EU-Verfahren gegen Deutschland: Brüssel stellt die Machtfrage

Das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland wird zeigen, ob Deutschland ein souveräner Staat oder EU-Vasall ist. Das Bundesverfassungsgericht soll nach Brüsseler Wunsch nicht einmal mehr Kompetenzüberschreitungen der EU-Institutionen rügen dürfen.

imago images / imagebroker
Das Berlaymont-Gebäude, Sitz der Europäischen Kommission in Brüssel

Schon vor einem Jahr rotierte das Establishment in den EU-Institutionen. Damals hatte das Karlsruher Bundesverfassungsgericht (BverfG) in seinem so genannten Gauweiler-Urteil nicht nur die Kompetenzüberschreitung der Europäischen Zentralbank (EZB) durch ihre Anleihen-Kaufprogramme gerügt, sondern auch die Richterkollegen am Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Der EuGH hatte zuvor auf einen Vorlagebeschluss aus Karlsruhe mit einer Blankovollmacht für die EZB-Anleihekäufe reagiert, dessen Begründung die Karlsruher Richter als „objektiv willkürlich“ und „schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar“ einstuften. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte unmittelbar nach der Karlsruher Entscheidung an, die EU werde den Vorrang des EuGH durchsetzen. Auch der EuGH erklärte sich prompt für allein zuständig. Und EZB-Präsidentin Christine Lagarde sekundierte, die EZB werde sich keinem Karlsruher Urteil beugen.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Mit einem guten Jahr Verspätung leitete jetzt die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Über EU-Recht entscheide allein der EuGH, nicht ein nationales Verfassungsgericht, so der Vorwurf der EU-Kommission. Es gebe kein EU-Recht à la carte, weder in Polen und Ungarn, noch in Deutschland. Reichlich kühn mutet die Brüsseler Argumentation an, die den polnischen und ungarischen Versuch, ihre Justiz an die politische Kandare zu nehmen, mit dem unabhängigen deutschen Verfassungsgericht in einen Topf wirft, das in einer elementaren Frage der nationalen Verfassungsidentität Europas Selbstermächtigungsanspruch hinterfragt. Adressat des Mahnschreibens ist die deutsche Bundesregierung, die allerdings keine rechtliche Handhabe hat, Karlsruhe Vorschriften zu machen. Denn das BVerfG ist unabhängig, es sei denn, eine europafreundliche Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag würde die Verfassung ändern wollen und die Überprüfung von ausbrechenden Rechtsakten der EU-Institutionen untersagen. Es blieb ziemlich still in Berlin, als das Brüsseler Vertragsverletzungsverfahren publik wurde. Nur die Grünen sekundierten postwendend der EU-Kommission, die – so die Grünen – zurecht auf dem Vorrang des EU-Rechts und seiner alleinigen Überprüfung durch den EuGH bestehe.

Soll das BVerfG eingeschüchtert werden, weil weitere Klagen gegen das aktuelle PEPP-Kaufprogramms der EZB anhängig sind? Der von verschiedenen Klägern erhobene Vorwurf der verbotenen Monetarisierung der Staatsschulden durch das Vorgänger-Kaufprogramm PSPP war in Karlsruhe im vergangenen Jahr gerade „noch zurückgewiesen“ worden, weil es für die Kaufvolumina unter anderem Höchstgrenzen vorsah, die sich am EZB-Kapitalschlüssel der emittierenden Staaten orientierten. Beim PEPP-Programm ist das nicht mehr der Fall, was eigentlich fast zwingend eine Karlsruher Verfassungsrüge auslösen müsste. Doch die Richter stehen unter enormem Druck, der durch das Brüsseler Vertragsverletzungsverfahren noch verstärkt wird. Ob sie den Schneid aufbringen, den europäischen Zentralisten noch einmal in den Arm zu fallen?

