Ja, Bauern wollt ihr denn ewig jammern?! – Hendrik Wüsts denkwürdige Rede

Bei seiner Rede kanzelte Hendrik Wüst die Bauern von oben herab ab. Wenn sie nicht so viel jammern würden, würden die Nachfahren den Hof auch übernehmen. Möglich, dass die Bauern nicht jammern, sondern sich die Frage stellen, wer ihre Interessen vertritt. Die neusten Umfragewerte könnten einen Hinweis geben.

Screenprint: Phoenix via twitter

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst – zu dessen Projekten die Einrichtung von einem landesweiten Netz von Meldestellen, wo Äußerungen und Vorkommnisse unterhalb der Strafbarkeitsgrenze gemeldet und gespeichert werden sollen, also ein Denunziationsstellennetzwerk nach eigenwilliger Rechtsgestaltung gehört – hat auf dem Bauerntag in Münster am 29. Juni eine denkwürdige Rede gehalten, die an den Genossen Kossonossow aus Michail Sostschenkos Erzählung „Die Kuh im Propeller“ erinnert, der seine Rede mit den prophetischen Worten begann: Das Flugwesen, Genossen, es entwickelt sich!

— Freie Nachrichten (@FrNachrichten) June 29, 2023

Eigentlich wollte der nobel gekleidete und nobel frisierte Ministerpräsident über die Wichtigkeit der Landwirtschaft, die Bedeutung der Ernährungssicherheit sprechen, eigentlich wollte er über Wertschätzung sprechen – und verhaspelte sich schnell in der Rolle der Bedeutung, sowie der Bedeutung der Rolle, weil die Basis das Fundament all unserer Grundlagen bildet.

Tatsächlich belehrte der Jurist die Bauern und kanzelte sie von oben herab ab. Da Wüst vorher ein bisschen etwas über die Bedeutung der Landwirtschaft zum Besten gab, darüber stilblütig psalmodierte, dass die allererste Priorität die Erzeugung von Lebensmitteln sei und es dazu Rahmenbedingungen bedürfe, erwartete jeder Zuhörer, dass der Ministerpräsident nun konkret über die Verbesserung der Rahmenbedingungen, darüber, was die Politik zu leisten gedenke, sprechen würde. Doch weit gefehlt, es folgte eine Strafpredigt, die Landwirtschaftsexperten wie ein Cem Özdemir, die ein Konstantin von Notz nicht hätten besser halten können.

Hendrik Wüst belehrte wie ein aus der Zeit gefallener Oberlehrer altväterlich die Bauern, als wären sie dumme Schulbuben. Er sagte:

„Keine Debatte in diesen Tagen mit Landwirtinnen und Landwirten ohne diesen Wunsch. Da steht überall: gebt uns verlässliche Rahmenbedingungen, die planbar sind für alle unsere Investitionen. Dazu braucht es Wertschätzung oder um es mal auf den Punkt zu bringen. Wenn sie mit ihren Kindern, mit der nächsten Genration am Tisch sitzen und jammern, dann werden die keinen Bock haben, den Hof zu übernehmen. Wir haben schon Unternehmen aus allen Branchen so erlebt. Wenn Mama und Papa immer jammern, jammern müssen oder aus anderen Gründen jammern, dann übernehmen die Kinder den Hof nicht. Wenn sie sagen, okay da ist die Perspektive, am liebsten würde ich jetzt noch mal selber neu anfangen, ich habe Spaß an der Sache, ja, dann brauchen sie sich auch keine Sorgen zu machen, dann sagen ihre Söhne, ihre Töchter, wunderbar, ich freue mich, dieses Erbe antreten zu dürfen.“

Überholen, ohne einzuholen. Es ist eben alles eine Frage des Bewusstseins und des guten Willens.

So fragte der Landwirtschafts- und Meldestellenexperte aus Düsseldorf eigentlich: Ja, wollt ihr Kerls und Kerlsinnen denn ewig jammern! Also, liebe Landwirtinnen und liebe Landwirte überwindet endlich euren inneren Schweinhund, auch wenn ihr in Brüsseler und Düsseldorfer und Berliner Berichtspflichten ertrinkt, wenn ihr nicht mehr wisst, wie ihr Habecks und Neubauers Energiepreise noch bezahlen sollt, wie ihr aus dem Tag noch eine 25-ste und 26-ste Stunden schneidert, stellt euch mal nicht so an, sondern freut euch über unseren Murks, den ihr auszuheizpumpen habt. Freut Euch, dass wir in der Politik jede Menge Mist produzieren, mit Mist hab ihr doch Erfahrung.

Wüst kann es nicht wissen, dass die Arbeit des Bauern hart und kein geregelter Acht-Stunden-Tag ist, den man auch nicht im Home-Office erledigt, nicht im Büro, dass man den Traktor selbst fahren muss und keinen Fahrer dafür hat, Wüst kann es nicht wissen, dass man an dieser Arbeit keinen Spaß wie auf einem Bundespresseball oder am Strand von Mallorca hat. Sicher, Freude kann man empfinden und Freude empfindet der Bauer an seiner Arbeit, Stolz auch, Erfüllung auch, aber Spaß haben? Spaß am Ausmisten, Spaß am frühen Aufstehen, auch an Weihnachten, um das Vieh zu versorgen?

Was denkt sich dieser Mann eigentlich? Aber er denkt wahrscheinlich nicht, er redet ja nur. Wie die Marxisten, wie die Grünen glaubt wohl auch Hendrik Wüst, dass alles eine Frage des Bewusstseins ist. Mit etwas gutem Willen geht das schon – und zum guten Willen werdet ihr verpflichtet, per ordre de mufti. Ihr müsst Spaß haben!

In NRW soll es eine Kirche geben, in der in einer Kapelle eine Statue von Hendrik Wüst, dem grün-schwarzen Heiligen der Bauern, steht. Es heißt, Scharen von AfD-Funktionären, nicht nur aus NRW, nein aus der ganzen Bundesrepublik pilgern dorthin, sogar Björn Höcke soll dort schon mehrmals gesehen worden sein, und sie beten inbrünstig für Hendrik Wüsts Gesundheit, der ihnen so viele, der ihnen mehr und mehr Wähler zutreibt. Möglich, dass die Bauern am Tisch nicht jammern, sondern sich stattdessen die Frage stellen, wer ihre Interessen vertritt. Wer daran wohl Spaß haben wird?

Die neueste Umfrage jedenfalls verortet die AfD inzwischen bei 21 Prozent, die CDU/CSU nur noch bei 25,5 Prozent. Ohne die CSU liegt nun die AfD gleichauf mit der CDU.


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