Wie Steinmeier einen neuen Mythos inszeniert

Frank-Walter Steinmeier hat die Ehrung von Polizisten genutzt, um die Berliner Demonstration und den vermeintlichen Reichstagssturm zu einen politisch motivierten Mythos zu verklären. Da werden Erinnerungen wach.

imago images / Metodi Popow

Deutschland hat, wie die Bild-Zeitung nicht müde wird zu schreiben seit Sonntag, neue „Helden“, nämlich jene drei Polizisten (es wurden nach einigen Minuten schnell sehr viel mehr), die vor dem Eingang des Reichstagsgebäudes standen und Demonstranten daran hinderten, es zu betreten. 

Was auch immer da während der nun von Medien und Politikern als „Sturm“ auf den Reichstag erzählten Ereignisse auf den Treppen des Reichstags passierte, der Bundespräsident hat in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit darauf reagiert, seinen Terminkalender freigeräumt und die drei Polizisten und einige weitere am Montag in seinen Amtssitz eingeladen. Es sei den Geehrten gegönnt. Wenn schon Ex-EZB-Präsident Mario Draghi es bekommt, dann hat sicherlich ohnehin jeder deutsche Polizist das Verdienstkreuz verdient.

Die Ansprüche an das Prädikat des „Helden“ sind in unseren postheroischen Zeiten eben gering, und „Mut“ attestieren sich heutige Politiker schon selbst, wenn sie nur das mit besonders großem Eifer tun, wofür sie mit größter Wahrscheinlichkeit von den Parteifreunden und der Presse gelobt werden (Steuergeld ausgeben vor allem). Verglichen damit waren die Polizisten natürlich sehr mutig, wenn auch wohl die Bedrohungslage für ihre Gesundheit bei jedem Einsatz gegen Linksextremisten in der Rigaer Straße, gegen G20-Chaoten in Hamburg oder bei einer Razzia unter Clan-Mitgliedern sehr viel größer sein dürfte.

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Der Auftritt von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit den Polizisten vor der Presse ist bemerkenswert und dürfte in einer später einmal zu schreibenden Geschichte der politischen Inszenierung im spätmerkelistischen Zeitalter keinesfalls fehlen. Seine Worte zum „Sturm auf den Reichstag“ werden da sicherlich neben den Worten der Kanzlerin und ihres Pressesprechers über die „Hetzjagden von Chemnitz“ stehen. Damals übrigens hatte der frischgebackene Bundespräsident per Twitter zum Besuch eines Konzertes aufgerufen, an dem unter anderem die Kapelle „Feine Sahne Fischfilet“ teilnahm, die in mehreren Verfassungsschutzberichten als „linksextremistisch“ erwähnt wurde. In einem ihrer Lieder findet sich die Textzeile: „Die nächste Bullenwache ist nur einen Steinwurf entfernt“.

Hier also Ausschnitte aus dem, was Steinmeier im Schloss Bellevue vor dem „Farbraumkörper“ von Gotthard Graubner stehend sagte: 

„Reichsflaggen, sogar Reichskriegsflaggen darunter, auf den Stufen unseres frei gewählten Parlaments, im Herzen unserer Demokratie, das ist nicht nur verabscheuungswürdig, sondern angesichts der Geschichte dieses Ortes geradezu unerträglich.“ Dieser erste Satz ist eher ein Beleg historischer Unbildung, da jahrzehntelang die Flagge des Kaiserreichs über diesem Gebäude (eingeweiht von Kaiser Wilhelm II 1894) wehte, auch in der Weimarer Republik war Schwarz-Weiß-Rot neben Schwarz-Rot-Gold Staatsflagge. Endgültig abgeschafft wurden beide von den Nazis, die schwarz-weiß-rote Flagge allerdings erst 1935 zu Gunsten der Hakenkreuzflagge.  

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Die Demonstranten, die diese längst anachronistisch gewordenen Reichsflaggen schwenkten und sich selbst als „Reichsbürger“ betrachten, kann man fraglos als radikal, vielleicht sogar extrem bezeichnen. Ebenso angebracht wäre aber wohl auch die zusätzliche Bezeichnung „Spinner“. Die Anwesenheit dieser Flaggen und ihrer abgedrehten Träger bei den Demonstrationen und auf den Stufen des Reichstags nutzt Steinmeier aber nun zu zwei politischen Zwecken, die für ihn als Staatsoberhaupt, das für alle Bürger sprechen und sie nicht spalten soll, unangebracht sind. 

