Toleranz, richtig gelebt

Um die Toleranz ist es deutlich besser bestellt, als man gemeinhin annimmt oder unterstellt. Und spätestens beim Dank an die Mutter finden dann alle wieder zu einem gemeinsamen Nenner.

Dawid Zawila

Kim ist ein netter Junge. Bestimmt. Und er soll ruhig so bleiben, wie er ist. Offenkundig ist er ja ein Mann, wenn man nach seinem Schnauzbart geht. Er fühlt sich aber irgendwie anders? Non-wie? Egal. Völlig okay. Darf er doch. Doch wenn ich mir das so anschaue, sagt meine Schwägerin A., dann stört mich, dass er sich nicht rasiert hat. Und das Makeup! So macht man das doch nicht, bei so einem Anlass. Und dann sein Geschmack, was die Kleidung betrifft. Dieser formlose Paillettenrock, den er dauernd hochziehen muss, weil er nicht richtig passt! Und dann dieses grüne Gewölle vor der Brust! Also eine Frau hätte was Elegantes angezogen. Ist ja immerhin eine Ehre, so ein Preis.

Der Deutsche Buchpreis, sage ich.

Eben. Sie nickt. Immerhin scheint Kim bei der Preisverleihung vernünftiges Schuhwerk getragen zu haben, man stolpert ja gern bei solchen Anlässen. Ich versuche, zu erklären. Dass Kim und die Preisverleihung eine „Sternviertelstunde“ gewesen sei, wie es in der FAZ hieß. „A Star is born“.

Ja, gewiss, aber doch sicher nicht wegen seiner Kleidung?

Ja, Nein. Sondern weil es der „stärkste Auftritt nichtbinär definierten Erzählens“ war. Wobei ja eigentlich der Erzähler auftrat und nicht das Erzählen.

Versteh ich nicht. Sie wiegt das Haupt. Jedenfalls sieht der Junge nett aus. Also wenn nicht der Rock wäre…

Das ist doch nicht nur ein Rock. Das ist „queer schillernde, farbenfrohe Pracht“, „eine umwerfende Erscheinung“ .„Sexy. Verrucht“.

Na, da kannte ich in meiner Jugend aber anderes, sagt A. Was verrucht betrifft und so. Und für dermaßen vergleichsweise Harmloses gibt es Tränen und Applaus?

Naja, sage ich. Er hat sich dann die Haare abrasiert.
Was? Die schönen dunklen Locken?
Aus Solidarität mit den Frauen im Iran.
A. schweigt. Endlich.

Na gut, sagt sie nach einigen Minuten, während sie die Stirn kraus zieht. Dann kann er sich jetzt ja auch mal im Gesicht rasieren.

Thema durch. Meine ländlichen Verwandten werden nie begreifen, was die woke Gemeinde in den Städten so unendlich fasziniert. Nicht, weil sie nicht tolerant wären, ganz im Gegenteil. Sind sie. Sowieso. Ganz normal eben. Weswegen sie einfach nicht verstehen wollen, warum man um jedes Anderssein so ein Getöse und Aufhebens machen muss.

Kim hat übrigens seiner Mutter gedankt, sage ich, da waren alle zu Tränen gerührt.
Na bitte, sagt sie. Ein netter Junge, eben. Nur das mit dem Rock…
Ich gebe auf.




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Kommentare ( 9 )

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Christa Born
1 Jahr her

Ganz richtig, so erlebe ich es auch. Die Leute sind sehr viel toleranter als man sie immer hinstellen will von grün-woker Seite. Schau nur mal wie verrückt die alten Damen sind auf den Mode-Glööckler zum Beispiel, das muss man mal gesehen haben. Jeder will doch eigentlich zuerst mal wissen: was ist das für ein Mensch, der mir da begegnet oder auffällt, wenn er anders aussieht. Der Mensch ist eben neugierig von Natur aus. Die eigentlichen Spießer sind die selbsternannten Sittenwächter, die machen erst ein Problem aus allem.

Sonny
1 Jahr her

Mir völlig egal. Soll doch jeder so durchgeknallt sein, wie er will. Hauptsache, die lassen mich in Ruhe.

Micci
1 Jahr her

Man ist erfolgreich.

Daran gewöhhnt und es für selbstverständlich erachtet, tritt Dekadenz ein.

Die Dekadenz greift um sich, der Abstieg beginnt.

Dann erfolgt der Knall.

————————-
Wir befinden uns gerade zwischen Punkt 3 und 4.

michaela.rockenbauer
1 Jahr her

Statt mit Schaum vor dem Mund über trans zu reden, läßt die NZZ Kim zu Wort kommen. Der intelligente und menschlich berührende Text erinnert an alte Zeiten der FAZ. Statt dämlicher Schlagworte – Woke hat das gleiche Niveau wie Rechts – kommt die versöhnliche Geste der ausgestreckten Hand. Viele selbsternannte Christen müssten vor Scham im Boden versinken. Der beste Satz ist allerdings: „Inzwischen gibt es mehr Artikel über Trans Menschen als es Trans Menschen gibt“. Das trifft es am besten, dass es um Stimmungsmache gegen eine Minderheit geht, die fast unsichtbar ist. Aber wenn jetzt jeder sein Geschlecht jährlich „so… Mehr

Mausi
1 Jahr her
Antworten an  michaela.rockenbauer

Mir ist es völlig egal, nach welchem „soziologischen Geschlecht“ jemand tickt. Die Frage ist m. E. wieso müssen Touristinnen in einem islamischen Land mit Minirock rumlaufen und in D Leute mit irgendeinem nicht biologischen Geschlecht mit Rock, Schminke und Bart? Ob wirklich über Trans an sich gelacht wird? Ob er benachteiligt wird? Kaum, weil das Anderssein zur Privatsphäre gehört. Es ist jedermans eigene Entscheidung, das über schreiende Mode an die Öffentlichleit zu tragen oder eben nicht. Gelacht wird über den Aufzug. Aber das muss jeder aushalten, der sehr extrem anders auftritt. Und warum soll man darüber nicht lachen dürfen? Kinder… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Mausi
Konservativer2
1 Jahr her
Antworten an  michaela.rockenbauer

Zu Wort kommen kann er ja. Ich will aber das Recht behalten, ihm nicht zuhören zu müssen und dies auch laut sagen zu dürfen.

Last edited 1 Jahr her by Konservativer2
StefanB
1 Jahr her

Puh, ich bin Großstädter und nicht so tolerant wie die Landeier. Ehrlich, ich bin mir sicher, dass Kim nur eine Konstruktion des identitätspolitischen Milieus ist. Ohne diese Szene gäbe es ihn überhaupt nicht und damit auch nicht seine primitiven literarischen Ergüsse (sind es seine?). Die Daseinsberechtigung dieser Kunstfigur liegt allein im linksgrünen Narrativ, dass jeder alles sein kann und der damit einhergehenden Umwertungs- und Umerziehungspropaganda.

peer stevens
1 Jahr her

…danke, Frau Stephan!
…besser kann man den ganzen verlotterten Schwachsinn, den sich diese Gesellschaft leistet, nicht parodieren.

Raufbold
1 Jahr her

Ganz am Ende des Textes habe ich plötzlich die Welt nicht mehr verstanden…Kim hat eine Mutter?
Richtig einfach so eine Mutter?
Kein Elter 123?
Nicht nonbinärirgendwas?
Muss eine schreckliche Kindheit für ihn/sie/es gewesen sein.