Der meinungsstarke Anleger

Grundsätzlich ist dem Markt herzlich egal, wer im Weißen Haus sitzt, solange die/der die Wirtschaft in Frieden lässt und sich am besten mit wohlgefälligen Sonntagsreden vergnügt. Ich kann auch keine klare Präferenz pro/contra Clinton/Trump sehen, die den Markt eindeutig für einen Kandidaten entflammt.

Mit diesem Beitrag werde ich mir hier auf Tichy´s Einblick nicht überall Freunde machen. Aber wie heisst es so schön in Norddeutschland: „Wat mutt, dat mutt“. Man könnte auch sagen, gute Medizin muss manchmal bitter schmecken. 😉 Und vielleicht gibt es ja doch den Einen oder Anderen, der sich im Spiegel wiedererkennt und nur damit kann ich die Leser letztlich auch erreichen.

Der meinungsstarke Anleger-Typus

Sie wollen wissen, welchen Anleger-Typus ich meine? Ganz einfach:
Überwiegend männlich, selbstbewusst, mit Ego, jemand dem wichtig ist „Recht zu behalten“.

Beruflich erfolgreich, typischerweise mit sehr gehirn-linkslastigen Denkstrukturen, die viel Wert auf Genauigkeit, Präzision, Sicherheit, Planbarkeit und Überprüfbarkeit legen. Daher typischerweise Ökonom, Steuerberater, Ingenieur etc usw – alles Berufsbilder, bei denen man einen überwiegend fest gefügten und „objektiven“ Wissensschatz, mit genügend Fleiss und Präzision, weitgehend durchdringen und beherrschen kann.

In Bayern würde man sagen: Ein „g’standenes Mannsbild“ mit „Meinung“, mit beiden Füssen auf dem Boden der Realität.

Nur leider, leider, typischerweise eher erfolglos an der Börse. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Dieser Anleger hat große Teile des Anstiegs seit 2009/2011 nicht mitgemacht hat, weil ihm das immer „nicht sicher genug“ war, die ganze Notenbankpolitik suspekt und der Zusammenbruch des Geldsystems ja scheinbar sowieso kurz bevorstand.

Und dieser Anleger reagiert mit heftigem Kopfnicken auf Kommentare der Crash-Propheten, die uns ja seit 8 Jahren jeden Monat erklären, warum genau jetzt der „große Zusammenbruch“ kommt. 😉

Und dieser Anleger hat meinen Artikel zur Katastrophenhausse eher nicht gemocht, weil die Vorstellung ziemlich gruselig ist, dass etwas ohne jeden „objektiven“ Grund steigt, einfach nur, weil gegen jede Logik, permanent mehr Käufer als Verkäufer da sind.

Das wohlige Wunderwort Buffett

Dieser Anleger liebt deswegen Gold als das „einzig Wahre“ und wenn er überhaupt dem Gedanken an Börse nähertritt, dann führt er das Wunderwort „Buffett“ im Munde, weil dessen Nimbus und Ruf ja das wohlige Gefühl der Berechenbarkeit und Objektivität verströmt, genau das, was der Markt eben genau nie bietet, wonach sich dieser Anleger-Typus aber so sehr sehnt.

„Fair Value“, „Intrinsic Value“, „Echte Werte“ – hach da strömt das schöne Gefühl von Objektivität, Planbarkeit und Wertigkeit durch den Anleger. Das ist sozusagen „Gehirn-Wellness“ und Brandmauer gegen diese besch****** Unsicherheit, die immer vom Marktgeschehen ausgeht.

Leider bleibt es für uns Normalanleger, die wir nicht den Anlagehorizont und den Zugang eines Buffetts haben, eine Illusion. Ganz besonders in Zeiten der kreativen IFRS Bilanzierung, in denen man den öffentlichen Zahlen sowieso nur noch sehr begrenzt vertrauen kann und man sehr tief in ein Unternehmen einsteigen muss, um den echten Zustand auch nur erahnen zu können.

