Die griechische Tragödie, letzter Akt

In Wikipedia lesen wir: „Die griechische Tragödie behandelt die schicksalhafte Verstrickung des Protagonisten, der in eine so ausweglose Lage geraten ist, dass er durch jedwedes Handeln nur schuldig werden kann. Die herannahende, sich immer deutlicher abzeichnende Katastrophe lässt sich trotz großer Anstrengungen der handelnden Personen nicht mehr abwenden. Der tragische Charakter wird auch mit dem Attribut „schuldlos schuldig“ beschrieben.“ Wie aktuell!

Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat die Rolle des Protagonisten auf sich genommen, über seinen Regierungschef Alexis Tsipras redet im Moment kaum noch jemand. Wie es aussieht, steuert Griechenland unaufhaltsam auf den großen Crash zu. Es muss seinen Schuldnern allein in diesem Monat 6,8 Milliarden Euro zahlen, und niemand weiß, wo das Geld herkommen soll. Laut Draghi finanziert die EZB derzeit 70% der griechischen Wirtschaftsleistung. Die EZB hat dem Land durch frühere Anleihekäufe schon 100 Milliarden Euro geliehen. Und niemand, nicht einmal die Griechen selbst, kennt die wahren Zahlen des griechischen Haushalts. Aktuell jetzt noch massive Angriffe auf Deutschland wegen angeblicher Reparationszahlungen – das schafft keine Freundschaft.

Trotzdem muss Griechenland geholfen werden. Die EU will Griechenland um jeden Preis halten. Das Grundproblem ist, dass in dieser Lage nur noch über die Schulden Griechenlands und nicht über die Zukunft des Landes geredet wird. Schulden kann man strecken oder ganz erlassen. Die Zukunft eines ganzen Landes lässt sich nicht auf Knopfdruck gestalten.

Unter Reformen hat man bislang nur weitere Sparprogramme und Eintreibung von Steuern verstanden. Was Griechenland mit seiner extrem hohen Arbeitslosigkeit, gekürzten Renten und Löhnen und einer seit Monaten anhaltenden Kapitalflucht wirklich bräuchte, wäre eine komplette Neuausrichtung von Staat und Wirtschaft, eine Art Reset, ein Neuanfang, der dem Land wieder die Chance zur Regenerierung gibt. Das kranke Griechenland kann nur geheilt werden, wenn man ihm zehn Jahre Zeit für die Gestaltung dieses Neuanfangs gibt. In den nächsten sechs Monaten müsste folgendes erreicht werden.

1.) Griechenland braucht zunächst die Sicherung seiner Liquidität. Dafür kann es eine Weile Notkredite der EZB ziehen.

2.) Dann braucht Griechenland einen Aufschub aller staatlichen Tilgungs- und Zinszahlungen für mindestens fünf Jahre. Notfalls muss die EZB hierfür bürgen.

3.) Die dadurch entstehende Entlastung im griechischen Haushalt wird zur Hälfte für Zukunftsprojekte aufgespart, zur anderen Hälfte für Arbeitsbeschaffungsprogramme insbesondere zur Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit eingesetzt.

4.) Die Entwicklung solcher Zukunftsprojekte sollte mit einer internationalen Zukunftskonferenz in Athen starten: Die besten Köpfe Europas setzen sich mit den Griechen auf einer Konferenz zusammen und erarbeiten ein Fünf-Jahresprogramm. Wir helfen Griechenland bei Reformen statt sie in ein IWF-Sparkonzept zu zwingen.

5.) Deutschland bietet Griechenland fünf Jahre lang Unterstützung bei einer umfassenden Verwaltungsreform an (Vorbild: Wiedervereinigung)

Voraussetzung ist natürlich, dass Griechenland kooperiert. Das sollte mit so einem Programm eher gelingen als mit der bisherigen „Friss- oder stirb-Politik“.

Erfolgreiche Beispiele gibt es aus der Vergangenheit genug. Etwa die Umstrukturierung der Region Wales: Im einst größten Kohlehafen der Welt Cardiff mussten innerhalb von wenigen Jahren Stahlwerke, Bergbau und Werften geschlossen und Tausende von Arbeitern entlassen werden. Diese Region konnte mit diversen Steueranreizen und Infrastrukturhilfen vollständig revitalisiert werden, so dass zehn Jahre später mehr Menschen Arbeit hatten als vor der Krise. Man kann sich Freihandelszonen vorstellen, ein griechisches „Sofia Antopolis “ (das französische Silicon Valley in der Nähe von Nizza). Man kann den Tourismus in diesem schönen Land mit massiven Werbekampagnen wieder in Schwung bringen. Und man kann helfen, die heruntergekommene Verwaltung des Landes zu modernisieren.

Aber vielleicht geht das alles erst, wenn der Tragödie letzter Teil beginnt, wenn der „Exodos“ nach dem letzten Chor beginnt, wenn Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis seine Rolle ausgespielt und das Land den Offenbarungseid geleistet hat.




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