Martialisches Motto, differenzierter Ton: Die Konferenz "Battle for the Soul of Europe" versammelte Anfang Dezember Denker und Politiker, die eine Erneuerung des Konservatismus anmahnten, um sowohl die Europäische Union als auch den Kontinent aus der Krise zu reißen.
MCC Brussels
Prophetischer hätten die Veranstalter Zeit und Ort ihrer Konferenz kaum wählen können: Einen Tag nach der Festnahme der hochrangigen EU-Politikerin Federica Mogherini aufgrund von Korruptionsverdacht versammelten sich in Brüssel Wissenschaftler, Intellektuelle, Politiker und Aktivisten aus ganz Europa, um ein Gegenmodell zur technokratischen EU-Bürokratie zu skizzieren.
Der Titel der Tagung, Battle for the Soul of Europe, ist ebenso programmatisch wie die Wahl Brüssels als Veranstaltungsort. Unter den Augen des EU-Establishments, das die ideellen Grundlagen der Europäischen Union selbst als Feigenblatt kaum noch in Erwägung zieht, wird die Existenz der EU hier nicht nur mit politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Strukturen identifiziert, sondern mit einer immateriellen „Essenz“ verknüpft – einer Seele.
Das ist bemerkenswert. Denn es ist durchaus üblich, sich auf eine europäische „Idee“ zu berufen. Auch dies würde neben historischen Aspekten geistige und moralische Gesichtspunkte einbeziehen. Doch dem MCC Brüssel, Gastgeber der Tagung, war das offensichtlich nicht genug.
Der konservative Think Tank, ein Ableger des ungarischen Mathias Corvinus Collegiums, setzt mit dem Begriff „Seele“ den maximalen Kontrapunkt zur spürbar seelenlosen EU-Bürokratie.
Hat Europa eine Seele?
Dies erntet auf der Tagung allerdings keineswegs durchgehend Zuspruch. Zwar vertreten viele Redner engagiert die These einer europäischen Seele und gewinnen ihr inspirierende Erkenntnisse ab. Den ehemaligen tschechischen Präsidenten Václav Klaus hält das jedoch nicht davon ab, eine Personifizierung Europas strikt abzulehnen: Etwas launisch mahnt er zu Pragmatismus. Europa bezeichne die Ansammlung verschiedener Völker mit teils übereinstimmenden Interessen.
Doch seine Sorge erweist sich als unbegründet: Keineswegs brechen sich auf dieser Tagung Pathos oder wirklichkeitsfremder Idealismus bahn. Vielmehr zeigt sich, dass Ratio nicht auf Empirie oder eine materielle Ebene reduziert werden sollte. Interessanterweise wird dies ausgerechnet im Panel zur Wirtschaftsordnung besonders deutlich: „Jeder Mensch braucht einen Grund, um morgens aufzustehen“, sagt Ralph Schoellhammer, und weist auf Frustration und mangelnde Innovationskraft hin: Motivation und Kreativität – zwei Parameter, die sich nicht verordnen lassen, und die sich auch über interessengeleitete Politik nicht vollumfänglich erfassen ließen.
Glaube an die Meinungsfreiheit
Der brüske Affront Klaus‘ gegen die Grundauffassung, die im Titel der Konferenz zum Ausdruck kommt, ist dennoch nicht unwillkommen. Es zeigt sich, dass „Konservative“ – ohnehin ein wenig treffender Sammelbegriff für teils sehr unterschiedliche Haltungen – nicht gegen linke Meinungshegemonie sind, weil diese nichtlinke Ansichten marginalisiert, sondern weil sie an Meinungsfreiheit und -vielfalt tatsächlich glauben.
„Mehr Debatte“, nicht weniger, ist denn auch ein Wunsch, der von Teilnehmern im persönlichen Gespräch geäußert wird: Echte Auseinandersetzung statt selbstgenügsamer Meinungsharmonie.
Martialisches Motto, sanfter Habitus
Doch anders als der martialische Titel vermuten lässt, wird der Kampf um die Seele Europas hier größtenteils in akademischem Duktus ausgetragen – sachorientiert, fast vollkommen frei von Polemik, moderat in der Wortwahl, um Differenzierung bemüht.
