Helmut Kohl: Gespräche mit dem Schleusenwärter

Viele wählten ihn, wenige mochten ihn, aber kaum jemand der heute über 45 Jahre alt ist, kann von sich sagen, er hätte keine persönliche Haltung zum Kanzler der Einheit. Unsere Leser erzählen in teils sehr persönlichen Kommentaren davon.

© Keystone/Getty Images

Dozoern
Schöne und gute Kommentare hier. Ich, Jahrgang 1948, habe mich natürlich auch an Kohl abgearbeitet. So wie die linken Medien aus Hamburg, Spiegel, Stern und die linksliberale Zeit. Komisch, damals störte es uns Linksliberale SPD- und FDP – Wähler nicht weiter, dass diese Medien Kohl jeden Tag verächtlich und lächerlich machten. Es gab ja auch das ZDF, die FAZ, den Münchner Merkur und die Badische Zeitung, die eisern zu ihm hielten. Insofern war für Ausgewogenheit gesorgt. Anders als heute waren die Medien noch keine links-grüne Einheitsfront. Was sind seine Verdienste? Die Aussöhnung mit Frankreich, die Adenauer begonnen hatte, setzte er fort. Er wollte ein europäisches Deutschland und kein deutsches Europa, wie Merkel. Die Chance der Widervereinigung hat er schlau und beherzt ergriffen. Da war er der richtige Mann am richtigen Platz. Er war für Wehrhaftigkeit, aber gegen Krieg. Da hätte man sich auf ihn verlassen können. Seine grössten Fehler? Den Euro für eine gute Idee zu halten, und gegen den Rat aller Fachleute, darunter Pöhl, durchzusetzen. Ökonom war er keiner, er war ein ökonomischer Dilettant. Er war Herzenspolitiker. Er ging mit Gorbatschow und Bush Saumagen essen und holte so die grosse Politik auf den Boden zurück. Das „Mädchen“, das ihm gekonnt das Genick brach, zu fördern war für die CDU ein Gewinn, für das Land ein Desaster. Ich glaube, er hat diesen Fehler am meisten bedauert. Was er sicher nicht gemacht hätte: Die Grenzen zu öffnen und Deutschland mit Migranten zu fluten. Und er hätte die Sozen bekämpft, wo er sie getroffen hätte und ihnen nicht den roten Teppich ausgerollt. Und er hätte für Anstand und Fairness in der Politik gesorgt. Trotz der Spendenaffäre. Sein letzter Fehler. Aber da war er halt auch Parteipolitiker und Trickser. Er hätte jetzt gesagt, was meinen Sie was die SPD alles getrickst hat? Nur leider waren die geschickter. Und dann hätte „der Dicke“ gezwinkert. Er ruhe in Frieden.

bitbuerster
Ich mag mich all den jetzt schon medial angestimmten Lobeshymnen nicht wirklich anschliessen. -Ja, es stimmt schon: Kohl hat die Wiedervereinigung „herbeigezwungen“, allen Widerständen der vier Mächte zum Trotz: Dafür verdient er Dank!

Aber er hat eben auch verhindert, dass wir Bürger uns gemäss §146 GG eine „echte“ Verfassung geben dürfen; er hat durch den grotesken 1:1 Umtauschkurs von Ost- und Westmark die gesamte ostdeutsche Wirtschaft vernichtet und anschliessend Staatsbesitz via Treuhand an die westlichen Grosskonzerne verschleudert; er hat mit seinem dubiosen Schwarzgeldgeschäft und seinem chronischen Schweigen hierüber die deutsche Rechtssprechung desavouiert und -sein folgenschwerster Fehler für unser Land- er hat Angela Merkel etabliert, die als hemmungslose Opportunistin all das, wofür die Kohl’sche CDU jemals stand, geschreddert und in ihr Gegenteil verkehrt hat.

Illusionslos
Kohl sagte einmal über Merkel, sie kann es nicht. Merkel hat ihm bewiesen, dass er recht hatte.