METZGERS ORDNUNGSRUF 20-2021
Bundesverfassungsgericht und EZB-Anleihekäufe: Der Tiger landet als Bettvorleger
Wieder stellt sich die alles entscheidende Frage: Wie souverän sind eigentlich die Mitgliedstaaten der EU noch? Sind sie Brüsseler Vasallen, also nachgeordnete Gliedstaaten, oder souveräne Mitgliedstaaten in einem Staatenverbund, der gewisse Aufgaben an die europäische Ebene delegiert hat? In seinem legendären Lissabon-Urteil, das Grundlage für die Zustimmung des Bundestags zu den geltenden europäischen Verträgen war, haben sich die Karlsruher Verfassungsrichter ausdrücklich die sogenannte „Ultra Vires“-Kontrolle vorbehalten. Damit wollten sie sicherstellen, dass sie ausbrechende Rechtsakte der EU-Institutionen, die mit der letztendlichen Verfassungsidentität Deutschlands kollidieren, überprüfen und rügen können. Das Demokratieprinzip gehört dazu, ebenso die nationale Budgethoheit. Dass diese elementaren Verfassungsprinzipien eines souveränen Landes massiv berührt sind, wenn etwa die EZB für Billionen Euro Staatsanleihen aufkauft und damit langfristig auch den deutschen Bundeshaushalt in Mithaftung nimmt, müsste sich eigentlich von selbst verstehen.

Peter Gauweiler, nach dem die letztjährige Gauweiler-Entscheidung des BverfG benannt ist, kommentierte das Vorgehen aus Brüssel gestern so: „Alle EU-Vertragsstaaten wissen, das Deutschland ohne Beachtung dieses Prinzips dem Lissabon-Vertrag niemals zugestimmt hätte.“ Auch ein anderer damaliger Mitkläger, der Ökonom Bernd Lucke, reagierte: „Sie (die EU-Kommission) will durchsetzen, dass auch der schutzwürdigste Identitätskern der nationalen Verfassungen vom EU-Recht überlagert wird. Damit provoziert die Kommission enorme Konflikte in der EU, weil sie ihre souveränen Mitgliedstaaten wie nachgeordnete Gliedstaaten behandelt.“

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 61 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

61 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Hairbert
2 Jahre her

So so, „es blieb ziemlich still in Berlin„.
Offensichtlich sind die EUzis auf beiden Seiten bestrebt, sich das langwierige Verfahren, die EU-Vorgaben in nationales Recht umzusetzen, zu ersparen.
Mit Rechtsstaatlichkeit oder gar Demokratie hat das nichts mehr zu tun – aber soll es das überhaupt noch?

Ali
2 Jahre her

„EU-Verfahren gegen Deutschland: Brüssel stellt die Machtfrage.“   Das ist ja noch der „harmlosere“ Teil hinter dieser Unverschämtheit. Vielmehr ist es doch so, das diese von niemandem gewählte, billige Neuauflage einer Sowjetunion die Machtfrage damit gegen die Deutschen Bürger als Souverän stellt.   Es ist somit die Frage ob die Deutschen Bürger noch der „Souverän“ über ihre Staatsgewalt und ihr Staatsgebiet sind.  Es ist die Frage ob sie noch „Staatsbürger“ einer deutschen Demokratie sind oder „Untertanen einer Brüsseler Diktatur erklärt wurden.   Und ja, wir können diesen ausnahmslos korrupten Haufen weder „wählen“, noch als freie Bürger einen nennenswerten Einfluss auf… Mehr

Kalmus
2 Jahre her

Wie souverän wir sind? Ja, wie souverän kann die europäische Provinz Deutschland, die von der Hauptstadt Brüssel aus regiert wird, eigentlich sein?

Peter Gramm
2 Jahre her

man glaubt es nicht. bei den ganzen ökonomischen Problemen die Deutschland hat soll eine Trampolinhüferin (als gefakte Völkerrechtlerin) an die Schalthebeln der Macht. Das kann man doch nicht mal träumen. Wer steuert eigentlich diese Politmarionetten? Prof. Dr. Mausfeld hatte schon recht.

