Putin bei Tsipras in Hellas

Putin fiel bei seinem Besuch in Griechenland verbal über die pro-westlichen Nachbarländer auf dem Balkan her. Doch die eigentliche entscheidende Mitteilung kam dieses Mal möglicherweise nicht von ihm, sondern von seinem Gastgeber Alexis Tsipras.

© Mikhail Svetlov/Getty Images
Russian President Vladimir Putin (L) and Prime Minister of Greece Alexis Tsipras (R) attend their joint press conference after the meeting in Athens, Greece, May 27, 2016.

Putin ist dafür bekannt, seine politischen Ziele derart unverblümt zu verkünden, dass die meisten Menschen diese oftmals ungeheuerlich wirkenden Ansagen nur für überzogene Provokationen halten. So fiel er bei seinem Besuch in Griechenland einmal mehr verbal über die pro-westlichen Nachbarländer auf dem Balkan her. Doch die eigentliche entscheidende Mitteilung kam dieses Mal möglicherweise nicht von ihm, sondern von seinem Gastgeber Alexis Tsipras.

„Strategisch bedeutend“ – der Putin und sein Tsipras

Das freundschaftliche Verhältnis zwischen Putin und Tsipras ist bekannt. Als seinerzeit der frisch gewählte Linkspolitiker im April 2015 zu Besuch in Moskau war, verzieh der Chef aller Reußen dem auf gesellschaftlichem Parkett unerfahrenen Bauingenieur aus Athen scheinbar sogar einen sonst sträflichen Fauxpax – als der Grieche sich bei einem gemeinsamen, öffentlichen Auftritt einfach vordrängelte und Putin dessen Stuhl wegnahm. Da aber ein Putin nie vergisst und nie verzeiht, holte er nun bei seinem griechischen Kloster-Besuch zum Gegenschlag aus und besetzte demonstrativ den Bischofsstuhl, der traditionell dem protokollarisch Höchststehenden zusteht. Das aber war bei diesem Besuch Griechenlands Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos als Gastgeber – der daraufhin der Zeremonie demonstrativ fernblieb.
Damit war zum Abschluss von Putins Reise nun im Sinne Gerhard Schröders klargestellt, wer Koch und wer Kellner ist. Was allerdings nichts an dem freundschaftlichen Einvernehmen des Putins und seines Tsipras ändert.

Eine Rübe namens South Stream

Damals in Moskau schien Putin für den seinerzeit noch im Fahrwasser seines Fiskalrevolutionärs Janis Varoufakis segelnden Tsipras eine Art Ersatzanker zu sein für den Fall, dass die EU die weitere Subventionierung des maroden Griechenstaates verweigern würde. Doch mit Geldzusagen hielt sich Putin zurück. Stattdessen verfuhr er mit Tsipras wie mit jenem berühmten Esel, dem man an einer Stange eine Rübe vor die Nase bindet, woraufhin er in dem vergeblichen Versuch, diese zu verspeisen, zum VW-Käfer wird und lauft und läuft und läuft …

Die Rübe hat einen recht konkreten Namen: Er lautet South-Stream und steht für eine Pipeline, mit der Putin sein Erdgas durch das Schwarze Meer an das Mittelmeer bringen möchte.  Angedacht war eine Unterwasser-Verbindung vom russischen Anapa/Krasnodar zum bulgarischen Varna. Alternativ lockte Putin zwischenzeitlich auch den Despoten Erdogan mit einer Türkeiroute – doch das dürfte sich nach dem kollateralen Zusammentreffen beider Egomanen im Syrien-Konflikt bis auf weiteres erledigt haben.

Griechenland, so Putins Angebot, solle bei Parga am Ionischen Meer den Mittelmeer-Verladehafen erhalten. Da locken Transfer-Milliarden und Arbeitsplätze.

