Konferenz Xi und Biden: Der Steuermann trifft den Vizepräsidenten

Xi hat keine Amtszeitbegrenzung und seine Herrschaft stärker denn je fundamentiert. Er wird auch noch Bidens Nachfolger gegenüberstehen. Der US-Präsident dagegen ist bereits nach einem Jahr im eigenen Land angezählt und hat traditionelle Hochburgen seiner Partei verloren.

IMAGO / Xinhua
Chinese President Xi Jinping meets with U.S. President Joe Biden via video link

Dreieinhalb Stunden dauerte das Gespräch – länger als geplant. Ein Geplänkel vorab verdeutlicht die Entfremdung zwischen den Teilnehmern. Als Vizepräsident unter Barack Obama stand Joe Biden im regen Kontakt mit Xi Jinping, der damals Vizepräsident der Volksrepublik war. Biden macht keinen Hehl daraus, dass er das heutige chinesische Staatsoberhaupt besser kennt als jeder andere Regierungschef. Die Frage, ob Biden deswegen einen „alten Freund“ treffen würde, verneinte seine allgegenwärtige Pressesprecherin Jen Psaki. Doch bei der Begrüßung Bidens durch den chinesischen Kollegen nannte Xi ihn genau so: einen alten Freund. Es erinnert an lang vergangene Bekanntschaften, die man nach Jahren wiedertrifft, während man weiß, dass der eine nicht mehr die Ansichten von damals teilt. Wie bei einer ersten Begegnung muss man das Terrain neu austarieren. China und die USA haben sich gewandelt; das schließt ihren Einfluss, ihr Selbstbewusstsein und ihr Verhältnis zueinander ein.

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Die westlichen wie östlichen Medien betonen den versöhnlichen Aspekt. Diplomatische Floskeln bestimmten die Atmosphäre. Biden sprach davon „Kommunikationskanäle offenzuhalten“, von „Leitplanken des gesunden Menschenverstands“ sowie davon, dass der „Wettbewerb zwischen unseren Ländern nicht in einen Konflikt ausartet, ob gewollt oder ungewollt“. Xi erwiderte auf einer ähnlichen Ebene: man müsse „Kommunikation und Kooperation stärken“, die „Riesen-Tanker“ USA und China dürften nicht zusammenprallen, sondern müssten eine „friedliche Koexistenz“ anstreben. Nach offizieller Ansicht handelte es sich um ein Gespräch, dass offen und respektvoll zwischen den beiden mächtigsten Männern der Welt ablief.

Die weichen Töne haben ihre Notwendigkeit. Das Verhältnis zwischen den Weltmächten war seit der Aufnahme der Beziehungen im Jahr 1979 noch nie so angespannt. Niemand hatte vor der Videokonferenz mit Vereinbarungen oder gar einem „großen Wurf“ gerechnet. Bereits die Beschwörung des Friedens kann mittlerweile als Erfolg verbucht werden. Ein Pentagonbericht über die chinesische Militär- und Sicherheitspolitik hatte Anfang November vor dem Ausbau des Marinepotenzials und des Nukleararsenals der Volksrepublik gewarnt. Bis 2030 könnte China demnach rund 1.000 Atomsprengköpfe aufbauen – mehr, als das Pentagon im Vorjahresbericht prognostizierte. Der Ausbau von Streitkräften zu Wasser und zu Luft sichere zudem Chinas wachsendes Potenzial als global agierende Supermacht, die bereits jetzt über die indo-pazifische Region hinausstrahle.

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Die anberaumte Kooperation beim Klimaschutz und der Bekämpfung der COVID-Pandemie kann daher nicht über die bestimmenden Themen hinwegtäuschen. Die Taiwan-Frage bleibt bestimmend. Sie steht stellvertretend für die Machtprobe im Pazifik. Biden hat betont, dass die USA ihre Werte verteidigen würden: das gelte für Taiwan, Hongkong und Xinjiang. Hier zog Xi eine deutliche rote Linie. „Wenn die Unabhängigkeitskräfte in Taiwan provozieren und die rote Linie durchbrechen, müssen wir energische Maßnahmen ergreifen“, sagte er. China machte ein konstruktives Vorgehen beider Mächte von der Nichteinmischung in seine Angelegenheiten abhängig: „Natürlich muss China seine eigene Souveränität, Sicherheit und Entwicklungsinteressen schützen.“