RA.Dobke
2 Jahre her

Der Verfasser des Artikels spricht mir nicht nur aus dem Herzen, sondern auch aus dem Verständnis eines Volljuristen! Scheineliten, zun weten Teilen ohne Berufs- und/oder Bildungsreferenzen regieren uns. Wie kann man auf derart schräge Gedanken kommen? Naja, schlampigste Arbeit und Unwissen kennt man bei der Kommissionspräsidentin schon seit Ihrer Zeit als Bundesverteidigungsministerin bestens. Wie hieß es noch? Die beste Blendgranate im Munitionsmagazin der Bundeswehr! Diese Frau mißachtet das Bundesverfassungsgericht und glaubt mit einem solchen Verfahren gegen die BRD etwas erreichen zu können, etwas erreichen zu dürfen? Wie ungebildet und dumm ist diese Frau eigentlich? Schmeißt aus Unfähigkeit ein Volkswirtschaftsstudium und… Mehr

Ananda
2 Jahre her

Ja warum bleibt es den „still“ in Berlin? Weil die Entrechtung und Auflösung Deutschlands genau das ist was unsere verlogene und verrä*erische Regierung will.
Wieder ein Konstrukt damit Merkel sagen kann: Ich kann ja nicht anderes. Wahrscheinlich hat sie es, als eigentliche Herrscherin Europas, hintenrum (wie üblich) angeleiert. Das wäre nicht das erste Mal. Siehe den einseitigen „Migrationspakt“ – bestellt aus Mitteleuropa. Tipp: Ungarn war es nicht.
Die Ursprünglichen Vereinbarungen mit denen die Staaten in dieses EU Konstrukt gelockt wurden, z.B. Souveränität, einstimmige Beschüsse, werden reihenweise gebrochen. Die Willkür EU hat keinen Bock mehr auf Widerstand gegen dieses Willkür Regime.

Olaf W1
2 Jahre her

Der Club der Lobbyisten in Brüssel ist ein Thema für sich. Was eigentlich mit lebenslanger Haft zu ahnden wäre, ist die Haltung der Regierung und Teilen der Opposition zu diesem Thema, die es gar nicht erwarten können, diesem rechtlich haltlosen Debatierclub ohne Not unsere Demokratie und deren – aus der deutschen Erfahrung nicht ohne Grund so aufgestellten – Organe und Institutionen zu opfern. Schon das die Politik Richter in Karlsruhe ernennt ist ein Frevel. Das man jetzt auch seine eigene Kontrollinstanz kaltstellen will – der Grund ist offensichtlich bei diesen Protagonisten – ist ganz eindeutig ein Verstoß gegen das Grundgesetz… Mehr

luxlimbus
2 Jahre her

Brüssel will sich des Einkommens und des Vermögens der Deutschen bemächtigen. Punkt.
„Schutzgeld“-Erpressungen gelten, nicht erst in schwindelerregenden Höhen, in einem Rechtsstaat als verboten. Was hier geschieht, und medial (bis auf Ausnahmen) bezeichnenderweise keinerlei Widerhall findet, sind die Folgen eines nicht erklärten, von Links mittels Massenunterwanderung der Institutionen veranstalteter, „stiller“ Bürgerkrieg. Der zu schaffende Superstaat als essentieller Erfüllungsgehilfe, ist gleichzeitig der Kern der vermeintlich egalitären, marxistischen Verheißung.
„Jetzt“ muss diese schreckliche Missgeburt, die doch nicht geben kann, was sie vermeintlich bezwecken will, zur Strecke gebracht werden.

Schlaubauer
2 Jahre her

Letztendlich ist Deutschland und jedes andere Land der EU so souverän, wie es das für sich selber einfordert. Da wir aber von Scheineliten regiert werden, die kein Interesse am Wohl des Landes und der Menschen haben, zu dem sich oft genug mit falschen Titeln als Hochstapler herausstellen, werden sie es auch beklatschen, wenn sie ihre Verantwortung an Brüssel abgeben können und unser Land weiter ausgeplündert wird.

jwe
2 Jahre her

Ein solches Verfahren ist nur gegen Deutschland möglich, das schon beim kleinsten Wind der EU obrigkeitshörig zusammenzuckt. Gegen Frankreich würde ein solches Verfahren gar nicht erst angestrengt. Wie der liebe Junker schon mal sagte „weil es Frankreich ist“. Bei Deutschland weiß die EU, das sie es machen kann und Deutschland kuschen wird. Man ist der Zahlmeister der EU und lässt sich alles gefallen. Dümmer gehts nimmer.