Ukraine-Krieg: Welche Waffe ihn beenden könnte

1962 retteten geheime Gespräche die Welt vor dem Atomkrieg. 2025 setzt Berlin auf Drohungen, Moralrhetorik und Eskalation. Friedrich Merz ignoriert die Lehren der Kubakrise und treibt Europa immer näher an den Abgrund. Von Wolfgang Osinski

picture alliance / Andreas Gora | Andreas Gora

Friedrich Merz war zur Zeit der Kubakrise 1962 noch ein Kind. Doch man darf unterstellen, dass er weiß, welche Bedrohung sie darstellte und wie die Krise gelöst wurde. Deshalb muss man die Frage stellen, warum der Bundeskanzler nicht aus der Geschichte lernt.

Im Jahr 1962 stand die Welt vor einem Atomkrieg. Die Sowjetunion war dabei, Atomwaffen auf Kuba zu stationieren, vor der Haustür der USA. In einer legendären Fernsehansprache am 22. Oktober kündigte John F. Kennedy eine Seeblockade Kubas an. Die Welt hielt den Atem an.

Es gab keinen „heißen Draht“. Das „rote Telefon“ auf den präsidialen Schreibtischen im Kreml und im Weißen Haus wurde erst ein Jahr später eingerichtet, eine Lehre aus der Kuba-Erfahrung. Die USA und die Sowjetunion waren militärisch hochgerüstete Todfeinde. Und dennoch gab es echte Gesprächsbereitschaft. Man tat das, was Friedrich Merz heute unterlässt: Man suchte nach gesichtswahrenden Auswegen.

Geheimgespräche

Nach außen scharfe Rhetorik, intern wurde geredet. Robert Kennedy, Justizminister und Bruder des Präsidenten, traf sich immer wieder zu Geheimgesprächen mit Anatoli Dobrynin, dem sowjetischen Botschafter in Washington. Oft trafen sie sich spätabends, stets ohne Protokoll. Dobrynin hatte den direkten Draht ins Politbüro und setzte auf praktische Krisenlösung, während der ungehobelte Außenminister Moskaus, Andrei Gromyko (Spitzname: „Mr. Nyet“) öffentlich den Polterer vom Dienst gab.

Damit wurde eine verlässliche Kommunikationslinie genutzt. Kennedy schien bewusst gewesen zu sein, dass öffentliches Festnageln der Sowjetunion nur noch einen Ausweg bedeutet hätte: die Eskalation. Welch ein Unterschied zu der heutigen Eskalationsrhetorik!

Der diplomatisch tölpelhaft agierende Merz sagt heute Sätze wie diesen: „Wenn die Ukraine fällt, dann hört Putin nicht auf.“ Und er droht, im Kontext einer Schutzmacht der „Willigen“, dass deutsche bzw. westliche Truppen im Fall eines Waffenstillstands bereit wären, „bei entsprechenden russischen Angriffen zurückzuschlagen.“

Außenminister Johann Wadephul eskalierte sogar in die Zukunft: „Russland wird immer ein Feind und eine Gefahr für unsere europäische Sicherheit sein.“

„Wir sind Russlands nächstes Ziel“

In dieses Szenario passt denn auch Mark Rutte, der NATO-Generalsekretär, der öffentlich erklärte: „Wir müssen bereit sein für einen Krieg auf der Skala, wie ihn unsere Eltern und Großeltern erlebt haben.“ Und er setzte nach mit der Prognose „Wir sind Russland nächstes Ziel.“

Die Kubakrise endete seinerzeit mit einem für beide Seiten gesichtswahrenden Kompromiss: Die Sowjetunion zog ihre Atomraketen ab und verpflichtete sich zu einer „Sicherheitsgarantie“ für Kuba, während Kennedy die Blockade der Karibikinsel aufhob. Geheim und vielleicht entscheidend war: Kennedy sagte zu, die US-Jupiter-Atomraketen aus der Türkei abzuziehen. Es entsprach der Klugheit des US-Präsidenten, diesen Abzug erst Monate später durchzuführen und ihn mit der Überalterung der Raketen zu begründen. Gesichtswahrung auch hier. Die US-Historiker Graham T. Allison und Barton J. Bernstein bestätigen diesen Zug als bedeutend für die Auflösung der Krise.

