Die Parallelgesellschaften von Mario Draghi

Der EZB-Präsident will seinen Worten Taten folgen lassen. Aber welche? Die Ausgangslage ist prekär. Im Extremfall droht ein negativer Leitzins. Schon drängeln die Banken zum Schalter für das Minus-Geschäft.

0,26 Prozent Minuszinsen auf Staatspapiere, und die Nachfrage ist doppelt so hoch wie das Angebot. Hat da jemand aus Versehen auf den falschen Knopf gedrückt? Nein, alles ist mit rechten Dingen zugegangen: 29 Banken wollten in der vergangenen Woche für über 8 Milliarden Euro Bundesschätzchen mit einer Laufzeit von zwei Jahren kaufen, aber sie bekamen nur die Hälfte zugeteilt. Wolfgang Schäuble kann sich wieder einmal freuen, denn der Bund macht mit solchen Angeboten ein riesiges Geschäft. Seine Papiere „rentieren“ bis zu vierjährigen Laufzeiten negativ. Erst ab fünf Jahren dreht die ganze Chose ins Plus – bei verschwindend niedrigen 0,002 Prozent. Für die doppelte Laufzeit winkt den Gläubigern des Bundes eine fragwürdige Belohnung in Höhe von 0,60 Prozent Rendite. Gute Direktbanken zahlen ihren Kunden doppelt so hohe Zinsen, und das auf stets verfügbares Tagesgeld.

Wer diese verwirrenden Zustände verstehen will, braucht nur EZB-Präsident Mario Draghi zu lauschen, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf sein schier unerschöpfliches Geldarsenal hinweist. So wie – ebenfalls in der vergangen Woche -, als er vor dem Europäischen Parlament verkündete: „Falls einige der Abwärtsrisiken die Inflationsaussichten mittelfristig erheblich schwächen sollten, werden wir nicht zögern zu handeln.“ Das heißt, noch mehr Geld wird fließen. Ziel der Aktion: Inflation muss her, sodass Staaten sich später mit entwertetem Geld entschulden können. Das nennt man finanzielle Repression. Enteignung wäre treffender.

Die Mär von der Bereicherung durch Flüchtlinge

Die möglichen langfristigen Folgen sind hinreichend bekannt: Die Schuldenberge werden wachsen, bis sie implodieren. Es erscheint indes nützlich, sich die einzelnen Auswirkungen bis dahin immer wieder vor Augen zu führen. Denn sie werden uns alle treffen, wenngleich mit unterschiedlicher Wucht: Gläubiger und Schuldner, kleine Sparer und Großanleger, Vermögensaufbauer und Spekulanten, Staaten und Unternehmen. Die ersten Anzeichen der Implosion und die wahrscheinlichen Konsequenzen sind bereits erkennbar: Staatsfinanzierung durch die Hintertür der EZB; nachlassender Reformwille, besonders in schwachen Euroländern wie Griechenland, Italien, aber auch Frankreich; drohende nochmalige Finanzkrise; denkbarer Bankenkollaps wegen schrumpfender Zinsmargen im Kreditgeschäft; Gefahr der Blasenbildung an Immobilien- und Aktienmärkten; Fehlinvestitionen, bedingt durch niedrige Kreditzinsen; Bestrafung der Sparer; immer höhere Rückstellungen der Unternehmen aufgrund ihrer Pensionsverpflichtungen; schrumpfende Erträge aus Lebensversicherungen, Pensionskassen und weiteren Einrichtungen zur Altersvorsorge.

Kleiner Exkurs zum zuletzt genannten Punkt: Vor allem Politiker behaupten gern, der Flüchtlingsstrom nach Deutschland sei für unser Land eine Bereicherung. Oft fügen sie hinzu: Weil Flüchtlinge dafür sorgen würden, dass die Renten auch in Zukunft sicher seien. Zugegeben, eine wachsende Wirtschaft erfordert in der Regel auch eine wachsende Bevölkerung. Aber dafür müssen die Voraussetzungen stimmen: gezielte Ausbildung, bis zu einem gewissen Grad Beherrschung der deutschen Sprache, sicherer Arbeitsplatz, produktiver Einsatz, Fleiß und Integration in die deutsche Gesellschaft – um nur einige zu nennen. Die Parallelgesellschaften in Deutschland belegen, dass eine ausreichende Integration sogar während mehrerer Jahrzehnte nicht geklappt hat – es sei denn, man wollte behaupten, dass erfolgreiche Vorzeige-Fußballer aus der Türkei oder aus Ghana das Gegenteil beweisen.

