Sonnencreme, Wildpinkler und Schutzgeld-Demokratie

Von Wildpinkeln bis Vollverschleierung lassen die Blätter im Sommerloch nichts aus. Roland Tichy und Fritz Goergen haben für Sie gelesen.

Die Ferien gehen zu Ende und die Frankfurter Allgemeine SONNTAGSZEITUNG nimmt sich der aktuellen Probleme an. Sie testet verdienstvoll Pflegecremes für die sonnengeschädigte Haut. Nun gut, nach diesem Sommer sehnt man sich gerade zu nach einem Sonnenbrand, den man nicht wirklich kriegen konnte und Ende August ist längst nicht so solar riskant wie Juli. Aber es gibt zeitlose Geschichten, und sicherlich wird diese hier zurückgelegt für kommenden Sommer.

Außerdem: „Wildpinkler machen vor Kirchen nicht halt“. Die FAS nähert sich dem Wildpinkler auf fast eineinhalb Seiten; faktisch erfahren wir auf S. 1 alles über Gerüche, von der Stadtreinigung versprühten Lavendelduft und zerbröckelnder Fundamente der deutschen Dome, die dem scharfen Strahl und nachfolgender chemischer Reaktion nicht standhalten. Die Innenstädte werden zu Kultorten von Festen aller Art, es jagen sich etwa in Frankfurt jedes Wochenende anders beschilderte mobile Bratwurststände und Trinkhallen, deren Endverwertung Bächlein werden, die als kollektiver Strom enden. Alles wunderbar analysiert, kulturhistorisch, bautechnisch, aus der Sicht der Reinigungsindustrie und auf S. 3 mit einer wirren Reportage von Pinkel-Wächtern im Stil von Ghostbuster wird breitgetreten, was ohnehin zerfließt. Man beginnt das Dixi-Klo zu lieben, das sicherlich bald die Innenstädte prägen wird wie die Gelbe Tonne die Vororte.

Ungewollte Heiterkeit fließt ein; die FAS erinnert nicht nur mit ihrer  aus der Zeit gefallenen Sonnencremeanalyse an die kunterbunten alternativen Stadtzeitungen der 70er und 80er Jahre, die sich in allerlei Sonderlichkeiten verloren.

Hamsterkäufe

Es entwertet sogar ein wenig die harten News, wonach neuerdings der Bevölkerung wieder geraten wird, „einen individuellen Vorrat an Lebensmitteln von zehn Tagen vorzuhalten“, so zitiert die Zeitung jedenfalls aus einem Konzept für die zivile Verteidigung, das die Regierung am Mittwoch beschließen wolle.

Danach soll die Bevölkerung im Notfall zum Selbstschutz fähig sein, bevor staatliche Maßnahmen anlaufen, um eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser, Energie und Bargeld sicherzustellen.

Es handle sich um die erste Strategie zur zivilen Verteidigung seit dem Ende des Kalten Krieges. Dieser Bericht wird breit als Sensation angesehen und tatsächlich: Es paßt ja zu der zunehmenden Verschärfung der innenpolitischen Lage, wobei über die Ursachen nur spekuliert werden kann: Bundeswehreinsatz im Innern soll erlaubt sein – fürchtet die Bundesregierung Aufstände? Armeen im Innern wurden noch nie als Verteidigung gegen außen eingesetzt? Früher hätte die Linke aufgeschrien, heute nicht – warum? Zivile Verteidigung gegen wen genau? Aber diese Analyse fehlt. Es könnte an Tabus rühren. Es ist doch alles gut, oder?

Denn wer dieser offiziellen wie redaktionseigenen Weltsicht nicht folgt, muss ohnehin irre sein oder zwangsneurotisch. So wird eine Frau durchleuchtet, die es wagt, der Politik und den Journalisten zu misstrauen! „Wie lebt jemand, der so denkt und redet?“ Ja, so welche gibt es, man staunt in der FAS über diese Vorstellung, Teufel aber auch, die Dame ist krank und fürchtet sich nur vor ihrem Alter, das sie täglich im Spiegel Fältchen für Fältchen studiert. Zu dieser verstörenden Sicht von oben nach unten paßt der Gastbeitrag von Carsten Schneider, SPD über die Ostdeutschen. Voller Nachsicht studiert er deren  Mißtrauen, Fremdenfurcht  und medienkritische Grundhaltung; die haben es ja auch schwer gehabt. „Ostdeutsche sind keine Rassisten“, titelt er – also geht Schneider davon aus, dass generell alle Ossis, diese seltsam fremden Wesen, als Rassisten gelten? Man könnte das umgekehrten Rassismus nennen, diese entschuldigende Art, die einen ganzen Landstrich als Behausung von Volltrotteln benennt, und so geht es weiter: „Die Menschen in den neuen Bundesländern haben viel durchgemacht. Da kann man verstehen, dass sie durch die Flüchtlinge beunruhigt werden.“ Da ist er wieder der Gedanke – wer die aktuelle Politik bescheuert findet, kann nur selber bescheuert sein. Aber auch der Ossi an und für sich ist ein betreuungsbedürftiges Geschöpf, das man schon noch auf den rechten Weg nugden wird. Leider lesen wir nichts über ostdeutsche Varianten des Wildpinkels unter der Burka (wo bleibt die Genderforderung nach dem Burko?). Das werden wir kommende Woche von klugen Köpfen zu erwarten haben.

