtesten Juden gilt, nämlich Herrn und Frau Stolperstein. Sobald es um die Verteidigung lebender Juden geht, zeigen viele Medienmitarbeiter, progressive Politiker, Twitterer und Figuren medial gestützter Organisationen wie Fridays for Future dagegen ein außerordentliches Differenzierungsvermögen. Schließlich möchten diejenigen, die „Yalla Klassenkampf“ plakatieren, auf Twitter die „Migrantifa“ bewerben und wie am 1. Mai in Berlin Linkspartei-, Grünen- und Regenbogenfahnen mit palästinensischen Flaggen zu einem bunten Quilt vernähen, ihre neuen Alliierten nicht wieder verprellen. Gegen tote Juden und damit gegen Stolpersteine haben die neuen Verbündeten bekanntlich nichts einzuwenden.

Beginnen wir mit der Sendung „Anne Will“ in der ARD, dem vorläufigen Ausgangs- und auch Höhepunkt der jüngsten Antisemitismusbeschuldigungswelle. Dort hatte Luisa Neubauer, zwar weder Vorsitzende noch Sprecherin von Fridays for Future in Deutschland, aber Medienfigur, über den nicht anwesenden CDU-Bundestagskandidat Hans-Georg Maaßen gesagt, was er verbreite, sei „antisemitisch“, „rassistisch“ und „wissenschaftsleugnerisch“. Als der CDU-Vorsitzende Armin Laschet – Neubauers eigentliches Attackenziel – nachfragt: „Sie haben eben gesagt, er wäre antisemitisch“, folgt der Twist, den wir in der Folge neubauerisch nennen wollen:
„Nein, er verbreitet antisemitische und rassistische Inhalte (…) Und in dem Sinne Tweets.“ Auf Laschets Frage: „Was denn?“ folgen dann aber keine Quellenangaben Neubauers, sondern die Insinuation, das wäre so bekannt, dass sie jetzt nicht noch Details nennen müsste: „Von Blogs, die das treiben. Das wissen Sie, es ist ja auch ein Kollege in Ihrer Partei.“ Worauf Anne Will Neubauer nicht aufforderte, konkrete Belege zu liefern, sondern das Thema und damit auch Laschets Verteidigungsversuch mit der Bemerkung beiseiteschob: „Schauen wir uns noch an, versuchen wir zu belegen.“ In diesem Fall – „verbreitet antisemitische Inhalte“ – muss also Neubauer gar nichts beweisen. Das verspricht Wills Redaktion zu erledigen. Sie sagt auch nicht: ‚versuchen wir zu überprüfen’, sondern: zu belegen, so, als wüsste sie schon, dass die Vorwürfe zutreffen, und als hätte sie nur genau so wie Neubauer die Belege nur nicht gleich zur Hand.

In einem wohlwollenden Stück der Süddeutschen Zeitung schob Will nach, die „Kolleginnen und Kollegen“ ihrer Redaktion hätten sich schon während der Live-Sendung darum bemüht, „journalistisch ausreichende Belege zu finden, die geeignet wären, die Vorwürfe unseres Gastes Luisa Neubauer zu bestätigen oder zu entkräften“. Zu welchen Ergebnissen sie dabei gekommen waren, teilte Will der Öffentlichkeit nur auszugsweise mit. Am Tag nach der Sendung twitterte sie eine Art Dossier der Gruppe „unionwatch“ über Maaßen weiter, einem anonymen, sehr weit links stehenden Kollektiv ohne Impressum.

Wieder ein paar Stunden twitterte Will, die unkommentierte Weiterleitung von „unionwatch“ sei ein „Fehler“ gewesen.

Debatten dieser Art, die in Deutschland mittlerweile weite Teile der Öffentlichkeit bestimmen, funktionieren nach dem Prinzip einer Windhose: Luft dreht sich hochenergetisch im Kreis, zieht Staub und Kleinteile nach oben, richtet Verwüstungen in der Landschaft an und lädt die erwähnten Kleinteile weit entfernt vom Ausgangspunkt wieder ab. Übrig bleiben meist einige größere Brocken. Hier also die Verbindung zwischen einem CDU-Politiker und dem Adjektiv „antisemitisch“.

Drei Tage später lieferte Neubauer dann ihre Antisemitismusvorwurfsbelege, die sie in der Sendung nicht dabei hatte, und die damals auch das anonyme Unterstützerkollektiv Will nicht gleich präsentieren konnte. Sie betonte auch, sie hätte ja nicht behauptet, Maaßen sei Antisemit. Diese Argumentationsfigur erinnert an die Kampagne gegen den Historiker und früheren Stasi-Gedenkstättenleiter Hubertus Knabe, dem auch keine eigenen sexuellen Übergriffe vorgeworfen werden, sondern die Duldung von strukturellem Sexismus in der Gedenkstätte, der nach juristischer Überprüfung allerdings in kleinste Partikel zerfiel, aber trotzdem genügte, um Knabe mit medialer Hilfe von seinem Posten zu entfernen.

