Hongkong: Die Freiheit stirbt im Kopf und im Geldbeutel

Elf Wochen andauernde Proteste haben Hongkong in eine schwere Krise gestürzt. Inzwischen fordern die Demonstranten die Zentralregierung in Peking heraus. Dabei ist China längst wirtschaftlich nicht mehr von Hongkong abhängig und Länder wie Deutschland orientieren sich nach Umsatz, nicht an Freiheit.

Anthony Kwan/Getty Images

Der Konflikt zwischen den Demonstranten in Hongkong und China beginnt weltweit auszugreifen: Aktuell mit der Hongkonger Fluggesellschaft Cathay Pacific auf die „One World Alliance“ internationaler Fluggesellschaften, zu der auch British Airways, Japan Airlines und American Airlines zählen. Cathay Pacific-Chef Rupert Hogg legte sein Amt nieder, nachdem er von China aufgefordert worden war, Mitarbeiter zu denunzieren, die mit den Demonstranten angeblich sympathisieren. Hogg soll zwar eine Liste der politisch Unzuverlässigen vorgelegt haben – aber darauf stand nur sein eigener Name. Bezeichnend: Sein Rücktritt wurde vom chinesischen Staatsfernsehen CCTV 30 Minuten früher gemeldet als von Cathay Pacific – ein Hinweis darauf, wer dort das Sagen hat: Jedenfalls nicht Unternehmensleitung oder die Aktionäre und schon gar nicht Hongkong, wovon aus Cathay  operiert. Und Nachfolger Augustus Tang Kin-wing erklärte sofort, er werde nur in vollständiger Übereinstimmung mit Chinas Regelungen zur guten Unternehmensführung handeln.

Die Blockaden des Hongkonger Flughafens hatten entsprechende Auswirkungen auf die Partner von One World: Allein am ersten Montag der Blockade mußte British Airways ab Mittag sämtliche Flüge von London nach Frankfurt streichen – Hongkong ist eine wichtige Drehscheibe von British Airways und eine Störung dort blockiert das gesamte Netz – auch im fernen Europa. Die Flughafen-Hotels in London Heathrow sind seither eine Art Luxus-Flüchtlingslager für Reisende nach Hongkong. Und selbst am Frankfurter Flughafen mußten Passagiere bis zu einer Stunde nach der Landung warten, bis sie austeigen konnten: Auch Frankfurt war überfordert mit den Folgen der Verzögerung made in Hongkong.

China zeigt seine Muskeln

China gibt mittlerweile nicht nur politisch, längst auch wirtschaftlich und nicht nur bei Cathay Pacific den Ton an. Das war nicht immer so. Schaut man sich die Wirtschaftsleistung an, dann hat 1993 das gesamte Milliardenreich China nur eine vier mal so hohe Wirtschaftsleistung wie Hongkong. Von der gemeinsamen Wirtschaftskraft entfielen 27 Prozent auf Hongkong. Heute sind es nicht einmal mehr 3 Prozent. Hongkong ist nicht mehr die Fabrik oder Bank Chinas, sondern wirtschaftlich allenfalls noch der Blinddarm, Shanghai unvergleichlich wichtiger als Hongkong. Angela Merkel, die bei früheren Besuchen in China immer die Menschenrechtsfrage adressierte, ist merkwürdig still und teilnahmslos. Längst hat sich auch Deutschland in die wirtschaftliche Abhängigkeit von China begeben, wie das Beispiel der Automobilindustrie zeigt: Die drei deutschen Autokonzerne Volkswagen, BMW und Daimler verkauften in China 2018 gut 5,5 Millionen Pkw, wie aus einer Analyse der Unternehmensberatung Ernst&Young hervorgeht und erreichten einen Marktanteil von einem Viertel. Das gibt man nicht so gerne auf.

  • Volkswagen inklusive Audi und Porsche hat dort seit dem Jahr 2011 seine Absätze um 85 Prozent erhöht und setzt als Marktführer nunmehr bereits 40 Prozent seiner weltweit verkauften Pkw ab (Fachleute sprechen von der „Marktrelevanz“).
  • Bei Audi beträgt die Marktrelevanz bereits 32 Prozent, während BMW und Daimler auf 24 bzw. 21 Prozent kommen. Letztere konnten ihre Verkäufe in China um mehr als 150 Prozent steigern (seit 2011).
  • „Die deutschen Hersteller sind hier nicht allein. General Motors kommt sogar auf eine Marktrelevanz von 42 Prozent, Honda und Nissan realisieren dort 28 bzw. 26 Prozent ihrer globalen Verkäufe. Tesla setzt in China immerhin 12 Prozent seiner Fahrzeuge ab“, so Stefan Bratzel.