Berggrün
Ich habe (…) nichts vergessen. Nicht, wie er angefeindet, verlacht, angegriffen wurde, auch körperlich. Der ganze Haß der Linken, der heute die AfD trifft (oder alles „rechte“) traf damals ihn und seien wir ehrlich: Lassen wir mal den Euro, seine größte und fundamentalste Fehlleistung und die EU weg, vertrat er weitgehend alles, was heute im AfD-Parteiprogramm steht, es sind ja Weggenossen von einst dort gelandet, denken wir an Gauland. Ich habe es noch im Ohr, das Gerede, das höhnische Lachen über Birne. Gewiß, ein Dieter Hildebrandt war ungleich viel eleganter als ein Oliver Welcke, ein Rudolf Augstein so unendlich viel kundiger als sein tumber Sohn, doch Haß, das gab es damals schon und noch viel mehr, als es um Strauß ging. Was es nicht gab, war Facebook, um den Haß anonym zu „posten“. Und die CDU hatte sich den Staat nie so unter den Nagel gerissen wie es heute die Linksliberalen geschafft haben. Wobei, ich korrigiere: Seit Merkel ist die CDU selbst linksliberal.

Guy Montag
Um Helmut Kohl gut zu finden, muss man ihn wohl im Lichte Angela Merkels sehen.

Duke
Man kann wohl davon ausgehen, dass unter Helmut Kohl die Flüchtlingskrise nicht nur völlig anders für Deutschland gelaufen wäre, sondern es unter seiner Kanzlerschaft wahrscheinlich nicht einmal eine Flüchtlingskrise in diesem Ausmaß gegeben hätte. Selfies mit Flüchtlingen- das wäre unter Helmut Kohl wohl ebenso undenkbar gewesen wie die deutsche Grenze angesichts eines Massenansrurms aus der 3. Welt ungeschützt zu lassen. Ja sicher, der Mann hatte Fehler, war auch nur ein Mensch. Aber wenigstens hatten wir damals einen Kanzler dessen Herz wirklich für Deutschland schlug. Und das ist wirklich das Allermindeste was man von einem deutschen Kanzler verlangen kann.

Erwin2016
Danke Helmut Kohl ! als Ostdeutscher bin ich Dir zu großen Dank verpflichtet! Rip! Damals habe ich das vielleicht etwas anders gesehen. Aber es ging wohl nicht anders als mit der Rosskur!

Herbert Wolkenspalter
Warum hat Kohl ausgerechnet eine Merkel auf den Schild gehoben und damit jene Grundlagen gelegt, die er auch nicht wollte? Weil er grundsätzlich schwache Leute hochgezogen hat, damit ihm niemand zu nahe kommen konnte. Wer stark war und opponierte, wurde auch unter Kohl schon abgeholzt. Merkel hat davon gelernt, macht aber im Gegensatz zu Kohl keine starke, keine wirklich eigene und auch keine erfolgreiche Politik. Kein Kanzler vor ihr hat so viel Schaden angerichet.

Bernhard K. Kopp
Ein Titan der deutschen Politik ist gestorben. Lassen wir uns Zeit über seinen Nachlass herzufallen bis das Land, und die Welt, sich von ihm verabschiedet hat. Helmut Kohl ist vor fast 20 Jahren aus der aktiven Politik ausgeschieden.

Jedediah
Kohl hat, wie viele andere auch, das aggressive-besessene Durchhaltevermögen von Grün-Rot unterschätzt. Ist ja sympathisch, dass Kohl über die grün-rote Daueraggression gegen ihn lachen konnte. Aber er hätte es ernster nehmen müssen. Schon deshalb, weil es widerwärtig und ehrverletzend war. Massiv aus allen öffentlich-rechtlichen und sonstigen Medienkanälen wurde die geballte Meinungsmacht missbraucht, um Kohl destabilisieren, zu diffamieren. Nichts war zu mies, nichts zu tief. Der Unterschied zu heute ist nicht groß, lediglich, dass nur noch die Schlangengrube übrig geblieben ist. Alles sonstige Leben, das sich nicht der Herrschaft der Schlangen beugen wollten, wurden vergiftet.

GermanMichel
An Helmut Kohl wird der Unterschied zwischen guter Absicht und gutem Ergebnis überdeutlich.Um die Wiedervereinigung der Nation Deutschland zu erreichen, hat er den Westmächten das Aufgehen Deutschlands im Super Staat Europa versprochen, und de facto haben die Deutschen 1990 ihre eigene Abschaffung bejubelt – sie merken es bloß erst jetzt. Und alles im Sinne des staatsmannischen Historikers, der unbedingt neue Kriege zwischen Nationen in Europa verhindern will – und dabei die anderen Kriegserzeugenden Trennlinien zwischen Klassen, Rassen, Religionen, Ideologien und Kulturen völlig übersieht.