Wie heute, wenn öffentliche Eskalationsrhetorik vorherrscht, wenn maximale Forderungen gestellt werden und die Suche nach Kompromissen faktisch unterbleibt, eine gesichtswahrende Lösung gefunden werden soll, erschließt sich nicht.

Putin nennt Westpolitiker „Ferkel“

Man redet nicht miteinander, man droht einander. Und das können die Russen im Zweifel besser als wir. Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew pöbelt in einer Tour, Putin spricht von Provokation und nannte die westlichen Staatschefs soeben „Podsvinki“ (Ferkel), die sich am russischen Zusammenbruch laben wollten.

Die Geheimdienste werden noch einen Gesprächskanal haben, doch der wird allenfalls der Unfallvermeidung und nicht der Konfliktlösung dienen können.
Auch „Dealmaker“ Donald Trump scheint an einer tragfähigen Lösung nicht wirklich interessiert, womit die Europäer sich selbst überlassen sind, ein politischer Hühnerhaufen, dem augenscheinlich Theaterdonner wichtiger ist als geräuschlose Diplomatie hinter den Kulissen.

Das Fehlen tragfähiger Kommunikationskanäle ist ein Mangel, der – politische Absicht vorausgesetzt – allerdings behoben werden könnte. Die einzige wirksame Waffe, die den Krieg beenden könnte, ist intelligente und vertrauensvolle Diplomatie unter Beachtung des Prinzips der Gesichtswahrung.

Während 1962 der öffentlichen Härte interne Flexibilität entgegen stand, ist davon im ausgehenden Jahr 2025 nichts zu spüren. Sätze wie „Mit diesem Regime kann man nicht verhandeln“ bestätigen die kommunikative Sackgasse und das eigene Versagen.

Kein Freispruch für Merz

Die Kubakrise war brandgefährlich, aber kurz. Die Beendigung des Krieges gegen die Ukraine leidet unter Gewöhnungseffekten und einer Normalisierung der Eskalation. Auch dies gewiss ein Grund, weshalb wir heute schlechter mit Russland kommunizieren als seinerzeit die USA mit der Sowjetunion.

Man muss einräumen, dass der damalige massive Zeitdruck – es ging um Tage, nicht um Wochen oder Monate – eine schnelle Einigung begünstigte. Dies ist indes kein Freispruch für Friedrich Merz. Die Selbstdarstellung des Bundeskanzlers und die wiederholten Solidaritätsbekundungen sowie die gegen EU-Prinzipien verstoßende aktuelle 90-Milliarden-Euro-Verschuldung, die Deutschland als bei weitem größtem Beitragszahler auf die Füße fallen wird, weichen den Konflikt nicht auf.

Geeignete Zeitpunkte für Friedensinitiativen hat man verstreichen lassen. Mit dem jetzigen Status Quo muss man leben und die wenigen verbleibenden Optionen intelligent nutzen. Die Gespräche in Miami haben für Russland reinen Schaufenster-Charakter. Emanuel Macron, der innenpolitisch unter massivem Druck steht, sucht jetzt den Direktkontakt mit Putin. Das mag den Kreml-Chef für ihn einnehmen, doch Macron hat kein Mandat der EU.

Eine Lösung in abgestimmter EU-Vorgehensweise – ohne Erwartung schürendes Vorab-Gepolter – könnte ein klarer Stufenplan sein, welche EU-Sanktionen wann gelockert werden – im Gegenzug zu Waffenruhe und Rückzug aus definierten Zonen. Sanktionsaufhebungen sind für Putin Erfolge, die er seinem Publikum verkaufen kann.

