Antworten 2: Deutsch sein, was ist das für Sie ganz persönlich?

Hier das zweite Antwortpaket. --- Zur lockeren Volksbefragung laden wir weiter herzlich ein.

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Fortsetzung „Antworten 2: Deutsch sein, was ist das für Sie ganz persönlich?“

58, weiblich, von Usedom nach Sachsen: bleiben oder auswandern

Wenn ich in Leipzig in der Straßenbahn sitze, freue ich mich manchmal einfach plötzlich völlig anlasslos darüber, dass alles funktioniert. Die Bahn fährt pünktlich, die Ampeln gehen, der Verkehr fließt, Leute sind geschäftig unterwegs, die Stadt ist sauber, die Leute in der Bahn sitzen ruhig, manche unterhalten sich. Ich komme zur Arbeit, die Stimmung ist gut, flache Hierarchien, Respekt voreinander, Freundlichkeit und Freundschaft. Ausländische Kollegen und Kolleginnen, Herzlichkeit. Auch Stress, viel zu tun haben, Termindruck, ordentliche Arbeit mit hohen Anforderungen. Aber das gehört dazu. Kontakte in die ganze Welt.

Sehr wichtig ist für mich die deutsche Sprache (habe andere studiert und mag sie auch). Sie kann ausdrücken, was ich meine, was ich denke, weniger, was ich fühle – da sind andere Sprachen durchaus besser geeignet. Ich kann hören und lesen, was andere denken, meinen, fühlen und glaube, ich verstehe sie. Sächsisch nicht immer.

Literatur, eher die ältere. Mit der neueren kann ich nicht so viel anfangen, was vielleicht am Alter liegt. Goethe, Schiller und E.T.A. Hoffmann. Ach ja, und Heinrich Heine! Dazu Bilder von Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge, alte, knorrige Bäume, besonders der Kreidefelsen auf Rügen, der Blick auf Stralsund. Meine Heimat Vorpommern, das weite wunderschöne Land meiner Mutter, die von der Insel Usedom stammte, wo ich auch geboren wurde. Hat jemand schon mal so herrliche große weiß leuchtende Wolkenfelder anderswo gesehen? Auch das verlorene Ostpreußen, Land meines Vaters, der als Kind die Flucht übers Eis überstand, ist in meinem Hinterkopf permanent präsent, auch wenn ich noch nie da war, es nur aus Erzählungen zu kennen glaube und wo ich auch nie hinfahren werde. Es gehört zu mir, zu meiner Identität.

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Plattdeutsch, die besten Senfgurken der Welt nach Großmutters Rezept, Schmandhering, Räucheraal.  Immer die Sehnsucht nach Warnemünde und Heringsdorf, nach dem Rauschen der Ostsee und dem besonders blauen Himmel über ihr.

Auch Weimar, Dresden, das Elbsandsteingebirge, wo einem das Herz aufgeht, man sich leicht fühlt.

Das vollkommen andere Bayern. Ich habe großen Respekt vor der Leistung der Leute dort, auch wenn ich mir nicht vorstellen könnte, dort zu leben. Ein Freistaat, der in sich zu ruhen scheint, selbstbewusst mit viel Folklore, der ich nichts abgewinnen kann. Dennoch, irgendwas machen die richtig!

Und natürlich der Fussball. Toni Kroos, der Mann aus Greifswald. Da kommt Freude auf und ein wenig Stolz.

Leider auch braune Radikale, vor allem aber solche, die sich antifaschistisch nennen, aber agieren wie Faschisten. Ich kann es nicht fassen, dass sich hier Geschichte unter anderem Vorzeichen wiederholt. Und das Bild vom „Untertan“ (Heinrich Mann) stimmt immer noch (man betrachte nur den letzten „Klatschtag“ der CDU), für mich einfach grauenhaft, unfassbar nach dem Untergang der DDR.

Denunziantentum, schon in der Schule gefördert durch sogenannte „Schülergerichte“, nun auch noch im Netz zu beobachten. Was sind das für Leute? Selbstzensur, die Schere im Kopf, etwas, das wir nach der Wende nicht mehr erleben zu müssen glaubten.

Vielleicht sind Deutsche spießig, vielleicht ist ja der vielbeschworene Gartenzwerg ein sehr deutsches Phänomen so wie die Schrebergärten. Man mag sich auch über Fahrradhelme und Mülltrennung wundern. Das mag alles sein, tangiert mich aber nicht.

Ich halte es durchaus mit dem Alten Fritz, nach dem jeder nach seiner Fasson selig werden soll. Hauptsache, alle halten sich weitgehend an die Regeln und vor dem Gesetz sind alle, die hier leben, gleich. Das scheint allerdings leider gegenwärtig nicht garantiert zu sein.

Ich lebe noch gern in diesem Land und wünsche meinen Kindern und Enkeln, dass es erkennbar bleibt in Zukunft, nicht nur landschaftlich.

Allerdings treibt uns die Sorge, dass es sich bis zur Unkenntlichkeit verändern könnte. Wir denken schon manchmal ans Auswandern.

57, männlich, Mittelbayern: auf die Mitte besinnen

Für mich persönlich hat sich mein ‚Deutschsein‘ über die Jahre immer mehr durch den Kontakt mit Nicht-Deutschen definiert:

Ob während einer Motorradtour in Südtirol, bei Auslandsaufenthalten im Rahmen von militärischen bilateralen Begegnungen im westlichen Europa oder in den ehemals Warschauer-Pakt-Staaten vertraute viel mehr auf die Sichtweise von Ausländern auf uns Deutsche, als die verquase Reflektion durch die Blockparteivertreter oder durch die ihnen gleichgeschalteten Medien.

