Die Christdemokraten spielen Merkel ohne Mehrheit

Die CDU ist am Ziel: Nachdem sie im Streit um die Geschäftsordnung vom Verfassungsgericht Recht bekommen hatte, stellt sie nun auch den Landtagspräsidenten in Thüringen. Wie es jetzt weiter geht, bleibt aber weiterhin offen. Der Demokratie hat sie einen Bärendienst erwiesen.

IMAGO / Funke Foto Services

Spät am Abend entschied das Thüringer Verfassungsgericht: Der Alterspräsident im Thüringer Landtag habe sich nicht etwa an die Geschäftsordnung zu halten, sondern müsse sich vielmehr nach dem Wunsch der CDU richten, vor der eigentlichen Wahl des Landtagsvorsitzenden die neue Geschäftsordnung abzuwinken. Juristen wird das Urteil in Zukunft Kopfzerbrechen bereiten. Historiker werden dagegen hier eine neuerliche Zäsur in der Geschichte der Thüringer Verhältnisse setzen. In einer DTS-Meldung ist nachzulesen:

Die Thüringer Verfassung treffe keine Regelung zur Reihenfolge der einzelnen Konstituierungshandlungen und gebe insbesondere nicht vor, dass die Wahl des Landtagspräsidenten noch vor dem Beschluss einer Geschäftsordnung zu erfolgen habe, hieß es zur Begründung. Die Abgeordneten hätten das Recht, auch in der konstituierenden Sitzung über die Tagesordnung zu bestimmen und dabei sowohl die Gegenstände als auch die Reihenfolge der Tagesordnung festzulegen. Damit sei auch eine Debatte und Beschlussfassung über eine Änderung der Geschäftsordnung bereits vor der Wahl des Landtagspräsidenten zulässig, so die Thüringer Verfassungsrichter.

Die beabsichtigte Regelung, die vorsieht, dass sämtliche Fraktionen – und nicht allein die stärkste Fraktion – bereits für den ersten Wahlgang Vorschläge für die Wahl des Landtagspräsidenten unterbreiten dürfen, verletze das Verfassungsrecht nicht. Eine Nichtbehandlung des auf die Änderung der Wahlmodalitäten des Landtagspräsidenten gerichteten Antrags durch den Alterspräsidenten komme deshalb „unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht“, heißt es im Beschluss des Thüringer Verfassungsgerichtshofs.

Nach diesem Teilsieg vor Gericht – andere CDU-Anträge hatte das Verfassungsgericht abgelehnt – ist also auch die parlamentarische Tradition gefallen, dass die stärkste Fraktion den Landtagspräsidenten stellt. Vielleicht wäre es auch irgendwann eine nützliche Einrichtung, dass nicht mehr die Mehrheit des Parlamentes den Ministerpräsidenten wählt, sondern lediglich die „Demokratischen Parteien“? Angela Merkel macht aus Südafrika keine Vorgaben mehr, was in Thüringen zu geschehen hat, aber die Thüringer CDU funktioniert auch ohne Bundeskanzlerin gut.

Dann am Samstag die große Erleichterung: Thadäus König wird neuer Landtagspräsident! Er bekam bei der Abstimmung 54 Stimmen, die AfD-Abgeordnete Wiebke Muhsal 32 Stimmen, ebensoviele, wie die AfD-Fraktion Sitze hat, es gab eine Enthaltung.

Damit hat Thüringen seinen dritten Politik-Skandal in weniger als fünf Jahren. An erster Stelle lag die „Rückgängigmachung“ der Kemmerich-Wahl. An zweiter Stelle stand die kommissarische Regierung von Bodo Ramelow, der eigentlich nur bis zur Neuwahl im Amt bleiben sollte, und dann die volle Legislatur im Sattel saß. Der dritte Skandal ist die insbesondere von selbsternannten „demokratischen Parteien“ vorangetriebene Zerstörung des Parlamentarismus, bei der man versucht, die größte Fraktion des Landtags, und damit ein Drittel der Wählerschaft durch Stigmatisierung der Repräsentanten auszuschließen.