Erstens, um die anderen Demonstranten zu denunzieren und sie vor künftigen Demonstrationen abzuschrecken: 

„Wer sich über die Corona-Maßnahmen ärgert oder ihre Notwendigkeit anzweifelt, kann und darf dagegen demonstrieren. Mein Verständnis endet aber dort, wo Demonstranten sich vor den Karren von Demokratiefeinden und Hetzern spannen lassen. Wer auf den Straßen den Schulterschluss mit Rechtsextremisten sucht, aber auch wer nur gleichgültig neben Neonazis, Fremdenfeinden und Antisemiten herläuft, wer sich nicht eindeutig und aktiv abgrenzt, macht sich mit ihnen gemein.“ 

Weder dezidiert fremdenfeindliche, geschweige denn neonazistische und antisemitische Parolen bestimmten jedoch die Bilder der Demonstration am Samstag in Berlin. Den Steinmeier-Satz kann man also als Versuch ansehen, einen Mythos zu schaffen.

Damit sind wir beim zweiten Zweck. Es ist offenbar derselbe, der auch die Behauptung der vermeintlichen „Hetzjagd“ von Chemnitz motiviert haben dürfte: Rechtfertigung und Mobilisation von staatlichem Geld und öffentlicher Unterstützung für den so genannten „Kampf gegen rechts“ und die Ausrichtung des Verfassungsschutzes auf diesen. 

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Bei Steinmeiers Auftritt mit den Polizisten klingt das so: „Die Gewaltausschreitungen am Samstag haben wieder einmal deutlich gezeigt: Der Rechtsextremismus hat tiefgreifende Wurzeln in unserer Gesellschaft. Er ist eine ernste Gefahr. Ihn wirksam zu bekämpfen, seine Umtriebe in den Netzwerken frühzeitig aufzudecken, das ist eine wichtige und andauernde Aufgabe. Die Sicherheitsbehörden, Polizei wie Verfassungsschutz, müssen für diese fundamental wichtige Arbeit darum die notwendige Unterstützung erhalten und gut ausgestattet sein.“

Diese Sätze stammen übrigens von einem Bundespräsidenten, der mit verfassungsfeindlichen politischen Positionen durchaus eigene Erfahrungen gemacht hat. Allerdings waren es nicht rechts-, sondern linksextreme. Steinmeier hat in jungen Jahren im Pahl-Rugenstein-Verlag publiziert. Einem Verlag, der der Deutschen Kommunistischen Partei nahestand und nach dem Wegfall der Finanzierung durch die DDR Konkurs anmelden musste. Steinmeier war (ebenso wie seine Parteifreundin, die spätere Bundesjustizministern Brigitte Zypries Redakteur der in diesem Verlag erscheinenden Zeitschrift „Demokratie und Recht“. Als die Frankfurter Allgemeine Zeitung sich für solche Herkünfte von Spitzenpolitikern noch interessierte, stand in ihr einmal ein höchst aufschlussreicher Beitrag dazu, in dem es über den heutigen Bundespräsidenten heißt: „Unter Beobachtung des Verfassungsschutz stehend forderte er eine „Diskussion über eine linke Verfassungsinterpretation“. Diese Diskussion versucht Steinmeier nun womöglich aus dem Schloss Bellevue heraus im höchsten Staatsamt zu betreiben. 

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Kommentare ( 292 )

