Der Kanzler ist wieder im Glied

US-Präsident Joe Biden hat den deutschen Kanzler Olaf Scholz in Washington offenbar zur Ordnung gerufen. Das Aus von Nord Stream 2 für den Fall einer russischen Aggression gegen die Ukraine ist beschlossene Sache.

IMAGO / ZUMA Wire
Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus in Washington am 7.2.2022.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz muss gestern in Washington so etwas wie ein „Erlebnis der dritten Art“ gehabt haben. Sicherlich war er im Weißen Haus in den harten Realitäten der Weltpolitik angekommen. Hier ging es nicht mehr um Fragen wie das Tempolimit, Frauenquoten oder die Massentierhaltung. Hier stellte sich auf einmal konkret die Frage: „Wo stehst Du?“, „Mit wem gehst Du?“, „Wie wirst Du dich entscheiden?“. Da hilft dann keine verschnörkelte und gedrechselte Wortfabulistik, kein Herumlavieren, sondern nur Ja oder Nein. Denn in Washington ging es gestern um die Substanz des westlichen Bündnisses. 

Es muss hart zugegangen sein in diesem Vier-Augen-Gespräch zwischen dem mächtigsten Mann der Welt, der gar nicht so „sleepy“ ist, wie manche auch in Deutschland meinen. Joe Biden ist, wenn es sein muss, knallhart. Langjährige Begleiter der amerikanischen Politik wissen das schon seit langem. Tatsächlich geht es aber um Krieg und Frieden – heute und in der Zukunft. 

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Um gleich die Antwort zu geben, der Mann aus Berlin wurde ganz einfach zurück ins Glied gestellt und rückte ein. Scholz erschien wie der heimgekehrte verlorene Sohn. Wie selbstverständlich erklärte Biden für den Fall, dass die Russen in die Ukraine einmarschierten das Ende des Projekts Nord Stream 2. Scholz stand wie ein kleiner Junge schweigend dabei. Selbst auf den Hinweis eines Reporters, dass dies doch letztlich eine Angelegenheit der Deutschen sei, antwortete ausschließlich der amerikanische Präsident. Antwort: „Gehen Sie davon aus, dass das so ist, und wir die Möglichkeit haben, das auch umzusetzen.“ 

Allen Bekundungen zur Gemeinsamkeit im Bündnis westlicher Demokratien stand die Atmosphäre und die Körpersprache der beiden Männer entgegen. Hölzern und ohne jede Spur von Empathie präsentierten sich Gastgeber und Gast. Biden dürfte unmissverständlich klar gemacht haben, dass derjenige, der nahezu vollständig auf den Schutz durch den anderen angewiesen ist, sich an die Spielregeln halten muss. Falls nicht, und das musste er gar nicht sagen, habe auch dieser die Konsequenzen zu tragen. Selbstverständlich, so Biden, werde man bei einem Ausfall des russischen Gases Deutschland anderweitig versorgen. Aber, so fügte der Präsident fast spöttisch hinzu, die Russen müssten ihre Rohstoffe ja auch verkaufen, denn sie lebten nur davon. 

Drei Erkenntnisse brachte des Kanzlers Ausflug nach Washington nicht nur für Deutschland. 

Erstens: Es ist immer so in der Welt, dass wer zahlt, auch mahlt. Solidarität ist keine Einbahnstraße und gibt es nicht zum Nulltarif. 

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Zweitens: Wegen der Souveränität der Ukraine wird es keinen Krieg zwischen dem Westen und Russland geben. Für Kiew kommt es jetzt darauf an, in den bitteren Apfel zu beißen und in irgendeine Lösung diplomatischer Art einwilligen zu müssen. Möglicherweise steht doch am Ende eine Teilung der Ukraine. Auf alle Fälle gibt es – und das kann auch gar nicht anders sein – keinen heißen Krieg zwischen Ost und West. Aber Putin hat mit seinen Aktionen die NATO und damit das transatlantische Bündnis wieder zusammengeschweißt. Es wird wieder kälter in der Welt. Auch die unmittelbaren Konsequenzen des Vorgehens des Mannes im Kreml dürften für das „Zarenreich“ sehr unangenehm sein. 

Drittens: Scholz machte wie das „Hänschen“ in einem alten Kinderlied eine Lehrstunde im Erwachsenwerden durch. Frei nach dem Motto: „Olaf klein, zog allein in die weite Welt hinein. Stock und Hut stehen im gut, doch dann verlässt ihn gleich der Mut. Da besinnt sich das Kind, rennt nach Haus geschwind“ 

Jetzt, im nächsten Akt, wird man sehen, wie seine Genossen in Deutschland und die Freunde in Moskau auf diesen Wandel Berlins reagieren. 

