Der Krieg nimmt der Ampelregierung die Illusionen

Plötzlich und unerwartet ist die Ampel-Regierung die Last unerfüllbarer Wahlversprechen los. Die Antwort von Bundeskanzler Scholz auf den russischen Überfall auf die Ukraine versetzt die Linke in einen Schock-Zustand.

IMAGO / Jens Schicke
Bundeskanzler Olaf Scholz in der Sitzung des Sicherheitskabinetts im Bundeskanzleramt, 28.02.2022

„Des einen Leid ist immer auch eines anderen Glück!“ So zynisch diese alte Weisheit klingt, so wahr ist sie. Die Leidtragenden der furchtbaren Heimsuchung kriegerischer Gewalt sind diesmal die erbarmungswürdigen Opfer eines Angriffskrieges in der Ukraine. Der unfreiwillige Nutznießer dieses Verbrechens gegen das Völkerrecht ist die Ampel-Regierung in Berlin. Plötzlich und unerwartet ist sie die Last unerfüllbarer Wahlversprechen los.

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Schon lange war Insidern klar, dass die radikale Umstellung der Energieversorgung, wie von allen Regierungen seit 2011 geplant, reines Wunschdenken ist – blanker Populismus und Wählerbetrug! Plötzlich entdeckte kurz vor Ende der alten Regierung Wirtschaftsminister Peter Altmaier (wer war das noch gleich?) von einem Tag auf den anderen einen vielfach höheren Energiebedarf für die nächsten Jahre als erwartet. Der schlitzohrige Wahlgewinner Olaf Scholz stellte schon im Wahlkampf klugerweise an das Ende seiner Beschreibung des Paradieses aus Wind und Sonne die leise Warnung, dass nur, wenn alle Voraussetzungen dafür auch einträten, dieser Traum wirklich wahr werden könne.

Allein das war schon ein nur von wenigen verstandener Offenbarungseid. Aber keine Sorge – da gibt es ja die sichere Lieferung von Gas durch den „strategischen Partner Deutschlands“ (Zitat Merkel): Russland. Im Übrigen hänge an der Energiefrage, so Scholz schon damals weiter, die aus Gründen des Klimaschutzes notwendige totale Neustrukturierung unserer Wirtschaft: „die große Transformation“. Was für ein großes Unterfangen, bei zugleich so großem Selbstzweifel. Dabei wurde von den gewaltigen Kosten einer solchen Totaloperation noch gar nicht gesprochen.

Beim Thema Verteidigung und Rüstung war die Sache einfacher. Mehr oder weniger klar war das Motto: Wir leben in einer Zeit des ewigen Friedens. Deutschland muss seinen eigenen Weg finden und darf nicht zum Spielball amerikanischer Interessen werden. Eigentlich ist die Bundeswehr überflüssig und passt auch nicht in eine pazifistische, nicht mehr den Leitbildern von Stärke und Männlichkeit geprägte Welt.

Die Bundeswehr geriet mehr und mehr in die Rolle eines ungeliebten Kindes. Nicht einmal Drohnen zum Schutz unserer Soldaten bei Auslandseinsätzen wurden von SPD und Grünen genehmigt. Das immer „in seinen Ängsten missverstandene Russland“ stelle aufgrund der gegenseitigen wirtschaftlichen Verflechtung keinerlei Bedrohung mehr da.

So schön dieser Traum auch war, schon kurz nach der Regierungsübernahme sah man den Riesenberg an Problemen und Ungewissheit, der ohne Aussicht auf Erfolg zu überwinden war. Nicht wenige Beobachter sahen bereits das Ende der Koalition schon für diesen Herbst voraus. Spätestens dann hätte die FDP die Faxen dicke und nähme Reißaus.

Schweigen zur Atomenergie
Kohleausstieg steht in Frage: Robert Habeck wird zum halben Energierealisten
Doch da wachte der deutsche Michel nach einer warmen Sommernacht plötzlich in eisiger Kälte auf. Unerwartet war tiefer Frost über das Land hereingebrochen. Mit Putins erklärtem Willen, den Einflussbereich der alten Sowjetunion wiederherzustellen, und diese Absicht mit dem Überfall auf die Ukraine auch gleich umzusetzen, erwiesen sich alle Träume als Illusionen und Selbsttäuschungen. Obwohl es keiner sagte, war damit auch ein gewaltiger Druck von der Ampel-Truppe genommen. Die Probleme haben sich in nichts aufgelöst. Ganz andere Herausforderungen treten an ihre Stelle.