Das drohende Heranrücken der NATO war für Putin offensichtlich einer der Kriegsgründe. Ein neues Format, zum Beispiel EU und europäische NATO-Staaten plus Ukraine und Russland, könnte neue Rüstungskontroll-Elemente und Transparenzregeln auf den Weg bringen. Ebenso könnten Waffenstationierungen neu vereinbart werden. Wladimir Putin fordert seit langem eine europäische Sicherheitsordnung. Und warum sollten wir nicht auch – in reduzierten Mengen – wieder Gas und Öl aus Russland beziehen?

Russland ist das größte Land der Erde und fast ein Nachbar. Merz, Macron, Meloni & Co. wären gut beraten, an einer Basis für ein künftiges vertrauensvolles und friedliches Verhältnis zu zimmern.

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Kommentare ( 59 )

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Juergen P. Schneider
32 Minuten her

Man kann es ganz einfach auf den Punkt bringen. Kennedy war ein Staatsmann, Merz ist ein weltweit belächelter Clown mit großem Maul und geringer intellektueller Substanz. Der historisch ungebildete und geistlose Säbelrassler aus dem Sauerland führt uns in einen Krieg mit Russland.

Boudicca
32 Minuten her

1962 saß der Schrecken des zweiten Weltkrieges den Menschen in Deutschland noch im Nacken. Deutschland hatte international in der Politik noch nichts zu vermelden und heute nicht mehr. Die kommunistische Indoktrination „Proletarier aller Länder“ vereinigt euch, die nach dem Mauerfall, nicht mit verschwand und demokratisch verkleidet bis in die UN weiter keimte, hat sich verwurzelt und fängt das blühen an. Der Sozialismus hat den Wohlstand Europas am Fundament zerfressen und gibt ihm jetzt den Rest. China und Russland sind Teamplayer, die sich die Sahnehaube mit der dicksten Kirsche weltweit sichern wird. Trump hat zwar versprochen den Ukrainekrieg in 24 Stunden… Mehr

Waldschrat
33 Minuten her

„Die einzige wirksame Waffe, die den Krieg beenden könnte, ist intelligente und vertrauensvolle Diplomatie …“. So ist es, diese ist aber leider auf ganzer Linie nicht erkennbar und weder NATO noch europäische Politiker sind dazu in der Lage und amerikanische Politiker nicht geeignet. Als Vermittler in solch einem Krieg darf man nicht Beteiligter sein. Die Amis sind es aber und die NATO sowie Frankreich und Großbritannien auch. Als Beteiligter kann man nicht vermitteln. Also muss hier erst mal jemand mit diplomatische Fähigkeiten außerhalb der Kriegsbeteiligten gefunden werden. Dann muss mit beiden Hauptakteuren dieses Krieges gesprochen werden. So lange man Putin… Mehr

Kuno.2
40 Minuten her

Dem Merz fehlt jedwedes politisches Gespür. Der weiß lediglich wer aktuell die stärkere Seite ist und da ordnet er sich unter und singt dessen Lied.

Britsch
51 Minuten her

Man sollte sich mehr an Realität orientieren. Es ist heutzutage in der westlichen Welt aber zumindest in Deutschland halt so daß z.B. ein techn. Gerät eher nach dem Aussehen gekauft wird als nach den technisch nötigen funktionen und zuverlässigkeit. Alles muß aucgh schnell ersetzzut werdern, daß wieder Neues verkauft wird und dannn aber von Nachhaltigkeit schwafeln. Nicht mehr Praktiker und Kenner enscheiden. Sondern Modetrendsetter, Thoretiker ohne wirkliche Reale Sachkenntnis. Naturwissenschaftliche Kenntnisse in der Breite sind total verloren geghangen. Nicht die wahren Kenner, Spezialisten entscheiden sondern diejenigen „mit der größtenm Schnauze“, die Scheiner, Blender.Wieso wollen Diejenige an der Macht andere Meinungen… Mehr