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Brotfresser
3 Jahre her

Ihren Optimismus teile ich nicht. Viele werden das nicht erkennen. Denn schließlich haben die drei Musketiere dort nicht mehr und nicht weniger verteidigt als unsere Freiheitlich-Demokratische Grundordnung, unsere Existenz und die von Europa und dem gesamten abendländischen Kulturkreis (sofern der neben der Sprache überhaupt existiert…)! Und das ist schon das zweite Mal in kurzer Zeit: Denken Sie mal an die bösen rechten Nazis, denen am Tag der Einheit nach den Vorfällen in Chemnitz beinahe der Umsturz mit dem Baseballschläger, dem Luftgewehr des Schwiegervaters und diversen unzweideutigen WhatsApp-Nachrichten geglückt wäre. Das war knapp damals! Um Haaresbreite! Wie gut nur, dass wir… Mehr

moorwald
3 Jahre her

Das Bemerkenswerte und einigermaßen Neuartige ist, daß wir hier fast nur persönliche Defekte kritisieren. Um genuin politische Fragen geht es schon lange nicht mehr. Im Umkehrschluß heißt das, daß die Entpolitisierung vollendet ist. Nicht irgendeine fehlerhafte Politik, die zu korrigieren wäre, steht im Mittelpunkt der Diskussion. Die Akteure lassen entweder alles laufen, verstehen auch nicht, was da geschieht – oder simulieren Tatkraft und Entschlossenheit.
Folgerichtig steht an erster Stelle die Forderung, das Personal auszutauschen. Ob es danach besser wird, weiß niemand. Es würde schon genügen, daß es anders wird.

reiner
3 Jahre her

sehe ich auch so

Brotfresser
3 Jahre her

Schon wieder „Antifa Zeckenbiss“… wer’s glaubt! Ich hoffe, dass es ein paar echte Investigativjournalisten gibt, die da mal genauer draufschauen! Die Regisseure dieser Inszenierung kann ich schon verstehen: Mit „Antifa Zeckenbiss“ hat es letztes Mal ja auch gut geklappt und man ist dabei gleich den unliebsamen Herrn Maaßen losgeworden, der diese Reichsbürger-Inszenierung womöglich unterbunden hätte… Es ist ja mit den Händen zu greifen, dass hier jede Menge V-Leute mit ihren druckfrischen, im entsprechenden Bereich strahlend weißen – weil gänzlich unbenutzten – Flaggen nach Drehbuch agiert haben (inklusive der Minimierung der Bewachung, wie schon bei Lincoln, Kennedy, am 11. September, beim… Mehr

Ralph Martin
3 Jahre her

Bei Steinmeier fragt man sich immer ob es Unfähig- oder Boshaftigkeit ist. Wahrscheinlich ist es eine Kombination von beiden.

Schiffskoch
3 Jahre her
Antworten an  Ralph Martin

Weil diese Typen komplett unfähig sind, werden sie boshaft. Anders könnten sie sich nicht oben halten. Gebt mir 10 Minuten in einem offenem Raum ohne Zensur mit dem Maoisten Steinmeier, und ich zerreiße ihn argumentativ in der Luft. Genau deswegen muss er Andersdenkende bekämpfen, die würden sein gigantisches Lügengebäude ganz schnell ins Wanken bringen…

moorwald
3 Jahre her

Nicht zuletzt ist es die Schamlosigkeit der Oberen, die sie immer dreister – aber auch dümmlicher – lügen, täuschen, manipulieren läßt.
So kann nur jemand agieren, der sich im Grunde selbst aufgegeben hat. Von Merkel bis Steinmeier ahnen alle, daß das Stück, in dem sie mitspielen, in Kürze vom Spielplan genommen werden wird.

Umf-Backe
3 Jahre her

Naja, Marketing in eigener Sache.
Mit ernsthaftem Überlegen, bekomme ich gerade die Silbe „meier“ hin. Der Rest ist mir entfallen.
Nicht mal so witzig wie Lübke.

Uwe B.
3 Jahre her

BewusstSEINsHelden im Gespräch. Empörung über „Sturm“ auf Reichstag! WER IST DIE FRAU VON DER BÜHNE? https://www.youtube.com/watch?v=CfecV7MvfA0

Oblongfitzoblong
3 Jahre her

Über die Schmierenkomödie müssen wir nicht reden. Auffällig schon, wie betont unser Bundespräsident auch den hygienisch reinen Abstand inszeniert, den er in seinem Urlaub in Tirol nicht für wichtig erachtet hat.

RenaC.
3 Jahre her

Hätte die Polizei die von Steinmeier plötzlich geforderte „notwendige Unterstützung“, dann würde sie sich auch in die No-go-areas trauen und sich nicht von Radalierern verspotten, verprügeln und das Gewaltmonopol abnehmen lassen.