Bundesfinanzhof erkennt Gefahr der Doppelbesteuerung von Renten

Die obersten Finanzrichter zerpflücken die Argumentation des Bundesfinanzministeriums und sehen künftig immer mehr Rentner in der Doppelbesteuerungsfalle.

IMAGO / Sven Simon

Es passiert nicht jeden Tag, dass das höchste deutsche Finanzgericht, der Bundesfinanzhof (BFH), zwar zwei konkrete Klagen zur Rentenbesteuerung ablehnt, aber gleichzeitig dem Gesetzgeber recht detailliert ins Stammbuch schreibt, dass er die drohende Doppelbesteuerung von immer mehr Rentenbeziehern als reale Gefahr anerkennt. Allerdings ist der BFH kein Verfassungsgericht, das eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Besteuerung aller Rentner fällt. Deshalb sind seine heutigen Leitsätze kein zwingendes juristisches Handlungsgebot für den Bundesgesetzgeber. Allerdings steigt der politische Reformdruck auf eine Änderung der heutigen Steuerregeln für die Rentenbesteuerung massiv. Doch die Novellierung wird erst in der neuen Legislaturperiode auf die Tagesordnung kommen. Das heiße und teure Eisen packt diese Bundesregierung in den verbleibenden vier Monaten nicht mehr an.

Renten-Doppelbesteuerung:
Der große Rentenraub
Gestern entschied der BFH über zwei konkrete Musterklagen, die er jeweils ablehnte. Doch vor allem in der Entscheidung mit dem Aktenzeichen XR 33/19 (Ermittlung der Höhe des Betrags einer etwaigen doppelten Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen | Bundesfinanzhof) mit dem Titel „Ermittlung der Höhe des Betrags einer etwaigen doppelten Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen“ zerpflücken die Richter am Münchner BFH eine gängige Argumentation des Bundesfinanzministeriums, mit der das Scholz-Ministerium die Gefahr einer Renten-Doppelbesteuerung bisher grundsätzlich und impertinent verneinte. Nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft(IW) geht es bei der Renten-Doppelbesteuerung um hohe Milliardensummen, die Millionen von heutigen, vor allem aber künftigen Rentnerinnen und Rentnern zu Unrecht vom Staat abgeknüpft werden. Auf bis zu 90 Milliarden Euro taxiert das IW das unrechtmäßige Abkassieren des Fiskus in den Jahren 2020 bis 2040.

Unter dem Titel „Der große Rentenraub“ schilderte Tichys Einblick in der Printausgabe 4/2021 ausführlich (Renten-Doppelbesteuerung: Der große Rentenraub) die Hintergründe einer Rentenbesteuerung, die geradewegs das bedeutet, was laut einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2002 unbedingt zu verhindern ist: „In jedem Fall sind die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird.“

Für diesen Abstimmungsprozess des Gesetzgebers hat der Bundesfinanzhof in seinem Leitsatz 2 heute eine recht detaillierte Vorgabe gemacht, die der Haltung des BMF diametral widerspricht: „Weitere Beträge, die im Rahmen der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens des Rentners abziehbar sind oder steuerfrei gestellt werden, sind nicht einzubeziehen (z.B. Grundfreibetrag, Sonderausgabenabzug für die Beiträge zur Kranken- und Pfle-geversicherung, Beitragsanteile des Rentenversicherungsträgers zur Krankenversicherung der Rentner, Werbungskosten-Pauschbetrag, Sonderausgaben-Pauschbetrag).“ Das BMF hatte bisher schlitzohrig neben dem je nach Renteneintrittsjahr feststehenden Versorgungsfreibetrag auch alle diese Freibeträge bemüht, um nachzuweisen, dass doch überhaupt keine Doppelbesteuerung der Rentner vorliege.

Doch diesem Taschenspielertrick des BMF, das damit auf dem Papier den Nachweis führen wollte, dass sich die Steuerfreiheit in der Einzahlungs- und Auszahlungsphase für die Rentner verfassungsgemäß doch die Waage halte, sind die Richter am Bundesfinanzhof nicht aufgesessen. Allein der Grundfreibetrag schlägt derzeit mit 9477 Euro pro Jahr gewaltig zu Buche, was sich im Verlauf einer Rentenbezugsdauer von zwanzig Jahren und bei einer unterstellten zweiprozentigen jährlichen Erhöhung des Grundfreibetrags auf fast 280.000 Euro addieren würde. Mit dieser Milchbubenrechnung des BMF wäre die Doppelbesteuerung so gut wie aller Rentner durch den Fiskus gerechtfertigt.