Verzweifelter Ruf nach Freiheit

Eher verzweifelt wirkt da der Versuch von einigen Hongkong-Chinesen, die sich eine Einmischung der EU-Nationen und Deutschlands ausdrücklich wünschen. „Hongkong fällt“, so sind ganzseitige Zeitungsanzeigen überschrieben: „Der letzte Kampf für die Freiheit – wir brauchen Ihre Hilfe“. Aber Deutschland braucht längst Geld aus China. Die globalen Machtverhältnisse haben sich gewendet, auch politisch und moralisch: Deutschlands Rolle als Musterknabe in Sachen Demokratie und Menschenrechte ist in China zumindest nicht mehr besonders glaubwürdig.

Deutschland würde sich wahrscheinlich auch sehr wundern, würde sich das politische China plötzlich unter Staatspräsident und KP-Chef Xi Jinping in Deutschland einmischen und permanent diplomatische Noten abgeben, weil durch die Migration vieler männlicher Zuwanderer in die Bundesrepublik ein Unsicherheitsfaktor in den Innenstädten entstanden sei und die chinesischen Expatriates oder Touristen sich nicht mehr sicher fühlten. Immerhin waren es fünf chinesische Touristen, die im fränkischen Ansbach von einem vorgeblich minderjährigem „Flüchtling“ mit einer Axt schwer verletzt und für ihr gesamtes Leben verstümmelt wurden.

Im Übrigen klagen bereits chinesische Reisende aus Hongkong und Festlandchina etwa in Frankfurt, Deutschland habe sich zum Schlechten entwickelt, und verwiesen meist auf die arabisch sprechende Männergruppen in Fußgängerzonen und Bahnhofshallen. Deutschland wirkt wie ein Anti-Modell auf sicherheitsbewusste Chinesen – und chinesische Medien schlachten das höhnisch aus. Und dass in Sachsen die wichtigste Oppositionspartei nur in begrenzter Zahl zur Wahl antreten darf – auch das wird in China aufmerksam und spöttisch registriert.

Ein Erfahrungsbericht

TE-Autor Deriu schreibt dazu aus eigener Erfahrung:

„Hongkong ist und war in der Tat immer eine weltoffene und selbstbewusste, ja pulsierende Metropole mit Sonderstatus. Meine Frau und ich lebten fast sechs Jahre in Hongkong, etwas außerhalb am Wasser. Mein älterer Sohn ist 2004 auch dort geboren – und wir fühlten uns dort  immer wohl. Auf engstem Raum bei knapp über 7 Millionen Menschen fühlten wir uns selten so sicher als anderswo auf der Welt. Friedliche Menschen, achtsam, offen, obwohl diese Metropole sicher auch anonym und nur Business orientiert wirken kann.

Genau das aber zeichnet Hongkong und dessen Bewohner auch aus, sie sind fleißig, suchen sich ihre Arbeit, wechseln diese zwar auch oft, aber sie sind immer stolz, ihr Auskommen zu haben (haben zu müssen). Arbeit und Bildung, und auch Wohlstand zeichnete die Hongkonger aus.

Als ich anno 2001 als Dozent und School-Counsellor (Schulsozialarbeiter an der German-Swiss-International-School) begann, später führte mich meine Tätigkeit auch an die Hongkong University, kam ich mit vielen Studenten und auch Kursteilnehmern aus Hongkong ins Gespräch, die Übergabe Hongkongs, also das Handover des Vereinigten Königreiches an China, war gerade mal vier Jahre her.

Und es schien, als würde es die Mehrheit der Hongkonger begrüßen, auch Jahre später noch (zwischendurch berichtete ich als Radiokorrespondent von der kurzzeitigen SARS-Krise, der Lungenkrankheit in Hongkong und China, sowie von anderen Ereignissen), dass sie nun zwar „irgendwie“ für sich selbst verantwortlich, aber doch unter dem Dach Chinas vereint seien.

Ja, ihr Selbstbewusstsein war sogar gewachsen, weil auch China zur wirtschaftlichen Großmacht weltweit aufgestiegen war. China wurde global geachtet und bewundert, trotz „Ideenklau“ und Nachahmungen deutscher und internationaler Produkte, aber vor allem für sein Talent und Können, Tradition (Konfuzius) mit der Modernen und dem Kapitalismus zu verbinden, und das mit einer kommunistischen Partei. Eine Art konsumorientierter Kommunismus wurde kreiert.