Claire Fox, Abgeordnete des House of Lords, warnt davor, dass Meinungsfreiheit zum bloßen Slogan verkommen könne, den Konservative für sich in Anspruch nehmen, ohne sie anderen zuzugestehen. In der Debatte um Migration und Islamisierung fehlt es nicht an unmissverständlichen Aussagen, die dennoch ohne ethnochauvinistische Töne auskommen. Unter anderem mit Hinweis auf das dänische Modell wird der Pathos des radikalen Identitarismus nebenbei aus den Angeln gehoben. Denn es braucht nicht einmal maximale Radikalität, um Einwanderung effizient zu begrenzen – sondern lediglich die Bereitschaft, den Willen der eigenen Bevölkerung umzusetzen.
Obwohl zahlreiche (ehemalige) Politiker und auch EU-Abgeordnete vor Ort sind, gerät kaum ein Vortrag zum politischen Manifest. Eher scheint es, als würden auch die anwesenden Parlamentarier genießen, hier in ihren wissenschaftlichen und intellektuellen Kapazitäten gehört zu werden. Die Vorträge sind kurz, gehaltvoll, ehrlich.
Natürlich kommen die Verfehlungen der EU ausgiebig zur Sprache, insbesondere im Bereich der Wirtschafts- und Migrationspolitik. Die Verantwortlichen des Brüsseler Systems würden sich zwar als Pro-Europäer bezeichnen, lässt Fidesz-Politiker András László verlauten. Angesichts des Schadens, den sie anrichten, stelle sich jedoch eher die Frage, was dann als „antieuropäisch“ zu gelten habe.
Trotz der unvermeidlichen Auflistung EU-politischer Fehlleistungen leisten sich die Beteiligten keinen Anflug von Larmoyanz. Statt Opfermodus wählen sie die Offensive.
Nicht gegen Europa, sondern für ein anderes Europa: Das macht auch Lászlós Parteikollege Balázs Hidvéghi klar: „Wenn wir in Ungarn über die EU reden, sprechen wir immer von ‚Brüssel‘‚ nicht von der ‚Europäischen Union‘; denn die Europäische Union basiert auf einer edlen Idee“. Hört man die Vorträge der ungarischen Redner, genügen wenige Minuten, um zu begreifen, wie absurd die mainstreammediale Darstellung Ungarns als europafeindliches Schmuddelkind ist.
Ein Imperium der Heimatlosen
Wer für nationale Souveränität einsteht, ist kein Spalter; wer nationale Identität erhalten will, wendet sich damit nicht gegen ein europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl, sondern schafft überhaupt die Voraussetzungen dafür. Das ist ein wiederkehrendes Motiv auf der Battle for the Soul of Europe: „A continent of little everywheres becomes an empire of nowhere“ fasst die Politologin Monika Bartoszewicz in einem brillianten Kurzvortrag zusammen.
Europäische Städte glichen immer mehr „kleinen Istanbuls, kleinen Islamabads, kleinen Karachis“. Aber ein Kontinent der kleinen „Irgendwos“ würde letztlich zu einem „Imperium des Nirgendwo“: Eine unbestimmte Entität, die nicht mehr durch geteilte Werte bestimmt würde, sondern durch Technokraten. Multikultiralismus habe das Versprechen gegeben, man könne Kulturen nivellieren und austauschbar machen. Die Ergebnisse dieses Versuchs seien nun sichtbar, das Experiment habe sich als gescheitert erwiesen.
In wenigen Minuten stellt Bartoszewicz das Projekt der Europäischen Union vom Kopf auf die Füße: Die Person, nicht die Institution habe an erster Stelle zu stehen. Relevant sei zuerst die Bedeutung, die hinter einer Struktur liegt, nicht die Struktur an sich.
Eine kritische Note, die sich nicht nur an linke Ideologen richtet, sondern auch in den eigenen Reihen jene in die Pflicht nimmt, die einer entkernten Zivilisation das Wort reden: Konservatismus, der Freiheit, Werte, Recht oder wirtschaftlichen Erfolg verabsolutiert, als letztgültige und sinnstiftende Ziele betrachtet und damit den Menschen, um derentwillen und durch die Institutionen und Systeme überhaupt bestehen, nicht gerecht wird.