Das Problem Bulgarien

Zwischenzeitlich liegt South-Stream infolge der russischen Besetzung der Krim auf Eis. Bulgarien lässt  das Projekt auf sanften Druck aus EU und USA ruhen – und ohnehin stellt die Bulgarien-Route für die Russen ein Problem dar. Denn entlang derselben befinden sich derzeit fünf Militäreinrichtungen, die die USA laut einer 2006 geschlossenen Vereinbarung – offiziell gemeinsam mit Bulgarien – nutzen darf. Es handelt sich dabei um den Marinehafen von Burgas am Schwarzen Meer, Ajtos als Logistik-Stützpunkt, den Truppenübungsplatz Nowo Selo bei Sliwen, den Flugplatz Bezmer bei  Jambol und den Flugplatz Graf Ignatiewo bei Plowdiw nahe zu Griechenland und Mazedonien.

Auch wenn den USA ausschließlich die Nutzung für Einsätze außerhalb Bulgariens gestattet worden ist – im Ernstfall können die Amerikaner einen durch Bulgarien verlaufenden South-Stream jederzeit kappen. Für Putins Konfrontationskurs keine angenehme Vorstellung. Und doch führt daran kaum ein Weg vorbei: Die türkische Alternative ist vermutlich dauerhaft vom Tisch, und eine Schwarzmeeranbindung Griechenlands gibt es nicht. Also mit Zitronen gehandelt?

Putin pilgert nach Griechenland

Dieser Tage nun war Putin passgenau zum G7-Treffen auf Gegenbesuch im Land der Hellenen. Die internationalen Beziehungen Russlands zu NATO und EU sind dabei immer noch so angespannt wie seit der Einverleibung der Krim und der subversiven Übernahme der Ostukraine. Trotzdem zeichnete sich Griechenlands Premier bei diesem Besuch durch eine überbordende Freundlichkeit dem sonst international so ungeliebten Putin gegenüber aus. Nicht ohne Grund, denn der Moskowiter hatte – obgleich selbst nah am Staatsbankrott – weitere Verheißungen im Gepäck. Die Staatsenergiekonzerne Rosneft und Gazprom, verantwortlich für den russischen Energie-Export,  gehören zur Delegation. Russland und Griechenland sollen allen Sanktionen und Gegensanktionen zum Trotz Wirtschaftsverträge in beachtlicher Höhe geschlossen haben.

Das allein hätten die westlichen Partner dem Griechen vielleicht noch durchgehen lassen können. Doch neben diesen Vereinbarungen gab es so einiges, worüber man in NATO-Hauptquartier und Brüssel intensiv nachdenkt.

Drohungen gegen die NATO aus NATO-Land

Zum einen nutzte Putin seinen Besuch im NATO-Griechenland dazu, unwidersprochen heftige Drohungen gegen andere NATO-Verbündete auszusprechen. Namentlich Rumänien und Polen – ehemalige Vasallen des imperialen Sowjetreichs, müssten sich in Acht nehmen, nicht „ins Fadenkreuz“ Russlands zu geraten. Insbesondere Rumänien ist dieses jedoch längst, wie Putin offen bekannte: „Wenn einige Teile Rumäniens gestern nicht wussten, was es bedeutet, Ziele zu sein, werden wir nun gezwungen sein, bestimmte Schritte zu ergreifen, die unsere Sicherheit garantieren werden.“ Mit anderen Worten: Russland wird Rumänien in die Zielkoordinaten seiner atomaren Sprengköpfe nehmen – von anderen Aggressionen wie beispielsweise jenem Hybriden Krieg seines Generals Gerassimow ganz zu schweigen.

Solche Drohungen von NATO-Boden aus – das ist zumindest ungewöhnlich. Und es ergänzt perfekt die früheren Ankündigungen Putins, auf die Stärkung der NATO-Präsenz in den von Russland bedrohten baltischen Staaten und die Stationierung von Raketenabwehrwaffen in Polen und Rumänien „entsprechend zu reagieren“.

Unter diesem Aspekt erhält eine andere Erklärung Putins bei seinem Griechenland-Aufenthalt, den der atheistisch erzogene Sohn der Sowjetzeit mit einem propagandistischen „Pilgergang“ zum Mönchsberg Athos krönte, eine höchst brisante Bedeutung. Russische Unternehmen, so der russische Präsident, hätten „Interesse an griechischen Staatsunternehmen, Eisenbahnen und dem Hafen von Thessaloniki“.