Als Beleg eins für den strukturellen Quasi-Antisemitismus um drei Ecken verweist Neubauer auf eine Verlinkung, die Maaßen einmal auf die Seite „The Unz Review“ vorgenommen hatte. Zum zweiten, so Neubauer, verwende Maaßen „unter anderem auf seinem Twitter-Profil wiederholt problematische Begriffe wie ‚Globalisten‘“. Sie meinte, dieser Begriff werde auch von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung als Code von Rechtsextremisten bezeichnet. „Als langjährigem Präsidenten des Verfassungsschutzes müssten ihm solche ‚Codes‘ bekannt sein.“

Auf der Seite „The Unz Review“ erscheinen Beiträge zahlreicher Autoren überwiegend zur amerikanischen Innenpolitik. Der Seiten-Herausgeber Ron Unz, ein Physiker, Unternehmer und Publizist mit jüdisch-ukrainischen Wurzeln unterstützte in den Neunzigern den britischen Historiker David Irving, räumte den wirren Thesen Norman Finkelsteins auf seiner Seite Platz ein, und gab ebenso wirre Thesen über den Holocaust von sich. Norman Finkelstein, der seit vielen Jahren gegen Israel agitiert, ist übrigens in Deutschland kein Unbenannter. Die linkspartei-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung lud ihn 2010 als Referenten ein, nach einigem Protest dann wieder aus; die Veranstaltung mit Finkelstein fand damals ersatzweise in Räumen der Zeitung „Junge Welt“ statt. Zurück zu Maaßen: der hatte nicht auf einen Text Finkelsteins oder einen ähnlichen Artikel verlinkt, sondern auf einen Text zur amerikanischen Innenpolitik, in dem es noch nicht einmal ganz indirekte antisemitische Anklänge gab. Später löschte er den Link auch wieder. In den Äußerungen Maaßens findet sich nirgends etwas Antisemitisches. Aber wenn ein Link auf eine Autorenseite, deren Gründer verschiedentlich absurd über den Holocaust spekulierte, schon als Antisemitismusbeleg gelten soll, dann entsteht ein Maßstab, den wir probeweise auch einmal an andere Teilnehmer dieser Windhosendebatte anlegen wollen. Dazu später mehr.

Bei ihrem Verweis auf die Adenauer-Stiftung hätte Neubauer genauer lesen beziehungsweise zitieren sollen. Denn dort heißt es, der Begriff ‚Globalisten’ werde auch von Rechtsextremen verwendet – was nebenbei für eine ganze Reihe von Begriffen gilt. Die Adenauer-Stiftung behauptete nicht, jeder, der den Begriff ‚Globalist’ verwende, sei rechtsextrem, und auch nicht, der Begriff selbst sei ein ‚Code’. Anderenfalls müsste der Kreis der Rechtsextremen nämlich sehr, sehr weit gezogen werden, weiter, als es Neubauer recht sein kann. Von der Bundeszentrale für politische Bildung beispielsweise gibt es eine Broschüre mit dem Titel „Globalisten“, verfasst von dem Autor Quinn Slobodian.

Slobodian referierte auch auf Einladung der der schon erwähnten Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Titel des Abends lautete: „Globalisten“.

Auch in vielen Medien der guten und gerechten Abteilung findet sich der Begriff. In einem Artikel des „Tagesspiegels“ etwa hieß es 2020: „Wir können nicht mehr wie noch vor zwanzig Jahren einem naiven Globalismus anhängen, ohne die gesellschaftspolitischen Konsequenzen des internationalen Wettbewerbs mitzudenken.“

‚Globalist’ findet sich noch an etlichen anderen Stellen, etwa in einem Artikel von Alan Posener in der ZEIT, bei 3sat und anderen.

Bisher gibt es keine Vorwürfe von Luisa Neubauer gegen die Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Linkspartei wegen der Verbreitung antisemitischer Codes, obwohl sich gerade dort jenseits des Begriffsgebrauchs ‚Globalisten’ seit Jahren wirklich reichlich Belege finden ließen.