Draghi wird die Geldschleusen weiter öffnen müssen

EZB-Chef Draghi weiß ganz genau, warum er nicht umhin kommen wird, die von ihm genannten Abwärtsrisiken zu bekämpfen und die Inflation zu beschwören. Er hat es, Eurozone und gemeinsames Geld hin oder her, ebenfalls mit unterschiedlichen Parallelgesellschaften zu tun: hier Deutschland, dort Frankreich (auch wenn manche Politiker in Sonntagsreden so tun, als seien beide Länder längst zusammengewachsen), hier Irland, dort Griechenland, hier die Eurozone, dort der Rest Europas, und so weiter. Draghi bleibt folglich nichts anderes übrig, als die Geldschleusen immer weiter zu öffnen, in der Hoffnung, die schwachen Euroländer mögen zu den starken aufschließen, nicht umgekehrt.

Die Ausgangslage ist allerdings prekär. Die Deutsche Bundesbank hat kürzlich eine Statistik veröffentlicht, die diesen Schluss zulässt. Demnach machen die deutschen Schulden 74,7 Prozent der Wirtschaftsleistung aus, die französischen 95,0, die spanischen 97,7 und die italienischen 132,1 Prozent. Allein schon die Schuldenstände der großen Euroländer klaffen also weit auseinander. Alle vier liegen weit unter dem Maastricht-Kriterium von 60 Prozent. Bezieht man weitere Euroländer in den Vergleich ein, ergibt sich eine Spannbreite von 23,6 Prozent (Luxemburg) bis 177,1 Prozent (Griechenland). Anhand dieser Zahlen ist erkennbar, was für eine Fehlkonstruktion der Euro ist. Doch die Gemeinschaftswährung ist nun mal da, und die Politiker werden in Absprache mit der EZB alles unternehmen, um sie zu erhalten.

Den Worten müssen Taten folgen

Dass Draghi die Inflation beschwört, hat – abgesehen davon, dass sie die finanzielle Repression begünstigt – noch einen ganz speziellen Grund: Sie könnte dafür sorgen, dass der Euro-Außenwert gegen den Dollar und andere Währungen sinkt und dadurch der Eurozone Wettbewerbsvorteile verschafft. Vorausgesetzt natürlich, die USA und andere Länder werten ihre Währungen nicht ebenfalls ab. Zur Diskussion steht sogar ein negativer Leitzins. Doch selbst wenn man dieses Extrem außen vor ließe, ist eine weitere Euro-Abwertung denkbar. Denn der Leitzins in der Eurozone beträgt aktuell nur 0,05 Prozent. Würde die Inflationsrate das von der EZB angepeilte Ziel von etwas unter 2 Prozent erreichen, könnte bereits dies den Euro arg ins Trudeln bringen.

Bislang hat Draghi viel allein durch Worte erreicht, von seiner berühmt gewordenen Londoner Rede im Juli 2012 mit dem entscheidenden Halbsatz „whatever it takes“ bis zu den Anmerkungen in der vorigen Woche vor dem Europäischen Parlament. Doch irgendwann muss er handeln, und zwar weit über das laufende Anleihen-Kaufprogramm hinaus. Welche Keule kann er überhaupt noch schwingen? Vielleicht kennt er die Antwort noch nicht einmal selbst. An den Börsen werden bereits Wetten in verschiedenen Richtungen abgeschlossen. Eine läuft sogar auf einen negativen Leitzins hinaus. Das zu Beginn erwähnte Bundesschätzchen hat es ja vorgemacht. Für weitere Unruhen in der Frankfurter EZB-Zentrale, an den Börsen und unter allen Sparern ist also gesorgt.

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