Wer kann das schon fachlich? Wer hat die Zeit dazu? Und selbst wenn beides vorhanden ist, genügt das ohne Zugang zum Management zu haben? Wenn es Sie interessiert, lesen Sie dazu meine Gedanken zum langfristigen Vermögensaufbau

Der Blick in den Spiegel

Und weil das Ego dieses Anleger-Typus‘, die Erkenntnis nur schwer zulassen kann, dass man ja vielleicht selber am Misserfolg an der Börse seinen Anteil hat, muss es natürlich der Markt sein, der Schuld hat. Ein Markt der dann „nur ein Kasino ist“ und alle, die sich erfolgreich damit befassen, werden als „Schwätzer“, „Kaffeesatzleser“ oder sonst etwas abgewertet, um das eigene Ego zu schützen.

Tja, wenn der Fuchs die hoch hängenden Trauben nicht erreichen kann, dann mag er sie nicht oder stellt (noch besser) in Abrede, dass man sie überhaupt erreichen kann. Schon klar. 😉

Nun werden ein paar von Ihnen schmunzeln, aber einige von Ihnen sich definitiv ärgern. Ich sehe es Ihnen sozusagen durch die Internet-Leitung an. Touché

Sie sehen daran, ich schreibe Ihnen hier nicht, um Ihnen nach dem Munde zu reden, damit sie mich glücklich anklicken und sich wohlig bestätigt fühlen – wie das sonst im Internet zur Unsitte geworden ist. Siehe dazu mein letztes Interview mit Cision.

Ich schreibe Ihnen, weil ich Ihre Gedanken für einen Markt öffnen will, der jede Menge Chancen bietet, wenn man bereit ist, seine Gedankenstrukturen anzupassen und sein Ego zurückzustellen. Und natürlich schreibe ich Ihnen auch, weil ich Sie für meinen Blog interessieren will, in dem die Themen dann wirklich vertieft werden, die ich hier nur anreißen kann. Leichte, schnelle Gewinne, habe ich aber nicht anzubieten, nur Arbeit an uns selbst.

Der Kern der Schwierigkeit: Reflexivität

Aber zurück zu dem Ärger, den Sie nun vielleicht verspüren. Wenn Sie zur Gruppe gehören, die einen schmerzhaften Gedanken mal an sich ranlassen kann, will ich Ihnen sagen, dass die Schwierigkeit zunächst einmal tatsächlich am Markt selber liegt. Denn der ist ganz anders, als die Wissensgebiete, in denen Sie typischerweise beruflich erfolgreich sind.

Und das muss man sich überhaupt erst einmal bewusstmachen. Sie denken vielleicht, das sei trivial – nein ist es nicht!

Denn der Markt ist selbstreferentiell, da er aus uns selber besteht. Es gibt in Ihm gar keine „objektive Wahrheit“ die man erforschen könnte, es gibt auch keine festen Regeln, die immer gelten und jeder der sich auf die Suche danach begibt, kann auch gleich nach dem heiligen Gral zu suchen beginnen.

Die einzige Wahrheit im Markt, sind die Kurse. Wenn die steigen, gibt es mehr, die das Asset haben wollen, als die es verkaufen wollen. Die Nachfrage ist dann höher als das Angebot. Punkt!

Warum und Wieso und ob dieser Kaufwunsch logisch oder rational ist, ist erst einmal völlig und total irrelevant! Der Preis steigt und das ist alles, was an absoluter Wahrheit existiert.

Denn wenn morgen ein höherer Preis aufgerufen wird, ist das morgen der Wert des Assets. Punkt. Was Sie und ich darüber denken, ob Sie und ich den Preis für zu billig oder zu teuer halten, hat die Bedeutung des berühmten Sacks Reis, der irgendwo in China umfällt.