Das klingt auf den ersten Blick recht banal. Umso mehr, wenn man sich vor Augen hält, dass EU und IWF die Griechen dazu gezwungen haben, ihr angelaufenes Tafelsilber zu verscherbeln. Also Business as usual? Oder doch mehr? Putin ist dafür bekannt, jede Schwäche des Gegners zu nutzen.

Die griechische Eisenbahn

Griechenlands Premier, dem seine westlichen Gesprächspartner unter vorgehaltener Hand zwar ein gerüttelt Maß an Bauernschläue, jedoch nur eine mäßig ausgeprägte Intelligenz attestieren, ließ sich umgehend zu einer vielleicht dann doch verräterischen Anmerkung hinreißen: Die Kooperation mit Russland sei „strategisch bedeutend“.

„Strategisch bedeutend“? „Wirtschaftlich bedeutend“ – dass hätte für die Griechen ohne Zweifel Sinn gemacht. Aber „strategisch“?

Strategie ist – wie wir spätestens seit Clausewitz wissen – ein militärischer Begriff. Strategie – das ist die langfristige Zielplanung im erwarteten oder aktuellen Konflikt. Hat sich Tsipras nur im Wort vergriffen – oder steckt deutlich mehr dahinter? Denn was der linke Grieche und sein russischer Freund hinter verschlossenen Türen in Moskau und Athen besprochen haben, wissen wir nicht. Schauen wir also auf die russischen Perspektiven, wenn „russische Unternehmen“ – folglich von Putin steuerbare Betriebe – in Griechenland groß einsteigen.

Anders als in westeuropäischen Ländern ist das Eisenbahnnetz der Griechen recht überschaubar. Eine einzige zentrale Verbindung verläuft vom südgriechischen Patras über Athen und Larissa nach Thessaloniki. Dort verzweigt sich die Strecke in eine Linie Richtung Bulgarien, eine Richtung Türkei und eine in die frühere jugoslawische Republik Mazedonien. Das bedeutet: Wer die Griechische Eisenbahn kontrolliert, der kontrolliert die Zuwegungen in Griechenland und von Griechenland zur EU und zum Bosporus. Und spätestens seit dem Französisch-Preußischen Krieg von 1870 wissen Militärs, dass Eisenbahn kriegsentscheidend sein kann – auch wenn die Luftwaffe heute eine zusätzliche Komponente generiert hat.

Thessaloniki

Thessaloniki ist Griechenlands bedeutendste Stadt im Norden des Landes. Die Hafenstadt ist vom Nachbarland Bulgarien keine 100 Kilometer entfernt. Nach Mazedonien sind es nicht einmal 70 Kilometer Luftlinie. Wer es darauf anlegt, kann vor allem dann, wenn ihm das Eisenbahnnetz zur Verfügung steht, von Thessaloniki aus innerhalb kürzester Zeit an den Grenzen der beiden nördlichen Nachbarn stehen.

Ist die Vorstellung absurd, dass Putin genau diese Option im Auge hat, wenn er die Übernahme des Hafens von Thessaloniki und den Einstieg in die Eisenbahn anstrebt?

Selbstverständlich: Offiziell ist der Betrieb des Hafens eine ausschließlich wirtschaftlich-zivile Angelegenheit. Offiziell. Denn angefangen bei einem „Sicherheitsdienst“ für den Hafen, dessen tatsächliches Ausmaß und personelle Ausstattung ebenso wenig kontrollierbar ist wie dessen Bewaffnung, bis hin zu der Kontrolle von Hallen und Hafen-Logistik wird kaum jemand in der Lage sein festzustellen, was die russischen Eigentümer dort tatsächlich lagern und treiben. Die russischen Tricks der Camouflage sollten spätestens bekannt sein seit jenen vorgeblich „Humanitären Transporten“ in die Ost-Ukraine, deren Hauptaufgabe die logistische Unterstützung der Terroristen und der Abtransport ukrainischer Industrieanlagen war.

