Das „Neue Deutschland“ weint an seinem 70. Geburtstag der DDR manche Träne nach

Nicht die Idee war schlecht, nicht Ein-Parteien-Herrschaft, nicht „Schutz“ der Menschen durch die Staatssicherheit – die sozialistische Idee war und ist gut, nur wurden bei der Umsetzung halt ein paar Fehler gemacht.

Man soll die Feste feiern, wie sie fallen. Das ist keine schlechte Einstellung. Aber nicht jedes „Fest“ ist eine Feier wert – sollte man wenigstens meinen. Das „Neue Deutschland“, einst Zentralorgan der SED und heute eine „Sozialistische Tageszeitung“ im Dunstkreis der aus der SED hervorgegangenen Linken, feiert fröhlich seinen 70. Geburtstag. Motto: „Eine Zeitung, zwei Leben.“

Natürlich hat das „ND“ von heute nichts mehr zu tun mit jenem Propagandablatt, das einst den Arbeiter- und Bauernstaat DDR verherrlichte, die Verbrechen des Stasi-Staates verschwieg, sowie Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl schön redete. Doch stellt es sich bewusst in die Tradition einer Zeitung, bei der Generalsekretär Erich Honecker nicht nur die Richtung vorgab, sondern selbst mitredigierte: „Das Zentralorgan hat die Politik so darzustellen, wie ich, Erich Honecker, sie sehe. Egal, ob die Leser das gut finden oder nicht“. So zitiert das „ND“ in seiner Sonderausgabe zum „Siebzigsten“ die Beschreibung von Honeckers Rolle als „Generalchefredakteur“ durch ein Mitglied des SED-Politbüros.

Bei ihrem Jubiläum verhält sich das „ND“ nicht viel anders als Die Linke alias PDS alias SED, der das Blatt zu 50 Prozent gehört: Man distanziert sich von den schlimmsten Auswüchsen des SED-Regimes, will aber bewusst nicht mit der eigenen Vergangenheit brechen. Ja, irgendwie scheinen sie auf ihre DDR-Vergangenheit sogar stolz zu sein – das „Neue Deutschland“ wie Die Linke. Schließlich wollte man ja nichts anderes als „ein demokratisches, friedliches Deutschland, gereinigt von der Nazipest,“ wie es in der ersten Ausgabe im April 1946 hieß.

Tenor: Es war nicht alles schlecht

Chefredakteur Tom Strohschneider, ein beim Mauerfall erst 15 Jahre alter Ostberliner, bringt das heute auf folgende Formel: „Es war nicht alles schlecht. Und es wird nicht alles gut sein, was noch kommt.“ Ach ja? „Es war nicht alles schlecht“, das war auch die Formel jener Unbelehrbaren, die nach 1945 die Nazi-Barbarei zu relativieren suchten. „Nicht alles schlecht“ soll heißen: Vieles war gut. Ob man da die Autobahnen anführt oder die Kindertagesstätten – der Exkulpations-Mechanismus war und ist der gleiche.

Wenn es der „ND“-Redaktion aus Anlass des 70jährigen Jubiläums um eine kritische Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit gegangen wäre, hätte man ja Redakteure zu Wort kommen lassen können, die einst wegen politischer Unbotmäßigkeit entlassen worden sind. Das ist aber nicht der Fall – natürlich nicht. Stattdessen darf der einstige Sportchef der Zeitung und DDR-Sportfunktionär Klaus Huhn, Jahrgang 1928, von der guten alten Zeit schwärmen. Im Interview schildert er, wie er sich mannhaft gegen eine Anordnung der Chefredaktion gewehrt habe, einen kritischen Artikel über die Tour des France mit Rücksicht auf den in Ostberlin weilenden französischen Außenminister nicht zu veröffentlichen. Auf die Frage „Erschien der Text dann?“ lautet seine knappe Antwort: „Ich weiß es nicht mehr.“ Der Herr ist inzwischen 88 Jahre alt, aber die alten Agitprop-Reflexe funktionieren noch bestens. Kein Wunder, dass er an anderer Stelle die Wende von 1989 als „Niederlage“ bezeichnet.

Das Sein bestimmte das Bewusstsein

Die einzige von sozialistischer Ideologie und Schönfärberei freie Sicht auf die Rolle des „ND“ im ostdeutschen Unrechtsstaat liefert ein Interview mit der Kommunikationswissenschaftlerin Anke Fiedler: „Public Relations im Auftrag der Partei“. Zur Begriff der Linientreue sagt sie, „die Aufbaugeneration“ in der Redaktion sei noch „überzeugt von ihrer politischen Mission“ gewesen. Über die späteren Redakteure dagegen urteilt sie wesentlich härter: „Die Jüngeren haben sich nicht einfach nur gefügt. Sie waren ja auch privilegiert; wer beim ND arbeitete, zählte zur journalistischen Elite des Landes.“ So kommt wenigsten Karl Marx zu Ehren: Auch bei Honeckers „ND“-Brigade bestimmte das Sein das Bewusstsein.

Ganz so plump, dass man die DDR als das in jeder Beziehung bessere Deutschland darstellt, geht das „ND“ in seiner Geburtstagsausgabe jedoch nicht vor. So heißt es im Leitartikel: „In dieser Zeitung haben furchtbare Dinge gestanden, wurden Linke diffamiert, Menschen verächtlich gemacht, denen der real existierende Sozialismus keine Hoffnung mehr war. Es wurde gelogen.“ Gleichwohl durchweht die 56 Seiten der Sonderausgabe der Geist unverdrossener, sozialistischer Heilserwartung. Nicht die Idee war schlecht, nicht die Ein-Parteien-Herrschaft, nicht der „Schutz“ der Menschen durch die Organe der Staatssicherheit – nein, die sozialistische Idee war und ist gut, nur wurden bei der Umsetzung halt ein paar Fehler gemacht. „Es war nicht alles schlecht“ – das würde auch „Generalchefredakteur“ Erich Honecker unterschreiben.

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