„Schutzgeld-Demokratie“

Die FAS macht mit dem Problem des Wildpinkelns auf, Die Presse am Sonntag mit „Land ohne Siegermentalität“ – „Unterm Strich nicht schlecht: Warum wir den Ehrgeiz verlieren“. Oh, Österreich wird Deutschland doch nicht einen Schritt voraus sein, Heiko Maas & Co.? Die Titelgeschichte betrachtet die Einstellung: „Wir wollen keine auf neoliberal getrimmten Karrieristen. Ehrgeiz und Leistungswille gelten fast schon als Charakterfehler.“ Gönnen wir uns diesen Auszug:

„Wir wähnen uns in einer Gesellschaft, in der sich nur die Reichen und Mächtigen durchsetzen können, nicht aber die Mutigen und Begabten. Wozu sich also noch anstrengen? Der Tenor: Während die große Mehrheit gegen diese Rolltreppe anrennt, gleitet nebenan die Elite stehend auf der nach oben fahrenden Rolltreppe empor. In einer Welt, in der wir ohnehin zum Scheitern verurteilt sind, in der die Stockerlplätze vergeben sind, ist „unter dem Strich ’nicht schlecht‘ gut genug und bewahrt uns vor Enttäuschungen.

Das Problem dabei ist nur: Diese von vielen Medien und politischen Demagogen kultivierte Wahrnehmung hält einem Faktencheck nicht stand. Die materielle Not nimmt weltweit und auch in Österreich ab. Die Zahl der Armen und Armutsgefährdeten in diesem Land nimmt trotz (Flüchtlings-) Krise nicht zu.

Den meisten Menschen geht es materiell viel besser als ihren Eltern und Großeltern. Und dennoch glauben immer weniger, dass mit eigener Hände Arbeit ein sozialer Aufstieg möglich ist. Vielmehr delegieren wir den sozialen Aufstieg an Vater Staat. Er soll für mehr Gerechtigkeit und Gleichheit sorgen. Und die Politik nimmt sich der Sache mit großem Eifer an. „Irgendjemand muss die Leute ja vor dem Untergang bewahren. Das kostet natürlich. So entsteht eine Schutzgeld-Demokratie, schrieb einst der deutsche Wirtschaftsjournalist Wolf Lotter.“

Außer auf Wiens goldener Meile und in Zell am See sind kaum Frauen im Ganzkörperschleier zu sehen. Und bei ihnen handelt es sich um Touristinnen aus Saudiarabien und den Golfstaaten auf Shoppingtour.„, kommentiert Christian Ultsch in Die Presse am Sonntag. Trotzdem sagt er, Es gibt gute Gründe für ein Burkaverbot„,in Zeiten der Massenmigration und der Radikalisierung ein Zeichen gegen ein Kleidungsstück zu setzen, das islamistische Eiferer politisch aufgeladen haben. Den Niqab und die Burka müssen Frauen in Gesellschaften überstreifen, die einer rigorosen Über-Interpretation des Islam folgen. Die Vollverschleierung ist Erkennungs- und Eroberungsmerkmal der Salafisten. Wo immer diese Fanatiker an die Macht kamen, ob in Afghanistan oder im Islamischen Staat (IS), waren Frauen am nächsten Tag gezwungen, hinter dem Stoff zu verschwinden. In Saudiarabien herrschen die wahhabitischen Avantgardisten der Steinzeitmode schon länger, das macht ihre Bekleidungsvorschriften aber nicht zivilisierter.“

Steinzeitmode

Martin Gehlen fügt den vielen Geschichten, die nun über die „Steinzeitmode“ erscheinen, eine gut verständlich hinzu: „Kulturkampf um den Schleier“. Interessant der Hinweis: „Als Frankreich vor fünf Jahren den islamischen Gesichtsschleier verbot, erhielten die Pariser Senatoren Beifall von ungewohnter Seite. „An Europa und Frankreich möchte ich als Botschaft schicken, der Niqab hat keine Grundlage im Islam, er schadet vielmehr dem Ansehen des Islam“, schrieb Abdel Muti al-Bayyumi, Mitglied des Hohen Geistlichen Rates der al-Azhar in Kairo, der höchsten Lehrautorität der sunnitischen Muslime. In dieser heiklen Frage wusste al-Bayyumi sich auch mit seinem Chef einig, Großscheich Ahmed al-Tayeb.