Zu GermanMichel:
Eulemann
Zu den „kriegserzeugenden Trennlinien“ wird zwanghaft behauptet – so auch von Helmut Kohl-, dass Nationalstaaten die Ursache für ständige Kriege waren (Stichwort Erbfeind Frankreich). Die Gegenthese ist aber plausibler (und politisch inkorrekt): Alle großen Kriege (vom 30-jährigen Krieg über beide Weltkriege bis zur Kriegsserie in Nahost seit 1950-ern) hätten ohne international agierenden Bündnisse diese Größenordnung nie erreichen können. Nur zum Beispiel: Ohne ein „vereinigtes Europa“ hätte Napoleon den Russlandfeldzug 1812 nie wagen können, denn Franzosen waren weniger als 50% in der Truppe (s. Wikipedia Russlandfeldzug).

Schwabenwilli
Helmut Schmidt hat zwar behauptet „der Kohl blickt’s nicht“ dafür war er bestens Ausgestattet mit dem richtigen Riecher. Es wird berichtet das Kohl sich öfters mit einem Schleusenwärter am Rhein unterhalten hat. Wenn viele Schiffe durchgingen lief die Wirtschaft gut, bei wenigen schlecht. Er wurde dafür natürlich belächelt aber, Hallo, warum soll das falsch sein?

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Kommentare ( 7 )

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Atze
6 Jahre her

Geht mir ähnlich.

fein_geist
6 Jahre her

Tja, leider habe ich von Herrn Kohl eine zweigeteilte Meinung, auch wenn ich damit gegen den Strom schwimme. Auch als Mensch mochte ich ihn nicht sonderlich. Ich habe nichts gegen seine offen, direkte Art. Häufig konnte er aber besser austeilen als einstecken. Ich erinnere mich noch gut an ein Rede-Duelle mit ihm und Helmut Schmidt, als er ihn -ganz bewusst und unsachlich- persönlich beleidigen wollte indem er zu Schmidt sagte: „Das sei hier nicht seine Kinderstube“. Nichts desto trotz, muss man Herrn Kohl seine Bemühungen um die deutsche Einheit hoch anrechnen. Die SPD hätte die Menschen aus der ehemaligen DDR… Mehr

thedonald
6 Jahre her

Den Verzicht auf einen nationalen Trauerakt empfinde ich als Geringschätzung des Souveräns……sollte das wirklich sein Wunsch gewesen sein, dann habe ich mich wohl in ihm getäuscht. War Merkel doch kein „Unfall“…?

fein_geist
6 Jahre her
Antworten an  thedonald

Das ist nicht verwunderlich. Frau Merkel hat schließlich längst das deutschen Volk, seiner Identität und dessen Souveränität bzw. die des Volkes abgeschafft. Viele Deutsche sehen es nur noch nicht.

Ein „Schland“ das nicht einmal mehr Landesgrenzen oder eine Fußfall „National“mannschaft mehr hat, braucht auch keinen Staatsakt der an Kanzler besserer Zeiten erinnern könnte.

Wie Merkel diesbezüglich tickt, konnte man bereits am Umgang mit den Opfern des Berliner Weihnachtsmarkt erkennen.

Hanna Jüngling
6 Jahre her
Antworten an  thedonald

Der Souverän ist in unserer Verfassung nach allerdings das Staatsvolk und nicht der Bundeskanzler.

Generalbundesanwalt
6 Jahre her

Herr Bundeskanzler,

ich werde Sie nie vergessen. Ruhen Sie in Frieden.

Andreas Stadler
6 Jahre her

Damals wurde mein Vater stark angegriffen von unseren jungen Nachbarn, da er älter als die übrigen Mieter war und daher ein Anhänger Kohls. Die Grünen verabscheute er abgrundtief. Obwohl ich die Grünen selbst mochte, fiel meine erste eigene Wahl dennoch auf Helmut Kohl, 1998, ich wollte einfach keinen Abschied von dieser Figur. Schröder erschien mir nur unsympathisch, eingebildet unfähig für dieses hohe Amt, allein sein Grinsen, sein Auftreten. Das änderte sich später, als er uns aus dem Irak-Krieg raushielt. Mit Kohl geht eine Zeit der Sicherheit, die man spüren konnte, ein Teil meiner Kindheit. Bei Merkel spüre ich nur noch… Mehr