Und dieser Preis entsteht aus Erwartung – nur aus den Erwartungen der Marktteilnehmer. Wenn alle erwarten, dass Morgen die Preise steigen, werden alle heute schon gekauft haben. Weswegen die Preise dann Morgen nur schwerlich real weiter steigen können, weil eben die Käufer fehlen.

Und wenn alle heute erwarten, dass Morgen die Kurse fallen und deswegen auf grossen Cash-Bergen sitzen, werden die Preise nur schwerlich real fallen können und werden sich viel wahrscheinlicher in einem sogenannten „Squeeze“ nach oben bewegen.

Der Markt ist eben ein dynamisches System, selbstreferentiell und reflexiv und unterliegt massiv dem Beobachterproblem. Nun kann ich Ihnen etwas theoretisches Gedankengut nicht ersparen, bitte lesen Sie unbedingt zur Reflexivität. Das ist wirklich die entscheidende Erkenntnis, die unbedingt sacken muss.

Wir folgen dem Markt und sind nicht klüger als er

Hören wir also auf, uns selber einzureden, wir wüssten besser als die anderen Marktteilnehmer, wie sich morgen die Wirtschaft entwickeln wird. Nein, die anderen im Markt sind nämlich auch nicht doof.

Irgendwann bekommen selbst die Crash-Propheten, wie mit einer Schrotflinte, auch mal Recht und werden dann „Siehste!“ schreien, um das Ego zu befriedigen und eine neue Generation an „hat den Crash vorher gesagt“ Jüngern zu generieren, mit denen man dann schön Geld machen kann. Es gibt eben Dinge, die ändern sich nie.

Nur dummerweise, haben die hörigen Anleger vorher 10 Jahre eines des längsten Bullenmarktes der Geschichte verpasst. Wäre es statt auf diese Enkel Nostradamus‘ zu hören, nicht besser gewesen, 10 Jahre lang dem Markt folgend Gewinne zu scheffeln und dann irgendwann, wenn die Kurse wirklich zu fallen beginnen, einfach ein paar Prozent tiefer die Reissleine zu ziehen?

Dafür müsste man aber aufhören, klüger als der Markt sein zu wollen. Man müsste einfach demütig dem Markt folgen und akzeptieren, dass es in ihm keine absolute Sicherheit gibt. Dafür aber jede Menge Chancen. Chancen, die ohne Risiko gar nicht existieren können.

Auf gut Deutsch: wer im Markt Sicherheit sucht, hat ihn nicht verstanden. Was wir suchen müssen, sind gute Chancen und was wir lernen müssen, ist die Risiken zu begrenzen – nicht zu vermeiden, zu begrenzen!

Die Bereitschaft, im Umgang mit dem Markt eine ganz andere Denkstruktur zu entwickeln, als im Beruf und normalen Leben und die eigene Meinung hinten an zu stellen, ist dabei zwingende Voraussetzung.  Wer das kann, hat die Chance, dauerhaft eine Überrendite zu erzielen, in dem man Trends opportunistisch mitnimmt, statt „meinungsstark“ gegen diese zu kämpfen.

Übrigens, fragen Sie mal eine „Proprietary Trading Firm“ (Unternehmen mit Eigenhandel), wen sie lieber als Börsen-Händler einstellen. Den typischen Ökonomen oder den typischen Psychologen?

Ich garantiere Ihnen, praktisch alle aus gutem Grund den Psychologen. Denn der denkt in der Regel ergebnisoffen „um die Ecke“ und selbstreferentiell und hat gelernt, sich seinem Gegenüber (hier dem Markt) anzupassen und sich hinein zu denken. Der Ökonom dagegen, will eher sein gefügtes Weltmodell beweisen, wird mit dem Markt diskutieren wollen und gerade deswegen als Händler eher scheitern. Keynes war übrigens die ganz, ganz seltene Ausnahme.