METZGERS ORDNUNGSRUF 07-2021
Der große Rentenbetrug: Zweimal abkassiert
Dem schiebt der Bundesfinanzhof aber in seinen Randziffern 67 und 68 einen entscheidenden Riegel vor: „Der Grundfreibetrag dient der steuerlichen Verschonung des Existenzminimums. Anders als das BMF in seiner Stellungnahme ausführt, bewirkt der Grundfreibetrag nicht etwa eine Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Gerade im Gegenteil dient er dazu, solche Minderungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die sich aus der Bestreitung des unbedingt notwendigen Minimums an privaten Ausgaben zwingend ergeben, einkommensteuerrechtlich abzubilden. (…) Angesichts dieses Normzwecks kann der Grundfreibetrag nicht — nochmals — herangezogen werden, um die steuerliche Belastung einer speziellen Einkunftsart zu reduzieren oder als Puffer zur Abfederung verfassungsrechtlich unzulässiger doppelter Steuerzugriffe im Bereich der Einkunftserzielung zu dienen.“

Analog argumentieren die Richter auch in Bezug auf den Sonderausgabenabzug der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der Rentner, der ebenfalls nicht „der Abfederung eines doppelten Steuerzugriffs, sondern der verfassungsrechtlich gebotenen einkommensteuerrechtlichen Verschonung des Existenzminimums“ dient.

Die heutige Entscheidung aus München ist also zumindest ein kleiner Etappensieg für die Rentner, die sich über eine zu hohe Besteuerung sorgen. Dass der Gesetzgeber bei der Reform der Rentenbesteuerung in der kommenden Legislaturperiode großzügig vorgehen wird, ist eher nicht zu erwarten. Angesichts der gewaltigen Haushaltslöcher wird es nur kleine Besteuerungs-Zugeständnisse geben, egal wer auch immer regiert. Denn der Fiskus hat vor allem ein einnehmendes Wesen.

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Kommentare ( 29 )

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eisenherz
2 Jahre her

Merkel – Deutschland anno 2021: Merkel – Deutschland hat kein Einnahme-, sondern ein Ausgabenproblem. Die höchsten Steuern, die höchsten Energiepreise, ca. 2 Millionen Asylanten ohne einen Rechtstitel als Asylanten, die ca. 50 Milliarden Euro im Jahr beanspruchen, die höchsten Beiträge für den EU – Haushalt, die EU – Rettungspakete, die CO2 – Abgaben, das höchste Renteneintrittsalter, aber die niedrigsten Durchschnittsrenten, die meisten Parlamentarier im Bundestag bei den westlichen Demokratien, 200 000 € Übergangsgeld für eine gescheiterte Ministerin, aber eine Kassiererin darf wegen Verlust eines 1,30 Euro Pfandbons gefeuert werden. Und abwarten welche neuen Abgaben sich die zukünftige deutsche Regierung nach… Mehr

Schlaubauer
2 Jahre her

Bemerkenswert, dass die Klagen abgewiesen wurden und dann, was meiner Meinung nach überhaupt nicht Sache der Richter ist, Handlungsvorgaben gemacht wurden. Spielen die Richter mal wieder Gesetzgeber?

Felicitas21
2 Jahre her
Antworten an  Schlaubauer

Die Besteuerung der Renten ist und bleibt eine Doppelbesteuerung. Aber die Rentner werden nach der Wahl eh noch bös aufwachen, wenn die längst überfällige Anpassung der Grundsteuer kommt. Dann wird so manch einer für sein mühsam erspartes Eigenheim, ganz besonders rund um die Ballungszentren, ein Vielfaches zahlen müssen. Experten gingen damals vom bis zum 50- fachen Satz aus. Aber darüber herrscht bis zur Wahl erst mal grosses Schweigen. Das dicke Ende kommt aber nach der Wahl. Wird dann auch so manch junge Familie treffen, die ein Eigenheim erworben haben.

Mocha
2 Jahre her

Für die Politik gilt: Ziel erreicht! Die Diskussion ist schon im Ansatz falsch. Es geht nicht um fehlende Mittel, Besteuerung oder Renteneintritt. Die Politiker haben es über Jahrzehnte geschafft, dem Bürger einzureden sie hätten damit gar nichts zu tun und würden versuchen ein Problem für uns zu lösen. Es gibt kein Problem, nichts lässt sich leichter berechnen als wie viele gehen wann in Rente und wie viele zahlen derzeit ein. Es ist der größte Witz, dass ausgerechnet die Weltzahlmeister mit die niedrigsten und spätesten Renten erhalten. Unsere Politiker interessieren sich einen Sch… für Deutschland. Zum Wohle des deutschen Volkes ist… Mehr

StefanB
2 Jahre her

Wer wählt denn eine Politik, die den Staat füttert, anstatt das Geld dort zu belassen, wo es verdient wurde? … Na also, dann hat doch alles seine Richtigkeit.