Ein prinzipieller Streitpunkt ist genau jenes Thema, das angeblich der Versöhnung dient: nämlich der status quo. Beide Länder beharren darauf, dass die Beibehaltung des status quo gleichbedeutend mit Frieden und Kooperation sei. Das Problem bildet jedoch eine jeweils andere Definition des status quo. Für die USA bedeutet er die Unabhängigkeit Taiwans, die Beibehaltung des westlichen Systems in Hongkong, die Zurechtweisung Chinas in seine direkte geopolitische Sphäre, kurz: die Beibehaltung der US-Hegemonie in Ostasien. Für China bedeutet jedoch derselbe ausgesprochene status quo die Nichteinmischung in seine eigenen Angelegenheiten, worunter auch Taiwan fällt, das nach eigener Darstellung zur Volksrepublik gehört. Für Peking ist die „Förderung“ einer taiwanesischen Unabhängigkeit die Störung der Harmonie, wie überhaupt die Verteidigung liberaler und demokratischer Werte gegen den status quo gerichtet sind – aus US-Sicht tun die Amerikaner dagegen das, was sie seit Jahrhunderten tun.

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Den Gipfel dieser Verirrung von Definitionen findet sich in der merkwürdigen Ansage Bidens, er beharre auf der „Ein-China-Politik“ seiner Vorgänger – was auch immer das heißen soll. Für die chinesische „Global Times“ war das eine Zusicherung, dass Taiwan Pekings Angelegenheit bleibe, und dass sich Washington nun an das eigene Wort halten solle. Zitat: „Es ist zu hoffen, dass dies eine positive Rolle bei der Unterdrückung der Absprachen zwischen den USA und Taiwan spielen wird, um die politische Grundlage für Frieden und Stabilität über die Taiwanstraße hinweg zu untergraben und zu eskalierenden militärischen Spannungen zu führen.“ Kann das Bidens Absicht gewesen sein? Eine andere Option, dass Biden sich auf die Idee „eines Chinas“ mit „zwei Systemen“ berufe, wie es für die liberalen Teile Macao, Hongkong, und zukünftig vielleicht Taiwan anberaumt wurde, ist eine ebenso problematische Interpretation, zeigt doch gerade das Beispiel Hongkongs, wie viel diese Zusicherung in der Vergangenheit wert war.

Die „Global Times“ bieten auch einen Schlüssel zur Interpretation des Treffens aus der Sicht der Kommunistischen Partei. Offensichtlich hatte man sich mehr erwartet – insbesondere in Handelsfragen. „Die USA müssen ihre toxische Handelspolitik jetzt mehr denn je ändern“, titelt das Blatt. Heißt: runter mit den Zöllen und fort mit dem Protektionismus, der den amerikanischen Markt vor dem chinesischen schützt. Die Abschottung der amerikanischen Wirtschaft wird von China als Affront aufgefasst, als Misstrauen gegenüber den Absichten Pekings und natürlich des freien Wettbewerbs als solchem, den die USA sonst weltweit propagieren. Diese Strategie belastet die Volksrepublik offensichtlich sehr. Mit drohendem Zeigefinger wird deshalb auf den Abschluss des Treffens hingewiesen: „China und die USA stehen nun an einem entscheidenden Scheideweg: Stehen sie auf einem neuen Kalten Krieg oder beginnt eine neue Ära der Großmächtebeziehungen? Durch diesen Videogipfel erklärten die beiden Staatschefs, dass sie einen neuen Kalten Krieg ablehnen. Wir hoffen, dass dies eine strategische Erklärung ist, und wer auch immer dagegen verstößt, ist ein Sünder.“

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Auffällig ist daher, wie wenig Biden bisher von der China-Politik seines Vorgängers abgerückt ist. Bisher deutet nichts auf ein Ende der antichinesischen Handelspolitik der USA hin. Fast hat man den Eindruck, die Washingtoner Administration habe einen Mann wie Donald Trump gebraucht, der als enfant terrible die überlebte Zusammenarbeit mit Peking beendete, um die entscheidende Wende für den Kalten Krieg im Pazifik einzuleiten. Protektionismus und Absteckung der Interessensphären waren demnach keine unberechenbare Laune der US-Außenpolitik. Teile des US-Establishments dürften froh sein, dass der New Yorker den undankbaren Job übernommen hat, die Weichen zu stellen.