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Kommentare ( 146 )

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Enrico
2 Jahre her

Deutschland (nach ’45) war noch nie selbständig und frei. Man darf dazu gegensätzlicher Meinung sein, aber ich halte das für völlig verblendet (diese Einschätzung wiederum sei mir gestattet).
Daraus folgt dann alles andere auf der diplomatischen Weltbühne (auf einer evtl. verhandlungsgescheiterten nachdiplomatischen Feldbühne haben wir – evtl. ist das nicht schlecht – sowieso nichts zu melden).
Aktuell und konkret resultieren dann daraus abstruse, geradezu bizarre (hier bereits aufgearbeitet in einfacher Sprache) „Drohgebärden“, wie z.B.:
‚Lieber Putin, wenn Du im Kontext Ukraine über die Stränge schlägst, dann frieren wir aber ganz dolle!‘
Wer wählt sowas?
Ich nicht!!

Last edited 2 Jahre her by Enrico
N. Niklas
2 Jahre her

In der alternativen Presse in den USA wird Scholz angegriffen, weil er demzufolge – unter Bezugnahme auf Artikel in der Welt und Kommentare von HJ Maaßen auf Gettr – ein Stasi-Spion sei, den nicht nur bewiesenermaßen Egon Krenz empfangen, sondern möglicherweise sogar der KGB angeworben und in der BRD „plaziert“ habe.
https://www.thegatewaypundit.com/2022/02/joe-biden-receive-potential-stasi-asset-olaf-scholz-put-antifa-charge-homeland-security/
Scholz scheint bloß eine willfährige Figur zu sein, ein gelernter Kommunist, der fleißig versucht, seinen wie auch immer von anderen bestimmten Auftrag zu erfüllen.

Weiss
2 Jahre her
Antworten an  N. Niklas

Hier ist die Einschätzung von Herrn Maaßen bzgl. der Einordnung von Scholz. Ich zitiere:

„Bespitzelt“? Ein Juso-Funktionär wurde vom MfS nicht „bespitzelt“, weil er keine werthaltigen Informationen hatte. Es ging um etwas anderes: die Anwerbung als Perspektivagent für das MfS oder das KGB. Das MfS unterhielt zur Anwerbung von Perspektivagenten ein dichtes Netz an westdt Unis. Perspektivagenten wurden gefördert und dann in die richtigen Positionen gebracht.

Quelle:

Hans-Georg Maaßen on GETTR: „„Bespitzelt“? Ein Juso-…“

Hintergrund:

Explosive Charges: Was German Chancellor Olaf Scholz a Stasi/KGB Asset? (thegatewaypundit.com)

Dass Herr Scholz von der Stasi observiert wurde, wundert mich eigentlich weniger…

Knobiator
2 Jahre her

.. für solche Aussagen wird man bald ins Umerziehungslager gebeten werden … Kein Diktator läßt sich von der Wahrheit beeindrucken, sonst hätte er seinen Beruf verfehlt.

John Beaufort
2 Jahre her

Vasall bleibt Vasall. Und ich bin kein Reichsbürger, der mit irgendwelchen juristischen Spitzfindigkeiten gegen die Souveränität der BRD argumentiert. Aber letzten Endes zählt die „normative Kraft des Faktischen“. Egal, was in der Verfassung steht, in der Praxis ist das real existierende Deutschland ein teilsouveräner Satellitenstaat.

Yato
2 Jahre her

Es ist ungeheuerlich, was die USA sich hier erlauben. Für mich zeigt sich die Situation ähnlich wie in Amerika, kurz vor der US-Unabhängigkeitserklärung, als die Arroganz der Engländer damals zum Himmel gestunken hat. Nur dass diesmal die EU in der „Kolonie-Rolle“ ist und die USA sind in der Rolle wie damals das Britische Imperium. Ich denke Europa braucht eine „Tea-Party“ und sollte einmal kurz auf seine Macht als über 400 Mio. Verbraucher hinweisen und als Indianer verkleidet einige Container I-Phones etc. im Hafen von Rotterdam versenken und dem US-Imperium die Stirn bieten. Nüchtern betrachtet und ehrlich gesagt geht es wohl… Mehr

Weiss
2 Jahre her
Antworten an  Yato

Präsident Macron ist gestern auch in Kiev gewesen. Hier ist die Pressekonferenz: Ukraine crisis: Macron and Zelensky give joint press conference • FRANCE 24 English – YouTube Diplomatisch hat Frankreich hier schon eine führende Rolle eingenommen, um den Konflikt in Europa beizulegen und einen drohenden Krieg abzuwenden. Ich finde es gut, dass Macron diese Rolle angenommen hat und hier vorangeht: Ukraine & Russia Plan Rival War Drills As Macron Meets With President Zelensky | ZeroHedge Macron sagt wie Putin auch, dass das Minsk-Abkommen die eigentliche Lösung ist, also deren Umsetzung, um den internen Konflikt in der Ukraine aufzulösen. Kiev muß also… Mehr

Gruger1
2 Jahre her

Rohstoffimporteur Nummer 1 in die USA 2021 ist Russland gewesen.
Overall Russian crude and product shipments accounted for 11% of total US imports between January and October 2021, according to data from the US Energy Information Administration. Imports of Russian crude and products averaged 704,300 b/d in this period, EIA data showed. The US is now importing higher volumes from Russia than it is from key ally Saudi Arabia.
https://www.spglobal.com/platts/en/market-insights/latest-news/oil/012122-russian-crude-exports-to-us-highlight-risks-to-ukraine-talks-for-biden

Herrlich diese Doppelmoral unserer „Verbündeten“ und wir lassen uns das gefallen.