Ist Europas Seele krank?
In einem weiteren Höhepunkt der Konferenz diagnostiziert Patrick Deenens, Kritiker des Liberalismus und Vordenker aus dem Umfeld der Trump-Administration, den europäischen Selbsthass als Ausdruck einer seelischen, man könnte auch sagen geistlichen Krankheit: Ausgehend vom traditionellen katholischen Begriff der sieben Hauptsünden erläutert er, dass von der christlichen Zivilisation als schädlich erkannte und darum verbotene Einstellungen und Handlungen heute als Tugenden gelten:
Zorn, einst als destruktiv gebrandmarkt, erscheint heute im Gewand des woken, als gerecht empfundenen Hasses als Pflicht; Lust, die zerstörerische Verzerrung der Geschlechtlichkeit, als selbstermächtigendes Prinzip, Trägheit wird in Form von sozialmedialer Reizüberflutung, die den Geist betäubt, zur Norm.
Deneens stellt die These auf, dass an die Stelle der zu Tugenden umdeklarierten „Sünden“ nun andere Verbote getreten seien: Die Wertschätzung der eigenen Kultur und Identität werde als „Nationalismus“ pauschal dämonisiert, wer für die Komplementarität der Geschlechter oder auch nur deren Existenz eintrete – und damit für Geschlechtlichkeit, Familie und letztlich für die Zukunft der Menschheit –, wird des „Sexismus'“ bezichtigt.
Auch Religiosität oder Konservatismus nennt Deneens als die neuen „großen Sünden“. Erschwerend komme hinzu, dass es sich in der Lesart des modernen Liberalismus um kollektive „Sünden“ und in der Folge um kollektive Schuld handle – anders als im religiösen Gefüge des Katholizismus sei kein Mechanismus vorgesehen, der Vergebung sicherstelle. Die logische Folge: Selbsthass, Selbstverleugnung.
Deneens votiert für eine Überwindung dieses Hasses: „Make Europe great again“, ermutigt er die Zuhörer.
Damit liegt er auf einer Linie mit dem CHEGA-Politiker Pedro Frazão, der von den Europäern fordert, sich gegenüber den USA nicht wie ein pubertierender Jugendlicher zu verhalten, sondern sich Augenhöhe zu verdienen.
Die Krankheit heilen, nicht lediglich Symptome bekämpfen
Obgleich zahlreiche konkrete Sachverhalte zur Sprache kommen, wie eben die transatlantischen Beziehungen, Ukrainepolitik und Korruption, die angestrebte Chatkontrolle oder das Bildungssystem, sind es die alles andere als abstrakten Grundsatzanalysen, die sich als besonders packend erweisen.
Sie machen deutlich, dass die krisenhaften Erscheinungen, unter denen nicht nur die Europäische Union, sondern ganz Europa leidet, Ausdruck einer existenziellen und essenziellen Krise sind – eben einer „seelischen“. Daher, so der wiederkehrende Tenor, können auch oberflächlich erscheinende Probleme nicht gelöst werden ohne die Behebung jener geistigen, geistlichen und weltanschaulichen Hemmnisse, die der Krise zugrundeliegen.
Diese Diagnose überzeugt: Die Krankheit heilen, nicht lediglich Symptome bekämpfen – ein rein interessenbasierter Ansatz, wie ihn Václav Klaus vorschlägt, wird im fortgeschrittenen Stadium dieser Krise nicht ausreichen; ist doch schon das Individuum kaum mehr in der Lage, selbstschädigendes Verhalten zu unterlassen, selbst, wenn es als solches erkannt wurde.
Die eigene Identität bewahren, Selbsthass überwinden; Europa und Europäische Union nicht miteinander gleichsetzen, sehr wohl aber den Kern dessen, was Europa als Kulturraum ausmacht, (wieder) als Leitstern der EU betrachten: Mit dem MCC macht sich vor allem das als EU-skeptisch und -feindlich gescholtene Ungarn um das europäische Erbe verdient – und beweist mehr Leidenschaft und Liebe für den Kontinent und selbst für die vielkritisierte EU als stramme „Europäer“ Brüsseler Prägung, die zwar wortreich europäische Werte proklamieren, diese aber konsequent mit Füßen treten.






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