Ruanda: Singapur Afrikas

Im autoritär regierten Ruanda gibt es keine Oligarchie, die alle Einkommensquellen des Staates kontrolliert und in die eigene Tasche wirtschaftet. Ein Beitrag von Volker Seitz.

© Getty Images
Kigali, Ruanda

Fünfundzwanzig Jahre nach dem Völkermord bietet Ruanda seinen Bürgern Frieden, eine florierende Wirtschaft mit wenig Arbeitslosigkeit und Gleichberechtigung. Ruanda entspricht ganz und gar nicht dem Klischee des hoffnungslosen Kontinents. Die Hauptstadt Kigali gilt heute als sicherste und sauberste Stadt Afrikas. Plastiktüten hat die Regierung schon vor Jahren verbannt. Es wurde unter der Führung von Paul Kagames zu einem Vorzeigebeispiel für ein Land in Afrika, das vorankommt, ein rarer Lichtblick. Gute Regierungsführung hat sich zum Nutzen der Bevölkerung ausgezahlt. Die Wirtschaft der jungen Nation boomt und die Lebenserwartung hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten verdoppelt. Der Anteil der Bevölkerung, die unterhalb der Armutsgrenze lebt, konnte in fünf Jahren um zwölf Prozentpunkte auf 45 Prozent gesenkt werden. Das Jahreseinkommen pro Kopf hat sich auf 2017 auf 723 US-Dollar erhöht. (Zum Vergleich die ungleich reichere Demokratische Republik Kongo 489 Dollar). Das ist der Verdienst der Regierung von Paul Kagame. Immer mehr in den Kriegswirren ausgewanderte Ruander kommen zurück.

Kagame war Anführer einer Rebellengruppe der Tutsi, der Rwandan Patriotic Front. Die Rebellenarmee nahm vor 25 Jahren nach Wochen blutiger Kämpfe die Hauptstadt Kigali ein und beendete so die Gewalt. Die Regierung von Paul Kagame besteht zu mehr als der Hälfte aus Hutus. Etwa 2 Millionen Menschen leben in der Hauptstadt Kigali. Hutu und Tutsi sind heute wieder Nachbarn. Unter den Überlebenden des Genozids gibt es offenbar kaum Hass und keine Rachegefühle. Verantwortliche wurden bestraft und Opfer erhielten materielle und symbolische Entschädigungen. Die Unterscheidung zwischen den Volksgruppen Hutu und Tutsi, die nie eine ethnische, sondern eine Frage des sozialen Status war, darf öffentlich nicht mehr thematisiert werden. In Artikel 11 der Verfassung steht: „Alle Ruanda sind gleich geboren und bleiben gleich in Rechten und Pflichten“ („Tous les Rwandais naissent et demeurent libres et égaux en droits et en devoirs“.)

Lebenswerte Bedingungen vor Demokratie

Afrikaner, die ich kenne, betrachten Kagame als vorbildlichen Modernisierer und Versöhner. Sie bezeichnen ihn in Anlehnung an Singapur als „aufgeklärten Autokraten“. Er ist beim Volk als Garant von Stabilität, bescheidenem Wohlstand und Wirtschaftswachstum beliebt. Bevor eine westliche Demokratie in Ruanda entstehen kann, müssen erst einmal lebenswerte Bedingungen geschaffen werden. Unter der Führung Kagames ist Ruanda eines der wenigen Länder Afrikas, das die vorgegebenen Ziele des Armutsabbaus erreicht hat. Größter Devisenbringer ist der Tourismus, weil die Regierung früh den Wert von Wildtier-Tourismus in den unberührten Wäldern erkannt hat und Reisen zu den Berggorillas geschickt vermarktet. 2016 hat Kigali 18 internationale Konferenzen beherbergt und ist damit nach Kapstadt und Marrakesch ein wichtiges Ziel für Geschäftstourismus. Die neuen Hotels Radisson Blue, Marriott, Park Inn by Radisson und Ubumbwe Grand Hotel haben die Hotelkapazitäten auf 8.000 Zimmer erhöht.