Im Gegenteil, als Unterstützer sind sowohl Linkspartei als auch Linksjugend der Friday for Future-Bewegung jederzeit willkommen. Auch den „Tagesspiegel“ und das öffentlich-rechtliche Fernsehen verdächtigte Neubauer bisher nicht, antisemitische Codes zu verbreiten. Auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ließe sich eine Menge davon finden. Sogar bei Fridays for Future selbst.

Da es Neubauer aber noch nie um eine Bekämpfung des Antisemitismus ging, sondern um die Pflege nützlicher Allianzen einerseits und die Herstellung politischer Frontenstellungen andererseits, legt sie eine taktische Geschmeidigkeit an den Tag, wie sie für Vertreter autoritärer Erlösungsideologien typisch ist.

In der öffentlichen Debatte werden Globalisten als Vertreter einer politischen Richtung verstanden, die Nationalstaaten für überholt und eine Planung und Steuerung von Politik durch überstaatliche Organisationen grundsätzlich für die bessere Lösung halten. Ihnen stehen in der Debatte vor allem diejenigen gegenüber, die auf das Legitimationsdefizit durchweg aller überstaatlichen Organisationen hinweisen. Zu diesem Debattenstrang gehört auch der Gegensatz zwischen dem „Somewheres“ und den „Anywheres“, also denjenigen, die sich in einer bestimmten Kultur und Heimat verwurzelt sehen, und einer mobilen Elite, die vor allem über die materiellen Mittel verfügt, sich einen komfortablen Lebensort zu suchen. Die Begriffe gehen auf den britischen Autor David Goodhart zurück („The Road to Somewhere“), einen Publizisten, der eher links der Mitte steht. Wer an dieser Debatte teilnehmen will – einer der wichtigsten der Gegenwart – kommt gar nicht umhin, den Begriff ‚Globalismus’ und ‚Globalist’ zu gebrauchen, ob nun affirmativ oder kritisch.

Nun ist Luisa Neubauers Buch „Vom Ende der Klimakrise“ eine agitatorische und über weite Strecken wirre Predigt für die eigene Gemeinde, Zeichen irgendeiner ernsthaften intellektuellen Mühe finden sich dort nirgends. Aber andererseits ist die junge Frau nicht so dumm, als dass sie wirklich glauben würde, Hans-Georg Maaßen würde den Antisemitismus befördern. Und auch nicht so beschränkt, um zu übersehen, dass ihre Verbündeten in politischen Vorfeldorganisationen, in der Linkspartei, in den Medien und in ihrer eigenen Organisation massenhaft Antisemitismus verbreiten, und zwar so offen, dass es nicht erst eine mühevolle Decodierung bräuchte.

Das gleiche gilt für ihre Unterstützer, die ihr und Greta Thunberg jetzt als bewährte Ally-Journalisten zur Hilfe eilen.

— Lennart Pfahler (@LennartPfahler) May 12, 2021

Auch eine Anne Will weiß natürlich, dass Maaßen kein Verbreiter von Antisemitismus ist, während es sich bei der ARD, für die sie arbeitet, um einen vor antisemitischen Ressentiments triefenden Senderverbund handelt. Die Fähigkeit zum Dumm- und Dümmerstellen ist allerdings die Voraussetzung, um überhaupt im wohlmeinenden deutschen Debattenbetrieb vollwertig mitmischen zu können. Hier gilt mehr denn je Erich Kästners Rat: „Sei dumm, doch sei es mit Verstand/je dümmer, desto klüger“.

Und damit kommen wir zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk und anderen Medien und deren Begriffswahl angesichts des seit Tagen andauernden Raketenfeuers der Hamas auf israelische Zivilisten. Und zu der Tonlage nicht nur in Beiträgen zu dem Beschuss Israels, sondern auch in den Meldungen über die antisemitischen Aufmärsche in Gelsenkirchen, Hannover und Berlin.

Die ARD, in der Anne Will Neubauers Vorwurfsmasche gegen Maaßen einfach laufen ließ, ist die gleiche, die meldet: „Israel und Gaza beschießen sich“, und diese Zeile mit einem Bild illustriert, das Raketen der Hamas über Tel Aviv zeigt – und israelische Abwehrraketen, die diese Geschosse unschädlich machen sollen.

Es ist die ARD, deren Tagesschau die Mitglieder der als Terrororganisation eingestuften Hamas als „Aktivisten“ bezeichnet.

Ebenso wie das ZDF

und die in dieser Hinsicht notorische „Frankfurter Rundschau“.

Zur ARD gehört auch der WDR und dessen Redakteur Lorenz Beckhardt, der die Forderung Hans-Georg-Maaßens, Deutschland sollte die Fatah nicht mehr finanziell unterstützen, zum Anlass nimmt, Maaßen – originell – einen „Philosemiten“ zu schimpfen und darüber zu sinnieren, dass ihn jemand „totmachen“ sollte.