Nebenbei: Zur besseren Veranschaulichung der Doppelbesteuerung bräuchte es praxisrelevante Berechnungsbeispiele. Mit einem abstrakten Text ist der Sachverhalt nicht darstellbar.

Alexis de Tocqueville
2 Jahre her

Steuern sind Raub. Ende der Durchsage.

Felicitas21
2 Jahre her

Deutschlands Arbeitnehmer zahlen schon jetzt die höchsten Abgaben an Vater Staat von allen EU Ländern und haben Belgien vom Platz 1 verdrängt. Das freut doch jeden Leistungsträger, gelle ?

Fui Fujicato
2 Jahre her
Antworten an  Felicitas21

Alle deutschen Staatsbürger sollten sich einmal mit der effektiven Vermögensverteilung innerhalb aller EU-Staaten befassen !!! Wir sind ein reiches Land ??? Wir befinden uns – de facto – an vorletzter Stelle der Statistik – mit unserem persönlichen Vermögen (Immobilienbesitz, Vermögensbesitz, etc., p.p.) Wir finanzieren zum überwiegenden Teil alle EU-Staaten, alle Rentner aller EU-Staaten, die weitaus früher als wir in Rente gehen + weitaus höhere Renten als unsere Rentner erhalten, importieren die meisten „Asylsuchenden“, alimentieren alle illegalen Zuwanderer weit besser als unsere eigenen Bedürftigen (Arbeitslose, Grundsicherungsempfänger, Rentner, etc., p.p.), haben die höchsten Mieten + Nebenkosten, die höchsten CO²-Abgaben, die höchsten Energiekosten,… Mehr

Wilhelm Roepke
2 Jahre her

Na dann wollen wir hoffen, dass das Urteil nicht noch vor der Bundestagswahl rückgängig gemacht werden wird. Gewaltenteilung ist ja aktuell nicht mehr so populär wie vor 40Jahren in Westdeutschland..

Schlaubauer
2 Jahre her
Antworten an  Wilhelm Roepke

Gab es ein Urteil?

Aegnor
2 Jahre her

Es ist angesichts der Fakten schon eine erstaunliche Dreistigkeit sich hinzustellen und zu behaupten, es gäbe keine Doppelbesteuerung bei den Renten. Jedes Kind kann das doch erkennen, wenn Renten ab 2040 zu 100% besteuert werden, bis 2025 aber die Rentenbeiträge noch (teilweise) versteuert werden müssen. Vielleicht schließen die Politiker aber auch nur von sich auf Andere – 15 Jahre sind für den 08/15-Politiker ein langes Arbeitsleben, bevor es in die wohlverdiente Pensionierung geht.

Bor
2 Jahre her

In Frankreich werden Renten unter 2000€ gar nicht mehr besteuert. Erst vor kurzem von Macron gemacht worden. Die gehen weiterhin mit 62 in Rente.
In Griechenland bekommen die Rentner 85% von ihren in den letzten 5 Jahren eingezahlte Beiträgen
In Deutschland sollen wir bis 67 Jahren arbeiten, gedanklich schon bis 70
Ich bekomme hier nur noch 47% meiner eingezahlten Beträge.
Die Hälfte ist doch schon vor Rentenbeginn kassiert worden, auch dafür habe ich Steuern gezahlt.
Da kann ich nur sagen: Armseliges Deutschland

Felicitas21
2 Jahre her
Antworten an  Bor

Und trotzdem wählen ja Rentner immer noch mehrheitlich die Regierungsparteien. Das verstehe ich nicht.

Bubba
2 Jahre her
Antworten an  Felicitas21

Die Leute können keine Mathematik, wobei man zugeben muss, dass für das Verständnis des deutschen Steuersystems Mathematik allein auch lange nicht hinreicht. Aber auch das wollen die Leute ja so. Und man sagt ja nicht ohne Grund, der Wille des Menschen ist sein Himmelreich.

Wer.K.
2 Jahre her
Antworten an  Bor

Mit 47% sind Sie ja noch gut dran. Bei mir sind es Netto auf Netto 41%.

humerd
2 Jahre her

die nachgelagerte Rentenbesteuerung wurde 2005 von der SPD / Grüne Koalition eingeführt und war von Anfang an so konstruiert, dass es zu einer Doppelbesteuerung kommt. Die Grünen halten sich bedeckt, während alles der SPD angelastet wird. Es war die rot/grüne die Koalition die damit anfing, dass im Volk eine Rentnerhetze startete. Das Altenbashing nimmt immer heftigere Ausmaße an.

Julian Schneider
2 Jahre her

„Allerdings steigt der politische Reformdruck auf eine Änderung der heutigen Steuerregeln für die Rentenbesteuerung massiv.“ Ja, ganz bestimmt.