Hohe Ausgaben für Gesundheit und Bildung

Nicht weniger als 41 Prozent der nationalen Ausgaben fließen in Gesundheit und Bildung. Die Führung des Landes hat verstanden, wie stark der Wohlstand und Lebensqualität eines Landes von der Bildung abhängt. Der Zugang zu primärer Schulbildung ist für Jungen und Mädchen gewährleistet. Ruanda hat eine Einschulungsrate von nahezu 100 Prozent. Die Anstrengungen lohnen sich. Das Bildungsniveau ist ein zuverlässiger Gradmesser für die langfristige Wohlstandsentwicklung und Stabilität des Landes. Es spielt eine Vorreiterrolle bei gutem Regierungsmanagement. Es hat eine qualitativ hohe Bildungsinfrastruktur. Ausstattung wie auch Qualitätssicherung sind sehr gut und die Bevölkerung profitiert davon. Paul Kagame sieht in Singapur sein Vorbild. All die Erfolge, die sich Singapur zugutehält – die fehlende Korruption, effiziente Bürokratie und Wirtschaft, Schutz der Umwelt – gehören auch zu den Zielen der Regierung Ruandas.

Der Präsident schuf eine Leistungsgesellschaft, eine funktionierende Verwaltung und damit eine höhere Lebensqualität. Er reist immer wieder durch die Provinzen und hört sich die Anliegen der Bewohner an. Jeder Bürgermeister ist dem Präsidenten persönlich verpflichtet, Probleme in seinem Bezirk innerhalb eines Jahres zu lösen. Die Bürger werden über ihre Rechte und Gesetze informiert, welche staatlichen Dienstleistungen ihnen zustehen, und wo sie sie bekommen können. Kigali gilt als die sauberste Stadt Afrikas.

Ruanda wird straff regiert, aber seine Führung ist Dank einer verantwortungsvollen Politik, die das Gemeinwohl in den Vordergrund stellt, wichtiger Reformen, kluger Verwendung ausländischen Kapitals und der Entwicklungshilfe ein Ansporn für den Kontinent. Es ist ein autoritäres System, das soziale Reformen in Gang gesetzt und den Lebensstandard der Massen substantiell verbessert hat. Es ist eines der wenigen Länder Afrikas, wo Homosexualität als Privatangelegenheit angesehen wird.

Management-Positionen mit Einheimischen besetzt

Für seine Reformen wurde Präsident Kagame 2018 beim „All Africa Business Leaders Award“ zum „African of the Year“ ausgezeichnet. Das Wirtschaftswachstum betrug im vergangenen Jahrzehnt durchschnittlich acht Prozent. Und die ruandische Regierung versucht, Investoren ins Land zu locken. Wer mehr als 10 Millionen Dollar investiert, zahlt keine Unternehmensteuern, die Firmengründung ist vergleichsweise unkompliziert. Außerdem gilt das Land als relativ sicher. In einer Sonderwirtschaftszone in Kigali hat Volkswagen gerade eine kleine Fertigungsstätte eingeweiht. Kagames Regierung ist darauf bedacht, dass Management-Positionen vornehmlich mit Einheimischen besetzt werden. In Kigali wurde eine Sonderwirtschaftszone eingerichtet. Wer Produkte hier herstellt und ins Ausland exportieren will, zahlt keine Zölle. Die chinesische Dire Huajian Group plant eine Schuhfabrik mit mehr als 20.000 Mitarbeitern in Kigali.

Paul Kagame wird von westlichen Beobachtern gerne als „umstritten“ bezeichnet. Aber die positiven Resultate seiner Politik zieht kaum jemand in Zweifel. Ruanda hat sich unter seiner Führung in den vergangenen zwei Jahrzehnten schneller entwickelt als jedes andere afrikanische Land. Leute, die den Präsidenten ablehnen, seien schwerer zu finden als solche, die ihn feiern, schreibt die schweizer Journalistin Barbara Achermann in ihrem rundum lesenswerten Buch „Frauenwunderland“, Reclam 2018.