Später entschuldigte sich der Sender halbherzig.

Der aus Steuergeldern finanzierten Auslandssender „Deutsche Welle“ interviewte Ali Abuminah, Gründer einer anti-israelischen Propaganda-Plattform, der in dem Interview die Hamas eine „palästinensische Verteidigungsarmee“ nannte. Später löschte die „Deutsche Welle“ das Interview wieder. Die Methode ähnelt der des WDR: senden, löschen, ein bisschen entschuldigen. Und auf der gleichen Spur weitermachen.

Bis hierher fällt die Kommentierung bei ARD, ZDF und anderen Plattformen noch unter die in Deutschland verbreitete mediale Heuchelei und Einseitigkeit beim Thema Israel. Wenn eine Terrororganisation, die sich die Vernichtung Israels zum Ziel gesetzt hat, dort Zivilisten wahllos zu töten versucht, dann ist das eine „Gewaltspirale“ (Annalena Baerbock), mäßigen müssen sich „beide Seiten“ (Heiko Maas), und überhaupt folgt die Berichterstattung dem schon seit Jahren bewährten Motto: Alles begann, als die Juden zurückschossen.

Eine andere Ebene erreicht die Wortwahl allerdings, wenn es um die antisemitischen Aufmärsche in Deutschland geht.

„Der #Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern macht sich auch in NRW bemerkbar. In mehreren Städten gab es Zwischenfälle. In Bonn wurde eine Synagoge beschädigt. Dort und auch vor der #Synagoge in Münster brannten israelische Flaggen“, schreibt beispielsweise der WDR.

Wer Angriffe auf Synagogen und „Scheiß-Juden“-Sprechchöre in Deutschland als „Zwischenfälle“ und Weiterungen des „Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern“ (und nicht etwa zwischen Hamas-Kriegern und Juden) framt, der ist ein lupenreiner Antisemit. Und ein Sender, der das als Social-Media-Kachel verbreitet, zusammen mit der Einordnung der Hamas als Aktivistenorganisation und der gespielten Äquidistanz, dieser Sender ist eine antisemitische Plattform. Dass heißt nicht, dass jeder in dem Sender so denkt. Nur sollten diejenigen, die es nicht tun, sich jetzt öffentlich bemerkbar machen.

Der SPIEGEL lügt die „Scheißjuden“-Sprechchöre vor der Synagoge in Gelsenkirchen in „antiisraelische Parolen“ um.

Das berechtigt jeden, den SPIEGEL ein antisemitisches Scheißblatt zu nennen.

In diesem Text geht es um Vorwurfssurrogate und angebliche Codes, es geht vor allem um strategisches Dummstellen. Niemand muss erst lange rätseln und decodieren, was gemeint ist, wenn – wie im Oktober 2020 in Frankfurt – Mitglieder der von Ferda Ataman gelobten „Migrantifa“ skandieren: „From the river tot he sea, Palestine will be free“. Es ist die Aufforderung zur Auslöschung Israels. Damals distanzierte sich die örtliche Gruppe von Fridays for Future, deren Mitglieder mitdemonstriert hatten. Aber die aggressive Agitation gegen Israel zieht sich längst durch die FFF-Organisationen insgesamt, und Neubauer unternahm und unternimmt nichts, um sich klar von antiisraelischen Propagandisten zu trennen.

Zu Greta Thunberg, die vor wenigen Tagen eine antiisraelische Botschaft der Autorin Naomi Klein mit typischer Täter-Opfer-Verdrehung weitertwitterte, äußerte sich Neubauer überhaupt nicht. Das würde auch nicht zu der Strategie passen, unter dem Dach der Klima-Bewegung ein ganz großes Bündnis zu formen, das von der Migrantifa und der Antifa bis zu den linken Bundestagsparteien unter Einschluss aktivistischer Medien alles einsammeln soll, was sich irgendwie mobilisieren lässt. Wer die Linkspartei als Bündnispartner will, muss viel Antisemitismus mitschlucken. Wer die Truppenverstärkung durch die „Migrantifa“ wünscht, muss bei „Scheißjuden“-Gebrüll tolerant weghören und am besten seufzen: ja, der Nahostkonflikt, die Gewaltspirale. Wem Carola Rackete als Aufmerksamkeitsverstärker recht ist, der bekommt eben nicht nur Rackete, sondern auch die Nähe zu „Extinction Rebellion“, deren Gründer Roger Hallam die Klimaerwärmung mit dem Holocaust vergleicht, und sie eigentlich für schlimmer hält.