Balkanische Szenarien

Die Welt sollte mittlerweile gelernt haben, dass für Putin alles eine militärstrategische Komponente hat. Was also könnte ihm besser gefallen als ein Logistik-Kreuz an der Südostflanke der NATO – auf dem Gebiet der NATO? Im Ernstfall wäre es für Russland ein leichtes, Hafen und Bahn zum Anlanden und Transport militärischen Geräts und Personals zu nutzen.

Doch selbst, wenn wir einen militärischen Konflikt ausschließen – es gibt genug Szenarien, die die Situation im Südbalkan schnell radikal verändern könnten. Nehmen wir beispielsweise an, Griechenland würde am Ende doch aus dem Euroraum ausgeschlossen und die EU als Reaktion verlassen. Oder die EU zerbricht an sich selbst. Denkbar auch: Ein neugewählter US-Präsident Donald Trump hat kein Interesse mehr an Europa und dem östlichen Mittelmeer, weil er seine Energieversorgung lieber durch die Unterstützung der eigenen Fracking-Industrie sichern und seinen Handelsschwerpunkt auf das dynamischere Asien verlegen möchte. Obamas Vietnam-Besuch hat auch hier neue Türen geöffnet.

Der Szenarien gibt es viele, in denen selbst die NATO ihre derzeitige Bedeutung verlieren könnte. Dann wäre der richtige Partner in Athen ohne Zweifel schnell bereit, an die zivile Hafennutzung einen Militärstützpunkt für Russland anzuschließen, für den zwischenzeitlich alles Notwendige vorbereitet ist.

Keine Chancen, adäquat zu reagieren

Unsinnig? Kaum. Denn nun sind wir wieder bei South-Stream. Wenn denn an Bulgarien am Ende kein Weg vorbei führen sollte, dann hätte Russland mit Hafen und Bahn im Norden Griechenlands schnell den Zugriff auf die Pipeline von Burgas bis Parga. Was wollte die NATO dagegen tun, wenn Griechenland und Russland strategisch an einem Strang ziehen? Der derzeit nächstgelegene Marinestützpunkt der USA liegt auf Kreta. Zu weit entfernt für einen schnellen Einsatz gegen eine Flotte, die sich überraschend durch den Bosporus den Weg nach Thessaloniki gebahnt hat.

Entsatz über den Landweg? Im Krisenfall dürfte der Zugang zum Schwarzen Meer über Bulgarien für die USA und mögliche Verbündete gegen Russland kaum möglich sein. Über die Adria aus Montenegro oder Albanien? Gar von Zentraleuropa aus über Serbien? Kaum zu gestalten, wenn der Norden Griechenlands in russischer Hand wäre.

Immer eine militärische Option im Hinterkopf

Und so macht nun plötzlich auch der vehemente Widerspruch Putins gegen die zunehmende NATO-Ausrichtung der Balkanstaaten Sinn. Denn je weniger die kleinen Balkanstaaten mit der NATO-Technik kompatibel sind, desto erfolgreicher könnte Russland mit seiner Kolonie Transnistrien im Norden und einem südlichen Stützpunkt in Thessaloniki mittels Sichelschnitt Bulgarien und Rumänien überrennen und eine unmittelbare Landbrücke zwischen seinen Nordschwarzmeer-Territorien und der Ägäis schaffen. Damit wäre sogar der Engpass Türkei umgangen.

Undenkbar? Vielleicht. Aber wir sollten zwischenzeitlich gelernt haben, dass Putin bei allen seinen Handlungen immer auch eine militärische Option im Hinterkopf hat. Und vielleicht war es genau das, was Tsipras meinte, als er von einer „strategisch bedeutenden Kooperation“ sprach. Das NATO-Hauptquartier und die EU sind gut beraten, einen sorgsamen Blick auf den Linkssozialisten und seine Rechtsnationalen Koalitionspartner im Land der Hellenen zu haben. Denn vielleicht saugt da bereits eine Laus im Pelz, die sich ihren künftigen Partner längst gewählt hat und ihren Abfall von den Schafen bezahlen lässt, in dessen Fell sie heute noch wohnt.

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