Doch für eine Durchsetzung einer solchen Politik braucht es auch eine richtige Führung. Xi wurde kurz vor dem Gespräch auf eine Stufe mit dem großen „Steuermann“ Mao Zedong gestellt. Xi hat keine Amtszeitbegrenzung und hat seine Herrschaft stärker denn je fundamentiert. Er wird auch noch Bidens Nachfolger gegenüberstehen. Der US-Präsident dagegen ist bereits nach einem Jahr im eigenen Land angezählt und hat traditionelle Hochburgen seiner Partei verloren, während er den außenpolitischen Herausforderungen kaum gewachsen scheint. Eine Trump-Politik kann man nur mit einem Donald Trump betreiben. Während Xi mittlerweile zum Herrscher der Volksrepublik aufgestiegen ist, ist Biden vom Format immer noch Vizepräsident geblieben. Initiativen in den chinesisch-amerikanischen Beziehungen werden in der nahen Zukunft im Zeichen des Drachen stehen – ob positiv oder negativ.

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Kommentare ( 5 )

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Georg J
2 Jahre her

Biden ist extrem schwach und inkompetent, XI und Putin sind starke und kompetente Führer. Das liegt nicht an einem Fehler der Demokratie, im Gegenteil, wenn nicht megareiche Oligarchen den US-Präsidenten mit ihren Spenden auswählen würden, sondern nur die Wähler, dann hätten die USA mit Tulsi Gabbardt eine brilliante Präsidentin bekommen können. Die Demokratie ist das erfolgreichere System, aber sie muss ihre Kräfte entfalten können, unabhängig vom Kapital.

Last edited 2 Jahre her by Georg J
EinBuerger
2 Jahre her

Die USA können Taiwan aufgeben, sie können sich aus Ostasien zurückziehen, aber ihre Wirtschaft absteigen lassen, das können die USA nicht. Ganz egal, wer Präsident ist. It’s the economy, stupid, die in den USA am Ende zählt.
D.h. ihre Wirtschaft werden die USA auf jeden Fall gegen China schützen.

Ticinese
2 Jahre her

»Für die amerikanischen Politologen Hal Brands und Michael Beckley besteht das Problem nicht darin, dass China die USA bald an Macht übertreffen könnte, ganz im Gegenteil. China nähere sich bereits seinem Höhepunkt, und Peking müsse nun befürchten, den besten Moment für eine militärische Lösung der Taiwan-Frage zu verpassen. Dies mache einen baldigen Konflikt wahrscheinlich.« (NZZ)

thinkSelf
2 Jahre her

Biden hat nicht das Format eines Vizepräsidenten, sondern findet inzwischen ja nicht mal mehr alleine das Klo. Das Problem der Biden Administration ist, das der gesamte Apparat auch nicht besser funktioniert als der schwer demente Präsidentendarsteller. Trump und seine Administration hat erkannt wie schwach die USA inzwischen tatsächlich sind. Das Land verarmt und ist seit Jahrzehnten nicht mehr in der Lage sich selbst zu versorgen. Während China ihm nach und nach den letzten Lebenssaft aus dem Leib saugt. Er weiß das und hat deshalb an vielen Stellen die Reisleine gezogen hat und versuchte einen Entkoppelungsprozess einzuleiten. Dabei hat er allerdings… Mehr

Frank Sebnitz
2 Jahre her

Catay, Zipango und andere ostasiatische Staaten!

Liebe Visegrad Staaten,

Von Tschechien lernen heißt hinsichtlich der Einwanderung von nichteuropäischen Ersatzenkel in Wahrheit siegen lernen!

Woher ich das weiß?

In meinem tschechischen Nachbarort in nur 1,4 km Entfernung von meiner Wohnung sind sagenhafte 30 bis 50 Prozent der Gesamtbevölkerung allesamt Nichteuropäer genannt Vietnamesen!

Und diese Leute sind in Tschechien auch wirklich unfassbar populär!

Und das auch völlig zurecht!

Und nun WISSEN Sie auch, was Sie selbst persönlich als nächstes zu tun haben!