Nun aber mal konkret

Und nun wollen Sie doch mal konkret wissen, wo sich gerade eine Chance auftut? Das ist aktuell etwas schwierig, zu viel Wichtiges zerrt gleichzeitig an dem Markt, der eigentlich schon recht weit gelaufen ist. Aber ganz profan nach der FED vielleicht im DAX, im Sinne einer Herbstrally.

Denn nachdem die Notenbanken nun alle ihre Karten auf den Tisch gelegt haben und der DAX nach der FED die 10.500 zurückerobert hatte, hat dieser Chancen, in den kommenden Wochen nachzulegen. Die Chancen für eine Herbstrally sind gestiegen, sicher ist aber gar nichts.

Aber das Sentiment ist nun so skeptisch da draussen, dass der Raum für eine Überraschung nach oben vorhanden ist. Schauen Sie zum Beispiel mal, was das AAII Sentiment der normalen US Anleger, kurz vor der FED Sitzung letzte Woche für Werte hatte: AAII Sentiment.

Es waren die negativsten Werte seit mehr als 3 Monaten und eine grosse Mehrheit hatte eine bärische Erwartung. Und was muss der Markt machen, wenn die Mehrheit fallende Kurse erwartet? Eben – eher steigen als fallen. Genau das hat der Markt nach der FED getan.

Der grosse Unbekannte Trump

Ob sich das nun aber wirklich weiter realisiert, werden wir wohl erst am morgigen Dienstag wissen. Denn nun steht als grosser Katalysator, die erste Fernsehdiskussion Clinton/Trump diese Nacht an.

Grundsätzlich ist dem Markt herzlich egal, wer im Weißen Haus sitzt, solange die/der die Wirtschaft in Frieden lässt und sich am besten mit wohlgefälligen Sonntagsreden vergnügt. Ich kann auch keine klare Präferenz pro/contra Clinton/Trump sehen, die den Markt eindeutig für einen Kandidaten entflammt.

Aber es gibt einen Faktor, der wichtig ist. Und das ist ganz abstrakt die Unsicherheit. Der Markt hasst Unsicherheit und er reagiert bei Unsicherheit immer mit Abgaben. Wenn man so will, bringen sich die Marktteilnehmer bei Unsicherheit in Sicherheit und das führt zu bröselnden Kursen.

Und ganz klar ist, dass Trump viel mehr Unsicherheit mit sich bringt, als Clinton, die für die Wallstreet sehr berechenbar ist.

Deshalb ist klar, wenn nach der Fernsehdiskussion in den Umfragen Clinton als Siegerin gilt, dürfte das positiv für den Markt sein. Gewinnt aber Trump, sollte man mit einem Unsicherheits-Abschlag rechnen, der einiges verändern könnte und dann die Chance auf die Herbstrally abwürgt. Wir werden sehen, die Zukunft ist immer offen.

Wir sind der Markt!

Wichtig ist aber für uns zu verstehen, dass der Markt ein selbstreferentielles System ist. Denn *wir* sind der Markt. Nicht irgendwer, auch wir mit unseren Erwartungen an die Zukunft.

Und wenn wir alle nur in eine Richtung denken, muss der Markt sich eher in die Gegenrichtung bewegen, ganz egal was real passiert.

Auf gut Deutsch, man kann auch prozyklisch denken und Teil der Herde sein, in dem man auf den grossen Crash wartet. Die letzten Jahre sollten das eigentlich bewiesen haben, wenn man mal selbstkritisch reflektiert. Diese Botschaft wollte ich heute vermitteln, auch wenn Sie dafür den Überbringer der Botschaft vielleicht erschiessen wollen. 😉

Aber jetzt reflektieren wir erst einmal über Trump, den grossen Unbekannten. Und dann sehen wir weiter und verlieren die Möglichkeit einer Herbstrally nicht aus dem Blick – aber nur falls Clinton vorne bleibt.

Ihr Hari

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