Contra Merkl
2 Jahre her

Man sollte jetzt Nordstream 2 in Betrieb nehmen, denn nur was in Betrieb ist kann man dann außer Betrieb setzen und sanktionieren. So hat man einen Deal mit Putin und Sleepy Joe guckt blöd. Das ist ein wirtschaftliches Unternehmen und kein staatliches und schon gar kein US staatliches Unternehmen. Kein Atom, keine heimische Kohle, und mit Gas sieht es ja jetzt auch schon schlecht aus. Bei den Ösis stehen die Gasspeicher jetzt bei 20 %, bei denen kommen 80 % aus Russland und die sind bei Nordstream 2 auch mit drin und hatten jetzt auf Gas gehofft. Wer will denn… Mehr

Thomas
2 Jahre her

Habe eben eine ganz andere Interpretation gehört: Scholz hat sich in der PK beharrlich geweigert, es kamen mehrere konkrete Fragen dahingehend, sich festzulegen, daß im Falle einer russischen Invasion, Nordstream 2 beendet würde. Das ist ein klares Zeichen, daß Deutschland an NS2 festhält. Bärbock (weisungsgebunden) hat in Kiew genauso reagiert auf die Fangfragen. Dann: –Aber Putin hat mit seinen Aktionen die NATO und damit das transatlantische Bündnis wieder zusammengeschweißt. – ??? Im Gegenteil. Das könnte der Anfang vom Ende der Nato sein. Die Interessensunterschiede zwischen den USA (unabhängig ob Obama, Trump, Biden oder sonstwer im Amt ist) plus UK und den… Mehr

Michael Palusch
2 Jahre her
Antworten an  Thomas

Das läuft wie immer. Man wirft Russland etwas vor, was es weder tut noch zu tun gedenkt. Wenn das niemals Geplante dann auch nicht eintritt, dann wird man sich sonnen, wird sich feiern, für die kluge und strenge Diplomatie des Westens, denn nur die hat den bösen, bösen Iwan mal wieder in die Knie gezwungen. Und der Michel bekommt gar nicht mit, welchem widerlichen Schmierentheater er auf den Leim geht. NS2 wird kommen und dem Tagesschau-Konsumenten wird man erzählen, dass nur die harten Haltung des Wertewestens, denen sich der Russe zähneknirschend fügte, das Unmögliche möglich gemacht hat. Erstaunlich, dass dieses… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Michael Palusch
Weiss
2 Jahre her
Antworten an  Michael Palusch

Was auch nie in BRD-Mainstreammedien erzählt wird, es war Frau Merkel, die Anfang 2015 den Vorschlag zum Bau der Pipeline unterbreitet hatte. Die Initiative ging also von Berlin ursprünglich aus und nicht von Moskau. Putin hat sich dann von Frau Merkel überreden lassen und eingelenkt. Das Dilemma ist jetzt, dass durch die Pipeline die US-Neocons enormen Duck auf die BRD ausüben können, was dann auch zur Folge hatte, dass sich Kiev gar nicht mehr auf das Minsk-Abkommen einlassen mußte. Berlin konnte so also gar keinen Gegendruck auf Kiev die letzten 7 Jahre bzgl. der Umsetzung von Minsk ausüben. Das wird… Mehr

Weiss
2 Jahre her
Antworten an  Thomas

Ich bin ja ein großer Anhänger von Trump, allerdings bin ich bei ihm nicht mit Allem einverstanden. Ziel sollte in meinen Augen eine neue europäische Friedensordnung in einem Militärbündnis mit Rußland sein. Europa droht die kommenden Jahre und Jahrzehnte eine afrikanische Invasion plus die Islamisierung… Einige Gebiete drohen zu kippen und es könnten Bürgerkriege dann wie einst im Libanon auch in Europa ausbrechen ? Europa könnte also wie der Nahe Osten zu einer Krisenregion werden und destabilisieren ? Deshalb halte ich eine Partnerschaft und Konfliktbeilegung mit Rußland für unumgänglich, weil es ums nackte Überleben Europas geht. Das Überleben der einheimischen… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Weiss
Thomas
2 Jahre her

Die wichtigsten Staatsführer der Welt stehen Schlange um mit Putin zu reden (Johnson hat schon einen Korb bekommen). Sieht für mich nicht nach einem abgehängten, isolierten, unbedeutenden Land aus.

Gerdt Novak
2 Jahre her

Die „Deutschland-ist-eine-Bananenrepublik“-Fraktion kann sich darüber aufregen wie sie möchten. Um aus dieser Situation herauszukommen müßte die BRD aufrüsten und in der Konsequenz die Amis nach Hause schicken.