Schon bei den „unteilbar“-Demonstrationen der vergangenen Jahre marschierten Vertreter von Milli Görus und anderen islamischen Organisationen mit, bei denen Judenfeindlichkeit zum ganz selbstverständlichen Instrumentarium gehört. Wer das also alles will, um möglichst viel politische Schwungmasse zusammenzubekommen, dem hilft doppeltes Dummstellen enorm. Also das Beschweigen, Beschwichtigen und Kleinreden des Antisemitismus in den eigenen Reihen, und die Fahndung nach „Codes“ bei Hans-Georg Maaßen, in die nach langem Besprechen und Hinundherwenden eine antisemitische Konnotation projiziert werden kann.
Zum systematischen Dummstellen gehört es auch, ständig darüber wegzusehen, dass die größte rechtsextreme Organisation Deutschland die „Grauen Wölfe“ sind. Und dass mittlerweile in vielen Städten eine feste Allianz islamisch-autoritärer Gruppen mit verschiedenen linken Gruppen existiert, ob nun bei dem Demonstrationsbündnis „unteilbar“ oder anderen so genannten breiten linken Bündnissen, zu denen wiederum Fridays for Future gehören.

In Frankreich, wo sich dieses Bündnis schon älter und fester zeigt, gibt es auch eine wachsende Kritik an dem „Islamo-gauchisme“, der auf den Verrat so ziemlich aller Werte der Aufklärung hinausläuft. Interessant sind die spärlichen rechtsrheinischen Reaktionen auf diese Debatte im Nachbarland, das Deutschland ein paar Jahre voraus ist.

Vor kurzem bezeichnete die französische Forschungsministerin Frédérique Vidal, ehemalige Präsidentin der Universität Nizza, den „islamo-gauchisme“ als Gefahr für die Meinungsfreiheit an Universitäten. Die „Süddeutsche“ berichtete darüber – und machte nicht etwa die antiaufklärerische Allianz als Problem aus, sondern Vidals Hinweis. Mit der Zeile „Frankreichs Ministerin für Hochschule und Forschung stürzt sich in ideologische Grabenkämpfe“ setzte das Münchner Blatt schon den Rahmen.

Die Autorin stellte dann fest, „islamo-gauchisme“ sei – Überraschung – ein rechter „Kampfbegriff“, und vermerkte wohlwollend, dass es eine Reaktion von 600 französischen Wissenschaftlern auf die Bemerkung der Ministerin gebe. Nicht etwa mit einem Diskussionsangebot. Sondern mit der Forderung, Vidal müsse zurücktreten.

Die gleiche „Süddeutsche“ verzichtete in ihrer kleinen Notiz zu dem Mob vor der Synagoge in Gelsenkirchen übrigens auf jede Beschreibung, wer da „Scheißjuden“ brüllte, und nannte den Aufmarsch eine „Demonstration“.

Den Vorgang kennen Beobachter schon von der Windhosendebatte um das Phänomen Cancel Culture: Den Begriff, der das Geschehen beschreibt, als „Kampfbegriff“ markieren, denjenigen, der ihn benutzt, möglichst aus seiner Position drängen – und den eigentlichen Vorgang, das Canceln von Gegnern beziehungsweise die Allianz von politischem Islam und Linken weiter vorantreiben.

Aus dieser Verlogenheit werden sich die Linken nicht einfach wieder befreien können, weder in Frankreich noch in Deutschland oder einem anderen westlichen Land. In Frankreich gibt es immerhin noch Intellektuelle, die sich gegen diese Allianz stemmen, etwa Pascal Bruckner und Alain Finkielkraut. Sie stellen sich wahrscheinlich die naheliegende Frage, ob in dieser Koalition in Zukunft noch die Linken den Ton angeben – oder sich irgendwann, wie es schon Michel Houellebecq vorzeichnete, völlig unterwerfen.

In Deutschland fällt die Gegenreaktion auf die unheimliche Allianz, siehe oben, deutlich schwächer aus als in Frankreich. Sollte sich in Berlin ein Kabinettsmitglied so deutlich äußern wie Vidal in Frankreich, würde die gesamte linke Twitteria über sie herfallen, von Atamans „Neuen Deutschen Medienmachern“ und den Alliierten in den Redaktionen bis zu Neubauer und Politikern von Linkspartei bis zum Teilen der CDU.

Sonderlich groß ist die Wahrscheinlichkeit sowieso nicht, dass demnächst ein Regierungspolitiker in Berlin offen ausspricht, von welcher politischen Bewegung derzeit die größte Gefahr für die Sicherheit der Juden in Deutschland ausgeht.


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