Pluralität, Minderheitenschutz und Kompromiss, also die vermeintlichen Tugenden der Demokratie, die von ihren Vertretern als Kontra-Argument gegen die AfD eingesetzt werden, sind längst zur Farce verkommen. Im Mittelpunkt steht dabei die CDU. Sie hat für einen kurzfristigen Gewinn der Macht und einen im Grunde nutzlosen Prestigeposten im Landtag die Gräben im Parlament so tief gezogen, dass sie tief in den thüringischen Boden reichen. Sie hat sich am ersten Tag sämtliche realpolitischen Wege verbaut. Was ist nun ihr Ziel: Hängepartie? Minderheitenregierung? Nationale Front? Die Christdemokraten spielen Merkel ohne Mehrheit.

Gleich, was die Union nun tut: sie spielt auf Zeit. Wenn sie den Thüringern eine ähnliche „kommissarische“ Landesregierung vorsetzt wie bei Ramelow, wird sie der AfD bei der nächsten Wahl die absolute Mehrheit bescheren, weil auch die letzten Anhänger zuhause bleiben. Man kann kein Bundesland ein Jahrzehnt lang per Statthalterschaft regieren, ohne, dass das Volk unwillig wird. Sollte Björn Höcke eines Tages tatsächlich Ministerpräsident werden, dann dank eines Mario Voigt und seiner Mitstreiter, die die Thüringer zur absoluten Mehrheit für „Blau“ zwangen, weil sie sich sonst einer abgewählten Kaste nicht anders zu entledigen wusste.

In Deutschland herrscht deswegen Preußenschlag-Mentalität. In der Absicht, eine Bedrohung für die Demokratie abzuwenden, ist man bereit, die Demokratie so sturmreif zu schießen, dass nach einem Regierungswechsel die Institutionen umso leichter ausgetauscht werden können. Häufig hört man, dass die AfD unter keinen Umständen Teil einer Regierung sein dürfte, um zu verhindern, dass fundamentale Institutionen wie etwa Gerichte umbesetzt oder demokratiewahrende Mechanismen erodieren.

Aber wer braucht dazu eigentlich die AfD? Die „demokratischen Parteien“ sind damit deutlich erfolgreicher.

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Kommentare ( 186 )

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akrotech
2 Monate her

Thüringen hat noch einmal deutlich gemacht: totale parlamentarische Isolation der AfD, Zerstörung dieser Partei als politische Manifestation eines souverän agierenden Deutschlands, uneingeschränkte Verachtung des Souveräns und seiner Institutionen. Erschreckend dabei: höchste deutsche Gerichte anscheinend willige Erfüllungsgehilfen des etablierten Parteienklüngels: kein Prestige und jederzeit dazu bereit sich öffentlich und in Fachkreisen zu kompromittieren (im Kampf gegen Rechts). Die Verachtung des großen Publikums durch staatliche Institutionen aber auch schon seit COVID offenkundig. Die Etablierten hatten in Thüringen offenbar Angst, daß es bei mehreren Wahlgängen dazu hätte kommen können, daß sich Abweichler in den eigenen Reihen hätten ermutigten lassen ihrem Unfrieden Ausdruck zu… Mehr

WGreuer
2 Monate her

CDU, SPD und BSW sind zumindest in Thüringen nun in einer Einheitspartei zusammengefasst: die Neue SED. Wie bei der alten SED, bestimmt deren Vertreter, was „demokratisch“ ist und was nicht. So geht wahre Demokratie. Nicht.
Die Thüringer werden sich das mit Sicherheit für die nächste Wahl merke(l)n.

Privat
2 Monate her

Nach dem schrecklichen jämmerlichen Schauspiel, das uns die CDU mit Voigt und diesem A. Bühl geboten hat – zusammen mit der BSW, SPD und Linken – muss es jetzt heißen — Nie wieder eine dieser Systemparteien wählen.