Die Kindersterblichkeit hat sich in diesem Zeitraum halbiert, die Zahl der Grundschüler verdreifacht. In nur wenig anderen Ländern weltweit haben Frauen mehr Einfluss als in Ruanda. Sie stellen 64 Prozent der Delegierten im Parlament, besetzen 40 Prozent der Ministerposten, stellen die Hälfte der Richter am Obersten Gerichtshof. Die Chefsessel des Außenamts, der Fluglinie Air Ruanda und der größten Bank, der Bank of Kigali, besetzen Frauen. Eine Quote schreibt einen Anteil von 30 Prozent Frauen der Angestellten auf allen Verwaltungsebenen vor. Die ebenbürtige Bezahlung von Mann und Frau ist in Ruanda kein Thema. Laut Weltwirtschaftsforum liegt Ruanda in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter auf Platz fünf, noch vor Deutschland auf Platz zwölf. Start-ups werden gefördert und finden, auch mit der Hilfe ausländischer Stiftungen, für sie zugeschnittene Büroräumlichkeiten und finanzielle Förderer für vielversprechende Projekte.

Mehr als 4.500 Kilometer Glasfaserkabel durchziehen das Land, das vollkommen auf E-Governance und Effizienz setzt. Auch die Abwanderung von ausgebildeten Ärzten oder Krankenschwestern ist in Ruanda offenbar die Ausnahme. Die medizinischen Berufe sind in Ruanda nicht nur geachtet, sie werden auch überdurchschnittlich gut bezahlt. Bisher hat Ruanda jährlich 300 Krankenschwestern ausgebildet. Die Zahl der Ausbildungsplätze an den Krankenpflegerschulen ist gerade verdoppelt worden. Und auch an den Universitäten ist die Zahl der Medizinstudienplätze stark erhöht worden.

Am 12. Oktober 2018 wurde die Außenministerin Louise Mushikiwabo zur Generalsekretärin der internationalen Organisation der Frankofonie (OIF) gewählt. Das ist ein starkes politisches Zeichen. Ruanda – das 2008 das Französische als Amtssprache durch Englisch ersetzt hatte – stellt das frankofone Erbe wieder in den Mittelpunkt.

Kritik kommt vor allem aus dem Ausland

Gerade in diesen Tagen versuchen einige notorisch-besserwisserische Kolumnisten die Politik des „aufgeklärten Autokraten“ Paul Kagame international herabzuwürdigen und relativieren die wirtschaftlichen und sozialen Erfolge in Ruanda. Aber die Stabilität kommt allen Nachbarstaaten zugute. Es fehlen grundlegende Freiheiten wie Presse- oder Versammlungsfreiheit. Auch gibt es keine offizielle Opposition. Aber das Positive überwiegt doch gewaltig, insbesondere wenn man die Lage in den weitaus reicheren Ländern, etwa in Nigeria, Kenia, Kamerun, Angola, Mosambik, Gabun und in den beiden Kongos betrachtet.

In Ruanda gibt es keine Oligarchie, die alle Einkommensquellen des Staates kontrolliert und in die eigene Tasche wirtschaftet. Die Lebensqualität ist gestiegen, Auswanderungswillige sind deshalb rar. Deshalb hält sich die Kritik an der Regierung von Paul Kagame im Land und in Afrika in Grenzen. Afrikaner anderer Staaten, die ich kenne, sehnen sie sich nach politischer wie ökonomischer Stabilität und wären bereit, dafür auf einen Teil ihrer Freiheit zu verzichten. Für viele Afrikaner, so zumindest mein Eindruck, wird der autoritäre Führungsstil durch den wirtschaftlichen Aufschwung legitimiert.

Delegationen aus Gabun, Togo, Senegal, Benin und Guinea haben sich in letzter Zeit in Kigali die Klinke in die Hand gegeben, um sich von der glänzenden Bilanz Ruandas in den Bereichen wirtschaftliche und soziale Entwicklung, Qualität der Regierungsführung und dem Kampf gegen Korruption inspirieren zu lassen. Die Präsidenten nicht nur dieser Länder zeigen ihre Bewunderung für die Erfolge Ruandas. Einstimmig haben seine afrikanischen Kollegen Kagame mit der Reform der Finanzierung der Afrikanischen Union beauftragt. Er beklagt, dass 98 Prozent der Aktivitäten der Organisation von Geldgebern außerhalb Afrikas finanziert werden. Das dürfe nicht so bleiben.


Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

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Kommentare ( 34 )

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flamma fraxina
4 Jahre her

„Paul Kagame wird von westlichen Beobachtern gerne als „umstritten“ bezeichnet.“
Das ist doch ein großes Kompliment, fast ein Ritterschlag, denn „umstritten“ bedeutet auf Neusprech nichts anderes als dass man trotz intensiven Stocherns nichts wirklich gegen Kagame finden konnte. Bzw. dass man sich nicht traut, ihn wirklich anzugehen, weils ja rassistisch wäre…

Teufelskralle
4 Jahre her

Dann ist Ruanda garantiert jetzt schon ein Hassobjekt für Schwarzrotgrün, wie alle Nationalstaaten, die sich rasant entwickeln. Dass Ruanda von fast 95 % Christen und nur 1,9 % Muslimen bewohnt wird, ist ein weiterer Grund für einen gemeinsamen Hass von Schwarzrotgrün und Islam auf dieses Land. Viel Glück Paul Kagame und Ruanda. Passt auf euch auf.

Lore
4 Jahre her

Das sehe ich auch so. „Bevor eine westliche Demokratie in Ruanda entstehen kann, müssen erst einmal lebenswerte Bedingungen geschaffen werden. “ Also, so eine Aussage geht ja gar nicht. WESTLICHE DEMOKRATIE ist das A und O, alles Andere ist so was von egal…(Bittere Ironie aus)

Marcel Seiler
4 Jahre her

Ich las einmal (und nur einmal!) einen Artikel, der den Genozid von Ruanda mit der Bevölkerungsexplosion in Zusammenhang brachte: es seien einfach Land und andere Ressourcen so knapp geworden, dass die Leute angefangen hätten, sich zu hassen. Das klang sehr glaubwürdig. Erheblich glaubwürdiger als moralische Erwägungen jedenfalls.

GermanMichel
4 Jahre her

Immer schön im US Einflußbereich bleiben, dann ist man nicht von den plötzlich aufwallenden Frühlingsgefühlen impulsiver Rasierverweigerer bedroht ….

merkelinfarkt
4 Jahre her

Mit Autokratin Merkel würden sich in Ruanda heute neben Tutsi und Hutu mindestens zwei weitere millionenstarke Immigrantengruppen die Köpfe gegenseitig einschlagen und auch die letzte Infrastruktur auf den Hund kommen während in den Medien das politische „Nichts“ als höchste Staatskunst und Moral verherrlicht würde. Wenigstens in Sachen Staatsführung haben die schon länger in Ruanda Lebenden seit 2005 offensichtlich mehr Glück als die Deutschen.

GermanMichel
4 Jahre her

Hören sie bloß auf mit diesen Fragen nach WIE und WARUM!
Der Westdeutsche fragt sich schon seit Jahrzehnten „WIE konnte unter Adolf eine ganze Gesellschaft in den Ideologiewahn abgleiten“, und irgendwann hatten die Götter das ewige Gefrage satt, jetzt kriegen wir es first hand demonstriert wie so eine Gleichschaltung funktioniert, und wie schnell das alles geht.

Also bloß nicht nach Genozid und WARUM fragen, vielleicht kommen unsere Nachfolger hier in Deutschland/Europa sonst noch auf dumme Gedanken.

Boadicea
4 Jahre her

So einen wie Paul Kagame brauchen wir hier! Die Korruption explodiert in der EU.

azaziel
4 Jahre her

Richtig! Es ging um das Mineral Coltan, welches zu Zeiten des Konflikts eine herausragende strategische Bedeutung hatte. Die Miniaturisierung der Elektronik kam nicht ohne Tantalum aus. Damals lagerten 80% der abbaubaren Reserven im Ostkongo, Ruanda und Burundi. Es waere wirklich ueberraschend, wenn die Maechte der Welt diesem Konflikt unbewegt aus der Ferne zugeschaut haetten. Ob Tantalum inzischen durch andere Stoffe ersetzt werden kann und ob es inzischen weitere Vorkommen gibt, entzieht sich meiner Kenntnis.

azaziel
4 Jahre her

Es wundert mich, dass weder der Autor, noch die Kommentatoren naeher auf die Wirtschaftsform eingehen. Um ein sozialistisches Modell handelt es sich hier jedenfalls nicht 😉