Scholz hielt im Deutschen Bundestag eine programmatische Grundsatzrede, die der heute geschmähte Kanzler der Deutschen Einheit, Helmut Kohl, nicht besser hätte formulieren können. Steigerung des Verteidigungshaushaltes auf zwei Prozent des BIP – kein Problem! Einen Sonderfonds zur Aufrüstung der Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro – kein Problem! Der Grüne Habeck hält eine sichere Reserve der „schmutzigen“ Kohle für notwendig. Der Import von Flüssiggas ist mit einem Mal angesagt. Die Abhängigkeit von russischem Gas müsse dringend verringert werden. Nicht mal eine eindeutige Absage an die Kernenergie ist mehr sicher.

Verteidigung
Die 180-Grad-Wende der Bundesregierung ist wenig glaubwürdig
Gleichzeitig werden mit diesem Kurswechsel auch Belastungen für das ganze Land angekündigt. Kein Wort mehr vom Stellenwert des Umweltschutzes als höchstes Gut über allem anderen oder von der Transformation der Industriegesellschaft zu – ja, was eigentlich? – und den unabwendbaren Sieg des Feminismus in allen Bereichen. Das Allerschlimmste aber dürften die ungewohnten Treueschwüre zu den USA und dem atlantischen Bündnis sein. Die normative Kraft des Faktischen hat die gesamte Linke und den auf neutralistischen Pfaden irrlichternden Teil der Gesellschaft auf den Boden der nackten Realität geholt.

Man hätte erwarten können, dass vom linksliberalen Mittelstand bis hin zum Extremismus von Links und Rechts in einem emotionalen Aufwand die Straßen und Plätze des Landes mit Protesten gefüllt wären. Doch auch hier Fehlanzeige – zu tief sitzt offensichtlich der Schock. Es hat den „Kräften des Fortschrittes“ und den Gutmenschen im Sinne des Wortes die Sprache verschlagen. Entsetzen dürfte auch der Schulterschluss von SPD und Grünen mit der CDU unter der neuen Führung von Friedrich Merz ausgelöst haben. Ganze Weltbilder sind zusammengebrochen.

Wenn die Enttäuschung zu groß wurde, genügte ein Blick ins Fernsehen, um, zumindest dem Verstand nach, zu begreifen, dass der Angriff einer Atommacht auf ein kleineres Nachbarland zum Zwecke der Unterwerfung in Europa alles verändern muss. Jedem, der nur ein bisschen über Geschichte weiß, musste zwangsläufig der erste September 1939 einfallen, als Adolf Hitler den Überfall auf Polen befahl und damit den Auftakt für all das gab, was danach in so fürchterlicher Weise über unseren Kontinent hereingebrochen ist.

Niemand kann heute sagen, wie das Geschehen in Deutschland weiter verläuft. Vieles kann dabei herauskommen – Gutes, aber auch Schlechtes. Eines aber steht schon jetzt fest: Mit der historischen Rede des Bundeskanzlers Olaf Scholz am 27. Februar 2022 ist die Bundesrepublik eine andere geworden.

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Kommentare ( 58 )

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RobertF
2 Jahre her

Naja, mal sehen wie lange der Realitätsschock bei den Fundis der grünen Basis und den Linken bei der SPD anhält.
Utopistische Ideologen ändern ihre Ansichten nur äusserst ungern – zudem haben Utopien die unangenehme Eigenschaft wieder aus ihren Löchern zu kriechen, sobald die Zeiten für sie wieder günstiger werden.
Aber für`s Erste hat die Regierung wirklich die richtige Richtung eingeschlagen.
Schlimm, dass es erst das Leid und Elend der Ukrainer dafür gebraucht hat…

Last edited 2 Jahre her by RobertF
Sonny
2 Jahre her

Ich hielt schon die Massenflutung mit archaischen, islamhörigen Menschen und on top die Corona-Politik nur als Mittel zum Zweck, Deutschland total zu entindustrialisieren und unsere Wirtschaftsmacht entscheidend zu schwächen. Vorbereitung für eine Auflösung der nationalen Selbstbestimmung und Hinarbeit zu den Vereinigten Staaten von Europa. Sozusagen ein kalter Krieg gegen die eigene Bevölkerung und ihre Kultur. Die Sozialsysteme waren schon vorher überlastet – nach Corona wird es irgendwann zu einem Offenbarungseid kommen müssen. Unser Steuersystem zwingt den größten Teil der deutschen Bevölkerung in die Armut, trotz lebenslanger Vollzeitarbeit. Das zuzugeben wird äußerst schwer fallen, da ist so ein „Ablenkungsmanöver“ wie Putins… Mehr

ISC
2 Jahre her

Ich glaube auch, in 2 Jahren ist alles wieder so wie gehabt, jedenfalls was die Reden die Politiker angeht.