Vom Landespolizeichef des Burgenlandes, Hans Peter Doskozil (SPÖ), erfahren wir, der als Verteidungsminister zum Hardliner wurde, von Sebastian Kurz, Außenminister und Integrationsminister, der vielsagend „Der junge Metternich“ tituliert wird und von Christian Kern, der vom Bahnchef zum Bundeskanzler aufstieg und sich mit seinen Ansichten zur Migration mittlerweile zu Doskozil und Kurz gesellt.

Über Julian Pöschl, Hauptkoordinator von Train of Hope („Synonym einer Bewegung, die man schon „Generation Hauptbahnhof nannte“) im Herbst 2015,  hören wir in „Die Euphorie ist weg“: Bei den noch 400 Helfern ist große Ernüchterung eingekehrt, nicht zuletzt der Hartleibigkeit der Bürokratie wegen.

Die Forderung von Integrationsminister Kurz nach verpflichtender ehrenamtlicher Arbeit für Asylbewerber scheint lautlos Wirklichkeit zu werden, Kurzmeldung Zustimmung zu Ein-Euro-Jobs für Flüchtling“: „Wifo-Chef Karl Aiginger hält die von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) geforderten verpflichtenden Ein-Euro-Jobs für Asylberechtigte für einen möglichen Weg, Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Der Vorschlag dürfe aber „nicht mit der Keule des Entzugs von Sozialleistungen verbunden sein … Auch SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder ist gesprächsbereit.“ „

Aus Moskau bericht Die Presse am Sonntag in „Der selbst erklärte Retter der Ukraine“ von Nikolaj Asarow, dem früheren Premierminister der Ukraine, der gegen das „Nazi-Regime“ in Kiew wettert und mithilfe von Wiener Anwälten seinen Ruf wieder herstellt. Das Blatt fragt: Bereitet er seine Rückkehr vor?

Breitbart

In „Rechts an Fox News vorbei“ lernen wir, dass „Breitbart News konservative Onlinemedien wie das „Independent Journal, „Blaze, den „Washington Free Beacon, „Red State und den „Daily Caller überholt. 18,3 Millionen Besucher verzeichnete breitbart.com im Juli: um 40 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, berichtete die „New York Times“. Breitbart News ist heute die führende Stimme des zornigen rechten Rands der Konservativen und insofern der größte Herausforderer von Fox News.“„

Und: „Flankiert wird sie von der diskreten Aufdeckerarbeit des 2012 gegründeten Government Accountability Institute (GAI), das fernab der politischen und medialen Aufmerksamkeit in Tallahassee, der Hauptstadt von Florida, ansässig ist. Verdeckt finanziert vom konservativen Hedgefonds-Milliardär Robert Mercer und unter der Führung von Peter Schweizer, der während des Kalten Kriegs für konservative Thinktanks die Sowjetunion erforschte, werden hier akribische Dossiers über Amtsmissbräuche angelegt. Diese Materialien werden dann gezielt renommierten Medien zur Veröffentlichung übergeben. „Newsweek, ABC News, und das investigative Programm „60 Minutes von CBS News haben bereits Enthüllungen des GAI publiziert. Der bisher größte Coup war jene Story im Frühjahr 2015 auf dem Titelblatt der „New York Times, die darlegte, wie der kanadische Minenmagnat Frank Giustra der Familienstiftung der Clintons zweistellige Millionenbeträge spendete, dann den Altpräsidenten Bill Clinton mit seinem Privatjet nach Kasachstan zu einem Dinner mit dessen Herrscher, Nursultan Nasarbajew, flog –und schließlich kasachische Uranschürfrechte zugesprochen bekam. Schweizers Buch „Clinton Cash, aus dem diese Anekdote stammt, ist ein Jahr später auf Amazon noch immer eines der zehn meistverkauften politischen Bücher.“

Da immer alles aus Amerika kommt und immer schneller, wissen wir, was auf uns wartet. Na dann, allen einen schönen Sonntag.

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