Klabautermann1
2 Monate her

Es ist schon mehr als erbärmlich mit welch antidemokratischer Verhaltensweise im Thüringer Landtag die Altparteien – insbesondere die CDU unter Ansage ihres „unheimlich charismatischen“ Vorsitzenden – , die sich mit dem BSW zu einem Parteienkartell verschmolzen haben, ein Schmierentheater veranstalten, um sich an der Macht und an den Futtertrögen des Staates zu halten und den Sieger der Wahlen ins absolute Abseits zu stellen. Auch hier zeigt sich einmal mehr, dass sich die Altparteien in der den politischen Gegner verachtender Weise, wenn es für sie darauf ankommt, weder an Recht noch Gesetz halten. Man errichtet eine Brandmauer gegen die AFD, somit… Mehr

Micky Maus
2 Monate her

Ich hatte bisher der CDU noch ein Mindestmaß an Respekt entgegengebracht, aber die Verhaltensweisen die nun nach der Thüringenwahl offensichtlich werden zeigen, dass in der CDU genauso ein dreckig verlogenes Pack die Herrschaft auf undemokratische, verbrecherische und verlogene Art an sich gerissen hat, wie es in den anderen Parteien (SPD,Linke, Grüne und BSW) schon Normalität ist.

KorneliaJuliaKoehler
2 Monate her

So geht „unsere Demokratie“. Wie naiv zu glauben, dass sich diese Bande einfach so abwählen lässt! Das wäre ja noch schöner. Dieses Schmierentheater in Thüringen war wohl von vornherein ein abgekartetes Spielchen. Jede Provokation von den vereinten Medien für Staatspropaganda perfekt in Szene gesetzt. Wer soll denn glauben, dass ausgerechnet den lupenreinen Demokraten der Sachverhalt nicht bewusst war. Sie hätten doch lässig viel Zeit gehabt, das Gesetz vor den Wahlen zu ändern. Welche Fraktion die stärkste wird, war doch schon Wochen vor den Wahlen klar. Es ging wohl nur um die Erzeugung von Bildern, die eine versuchte „Machtergreifung“ durch die… Mehr

Peter Pascht
2 Monate her

Gebrüllt habe ich vor lachen schon beim Titel lesen 😉 😉 😉 😉 😉
richtiger wäre:
Die Christdemokraten spielen Merkel ohne Merkel
denn es galt schon immer beides
„Die Christdemokraten spielen Merkel ohne Mehrheit“
„Die Christdemokraten spielen Mehrheit mit Merkel“
Mit oder ohne Merkel ist das gleiche, denn sie hatten nie die tatsächliche Mehrheit, sondern nur die Fake-Mehrheit,
Dank Fake-Wahlen und Fake-Journalismus.

Last edited 2 Monate her by Peter Pascht
Boris G
2 Monate her

Danke für diese kluge Analyse, die einsam leuchtet im hysterischen medialen Echo der Kämpfer gegen Rechts. Es stimmt leider: Die CDU ist der Totengräber einer über Jahrzehnte gut funktionierenden bundesrepublikanischen Gesellschaft. Dabei braucht es nur den Blick über die Schweizer Grenze, um zu bestaunen, wie eine uralte Demokratie mit einer neuen rechtskonservativen Partei (SVP) lebt. Die klugen, meistens rational abstimmenden Alemannen haben sie eingebettet, in Regierungsverantwortung genommen und fahren damit so viel besser als ihr irrlichternder nördlicher Nachbar, dessen gesellschaftliche Zersetzung rasant Fahrt aufgenommen hat. Felix Helvetia, wohin es kluge, fleißige Deutsche in Massen zieht, was der SVP Angst macht.… Mehr

Will Hunting
2 Monate her

Ich hatte leider die Gunst mehrfach Gerichtsäle und deren Unterhalter kennenzulernen .
Das was dort, zum Teil entschieden wird, entbehrt jeder Vernunftsgrundlage.

Paul987
2 Monate her

Zitat des Demokraten und CDU-Fraktionschef Mike Mohring 2018:
„Das Vorschlagsrecht des Landtagspräsidenten liegt bei der stärksten Landtagsfraktion. Gemeinhin akzeptiert Brauch in allen Parlamenten ist, dass der vorgeschlagene Präsident auch gewählt wird!“
Da mit dieser Tradition heute massgeblich durch die CDU gebrochen wurde, sollte sie ihr D wie „Demokratisch“ durch ein T wie „Totalitär“ ersetzen. Die CTU ist unwählbar.