Nur wenige meiner Bekannten, die sich damals mehr mit den USA oder Kanada identifizierten, wohin die Eltern einst ausgewandert oder sie selbst zum Studieren gezogen waren. Sie fühlten sich als (Hongkong-)Chinesen.

In Hongkong sollte weiterhin das Konzept und die Politik des eines Landes und der zwei Systeme bis 2047 gelten, das “one country, two systems”, worauf die Hongkonger auch immer so stolz gewesen sind. Der pensionierte und ehemalige Richter am höchsten Gerichtshof, Henry Litton, meldete sich in der South China Morning Post (SCMP) zu Wort, und seine fundierte Analyse rät auch den Demonstranten und deren Leader, darunter der junge Joshua Wong, sie sollten auf dieses politische Versprechen und den Vertrag in aller Sachlichkeit hinweisen, aber der Regierung in China auch zeigen, dass dieses spezielle System vielleicht auch über 2047 hinaus funktionieren könne.

Der zwar gewählten, aber personell aus Peking vorgeschlagenen Hongkonger Stadtregierung riet der ehemalige Richter, auf die Befürfnisse der Menschen in Hongkong besser einzugehen. Auch in Hongkong sei die Kluft zwischen den Privilegierten und ärmeren Schichten gewachsen. Der Frust entlädt sich nicht immer nur wegen politischer Gesetze.

Henry Litton wies aber auch generell daraufhin, an die beiden Regierungseliten gerichtet, dass es zwei Gewissheiten gäbe, „Eine von ihnen ist folgende: Das allgemeingültige Gesetz, auf das man sich verständigt, das den „Kernwerten“ Hongkongs zugrunde liegt, soll in 27 Jahren auslaufen. Und, es gibt (leider) keinen Mechanismus im Grundgesetz, nach dem das System über den 30. Juni 2047 hinaus bestehen kann. Alle Forderungen nach Freiheit und Demokratie haben keine Bedeutung, wenn das jetzt allgemeingültige Gesetz zerfällt.“

Deshalb, nicht nur an die Regierungen gerichtet, mahnte er auch die Demonstranten, wenn ihnen ihre Ziele wirklich wichtig sind und sie diese auch schätzen, sollten sie an der Erhaltung des derzeitigen Systems arbeiten und auch eine Atmosphäre fördern, in der sich auch Peking wohl fühlte, damit das Grundgesetz gegebenenfalls um weitere 50 oder 100 Jahre verlängert werden könne.“

Brüssel, immerhin, protestiert

Währenddessen zeigte sich die EU mit Noch-Außensprecherin Federica Mogherini, diplomatisch überfordert, indem sie mahnt, die rechtlich verankerten Bürgerrechte in Hongkong nicht anzutasten. Das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“, das Hongkong einen hohen Grad an Unabhängigkeit gewähre, müsse erhalten bleiben, erklärte Mogherini im Namen aller EU-Außenminister. Europa habe starkes Interesse an Stabilität und Wohlstand in Hongkong. Aber hat China ein Interesse an Brüssel? Demonstrativ eher nein. Längst hat der wirtschaftliche Riese Einzelabkommen mit der Hälfte der EU-Staaten abgeschlossen, sogar mit dem vergleichsweise großen Italien, kauft Griechenlands Häfen und Deutschlands High-Tech-Industrie wie den Roboterhersteller Kuka. Was also will Brüssel?

Die nunmehr elf Wochen andauernden Proteste haben die chinesische Sonderverwaltungszone in eine schwere Krise gestürzt. Anfangs richteten sich die Demos gegen die prochinesische Stadtregierung mit Regierungschefin Carrie Lam. Inzwischen aber möchten die Demonstranten die Zentralregierung in Peking herausfordern, die wiederum auf alles vorbereitet ist. Immer mehr Unternehmen klagen zudem über diesen untragbaren Zustand der Gewalt auf beiden Seiten und Verwüstungen in der Innenstadt. Die Zentralregierung in Peking hat einige Vergehen auf den Kundgebungen bereits als schwere terroristische Akte eingestuft.

Vielleicht fällt Hongkong. Deutschland wird zuschauen, denn längst gilt in der Berliner Regierung Pekings autokratisches Regierungssystem als Vorbild. Freiheit stirbt immer zuerst im Kopf und Geldbeutel.

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