Last edited 40 Minuten her by Britsch
Gunter Zimmermann
56 Minuten her

Die abenteuerliche Vorstellung, dass Putler irgendwie an einem Frieden und einem vertrauensvollen Verhältnis interessiert sein könnte, taucht in den naiven Artikeln von TE immer wieder auf. Die Vermutung, dass Trump der letzte sein könnte, der erkennt, dass eine Verhandlungslösung in der Ukraine ausgeschlossen ist, muss leider durch die Möglichkeit ergänzt werden, dass TE sich diesen Schuh anziehen muss. Der Krieg wird beendet sein, wenn der russische Diktator so geschockt ist, dass er selbst einen Sieg nicht mehr für möglich hält, vorher nicht. Alles andere ist Vertrauen auf den Weihnachtsmann.

BKF
57 Minuten her

Mit dem Mandat der EU verstehe ich nicht. Die EU ist kein souveräner Staat, sie überhaupt kein Staat und sie hat auch keine Armee. Das einzige Mandat für Verhandlungen haben doch souveräne Staaten und damit nur die Nationalstaaten – die einzige Alternative wäre ein Mandat der UNO über den Sicherheitsrat.

Ecke
59 Minuten her

Und wie war die Position der AfD? Für die sie im Übrigen beschimpft und medial auf übelste verbal bedroht wurde. Die Alt – Parteien sehen da ganz alt aus.

epigone
1 Stunde her

> Das drohende Heranrücken der NATO war für Putin offensichtlich einer der Kriegsgründe. Mein Tipp für den Autor: die letzten rund 200 Jahre europäisch-russischer Geschichte noch mal nachlesen! Sie sind durchweg davon bestimmt, dass der Westen versucht hat Russland als auch die UdSSRan allen denkbaren Fronten zu schwächen. Legendär die Versuche insbesondere Großbritanniens, zusammen mit den Osmanen wieder die Ukraine und die Krim muslimisch zu machen um die Befreiungsfeldzüge Katarina der Großen gegen die Muslimisierung Mittel-Osteuropas ungeschehen zu machen. Und danach ging es immer munter weiter, vom russisch-japanischen Krieg, der maßgeblich durch die Britten ermöglicht wurde, über den ersten Weltkrieg,… Mehr

Last edited 1 Stunde her by epigone
moorwald
18 Minuten her
Antworten an  epigone

Putin sieht sich vom Westen aufs übelste getäuscht. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hoffte er, Rußland würde nicht länger mit Geringschätzung und Feindseligkeit behandelt werden Man lese unbedingt das Wortprotokoll von Putins Rede vor dem Bundestag vom 25.09. 2001 – Ein Russe erwähnt ganz selbstverständlich Lessing und Humboldt! Was waren das noch für Zeiten…
Kein Wunder, daß Putin dem Westen mißtraut und nur noch auf die eigene Stärke setzt – wenn es sein muß, eben auch mit Krieg.

Last edited 14 Minuten her by moorwald
Deutscher
1 Stunde her

Deals beenden Kriege. Oder eben eine totale Niederlage. Alles andere ist Illusion.

Klaus D
57 Minuten her
Antworten an  Deutscher

Deals beenden Kriege….aber nur wenn eine seite kaum noch eine chance hat siehe zb Japan USA krieg.

Markus Gerle
1 Stunde her

Vor sehr langer Zeit habe ich mal einen sehr guten Hollywood -Streifen zur Kuba-Krise im Kino gesehen. Der Name ist mir entfallen. Vielleicht könnte das Staatsfernsehen den mal ausgraben und nochmals zeigen, um den Bildungsauftrag zu erfüllen. Die Kriegsrethorik unserer Regierenden geht mir auch zunehmend auf die Nerven. Bei der unfassbar dummen Baerbock wunderte mich das komplette Fehlen von Kenntnissen der Diplomatie nicht. Aber Merz hat z. B. selbst gedient und sollte daher eigentlich wissen, wovon er redet.