TH-Kartoffel
2 Jahre her

Zeitenwende? Deutschland, als Geisterfahrer auf der Weltautobahn, ist nur mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidiert, aber der ganz große Crash ist vorerst noch ausgeblieben. Man ist etwas aufgescheucht, aber beruhigt sich damit, daß der andere ja den Fehler gemacht hat.

Gernoht
2 Jahre her

Das Land lebt seit 20 Jahren gut und gerne vom politischen Selbstbetrug. Warum sollte ein Krieg das ändern?

Takeda
2 Jahre her

Ich glaube gar, der russische Angriffskrieg kam der Ampel, allen vorran den Grünen, sehr gelegen. In der Gesellschaft rumorte es schon länger wegen steigende Kosten, egal ob Energie,- Lebensmittel oder Spritpreisen. Die Grünen wollten seit eh und je schon die Preise für Sprit, Heizöl und Strom massiv verteuern. Damals schon forderte man 5 DM für den Liter. Die Grünen haben bereits letztes Jahr angekündigt, das man die Spritpreise noch einmal erhöhen will. Mit Russland und deren Angriffskrieg, hat man nun den perfekten Sündenbock gefunden. Der Michl glaubt es oder… „[…]Keine Lüge kann grob genug ersonnen werden, die Deutschen glauben sie.… Mehr

gmccar
2 Jahre her
Antworten an  Takeda

Heute verhält sich die Ampel entsprechend Allinskis Thesen.
12 Regeln für Radikale – Politisches & Wissenswertes

Unglaeubiger
2 Jahre her

Jedes Ding hat zwei Seiten, nur die große Transformation, the Great Reset, hat nur eine Seite: die Zerstörung der Welt wie wir sie bisher kannten! Um Diesen der breiten Masse zu verkaufen, sie zu dieser alleinige Einsicht zu bringen und sich deren Unterstützung zu sichern benötigt man in heutiger Zeit keine Diplomatie sondern: Martialische Worte und Auftreten Chaos, Chaos, Chaos und Angst, Angst, Angst gepaart mit Propaganda, Spaltung der Gesellschaften, Verschweigen und Lügen sowie der Alternativlosigkeit nur mehr einer einzigen Meinung, Ansicht und Denke. Die entsprechende Vermittlung dieser Strategie erhalten die Verantwortlichen in den unterschiedlichen Kaderschmieden. Der Wahnsinn zur Beschleunigung… Mehr

Antipopelist
2 Jahre her

 Steigerung des Verteidigungshaushaltes auf zwei Prozent des BIP – kein Problem! Einen Sonderfonds zur Aufrüstung der Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro – kein Problem!
Als Trump die 2% ansprach hat man ihn quasi vom Hof gejagt….kein Wort heute mehr davon, wäre ein Thema wert.

Frank70
2 Jahre her

Zitat: „Mit der historischen Rede des Bundeskanzlers Olaf Scholz am 27. Februar 2022 ist die Bundesrepublik eine andere geworden.“ Nö, ist sie nicht! Hab vorhin nachgeschaut. Der Hamburger Senat ist immer noch im Amt, Tschentscher nicht in Haft, auch Warburg und Olearius laufen noch frei rum. Überall immer noch die gleichen unfähigen Leute in dem Ämtern, immer noch linksgrünbekloppte Lehrer und immer noch unzählige Baustellen, von denen die meisten doch eher einfach nur Stellen sind. Dieses Land hat derzeit in sämtlichen Institutionen die 68er und ihre Zöglinge sitzen. Gesegnet mit tödlicher Inkompezenz, siehe Ahrhochwaser, sorgen sie dafür, daß dieses Land… Mehr

Geezer
2 Jahre her

In Deutschland kann jetzt auch ein großes Trauma bekämpft werden, wenn man zumindest einige Äußerungen und Kommentare medienübergreifend liest. Da ist die Rede von den Barbaren und den Un(ter)menschen. Ein Sprachgebrauch in bester Goebbels Manier. Der Deutsche scheint dafür anfällig zu sein, daher kann man jetzt durchregieren, denn der Russe ist ja Schuld. Keine Kohle, kein Gas, kein Öl, galoppierende Inflation, alles der Russe. Dass Claudia Kemfert und die damalige Umweltministerin Schulze schon vor 4 Jahren gefordert hatten, dass Benzin 2,50 Euro kosten und Gas viel teurer werden müsse, weiß aber anscheinend niemand mehr. Die Grünen und Linken werden jubeln,… Mehr