In Canada, Brasilien oder im Oman habe ich sehr viel mehr über meine deutsche Identität und der ausländischer Sichtweise erfahren als jemals in unserem gehetzten – vermeintlich intellektuellem-  Mainstream: Deutschsein erfährt weltweit viel Bewunderung, auch abseits des Fußballfeldes, Respekt für ein kleines Land das so viel Großes leisten kann.

Die innerdeutsche Selbstverstümmelung unserer Identität wird in der Außenbetrachtung kaum wahrgenommen. Geschichte wird als Geschichte gewertet – ohne Bestimmungsrecht in der Gegenwart. Und Geschichte wurde und wird stets von den Siegern geschrieben…

In der Summe erlebe ich die deutsche Realität wie eine Wanderung der Lemminge, Konsum- und Problem-gesteuert in eine von sogenannten Politikern vorgegebene Richtung, ohne Innehalten, ohne Selbstreflektion. Jede Kritik an der Leitlinie wird von der gesteuerten Umfrage-Schafherde der Meinungsmacher niedergebrüllt, wie in George Orwells‘ ‚Farm der Tiere“ wenn die Schafe mit ihrem Vierbeiner gut – Zweibeiner schlecht  jeden Ansatz von Kritik an der Meinungsführerschaft im Keim ersticken.

Die Stimmung in unserem Lande ist eine Mischung aus – „Farm der Tiere“  und „1984“ – mit einer Prise von Auldus Huxley´s  – „Schöne neue Welt“.

Die politischen Meinungsführer scharen ihre Lemminge auf der isolierten Wir schaffen-das-Insel mitten in Europa um sich, die schweigende Mehrheit der deutschen Bevölkerung, mit dem Privileg dies alles zu finanzieren zu dürfen – getraut sich die eigene Meinung nicht mehr Kund zu tun….Big Brother is watching you! Die staatlich angeleiteten  Denunzianten in den asozialen Medien haben Hochkonjunktur … gestern war es gefährlich, einen Doktortitel erworben zu haben, heute reicht bereits eine eigene Meinung!
Die Kerngruppe der „German Angst“-Vertreter bereitet sich ohnehin schon mal  stillschweigend auf einen möglichen Bürgerkrieg vor.

In einem Europa, das nur Stärke durch die Vielfalt seiner Regionen erhält, versucht Politik immer mehr Zentralismus als Lösung für alle gescheiterten Projekte zu etablieren – ein verhängnisvoller Irrweg – Brüsseler Bevormundungs-Spitzen werden zu Würgegriff für Europa.

Afghanistan, Ukraine, Griechenland, Libyen, der Nahe Osten, TTIP, das Versagen in Sachen Migration, das selbstgeschmiedete Damoklesschwert des sogenannten Kimawandels, eine nationale Energiewende hin zur Versorgungsplanwirtschaft,  die Scherbenhaufen wachsen stetig.

Ich habe immer noch die Hoffnung, dass trotz aller medialer Kakophonie am Ende sich ein vernunftbetonter Konsens in unserer Gesellschaft durchsetzt, um zu klären wie wir miteinander leben und was wir unseren Kindern für ein Land übergeben wollen – bevor es die Restposten-68er komplett gegen die Wand fahren.

Deutschland muss ich neu definieren – in der Mitte – irgendwo in Balance zwischen PEGIDA und dem gehätschelten „Deutschland-Verrecke“-Schwarzen Block.

Nur aus der Mitte entspringt eine Fluss, der eine deutsche Zukunft hat …

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Über das Deutsch-sein lässt sich endlos theoretisieren. Doch theoretisch wollen wir es von Ihnen gar nicht wissen. Sondern was macht für Sie ganz praktisch Deutsch-sein aus? Wohin sollen sich denn Migranten integrieren? Ist es nur die Sprache und die Gesetze der Mülltrennung? Was sind deutsche Werte, was macht die Leitkultur dieses Landes aus? Die Forderung nach Integration ist schnell hingesagt, und schwer realisiert. Was ist Ihr Deutschlandbild?

Dazu bitten wir um Ihren Beitrag, um Ihr Hier und Jetzt mitten in Deutschland, warum nicht auch um die Erzählung Ihrer Großmutter, um Fotos, die für Sie typisch Deutsches darstellen. Was immer Ihnen dazu in den Sinn kommt. Das ist kein Aufsatz-Wettbewerb, sondern die Bitte um Spontanes, so ernst und so witzig, wie Sie wollen. Zu dieser Lockerungsübung von Volksbefragung im oft viel zu tierisch ernsten öffentlichen Schlagabtausch laden wir Sie herzlich ein.

Wenn Sie wollen, bleiben Sie anonym, bitte nur Alter, Geschlecht und Herkunftsgegend. Schicken Sie Ihre Beiträge einfach an:

kontakt@rolandtichy.de

Wenn Sie uns Ihre Adresse hinterlassen, werden wir einige Kleinigkeiten unter den Einsendungen verlosen.

Möglichst viele Beiträge wollen wir veröffentlichen, zwischendurch und am Ende der lockeren Umfrage fassen wir zusammen. Wir schauen, welcher Trend sichtbar geworden ist. Mit der Einsendung erklären Sie sich damit einverstanden.

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